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Raucher brauchen Carotinoide

27.07.1998  00:00 Uhr

- Pharmazie

Govi-Verlag

Raucher brauchen Carotinoide

Vier große Interventionsstudien dienten dem Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) als Grundlage für ihre Warnung an Raucher, keine Betacaroten-Supplemente zu nehmen (siehe PZ 30, Seite 41). Doch die vorliegenden Daten können auch anders interpretiert werden: Raucher können von Carotinoiden profitieren.

Ein hoher Verzehr von Gemüse und Obst, also Carotinoiden, korreliert signifikant invers mit dem Lungenkrebsrisiko. Weiterhin besteht eine konsistent inverse und überwiegend signifikante Assoziation zum Betacaroten-Plasmaspiegel. Auch zu anderen Krebsarten ergeben sich vergleichbare Bezüge. Diese anerkannte epidemiologische Beweislage spricht gegen eine zufällige Assoziation.

Allerdings bleibt die Unsicherheit bei den Untersuchungen, daß weitere Nährstoffe zum Effekt beitragen oder ihn als Summe relevanter Komponenten bestimmen könnten. Vor allem betrifft dies andere wichtige Carotinoide, die differenzierte antikanzerogene Effekte und spezifische Eigenwirkungen besitzen. Sie wurden vorwiegend erst in neueren Untersuchungen berücksichtigt.

Zur Problemlösung favorisierten Kliniker Interventionsstudien mit Langzeitsupplementierung, vor allem zur Lungenkrebsprävention. Bisher wurden vier große Interventionsstudien abgeschlossen, ebenso einige mit kleineren Fallzahlen und modifizierter Zielrichtung. Bei allen Studien wurde synthetisches Betacaroten eingesetzt. Die Warnhinweise für Raucher beziehen sich nur auf die Ergebnisse von zwei der vier Großstudien, die Raucher als Hochrisikogruppe untersuchten.

Vier Interventionsstudien


Die erste Großstudie in Linxian, China, zeigte bei kombinierter Gabe von Betacaroten (15 mg/Tag), Vitamin E und Selen bemerkenswerte Effekte. Die gesamte Krebsmortalität sank um 13 Prozent, die von Magenkrebs signifikant um 21 Prozent. Andere Krebsarten wie Lungenkrebs wurden auch bei Rauchern nur moderat, nicht signifikant verändert.

Die finnische ATBC-Studie mit 20 mg Betacaroten pro Tag stellte eine um 18 Prozent höhere Rate an Lungenkrebs und 8 Prozent höhere Todesrate fest. Die Kohorte umfaßte 29.133 männliche Raucher im Alter zwischen 50 und 69 Jahren, die Placebo oder Verum über fünf bis acht Jahre erhielten. Die Raucher sind als langjährige starke Zigarettenraucher (mindestens 20 Jahre mehr als 20 Zigaretten pro Tag) deklariert.

In der CARET-Studie wurden vier Jahre täglich 30 mg Betacaroten plus 25.000 I.E. Vitamin A verabreicht. Das Lungenkrebsrisiko erhöhte sich im Vergleich zu Placebo um 28 Prozent, die KHK-Mortalität um 26 Prozent. Hieran waren über 18.000 Personen mit hohem Lungenkrebsrisiko im Alter von 45 bis 69 Jahren beteiligt (Raucher, ehemalige Raucher, Asbestarbeiter).

Die Physician's Health Study ergab, daß Betacaroten keinen Einfluß hat auf die Häufigkeit bösartiger Neoplasmen, KHK-Mortalität oder Todesfälle anderer Ursachen. Die Kohorte bestand aus über 20.000 männlichen Ärzten im Alter von 40 bis 84 Jahren, die über zwölf Jahre jeden zweiten Tag 50 mg Betacaroten einnahmen. Nachträglich fand man in einer Untergruppe mit anfangs niedrigen Betacaroten-Plasmaspiegeln eine Senkung des Prostatakrebsrisikos um 36 Prozent und bei älteren Teilnehmern eine Aktivierung des Immunsystems, die mit einer Stärkung der Tumorabwehr einhergehen kann.

