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Scheele-Tagung

Innovationen in der Kardiologie

Auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen tut sich einiges – Updates und Ausblicke gab es vergangenes Wochenende bei der Jahrestagung der Scheele-Gesellschaft, unter anderem zu mitwachsenden Stents, dem Herzpflaster und den »Fantastic Four« bei Herzinsuffizienz.
AutorKontaktDaniela Hüttemann
Datum 12.11.2024  10:30 Uhr

Beim Vorsymposium am Freitagnachmittag wurde es biomedizinisch: Die Vorsitzenden der Scheele-Gesellschaft (der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft) Professor Dr. Christoph Ritter, Professor Dr. Thomas von Woedkte und Professor Dr. Burkhard Hinz konnten gleich zwei Rostocker Koryphäen als Referenten begrüßen.

Professor Dr. Niels Grabow, Direktor des Instituts für Biomedizinische Technik an der Universität Rostock, war fußläufig von seinem Institut zur pharmazeutischen Tagung ins Hotel Neptun in Warnemünde gekommen und berichtete von längst etablierten Innovationen wie wirkstofffreisetzenden Stents bis zu solchen in der Pipeline. An seinem Institut wird an absorbierbaren Stents aus Biopolymeren geforscht. Normalerweise bestehen Stents aus einem Metall- oder Kunststoffgitter. Um Abstoßungs- und Entzündungsreaktionen zu verhindern, sind sie mitunter mit Tacrolimus beschichtet.

Grabows Team arbeitet an einer Umhüllung, die die Gitterstruktur ummantelt und so ein Einwachsen in das Gefäß ermöglichen und dieses reparieren soll. Der eigentliche Stent könnte sich dann mit der Zeit auflösen, ohne dass sich das Gefäß wieder verschließt. Als Anwendungsbeispiel nannte er die Kinder-Herzchirurgie, genauer gesagt eine Aorten-Isthmus-Stenose. »Der Stent wächst bislang nicht mit, daher müssen die Kinder immer wieder operiert werden – das hat seine Grenzen. Wie schön wäre hier ein auflösender Stent, den wir größenadaptiv und minimalinvasiv erneuern können.«

Stents brauche man übrigens nicht nur am Herzen. Es seien beispielsweise auch HNO-Tuben-Stents bei chronischen Belüftungsstörungen des Ohrs oder Mikrostents für den Kammerwasserabfluss im Auge bei Glaukom in Entwicklung.

Klappenersatz: Von der offenen Herz-OP zum Katheter-Eingriff über die Leiste

Zudem arbeitet man in Rostock an besserem Herzklappen-Ersatz. Auch hier hofft Grabow, mitwachsende Klappen entwickeln zu können. Einer der ersten, der die hauseigenen Innovationen anwenden kann, ist Professor Dr. Hüseyin Ince, Direktor der Abteilung für Kardiologie an der Universitätsmedizin Rostock. Er betonte, der derzeit weltweit beste Koronarstent sei dort entwickelt worden.

Auch bei den sogenannten TAVI-Prozeduren war man früh dabei. TAVI steht für Transkatheter-Aortenklappen-Implantation. Dabei wird eine kleingefaltete biologische Klappenprothese kathetergestützt an die Stelle der kranken Aortenklappe eingesetzt. Statt einer Brustkorböffnung wird die neue Klappe über die Leiste eingeführt. Das Verfahren wurde 2002 erstmals angewendet.

Schrittweise und mit einer Reihe von Studien konnten Hüseyin und sein Team Herzchirurgen und Kardiologen über die letzten Jahre überzeugen, dass eine TAVI nicht nur schonender, sondern auch deutlich komplikationsärmer als die offene OP ist, bei mindestens gleichwertigen Ergebnissen. »Der Eingriff ist so simpel, den könnte ich jedem von Ihnen hier beibringen«, meinte der Kardiologe zu den Apothekerinnen und Apothekern.

