Medizin
Zu den schwersten Komplikationen bei einer Leberzirrhose gehört die
hepatische Enzephalopathie. Zirrhosepatienten, die unter dieser
Folgeerkrankung leiden, haben ein drastisch erhöhtes Mortalitätsrisiko.
Mediziner fordern deshalb eine frühstmögliche Behandlung. Eine im Juni
veröffentlichte Studie belegt, daß die Infusion von L-Ornithin-L-Aspartat
den Schweregrad einer Enzephalopathie deutlich reduziert.
Der Beginn einer hepatischen Enzephalopathie verläuft oft unbemerkt. Wie
Professor Dr. Rüdiger Nilius von der Privatklinik für Innere Krankheiten Max
Uibeleisen GmbH in Bad Kissingen ausführte, verlaufe die subklinische Phase
zumeist ohne Symptome, die Krankheit sei jedoch auch in diesem Stadium mit
psychometrischen Tests sicher diagnostizierbar. In der nächsten Stufe der
Erkrankung (Schweregrad 1) zeigten sich emotionale Veränderungen und ein
Nachlassen der Konzentrations- und Merkfähigkeit. In den nachfolgenden
Krankheitsstadien können sich Lethargie und Apathie (Schweregrad 2),
Persönlichkeitsveränderungen und Konfusion (Schweregrad 3) bis hin zu Koma
(Schweregrad 4) einstellen.
Ausgelöst wird die hepatische Enzephalopathie durch die schlechte Entgiftung des
Blutes aufgrund der verminderten Leistungsfähigkeit der zirrhotischen Leber,
erläuterte Nilius. Vor allem der mangelhafte Abbau des neurotoxisch wirkenden
Ammoniaks führe zu einer Beeinträchtigung der Gehirnfunktionen, sagte er auf einer
von Merz veranstalteten Pressekonferenz am 11. September in Bonn. Der Abbau
des Ammoniaks erfolgt im wesentlichen in den periportalen Hepatozyten, in denen
das Molekül mit Hilfe der Carbamylphosphatsynthetase in Harnstoff umgebaut wird.
Der zweite Abbauweg des Neurotoxins ist die Glutaminsynthese, bei der das Enzym
Glutaminsynthetase eine Schlüsselfunktion hat. Fatalerweise seien bei einer
Leberzirrhose beide Abbauwege gestört, so Nilius. Sowohl die Glutaminsynthetase
als auch die Carbamylphosphatase arbeiteten nicht ausreichend. Die Folge ist eine
Hyperammoniämie.
Wahrscheinlich ist der Ammoniaküberschuß jedoch nicht der alleinige Auslöser einer
hepatischen Enzephalopathie. So werde bei Zirrhotikern eine Verschiebung der
Aminosäureverteilung im Blut registriert. Während die verzweigtkettigen
aliphatischen Aminosäuren (Leucin, Isoleucin und Valin) in geringerer Konzentration
gefunden werden, steigt der Anteil aromatischer Aminosäuren (Phenylalanin, Tyrosin
und Tryptophan) deutlich an. Aus den aromatischen Aminosäuren würden dann im
Gehirn sogenannte falsche Transmitter synthetisiert, beschrieb Nilius. Diese
besetzten dieselben Rezeptoren wie die echten Transmitter, seien jedoch weniger
potent, wodurch die Signalübertragung im Gehirn gestört werde.
Im Vergleich zu anderen zerebralen Funktionsstörungen sind die therapeutischen
Möglichkeiten bei einer hepatischen Enzephalopathie recht vielversprechend. Die
Krankheit sei potentiell reversibel, betonte Nilius. Bei der Behandlung der
hepatischen Enzephalopathie stehe der Einsatz von Medikamenten nicht im
Vordergrund. Am wichtigsten sei die Vermeidung von Noxen, etwa Alkohol,
Chemikalien und verschiednene Arzneimittel. Ebenfalls zwingend sei ein adäquate
Ernährung mit vielen Ballaststoffen und wenig tierischem Eiweiß. Außerdem müßte
eine mögliche Infektion beseitigt und ein regelmäßiger Stuhlgang angestrebt werden.
In einigen Fällen sei eine zusätzliche medikamentöse Therapie mit
L-Ornithin-L-Aspartat durchaus sinnvoll, führte der Mediziner weiter aus. Das aus
den beiden Aminosäuren Ornithin und Aspartat bestehende Salz habe einige positive
Wirkungen bei hepatischer Enzephalopathie, so verbessere es das Verhältnis der
Aminosäuren hin zu den aliphatischen, steigere die Regenerationsfähigkeit der
Leberzellen und senke den Ammoniakspiegel im Blut.
Eine Studie, die Nilius zusammen mit Dr. Gerald Kircheis, Merz und Co, in der
US-amerikanischen Wissenschaftszeitschrift Hepatology publizierte, belegt diese
Bewertung. Die beiden Wissenschaftler konnten zeigen, daß die intravenöse Gabe
von 20 Gramm L-Ornithin-L-Aspartat pro Tag innerhalb einer Woche sowohl die
venöse Ammoniakkonzentration senkt, als auch die geistige Leistungsfähigkeit
erhöht. Insgesamt nahmen 126 Patienten an der Studie teil, erläuterte Kircheis. 63
wurden mit L-Ornithin-L-Aspartat behandelt, die anderen erhielten Placebo. Nach
sieben Tagen lag die nüchtern bestimmte Ammoniakkonzentration in der
Verumgruppe bei durchschnittlich 61,8 µmol/l, in der Placebogruppe dagegen bei
76,9µmol/l. Der mentale Zustand hatte sich in der Verumgruppe am stärksten bei
Patienten mit hepatischer Enzephalopathie des Schweregrades 2 verbessert. 82
Prozent der Probanden zeigten bessere Leistungen als zu Beginn der Studie, in der
Placebogruppe erreichten lediglich 22 Prozent ein besseres Ergebnis als vorher.
Weniger deutlich fiel der Unterschied bei subklinischer Enzephalopathie aus.
Lediglich bei 35 Prozent besserte sich der mentale Zustand, in der Placebogruppe
waren es wiederum 22 Prozent.
Nach Angaben von Kircheis ist die perorale Gabe von L-Ornithin-L-Aspartat
ähnlich effektiv wie die Infusion. Eine noch nicht veröffentlichte Studie mit 66
Probanden, die jeweils 18 Gramm der Substanz täglich peroral eingenommen haben,
komme zu vergleichbaren Ergebnissen, wie die bereits in Hepatology publizierte
Studie.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Bonn
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de