Noweda kassiert 61 Millionen Euro |
08.12.2003 00:00 Uhr |
Die Schleusen sind geöffnet: Alliance UniChem hat am Montag den Kauf von Anzag-Anteilen im Wert von 61 Millionen Euro bestätigt. Verkäufer ist die Essener Noweda eG. Die PZ hatte bereits in ihrer letzten Ausgabe ausführlich über den anstehenden Deal berichtet. Alliance UniChem betrachtet die Anzag nun als „assoziiertes Unternehmen“.
Insgesamt 19 ihrer 24,99 Prozent an der Andreae Noris Zahn AG (ANZAG), Frankfurt am Main, verkaufte die Noweda an den drittgrößten europäischen Pharmagroßhändler. Noch am Dienstag vergangener Woche hatte Noweda-Sprecher Alexander von Chiari gegenüber der PZ gesagt: „Da ist nichts dran.“ Am Montag nun verkündete Chiari für den Noweda-Vorstand, dass man den „größten Teil“ der Anteile an der Anzag tatsächlich an den britischen Konzern verkauft habe.
Für eine detaillierte Stellungnahme war erneut kein Vorstandsmitglied der Noweda erreichbar. Man verwies auf die knappe Pressemitteilung, in der lediglich die Begründung für den Verkauf gedruckt wurde. Demnach „diene der Verkauf des Paketes an die Alliance UniChem den strategischen Zielen der Noweda mehr, als wenn sie Hauptaktionär bleiben würde“.
Bereits bei der Generalversammlung in Essen hatte Noweda-Vorstandschef Dr. Dietrich L. Meyer vor zwei Wochen deutlich zu verstehen gegeben, dass man mit der aktuellen Situation bei der Anzag unzufrieden sei. Zu diesem Zeitpunkt waren sich Noweda und Alliance UniChem laut der PZ-Redaktion vorliegenden Informationen allerdings bereits handelseinig. Aus der Noweda verlautete lediglich, man habe sich zu diesem Zeitpunkt aus aktienrechtlichen Gründen nicht äußern können.
Bereits im Zuge der jüngsten PZ-Berichte über die Angelegenheit war bei mehreren prominenten Mitgliedern der Noweda die Vermutung aufgekommen, die Noweda habe den Deal mit Alliance UniChem absichtlich erst kurz nach der Generalversammlung datiert, um mögliche kritische Stimmen aus den Reihen der Mitglieder zu umgehen. Aus der Noweda-Vorstandsetage war am Dienstag hierauf ebenso wenig eine Antwort zu bekommen, wie auf die Frage, ob der Verkauf nicht schon vor der Generalversammlung unter Dach und Fach gewesen sei. Der Vorstand um Meyer will sich anscheinend nicht äußern.
Noweda in Erklärungsnot
Sollten die Verhandlungspartner jedoch tatsächlich den Deal verzögert haben, damit das Noweda-Management möglichen kritischen Diskussionen aus dem Weg gehen könne, dann stünden die Aussagen Meyers auf der Generalversammlung im direkten Gegensatz zum tatsächlichen Handeln des Vorstandes.
In ihrer Pressemitteilung versucht sich die Noweda an einer Erklärung für den Verkauf ihrer Anteile an den drittgrößten europäischen Großhändler. Die Vorstellungen der beiden Hauptaktionäre Noweda und Sanacorp hätten „zu weit auseinander“ gelegen in den letzten Jahren. So wolle die Sanacorp „entgegen der ursprünglichen Intention“ die Anzag übernehmen. Aus Sicht der Noweda sei es „für die strategischen Ziele der Apotheker völlig ausreichend gewesen, wenn die beiden apothekereigenen Unternehmen mit der einfachen Mehrheit an der Anzag beteiligt geblieben wären“.
Bemerkenswert ist folgende Feststellung: Ein „durchaus richtiger Schritt“ im Zuge der Europäisierung der Märkte sei die Beteiligung der Alliance UniChem an der Anzag gewesen.
Bei der Noweda vertritt man anscheinend die Ansicht, dass nach dem Verkauf der Anteile bei der Anzag nun alles so bleibe, wie es ist. Nur so ist die Schlussfolgerung zu erklären, dass „mit der erhöhten Beteiligung der Alliance UniChem die Anzag ein eigenständiges Unternehmen bleiben werde“. Und das liege „wegen der Angebotsvielfalt im Interesse der deutschen Apotheker“.