Offene Fragen


Es erweist sich als gravierender Trugschluß, daß das Konzept dieser Interventionsstudien die erwähnten Probleme lösen könnte. Alle vier Studien umfassen Personen im höheren bis hohen Alter, mit einer Ausnahme im Hochrisikobereich. Fragen bleiben offen: Wann beginnt sinnvollerweise Prävention, wie hoch liegt die richtige Dosis? Ist der Untersuchungszeitraum repräsentativ, sind die Begleitbedingungen (Ernährung, Antioxidantienpool, sonstige Störfaktoren) der Testgruppen vergleichbar?

Was beweisen CARET- und ATBC-Studie?


Rauchen und Lungenkrebs als Zielparameter bergen gewichtige Probleme, die in beiden Studien unberücksichtigt bleiben. Rauchen wurde pauschal integriert, ohne Kontrolle der wichtigsten Kriterien. Rauchen erniedrigt die Plasmaspiegel an Betacaroten und anderen Antioxidantien, was zu starken individuellen Unterschieden führt. Daraus resultiert ein hoher Unsicherheitsfaktor, das sogenannte "residual confounding", das sowohl positive wie negative Effekte vortäuschen kann.

Lungenkrebs ist ein Tumor mit langer Entwicklungsphase. In frühen Phasen ist er schwierig zu diagnostizieren, im Vorstadium so gut wie gar nicht. Dabei ist auch die Familienanamnese sehr wichtig. Diese Schwachstellen enthalten beide Studien, worauf auch die Autoren hinweisen. Noch elementarer ist die Frage: Kann Betacaroten unter den Studienbedingungen überhaupt wirken? Kaum, denn mit 60jährigen Hochrisikopersonen kann man keine Lungenkrebsprävention betreiben. Sind klinische Versuche tatsächlich die Antwort? Auch Kliniker stellen dies zunehmend in Frage.

Prävention setzt einen frühzeitigen Beginn voraus, bevor sich die Risiken als Zellentartung manifestieren. Tatsächlich wurde in beiden Studien überwiegend therapiert. Es gibt bisher keine gesicherten Hinweise, daß Betacaroten oder ein anderer Wirkstoff therapeutisch auf Lungenkrebs wirkt. Dagegen existieren Hinweise, daß eher (Alpha- als Betacaroten der dominierende Schutzfaktor bei Lungenkrebs ist.

Betacaroten nutzt auch Rauchern


Das BgVV stützt seine Warnhinweise für Raucher vor Betacaroten-haltigen Zubereitungen allein auf die Ergebnisse der ATBC- und der CARET-Studie. Entgegen seiner Feststellung ist deren wissenschaftliche Aussagekraft gerade nicht überzeugend. Beide Studien sind aufgrund zu vieler Schwachstellen für eine solch schwerwiegende Aussage ungeeignet. Andere Interventionsstudien sowie epidemiologische Studien, in die auch Raucher und ehemalige Raucher einbezogen waren, ergaben keine negativen Hinweise.

Gleichzeitig wird die Aufnahme von Betacaroten aus Obst und Gemüse als gesundheitlich völlig unbedenklich eingestuft. Dies ist widersprüchlich: Wenn der Stoff schadet, dann in beiden Formen, denn die Gefahr geht nicht von der Verzehrform, sondern vom Inhaltsstoff aus.

Betacaroten schützt unter den Testbedingungen weder vor Lungenkrebs noch mindert es die KHK-Mortalität. Dieses Ergebnis ist der wahrscheinlich richtigste Befund. Andere Interventionsstudien belegen, daß Betacaroten bei Rauchern orale Leukoplakie (präkanzeröse Mundschleimhautschädigungen) reduziert oder verhindert. Auch nach den epidemiologischen Studien können Raucher von Carotinoiden nur profitieren. Eine Befolgung der Warnhinweise könnte ihnen daher auch positive Effekte vorenthalten. Wichtig ist aber, daß Supplemente mit natürlichen und optimierten Carotinoidgemischen die bisherigen auf alleiniger Betacaroten-Basis ersetzen.

Carotinoide und vor allem die Vitamine C und E sind als Nahrungsergänzung für Raucher wichtig, nicht zuletzt im Hinblick auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis. Womit sonst sollen Raucher erhöhten oxidativen Streß abbauen, wenn sie denn schon rauchen wollen?

PZ-Artikel von Gunter Metz, Blaubeuren
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