Mittlerweile empfehle die Leitlinie, dass jeder Patient über 75 Jahre, der eine neue Herzklappe braucht, diese über TAVI bekommen soll, wenn er anatomisch dafür geeignet ist. Bei jüngeren Patienten müsse individuell entschieden werden. Hintergrund ist, dass noch Langzeitdaten über zehn Jahre hinaus fehlen, wie haltbar die TAVI-Klappenprothesen sind. Die neuesten Neun-Jahres-Daten zeigen eine Nicht-Unterlegenheit. »Und falls die Klappe versagt, kann man die TAVI wiederholen«, betonte Hüseyin.

Ein Pflaster für abgestorbenes Herzgewebe

Eine kardiologische Innovation aus Göttingen stellte am Sonntag Professor Dr. Wolfram Zimmermann vor, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der dortigen Universitätsmedizin. Er ist Mitentwickler des sogenannten Herzpflasters, das derzeit in klinischen Studien zur Marktreife gebracht werden soll. Aus induzierten pluripotenten Stammzellen züchtet sein Team Herzmuskel- und Bindegewebsfasern, aus denen zusammen mit Kollagen kontraktile Patches hergestellt werden. Ähnlich wie ein echtes Pflaster wird es auf den geschädigten Herzmuskel von außen aufgenäht.

»Kein einziges Arzneimittel führt bislang dazu, dass auch nur eine neue Herzmuskelzelle entsteht«, begründet der Pharmakologe sein Interesse für Gewebe. Die Idee eines Herzpflasters sei daher logisch und eigentlich einfach – der Weg dorthin jedoch nicht zuletzt aufgrund der Regularien schwierig. Rund 30 Jahre habe es gedauert, bis erste Patienten behandelt werden konnten. Bislang bekamen in Kooperation mit dem Uniklinikum Lübeck 13 Patienten ein Herzpflaster. Derzeit läuft die Phase-II-Studie BioVAT-HF-DZHK20. Bereits im kommenden Jahr will man in eine Zulassungsstudie auf europäischer Ebene übergehen, informierte Zimmermann. Aktuell sei das größte Problem die Skalierung des Herstellungsverfahrens – von der einzelnen Kulturflasche auf 1000-Liter-Fermenter. Das limitiere derzeit den Einsatz.

Ebenso wie bei einer Transplantation müssen die Patienten mit Herzpflaster lebenslang Immunsuppressiva einnehmen, da es sich um körperfremdes Gewebe handelt – jedoch vergleichsweise niedrig dosiert und unter der Cushing-Schwelle.

Die Herzleistung steigt deutlich

Das längste Follow-up eines Patienten betrage derzeit drei Jahre, berichtete der Referent. Zudem zeigte das explantierte Herz einer Patientin, die nach dem Herzpflaster doch noch ein Spenderherz bekam, dass das »künstliche« Gewebe gut anwächst, vaskularisiert wird, reift (die Herzzellen sind relativ jung) und sich rhythmisch problemlos anpasst. »Das Herzpflaster stärkt die Pumpfunktion des erkrankten Herzens«, erklärte Zimmermann.

Ein Fallbericht eines Studienteilnehmers zeigte zwei Jahre nach dem Eingriff, dass sich seine Leistungsfähigkeit und die Symptome der Herzinsuffizienz deutlich und anhaltend verbessert hatten. Seine Herzleistung stieg von nur noch 10 auf aktuell 35 Prozent.

»Wir hoffen, dass wir irgendwann in den Leitlinien für Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz vor der Herztransplantation oder Pumpe landen«, so Zimmermann. Denn Organe gibt es bekanntlich viel zu wenige und die Pumpen gingen mit erheblichen Nebenwirkungen einher.

Darauf angewiesen sind in Deutschland schätzungsweise 10 Prozent der Patienten mit Herzinsuffizienz, die trotz optimaler medikamentöser Therapie nur noch eine mittlere Lebenserwartung von zwölf Monaten bei schlechter Lebensqualität haben. Zimmermann hofft, dass das Herzpflaster ein (normales) Leben lang hält. Daher werden auch junge Patienten mit Herzschäden in die Studie eingeschlossen.

