Abgekoppelte Konzerne |
22.08.2005 00:00 Uhr |
Die Konjunktur in Deutschland ist so gespalten wie selten zuvor. Während große DAX-Konzerne wie Allianz, Bayer und Deutsche Bank Rekordgewinne im ersten Halbjahr verbuchten, dümpelt die Gesamtwirtschaft vor sich hin.
Der Boom der Konzerne geht völlig an der Wirtschaft vorbei, die im zweiten Quartal mit 0,0 Prozent nur stagnierte. Trotz voller Kassen stecken die führenden deutschen Unternehmen ihr Geld nur zögerlich in Investitionen, die als Schlüssel für die Schaffung neuer Arbeitsplätze gelten. Keine Investitionen, keine Jobs, keine Kaufkraft, kein Wirtschaftswachstum, lautet die Kettenreaktion. Die flaue Investitionstätigkeit hält schon seit drei Jahren an. Die Zahlen für das zweite Quartal 2005 gibt das Statistische Bundesamt am Dienstag bekannt.
»Solange die Firmen ihre Kapazitäten nicht ausbauen, läuft der Aufschwung weiter auf Sparflamme«, sagt der Chefvolkswirt der Citigroup Jürgen Michels. »Die Gleichung: Gute Gewinne gleich gute Arbeitsplätze stimmt nicht.» Im zweiten Quartal haben Firmen in Deutschland nach Schätzungen lediglich 0,5 Prozent mehr investiert als im Vorquartal. Damit ist die leichte Investitionsfreudigkeit vom Jahresanfang mit 0,9 Prozent schon wieder abgeflaut. Gleichzeitig sank die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wenn die Firmen Geld investierten, dann in Ersatzmaschinen und Aufstockung der Lager. Was bei Normalbürgern Kopfschütteln hervorruft, ist für die Ökonomen kein Widerspruch. Global aufgestellte Konzerne machen ihr wesentliches Geschäft längst im Ausland. Die Gewinne fallen zum großen Teil bei ausländischen Töchtern an - und dort wird auch wieder investiert. «Das Kapital wandert zum besten Wirt», heißt die Regel der internationalen Finanzmärkte.
Die Globalisierung zwingt die Firmen zu Kosteneinsparungen - auch beim Personal. Die Deutsche Bank kommt nach eigenen Angaben beim Abbau von weltweit 6400 Stellen gut voran, in Deutschland gingen trotz Rekordgewinns seit Februar 300 Stellen verloren. Der Chemie- und Pharmariese Bayer geht 2005 auf das erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte zu und streicht 750 Arbeitsplätze. Zudem haben viele Konzerne ihre Gewinne genutzt, um die Bilanz zu konsolidieren und sich wieder in Top-Form zu bringen.
Der «Standort D» scheint einfach nicht attraktiv genug zu sein. «Die geringen Investitionen sind ein Zeichen der schlechten Stimmung und der Verdrossenheit mit dem Standort», sagt Peter Englisch von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. Für Investitionen brauche man eine gute Perspektive. Doch der private Konsum springt in Deutschland nicht an, die Verbraucher legen aus Angst vor Jobverlust und fehlender Altersvorsorge ihr Geld lieber auf die hohe Kante, statt es auszugeben. Die hohen Preise für Heizöl und Benzin belasten die Haushaltskassen ebenfalls. «Auch die Politik spielt eine wichtige Rolle», sagt der Chefvolkswirt der Commerzbank, Ulrich Ramm. Heuschrecken-Debatte und Millionärs-Steuer hätten viele Firmen verunsichert. «Die Neiddebatte ist völlig fehl am Platz.»
Fortschritte wurden aus Sicht der Volkswirte aber bereits gemacht: Die Hartz-IV-Reformen haben den Arbeitsmarkt belebt, die Lohnstückkosten sind in den vergangenen Jahren gesunken und die Banken haben ihre Kosten in den Griff bekommen. Dennoch fehlen eine Steuerreform, eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und der Abbau der Bürokratie. «In Deutschland dauert die Genehmigung für den Bau einen Fabrik drei Monate. Das dauert woanders drei Wochen», kritisiert Ramm.
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