Bei der Sanacorp in Planegg ist man über den Coup der Essener Genossenschaft alles andere als amüsiert. Denn Sanacorp bemüht sich seit langem nicht nur um die Übernahme der Anzag, sondern auch um Einvernehmen mit dem apothekerlichen Schwesterunternehmen aus dem Ruhrgebiet. Dem Vernehmen nach habe man sich allerdings nicht näher kommen können. Noch auf der Generalversammlung hatte Meyer erklärt, man werde die Gedanken, die man sich über die Anzag gemacht habe, auch mit der Sanacorp und den Verbänden besprechen. Nachdem nun der Deal öffentlich wurde, reagierten Vertreter sowohl der Verbände als auch bei der Sanacorp mehr als überrascht. Tiefgreifende Gespräche hat es nach PZ-Informationen nicht gegeben.
Während in den vergangenen Jahren eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Sanacorp und Noweda im Visier des früheren Sanacorp-Vorstandsvorsitzenden Dr. Jürgen Brink gestanden hatte, wollte man in Essen in aller Ruhe den eigenen Zielen nachgehen. Brinks Nachfolger, Manfred Renner, Aufsichtsratschef bei der Anzag, soll sich in den vergangenen Monaten immer wieder um den Dialog mit der Noweda bemüht haben – zuletzt erfolglos.
Nationale Noweda
Einem wesentlichen Ziel ist die Noweda mit dem Verkauf von 19 Prozent ihrer Anzag-Anteile erheblich näher gekommen. Denn Alliance UniChem zahlte Meyer & Co. immerhin 6 Prozent über dem aktuellen Börsenkurs für die begehrten Anteile. Insgesamt 61 Millionen Euro werden bald auf das Konto der Noweda fließen. Die Zustimmung durch das Bundeskartellamt ist eine reine Formalie, da Alliance UniChem bislang kein Deutschland-Geschäft hat.
Noweda kann mit dem Kapitalzufluss die nationale Expansion vorantreiben und damit Kurs auf den süddeutschen Raum nehmen. Seit einiger Zeit halten sich hartnäckig Gerüchte, wonach Noweda mit zwei kleineren Großhandlungen in Übernahmegesprächen sei.
Ohne diese Investitionen müsste die Noweda ein eigenes Vertriebsnetz aufbauen. Und das könnte angesichts der schwierigen Lage des Großhandels und der unübersichtlichen gesundheitspolitischen Situation zu kostspielig sein. Da die Noweda-Geschäftsführung nicht auf die PZ-Nachfrage reagieren wollte, ob man das Kapital investieren oder nach Möglichkeit als Dividende an die Mitglieder ausschütten wolle, ist davon auszugehen, dass es bereits konkrete Planungen für einen Aufkauf gibt.
Zudem würde dies die Annahme stützen, wonach der Noweda-Vorstand den Abschluss der Verhandlungen bewusst auf den Zeitraum nach der Generalversammlung datierte, um sich nicht in ungewollte Diskussionen über die Kapitalverwendung zu verzetteln.
Keine Informationen gab es seitens der Noweda auf die Nachfrage, ob es auch andere Interessenten für die Anteile gegeben habe. Die Investment-Gesellschaft Permira hatte sich bereits für die Anteile der DZ Bank heftig interessiert, kam aber dort genauso wenig zum Zuge wie nun bei der Noweda.
Nach dem Verkauf der 19 Prozent an die Alliance UniChem hält die Noweda immer noch rund 5,99 Prozent der Anteile. Damit bleibe die „Noweda zunächst an der Anzag beteiligt“. Diese Formulierung legt die Vermutung nahe, dass es entweder eine Option auf diese Anteile, beispielsweise von Alliance UniChem gibt, oder dass die Noweda die übrigen Anteile ebenfalls abstoßen will. Auch hierzu gab es keine Äußerung des Vorstandes.
Ob es Vorbehalte innerhalb von Vorstand und Aufsichtsrat gegen den Verkauf von Anteilen an die Alliance UniChem gab, war bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Auch hierzu gab es keine Antwort der Noweda-Führung. Und – last but not least – machte die Noweda keine Prognosen, wie sich ihr Geschäft in den nächsten Jahren entwickeln wird.
