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Pharmaforscher zieht es in die USA

22.08.2005  00:00 Uhr
Standortdebatte

Pharmaforscher zieht es in die USA

PZ/vwd  Bei kaum einem Industriezweig hängt das Wohl und Weh so stark von der Forschung ab wie in der Pharmaindustrie. Jährlich fließen weltweit etwa 50 Milliarden US-Dollar in die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel. Dabei hat Europa als Forschungsstandort der europäischen Pharmaindustrie deutlich an Bedeutung eingebüßt.

In die USA dagegen, den größten Pharmamarkt der Welt, drängen mittlerweile auch die europäischen forschenden Pharmafirmen. Wurde vor 20 Jahren noch zwei Drittel der weltweiten Pharmaforschung in Europa betrieben, wird heute schon etwa die Hälfte in den USA investiert.

Mittlerweile investieren selbst europäische Konzerne mehr als die Hälfte ihrer Forschungsmittel in den USA. Auch die größten deutschen Medikamentenhersteller haben sich längst ein Forschungsstandbein in den USA geschaffen.

Über die Höhe der Forschungsaufwendungen in diesem Schlüsselmarkt schweigen sie sich aber aus. Die Bayer AG, Leverkusen, forscht in den USA beispielsweise vor allem in West Haven und zwar auf den Gebieten Onkologie und Diabetes. Das umsatzstärkste deutsche Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim hat 2003 seine Forschung für Herz- Kreislauferkrankungen nach Ridgefield verlagert. Etwa ein Drittel der F&E-Mitarbeiter von Boehringer Ingelheim arbeiten an diesem Standort. Derzeit plane das Unternehmen zudem zwei neue Forschungsgebäude in den USA , sagte Andreas Barner, Mitglied der Unternehmensleitung und verantwortlich für Forschung & Entwicklung und Medizin. Auch die Zahl der Mitarbeiter in den USA soll steigen. Zwei Drittel der Forscher arbeiten noch in Deutschland, Österreich und Kanada.

Die Merck KGaA hat 1999 mit dem Erwerb der US-Biotech Firma Lexigen die Basis für ihren Forschungsstandort in den USA gelegt und alle Projekte mit biologischen Wirkstoffen für die Onkologie dort zusammengeführt. Die Berliner Schering AG hat an ihren US-Standorten die immunologische Forschung verankert. Altana betreibt in Waltham/Boston das Altana Research Institute (ARI). Es konzentriert sich auf die Felder Genomics und Proteomics, also Gen- und Proteinforschung und ist Schnittstelle zur Forschung in Konstanz. Das ARI soll helfen, neue Therapieansätze in Altanas Kernforschungsfeldern Atemwege/Entzündung und Onkologie zu finden.

Auch wenn die deutschen Pharmafirmen immer noch wichtige Forschungsbereiche in Deutschland halten, der Trend in die USA ist nach Einschätzung von Experten ungebrochen. Er hängt zum einen mit der Bedeutung des US-Pharmamarktes zusammen. Lagen vor etwa 20 Jahren der europäische und der amerikanische Pharmamarkt etwa gleichauf, so ist der US-Markt heute doppelt so groß und bedeutend profitabler. Nach Einschätzung von Franz B. Humer, Verwaltungsratspräsident und CEO der F. Hoffmann-La Roche AG, wäre in den USA bei gleichem Preisniveau wie in Europa die Finanzierung der industriellen Forschung und Entwicklung auf dem heutigen Niveau nicht mehr möglich. Für Humer ist der Trend weg von Europa auch das Ergebnis einer „fehlgeschlagenen und jahrelang kurzsichtigen Standortpolitik Europas”. Denn anders als in Europa und Japan herrscht in den USA Preisfreiheit für Medikamente. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist daher deutlich höher.

Die deutschen Pharmakonzerne heben zudem die exzellenten Forschungsbedingungen in den USA hervor. Das akademische Umfeld sei hervorragend und der Staat wende hohe Mittel für die biomedizinische Forschung auf, heißt es beispielsweise bei Merck. Die Biotech-Landschaft sei zudem sehr vielfältig. Die USA verfüge über ein Netz an Biotechfirmen und Universitäten, sagte auch Boehringer-Ingelheim-Manager Barner. Bayer verweist zudem auf die Vorteile einer engen Anbindung an weltweit führende Institute und Universitäten sowie Behörden wie die FDA.

Zwar spielt der Forschungsstandort Deutschland für die deutschen Pharmakonzerne derzeit noch eine wichtige Rolle. Nach Einschätzung von Merck nimmt die Bedeutung jedoch im Gegensatz zu den USA weiter ab. Boehringer Ingelheim hat beispielsweise in den letzten fünf Jahren an seinem Forschungsstandort Biberach etwa 200 Millionen Euro investiert. Einen weiteren Ausbau planen die Ingelheimer jedoch nicht. „Mittelfristig wollen wir mehr in externe Kooperationen als in den internen Ausbau der Forschung investieren”, sagte Barner zu Dow Jones Newswires.

Mittelfristig sehen Experten zudem in Asien unabhängig von Japan großes Potenzial. Singapur, Taiwan, Indien und Korea könnten hier die Vorreiter sein. Als Forschungsstandort bietet nach Einschätzung von Merck derzeit vorrangig Singapur die notwendige Voraussetzungen. Das Angebot werde auch stark genutzt, erklärte das Unternehmen. Mittelfristig halten die Darmstädter aber auch Indien, Korea und China für ernstzunehmende Optionen.

Altana zum Beispiel ist derzeit dabei, in Mumbai/Indien eine Forschungseinheit mit rund 100 Mitarbeitern aufzubauen. Sie sollen in rund 15 Laboratorien bis zu 3000 Wirkstoffkandidaten jährlich synthetisieren, fortgeschrittene Zwischenprodukte und Bausteine sowie neue Syntheseverfahren für die chemische Forschung in Konstanz entwickeln.

Eine Gefahr für das Forschungsparadies USA sehen Experten in Asien zumindest mittelfristig nicht. Doch entsprechend der Marktentwicklung der Regionen folgen auch Strukturen wie Forschung und Entwicklung eines Unternehmens in attraktive Märkte. Vor dem Hintergrund begrenzter Forschungsbudgets und rasant steigender Kosten für die Entwicklung neuer Medikamente könnte das zu Lasten der deutschen Forschungsstandorte gehen, befürchten Branchenkenner. Top

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