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Gesundheitswesen wird auf die EU getrimmt

20.05.2002  00:00 Uhr

Zypern

Gesundheitswesen wird auf die EU getrimmt

von Karl-Eberhard Wolff, Braunschweig

In diesem Jahr führte die ExtraTour des Pharmagroßhändlers Richard Kehr nach Zypern. Die teilnehmenden Apotheker erhielten einen Einblick in das Gesundheitswesen und die Arzneimittelversorgung.

Verkehrssprache auf Zypern ist bekanntlich Englisch. Schon der erste Besuch beim Gesundheitsministerium (Ministry of Health) machte deutlich, dass das System sich im Umbruch befindet. Die bisherige Zweiteilung in staatliche Versorgung über Krankenhäuser und private Versorgung durch niedergelassene Ärzte, Belegkrankenhäuser und Apotheken soll in Zukunft nicht mehr aufrecht erhalten werden. Das machte Louis Panayl, Direktor der Sektion Pharmaceutical Services, deutlich. Grund ist der geplante Beitritt in die Europäische Union (EU) im Jahr 2004 und die auf Hochtouren laufende Anpassung an die EU-Richtlinien.

Wir waren von dieser Argumentation zunächst überrascht. Die späteren Besuche in Krankenhäusern und Apotheken hinterließen auch nicht den Eindruck, dass das zypriotische Gesundheitswesen darniederliegt. Abgesehen von den Regelungen einer zusätzlichen Unterstützung beispielsweise von Witwen und Familien ab dem dritten Kind, hat jeder, der jährlich weniger als 10.000 Zypriotische Pfund (CP) verdient (umgerechnet etwa 20.000 Euro), im Krankheitsfall so gut wie eine kostenfreie Versorgung. Bezahlt wird nur eine Gebühr von 1 CP pro eingelöstem Rezept. Wer über ein jährliches Einkommen zwischen 10.000 und 14.000 CP verfügt, muss Zuzahlungen leisten, zum Beispiel eine Rezeptgebühr von 4 CP und 50 Prozent der Arzneimittelkosten. Wer über dieser Einkommensgrenze liegt, muss alles selbst bezahlen.

Die staatliche Versorgung wird ausschließlich über Krankenhäuser und im ländlichen Bereich über Krankenstationen gewährleistet. Dort erfolgt sowohl die stationäre als auch die ambulante ärztliche Behandlung und die Versorgung mit Arzneimitteln. Über 67 Prozent des gesamten Arzneimittelmarkts wird über diese Versorgungsschiene abgewickelt.

Hoher Generika-Einsatz

Von den 70 Millionen Euro Arzneimittel-Gesamtumsatz werden 30 Millionen Euro über die private Versorgung umgesetzt. Das ist wertmäßig sehr viel, wenn man bedenkt, dass der größte Teil der 750.000 Einwohner von Südzypern ihre Arzneimittel auf Staatskosten erhält.

Der Grund dafür ist einfach: Importierte Originalpräparate kommen in den Krankenhäusern nur dann zum Zuge, wenn keine Generika zur Verfügung stehen. Unabhängig von Bioverfügbarkeit und Hersteller werden die Fertigarzneimittel verschrieben und abgegeben, die gerade am kostengünstigsten eingekauft werden können. Diese Festlegung auf Generika führt sogar soweit, dass importierte Originalpräparate im Bedarfsfall von den Krankenhäusern bei privaten Apotheken besorgt werden müssen.

Spätestens nach diesen Informationen erhalten die Worte von Panayl einen tieferen Sinn. Zypern bezieht seine Arzneimittel zum großen Teil aus dem niedrigpreisigen Griechenland. Daneben gibt es einheimische Generikahersteller, wie zum Beispiel Remedica. Auf Grund des Freizügigkeitsgebots der EU ist es fraglich, ob den staatlich versorgten, griechischen Zyprioten der Zugang zu allen in Europa verfügbaren Arzneimitteln weiterhin versperrt werden kann.

Charalambos Pattihis, Direktor des Generikaproduzenten Remedica in Limassol, gab uns einen weiteren Hinweis in diese Richtung. In der Politik wird derzeit eine neue Finanzierung des Gesundheitssystem diskutiert. Arbeitnehmer sollen demnach künftig 2 Prozent ihres Einkommens abführen. Die Arbeitergeber sollen ebenfalls 2 Prozent und der Staat weitere 2 Prozent beisteuern. Die Verhandlungen darüber sind ins Stocken geraten als seitens des Staats die Forderung erhoben wurde, dass die Arbeitgeberseite anstelle des Staats weitere 2 Prozent übernehmen soll. Ein Gesundheitssystem, das mit 6 Prozent des Arbeitnehmerlohns finanziert werden kann, erschien der deutschen Besuchergruppe unvorstellbar günstig.

