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In Hamburg wurde die erste Apothekerkammer in Nachkriegsdeutschland gegründet und der Grundstein für den Govi-Verlag gelegt. / Foto: Imago Images/Pond5 Images
Die Gründung beider deutscher Nachkriegsstaaten im Jahre 1949 machte eine Neuordnung des Gemeinwesens in vielerlei Hinsicht erforderlich. Das betraf auch die Pharmazie und die apothekerlichen Standesvertretungen, die in Form regionaler Kammern nach und nach wieder entstanden. Motor der Neuorganisation in Norddeutschland war der in Hamburg tätige Apotheker Josef Johann August (genannt Jo) von Fisenne (1902 bis 1987). Er gilt als einer der Gründungsväter und darüber hinaus als Namensgeber des ebenfalls 1949, also vor genau 75 Jahren gegründeten Govi-Verlags. Das Unternehmen ging 2016 in der Avoxa – Mediengruppe Deutscher Apotheker auf.
Der in Aachen geborene Fisenne hatte seine Apothekerlaufbahn im nahe gelegenen Stolberg begonnen, in Berlin Pharmazie studiert und 1929 die Approbation erhalten. Als Student hatte er in der Redaktion der Apotheker-Zeitung mitgearbeitet und dort den damaligen Chefredakteur Dr. Hans Meyer (1895 bis 1977) kennengelernt, der später »wie kaum eine andere Person die Entstehung und die Entwicklung der ABDA geprägt« (1) hatte.
Josef von Fisenne / Foto: Govi
Nach diversen beruflichen Stationen in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gelangte Fisenne 1938 als Repräsentant verschiedener pharmazeutischer Unternehmen nach Hamburg. Unmittelbar nach Kriegsende wandte er sich aber wieder der Offizinpharmazie zu. Im Juli 1945 kaufte er die teilzerstörte Adler-Apotheke in St. Pauli, die er im August 1946 wiedereröffnete. Im Nachkriegs-Apothekenwesen Hamburgs erwies sich Fisenne als unermüdlicher Organisator und stand alsbald an der Spitze der dortigen Berufsorganisation, die als »erste funktionierende Apothekerkammer im damaligen Nachkriegsdeutschland« (2) galt.
Er blieb Kammerpräsident bis 1951; 1950 bis 1953 war er Vorsitzender der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft in Hamburg, zudem Mitglied der Hamburger Bürgerschaft 1950 bis 1961. Auf sein Betreiben hin fand der erste Apothekertag im Nachkriegsdeutschland in Hamburg statt. Überregional hatte inzwischen ein ebenso talentierter wie organisationstüchtiger Standespolitiker mit dem Neuaufbau der Berufsorganisation begonnen – eben jener Hans Meyer, dem Fisenne bereits früher begegnet war. Beide waren von der Notwendigkeit einer standeseigenen Publikationsplattform überzeugt und gründeten am 9. April 1949 den Govi-Verlag.
Bereits die Schreibweise weist darauf hin, dass Govi – ebenso wenig wie Avoxa – kein Akronym ist. Den gleichwohl ungewöhnlichen wie unverwechselbaren Namen prägte Fisenne, dessen Familie ursprünglich aus den ostbelgischen Ardennen stammte, konkret aus einem Örtchen namens Fisenne. Vorfahren sind dort bis zurück ins 15. Jahrhundert nachweisbar. Damals heiratete ein Paul de Fisenne eine Dame aus dem Nachbargut Govy. Um sich von anderen Verwandten zu unterscheiden, führte die Familie den Doppelnamen de Fisenne-de Govy und in nächster Generation de Fisenne-de Govi.
Der später entfallene Namensbestandteil hat die Gründer zur Benennung des neuen Unternehmens inspiriert (3). Der Verlag war zunächst ein Privatunternehmen von Meyer und Fisenne, bis die drei Jahre zuvor gegründete ABDA ihn 1953 übernahm. Der Verlag diente von Beginn an hauptsächlich der Publikation einer Standeszeitschrift, die Meyer ebenfalls 1949 unter dem Titel »Pharmazeutische Nachrichten« initiiert hatte. Gemäß eines Beschlusses auf dem Apothekertag 1950 fusionierten die »Pharmazeutische Nachrichten« dann mit der »Pharmazeutischen Zeitung«, um den Titel dann zum Presseorgan der ABDA zu machen. Die Geschäftsführung lag bis 1986 in Händen der pharmazeutischen Standesführung, also in Person von Dr. Hans Meyer (1959 bis 1964), dann von Heinz Glück (1965 bis 1976) und Dr. Christian Wehle (1976 bis 1986). Mit dem Eintritt des gelernten Verlagskaufmanns Peter Josef Egenolf (1945 bis 2017) in die Geschäftsleitung erfolgte eine weitere Professionalisierung mit größerer Eigenständigkeit des Verlags als wirtschaftende Tochter der ABDA.
Die Gründungsväter hatten die Notwendigkeit eines standeseigenen Periodikums bereits deutlich gesehen und bis heute ist die erste Publikation des Verlags die wichtigste, aber nicht die einzige von historischer Bedeutung. So sah man in den 1960er-Jahren die Notwendigkeit, selbst juristische Literatur herauszugeben, wie eine Gesetzessammlung für Apotheken oder einen Kommentar zur Apothekenbetriebsordnung. Deren Auslegung wollte man nicht fachfremden Juristen überlassen.
Die ureigene Aufgabe der Apotheke, die Arzneimittelherstellung in die Moderne zu überführen, griff der Verlag mit der Publikation des Neuen Rezeptur-Formulariums auf. Es erscheint seit 1983 als Loseblattwerk, zunächst als Bestandteil des seit 1972 als Ergänzungswerk zum Deutschen Arzneibuch positionierten Deutschen Arzneimittel-Codex, und ist inzwischen unersetzlich geworden.
Govi darf sich auch als Pionier elektronischer Medien bezeichnen. Die 1996 ins Leben gerufene Online-Ausgabe der »Pharmazeutischen Zeitung« war die erste unter den pharmazeutischen Fachzeitschriften. Im gleichen Jahr folgte govi.de als elektronische Versandbuchhandlung. 2016 ist der Verlag dann mit der ebenfalls traditionsreichen Werbe- und Vertriebsgesellschaft deutscher Apotheker, einschließlich ABDATA Pharma-Daten-Service, zu einem gemeinsamen Unternehmen zusammengeführt worden, der Avoxa – Mediengruppe Deutscher Apotheker.
Der Name Govi ist indes keineswegs verschwunden, sondern ist als Markenbegriff für das Avoxa-Buchprogramm und die Versandbuchhandlung geblieben. Möglicherweise aus der Not der Gründer geboren, steht der ursprüngliche Firmenname also bis heute, seit genau 75 Jahren für standesnahe, apothekenrelevante Informationsdienstleistungen.