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Der Blick über den Tellerrand in die Zukunft

11.11.1996  00:00 Uhr

-Wirtschaft & Handel

  Govi-Verlag

Der Blick über den Tellerrand in die Zukunft

  Die Stuttgarter Bürger entschieden sich am vergangenen Wochenende für einen neuen Bürgermeister; 200 Apothekerinnen und Apotheker aus Baden-Württemberg entschieden sich für einen Blick über den Tellerrand und machten sich bei "Apotheken Zukunft Live" Gedanken über die Zukunft des Berufsstandes. In seiner Eröffnungsrede forderte der stellvertretende Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, Fritz Becker, die Apothekerinnen und Apotheker auf, sich den Veränderungen im Gesundheitswesen zu stellen.

Aufzuhalten sei die Entwicklung ohnehin nicht, so der LAV-Vize. "Der Sturm wird kommen, egal ob wir bei den ersten dunklen Wolken den Kopf in den Sand stecken oder nicht. Wer sich nicht bewegt, wird bewegt." Den Vorwurf, mit dieser Veranstaltung negative Entwicklung erst herbei zu reden, ließ er deshalb nicht gelten. "Der böse Wolf läßt sich nicht wegdiskutieren, wenn er bereits in der Tür steht." Auf der Suche nach der neuen Rolle der Apotheker, müsse sich der Berufsstand von der starken GKV-Abhängigkeit lösen. Die Probleme mit der Finanzierbarkeit der optimalen Arzneimittelversorgung und den Budgetüberschreitungen zeigten, daß die gesetzlichen Krankenkassen den Apothekern langfristig keine sichere Zukunft garantierten.

Becker sieht den Apotheker des 21. Jahrhunderts vor allem als Dienstleister mit Spürsinn für die Wünsche seiner Kunden. Prävention, Selbstmedikation und Arzneimittelauswahl seien die Schlagworte, mit denen sich die apothekerlichen Aufgaben charakterisieren ließen. Dazu sei es notwendig, "über den Tellerrand des Apothekenwesens hinaus in die Töpfe anderer Berufsgruppen zu blicken".

Die eigene Freiheit für den Patienten einsetzen

Bei seinen Bestrebungen, sich neu im Gesundheitswesen zu positionieren, dürfe der Apotheker jedoch nicht seine soziale Verantwortung aus den Augen verlieren, mahnte der Pariser Politologe und Publizist Professor Dr. Alfred Grosser. Die sozialen Errungenschaften der europäischen Staaten hätten die Lebensqualität vieler Menschen verbessert, ihr Preis sei aber hoch. Keine Berufsgruppe dürfe sich deshalb der Solidargemeinschaft entziehen. "Die Berufung eines Menschen darf er nicht nur im Beruf finden."

Schließlich habe es der Apotheker der gesetzlichen Krankenversicherung zu verdanken, daß er in den vergangenen Jahrzehnten über ein relativ sicheres Einkommen verfügen konnte. Ohne die GKV könnten viele Menschen ihre Behandlungs- und Medikationskosten nicht bezahlen, so die Argumentation des Politologen. Sie mache den Apotheker unabhängig von kurzfristigen profitorientierten Entscheidungen und gebe ihm die notwendige Freiheit für sein Handeln.

In das hohe Lied von der Eigenverantwortung des Patienten will Grosser nicht vorbehaltlos einstimmen. Der Kranke sei auf Medikamente angewiesen, deren Wirkung er oft nicht beurteilen könne, Werbeanzeigen in Frauen- und Gesundheitszeitschriften versuchen, ihn zu manipulieren. In dieser Situation sei kaum ein Patient in der Lage, tatsächlich die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

Aus diesem Grund betrachtet Grosser auch die Selbstmedikation mit Skepsis. Viele Menschen mit Problemen nehmen Medikamente, die sie nicht benötigen. Medikamente dürften aber kein Ersatz für menschlichen Kontakt sein. Hier sei der Apotheker in der Verantwortung, vom Medikament abzuraten. Der Politologe zweifelt aber am Willen zumindest der französischen Apotheker dazu. So habe ein französischer Verbraucherverband in 100 Apotheken eine fingierte Verordnung von mehreren Medikamenten vorgelegt, deren Kombination schwerste Nebenwirkungen hervorrufe. 97 Apotheken hätten die Medikamente trotzdem kommentarlos abgegeben.

Die Apotheker sollten ihre Freiheit vor allem für ihre Patienten einsetzen. Wer seine Aufgabe darin sehe, soviel wie möglich zu verkaufen, zerstöre die Schönheit seines Berufes, denn er opfere seine Verantwortung der Profitgier. Nur wenn die Apotheker ihre Freiheit in den Dienst des Kunden stellten, sei dieser frei, die richtigen Entscheidungen für seine Gesundheit zu treffen.

Wer ist der "Smart Shopper" und in welche Apotheke geht er?

Wer kundenorientiert arbeiten will, muß seine Klientel gut kennen. Der "Smart Shopper" verkörpert eine neue Generation von Kunden, die sowohl preis- als auch qualitätsbewußt einkauft. „Der Smart Shopper will Markenware zum niedrigen Preis", charakterisierte Professor Dr. Claudius Schmitz von der Fachhochschule in Düsseldorf einen Kundentypus, der nach seiner Meinung auf dem Vormarsch ist.

Der Smart Shopper ist in der Regel zwischen 20 und 39 Jahre alt und verfügt über ein Einkommen unter 4000 DM. Er hat von der Rezession gelernt und blickt deshalb skeptisch in die Zukunft. Da sein Haushaltsbudget begrenzt ist, managt er seine Ausgaben professionell. Smart Shopper haben in der Regel viel zu tun, deshalb kaufen sie nach der Devise Qualität gegen Preis und Zeit ein. Bedienung und Service müssen deshalb stimmen. Prinzipiell bedeuten ihm materielle Werte weniger als immaterielle. Beim Einkauf bevorzugt er deshalb Marken von Herstellern, deren Verhalten politisch korrekt ist. Das Erscheinungsbild einer heutigen Apotheke entspricht nach Schmitz Erkenntnissen nicht den Vorstellungen der Smart Shopper. Von ihm befragte Studenten verbanden mit der Apotheke vornehmlich negative Attribute wie altmodisch, autokratisch, uniform oder klinisch. Weiße Kittel als Arbeitskleidung lehnten sie ab.

Apotheker, die diesen Kundenkreis für sich gewinnen wollen, sollten ihrer Apotheke zuerst ein modernes und unverwechselbares Erscheinungsbild verleihen. Das Schaufenster muß als Kundenfang Schlüsselreize ausstrahlen, die den Kunden in die Offizin locken. „Die Sonnencremewerbung aus den siebziger Jahren bringt niemanden in die Apotheke, denken Sie sich etwas ganz Neues, Ungewöhnliches aus." Über ein gezielt ausgewähltes Randsortiment seien die jungen Kunden ebenfalls anzusprechen. Kosmetika, Ernährungs- oder Impfberatung seien attraktive Angebote für diese Zielgruppe.

PZ-Artikel von Daniel Rücker, Stuttgart    

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