Dezentralisierung angestrebt

Verantwortlich dafür ist die zentralistische Organisation des bisher staatlichen Gesundheitssystems. So wird zum Beispiel nur in einem einzigen Krankenhaus auf ganz Zypern in der Hauptstadt Nicosia die gesamte Versorgung der Krebspatienten vorgenommen. (Krebs soll übrigens die dritthäufigste Todesart im Land sein.)

Apothekerin Efstathiadou Elpis leitet zusammen mit Apotheker Yiannis Siatis die Krankenhausapotheke der größten, staatlichen Klinik in Limassol. Ihren Erläuterungen nach besteht ein konkreter Schritt in Richtung Dezentralisierung darin, dass sie beispielsweise ihr Wissen, das sie sich in der Berliner Charité über die Herstellung von Zytostatika aneignen konnte, demnächst auch in ihrem Krankenhaus einsetzen kann. Bislang war dies schlicht weg nicht möglich.

Die zentralistische Organisation hat außerdem einen verbesserungswürdigen Qualitätsaspekt. Beim Besuch eines privaten Belegkrankenhauses konnten wir feststellen, dass die technische Ausstattung und die therapeutische Versorgung im privaten Bereich moderner ist. Patienten aus Limassol werden daher beispielsweise von den staatlichen Institutionen an die private Klinik Ygia Polyclinic in der Nafplou Straße 21 zu einer Kernspintomographie überwiesen.

Krankenversorgung im Fokus

Ziel der Reform des Gesundheitssystems ist in erster Linie, die Krankenversorgung vor Ort zu verbessern. Neben den 50 Krankenhausapotheken sollen künftig auch die 450 öffentlichen Apotheken in die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit einbezogen werden.

Wie die Bezahlung der Rezepte in den Apotheken geregelt werden soll, ist noch völlig offen. Angelos Votsis, Eigentümer der Apotheke in der Dodekanisou Straße 19 in Limassol und Präsident des dortigen Apothekervereins, setzt seine Hoffnungen auf die sich ankündigenden Veränderungen. Zusammen mit seiner Frau betreibt er seine Apotheke und lebt von Privatrezepten, OTC und Kosmetik. Allein 30 Prozent seines Umsatzes macht er mit Depotkosmetik, die wiederum 50 Prozent seines Warenlagerwerts ausmacht.

Ähnlich sieht es in den anderen Offizinapotheken aus. Mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von 35.000 Euro kann die Apotheke den Leiter und gerade mal angelernte Kräfte ernähren. Während die Pharmazeuten nur im Ausland ihr Studium absolvieren können, da es auf Zypern diese Hochschul-Disziplin nicht gibt, wird das pharmazeutische Fachpersonal in der Apotheke in kurzer Zeit angelernt. Danach sorgen die Angestellten für die Lagerung, Platzierung und Bestellung der durchschnittlich 2500 Arzneimittel in der Apotheke. Unter lockerer Aufsicht bedienen sie Rezepte und geben OTC-Präparate ab. Nur so ist der Betrieb wirtschaftlich aufrecht zu erhalten.

Durch eine Dezentralisierung des Gesundheitssystems und seine Finanzierung über ein arbeitsgestütztes Versicherungssystem dürfte sich auch der qualitative Standard der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung verbessern. Die Gewerkschaften geben dafür ein wegweisendes Beispiel. Sie finanzieren durch ihre Mitgliedsbeiträge eine private Krankenversicherung, die ihre Versicherten im Leistungsfall in die privaten Polikliniken und zu den niedergelassen Ärzten schickt.

Insbesondere die Reiseteilnehmer/innen, die aus Sachsen-Anhalt stammen und die Vor- und Nachteile eines staatlichen Gesundheitssystems aus eigener Erfahrung kannten, sind neugierig auf das Ergebnis der zypriotischen Reform. Denn Liberalisierung bedeutet möglicherweise nicht nur Qualitätssteigerung, sondern führt womöglich zu einem Angebot, das sich dann nur Privilegierte leisten können.Top

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