Herzinsuffizienz: Keine Angst vor zu vielen Pillen

Auf die medikamentöse Therapie der chronischen Herzinsuffizienz war zuvor Professor Dr. Dietmar Trenk eingegangen, ehemaliger Leiter der Abteilung Klinische Pharmakologie am Universitäts-Herzzentrum Bad Krozingen, das zum Uniklinikum Freiburg gehört. Etwa 2,5 Millionen Menschen sind betroffen. »Mit jeder Exazerbation, mit jedem Krankenhausaufenthalt verschlechtert sich die Prognose des Patienten dramatisch«, betonte Trenk. Eine dekompensierte Herzinsuffizienz sei der häufigste Einweisungsgrund für Menschen ab 65 Jahren. Die 5-Jahres-Mortalität liege bei 50 Prozent und steige mit jedem Krankenhausaufenthalt. Die Lebensqualität sei vergleichbar schlecht wie bei Patienten nach Schlaganfall; die Kosten für das Gesundheitssystem extrem hoch.

»Ganz wichtig sind daher möglichst frühe Diagnose und Therapiestart«, verdeutlichte der Referent. Während früher die medikamentöse Therapie stufenweise erfolgte, gab es 2021 einen großen Paradigmenwechsel: Seitdem wird von Anfang an Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFrEF, die häufigste Form) eine Viererkombination empfohlen, die sogenannten »Fantastic Four« der Herzinsuffizienz. Sie besteht aus einem RAS-Hemmer, laut Trenk idealerweise einem ARNI (Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor, also Sacubitril/Valsartan) – oder ersatzweise ACE-Hemmer oder Sartan – plus Betablocker, Mineralcorticoid-Rezeptorantagonist und SGLT-2-Hemmer. Sie müssen eingeschlichen werden, sollten aber noch im Krankenhaus auf mindestens die Hälfte der optimalen Dosis auftitriert werden und dann unter Aufsicht des Kardiologen nach spätestens drei bis sechs Wochen zur empfohlenen maximal verträglichen Dosis.

Die genaue Auswahl orientiere sich an den Begleiterkrankungen des Patienten, ebenso, ob noch wie früher Diuretika (beispielsweise bei Volumenüberlastung) oder Digoxin (bei Vorhofflimmern) gegeben werden. »Diese Arzneimittel haben aber im Gegensatz zu den Fantastic Four keinen Einfluss auf die Prognose«, so der Pharmakologe.

Mortalität sinkt um 61 Prozent

Eine Übersichtsarbeit vom Februar 2022 zeigte, dass die empfohlene Viererkombi die Gesamtsterblichkeit um 61 Prozent gegenüber Placebo senken kann – das schafft keine Arzneistoffklasse für sich und auch keine andere Kombination. Und auch Patienten mit mäßiger bis erhaltener Auswurffraktion (HFmEF und HFpEF) profitieren von SGLT-2-Hemmern (Dapagliflozin oder Empagliflozin), sodass diese seit 2023 auch diesen Patienten empfohlen werden.

Ungewiss ist noch, ob die GLP-1-Rezeptoragonisten demnächst noch hinzukommen. Erste Daten zeigen positive kardiovaskuläre Effekte. »Die Behandlung übergewichtiger Patienten mit GLP-1-Agonisten verbessert auch die Herzinsuffizienz-Prognose, aber das Problem werden die hohen Therapiekosten sein«, vermutet Trenk.

Dabei werde leider schon die aktuelle Empfehlung der Fantastischen Vier noch viel zu selten umgesetzt, bedauerte der Pharmazeut. In einer US-Studie, die zu Beginn dieses Jahres veröffentlicht wurde, erhielt nicht einmal jeder sechste bei Krankenhausentlassung die Viererkombi, obwohl mehr als vier von fünf Patienten dafür infrage kamen. Niederländische Daten deuten Ähnliches an, und auch für Deutschland könne man von einer Unterversorgung ausgehen.

Was, wenn dies Apothekerinnen und Apothekern bei einer Medikationsanalyse auffällt? »Ich würde dem Patienten vorsichtig vorschlagen, demnächst einen Termin mit dem Kardiologen zu machen und nachzufragen, ob sich die Therapie angesichts der neuesten Studienergebnisse und Leitlinienempfehlungen noch optimieren lässt«, riet Trenk. Allgemein dauert es häufig, bis sich neue Empfehlungen flächendeckend in der Praxis niederschlagen. Das könnte jedoch für viele Patienten zu spät sein.

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