Kommentar: Noweda als Türöffner für Alliance UniChem Der Mann wäre am liebsten unsichtbar. Doch Dr. Dietrich L. Meyer ist aus Fleisch und Blut. Und er steht für eine Entscheidung, die mittelfristig viel Bewegung in den übersichtlichen Markt deutscher Pharmagroßhandlungen bringen wird. Denn wer so selbstbewusst am großen Rad dreht, der hat sich etwas dabei gedacht.
Und natürlich hat Meyer ganz besonders an seine Kunden, an die Apotheken gedacht. Denn für die habe er schließlich viele Anzag-Anteile der Noweda an die Alliance UniChem verkauft, lässt er mitteilen. Schließlich liege eine „Angebotsvielfalt im Interesse der deutschen Apotheke“.
Meyer hat natürlich Recht. Ein vielfältiges, preisgünstiges und qualitativ hoch stehendes Angebot liegt immer im Interesse der Kunden, sogar dann, wenn es Apotheken sind.
Fehlte nur noch, dass die Noweda nach dem Deal hätte mitteilen lassen, die Apotheke stehe ausschließlich im Mittelpunkt ihres Schaffens und Interesses. Man war klug genug, wenigstens ansatzweise anzudeuten, dass man eine andere Strategie verfolge und deswegen verkauft habe.
Die Faktenlage gestaltet sich anders, als Meyer es der Öffentlichkeit weiß machen will. Denn es lässt sich kaum erklären, warum der erfahrene Vorstandsvorsitzende wie ein Hase mit angelegten Ohren in der Furche liegt, um sich und sein Unternehmen den Augen einer interessierten Öffentlichkeit und damit auch den berechtigten Fragen und Anmerkungen seiner Apothekenkunden und Mitglieder zu entziehen.
Die schlichte Wahrheit ist: Der Vorstand der Apotheker-Genossenschaft Noweda hat die langjährige Strategie und damit auch weite Teile des Selbstverständnisses einer Apothekergenossenschaft über Bord geworfen und strategisch wertvolle Anteile an der Anzag an den drittgrößten europäischen Pharmagroß- und Einzelhändler verkauft. Damit öffnet die Noweda – und niemand anders – den Briten die Tür in den deutschen Markt.
Noweda hat kräftig Kasse gemacht, um vom regionalen Großhändler schnell zur nationalen Größe aufsteigen und im genossenschaftlichen Zweikampf mit der Sanacorp aufholen zu können. Wer glaubhaft machen wollte, dieser Wettstreit nütze am meisten dem Kunden und keinesfalls dem Hochgefühl der Unternehmenslenker, würde zum Gespött.
Noweda hat verkauft, weil man im Zusammenspiel mit der Sanacorp bei der Anzag nicht die zweite Geige spielen wollte. Apothekerwohl hin oder her. Dass die Noweda wegen des Rauswurfs ihrer Aufsichtsräte sauer war, kann jeder verstehen. Sollte der Anteilsverkauf die beleidigte Reaktion einer verschmähten Schönheit sein, wäre dies töricht.
Noweda wird mit dem neuen Kapital kleinere Großhändler aufkaufen oder im Kampf um Marktanteile diesen die Luft nehmen. Der Großhandelsmarkt wird sich – von Noweda ausgehend – konsolidieren. Bald wird es in Deutschland keine Angebotsvielfalt auf dem Großhandelsmarkt geben, sondern nur noch eine begrenzte Auswahl.
Nachdem der Wettbewerb um Marktanteile ausgefochten ist, die Claims abgesteckt sind und Noweda national aufgestellt ist, wird nicht der freie Wettbewerb – wie derzeit im übersichtlichen, aber wettbewerblich dominierten Oligopol - regieren, sondern die Abstimmung der Großen. Dieser Wettbewerb des Hinterzimmers ist ähnlich dem der Mineralölkonzerne.
Noweda hat also nur kurzfristig gewonnen. Und wenn auch zunächst der Wettbewerb zwischen den Großhändlern bei einem Markteinstieg von Alliance UniChem zu einem Vorteil für Apotheken führt: Die Halbwertszeit dieser positiven Situation ist gering.
Im Übrigen muss die Noweda zunächst beweisen, dass sie das Zeug zum nationalen Großhändler hat. Und sich irgendwann erklären, welche Interessen im Mittelpunkt ihrer Entscheidungen stehen.
Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion
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