Wirtschaft & Handel
Firmenportrait
Termin
beim Notar: Die drei leitenden Angestellten Dr. Andreas
Landau, Dr. Karl Heinz Brücher und Lutz Harald Holz des
SmithKline Beecham-Werkes in Gronau kaufen ihrem
Arbeitgeber den Pharmastandort ab. Nicht gerade eine
alltägliche Aktion. Doch konnten sie damit drei Viertel
der 280 Arbeitsplätze retten. Die drei Gesellschafter
nennen das Werk Wülfing Pharma GmbH und führen es in
eigener Verantwortung unabhängig vom Mutterkonzern in
England weiter. Das war vor neun Monaten. Was ist aus dem
Sprung in die Selbständigkeit geworden? Müssen
Investitionen getätigt werden? Und sind genügend
Aufträge da?
In den Jahren 1995/96 ließ SmithKline Beecham weltweit
seine Fertigungskapazitäten überprüfen. Folge der
Studie war die Rationalisierung der Produktion. Auch das
Werk in Gronau war betroffen. Der damalige Werksleiter
Dr. Ulrich Bartke mußte die Belegschaft in die
Überlegungen der Londoner Konzernleitung einweihen. Es
begann eine Zeit der Ungewißheit und Ängste. Neun
Monate wurde verhandelt, diskutiert, gehofft und
gezittert. Dann die frohe Kunde: "Es geht
weiter!"
Wachablösung durch Jungunternehmer
Drei noch recht junge Mitarbeiter des Werkes hatten zu
diesem Zeitpunkt die Courage bewiesen, sich für die
Übernahme der Produktionsstätte zu bewerben. Der
37jährige Apotheker Landau, bis dahin Leiter der
Materialwirtschaft und Geschäftsentwicklung, der
42jährige Brücher, Herstellungs- und Kontrolleiter der
oralen Produktion und der 30jährige Holz, Betriebswirt
und Leiter der Finanzabteilung, taten sich zusammen und
brachten unter anderem das Gesellschafterkapital von
einer Million DM auf. "Wir konnten uns nicht
vorstellen, daß in Kürze alles vorbei sein sollte.
Außerdem war da die Chance, selbst etwas bewegen zu
können", schildert Holz seine Motivationsgründe.
Am 1. Juli 1996 war es soweit: SmithKline Beecham löste
das Werk aus dem Firmenverbund heraus und übertrug es
auf die drei Mitarbeiter.
Das Pharmaunternehmen heißt ab diesem Zeitpunkt Wülfing
Pharma GmbH - ein Name mit Tradition. 1898 ließ sich
nämlich der Kaufmann Abraham von Wülfing ins
Handelsregister eintragen. Zusammen mit dem Chemiker Dr.
Felix Bauer gründete er in Berlin die Firma Wülfing
Bauer & Cie., das Stammhaus der späteren
Wülfing-Gruppe. Den Erfolg dieser Firma machte damals
hauptsächlich Sanatogen, ein Kräftigungsmittel, aus. In
Gronau bei Hannover erbaute von Wülfing eine
Produktionsstätte, von wo aus das Präparat weltweit
verschickt wurde.
Von Wülfing verstarb 1927. Sein Sohn Rudolf leitete von
nun an die Firma. Der Zweite Weltkrieg beutelte das
Unternehmen schwer: Die Hauptverwaltung in Berlin wurde
zerstört. Rudolf von Wülfing verlegte den Firmensitz
nach Düsseldorf. Die Produktion und der größte Teil
der Forschung blieben in Gronau. Mitten im Wiederaufbau
verstarb Rudolf von Wülfing. Seine Töchter legten die
Leitung und Weiterentwicklung von Präparaten in die
Hände von Eberhard Igler, einem Kaufmann. Er machte
seine Sache vorbildlich, innerhalb kurzer Zeit brachte
die Entwicklungsabteilung einige neue Präparate hervor,
die auch heute noch auf dem Markt sind. Das sind
beispielsweise das Vitaminpräparat Eunova.
Beecham-Phase beginnt
Igler war klar: Ein eigenständiges kleines
Pharmaunternehmen mit eigener Forschung und Entwicklung
würde sich nicht mehr lange am Markt durchsetzen
können. Gesetzliche Auflagen und die langen
Entwicklungszeiten für Arzneimittel bis zur
Markteinführung trieben Igler dazu, sich nach einem
finanziell liquiden Partner umzusehen. 1975 kaufte die
britische Beecham-Gruppe das Gronauer Werk, die
Beecham-Wülfing GmbH & Co. KG entstand. Der
Firmenhauptsitz wurde nach England verlegt, die
Produktionsabteilung blieb aber in Gronau. Sie wurde
sogar systematisch aufgeforstet: Die Produktionsfläche
erstreckte sich bald auf 5 000 Quadratmeter, ein neues
Lager- und Versandgebäude mit Hochregaltrakt wurde
installiert.
1990 dann wieder eine Änderung: Der Beecham-Konzern und
die amerikanische SmithKline schlossen sich zu einem
Unternehmen zusammen. Erneut kamen auf das Gronauer Werk
Umzugs- und Umbauarbeiten zu, weil ein anderes
Produktionsprogramm gefahren wurde. Auch der Firmenname
wurde ein anderer: SmithKline Beecham Pharma GmbH.
Der alte Besitzer ist der beste Kunde
Jetzt ist der Name des Gründers wieder im Firmennamen zu
finden. Kann eine kleine Firma, die sich gerade von einem
Pharmagiganten mit finanzieller Rückendeckung losgeeist
hat, im Markt bestehen? "Wir sehen unsere
Marktchancen als reiner Lohnhersteller sehr
positiv", sagt Landau. Und: "Wir haben durch
die konstruktive Unterstützung von SmithKline Beecham
mittelfristig eine sichere Basis, auf die wir aufbauen
können." Mit dem Ex-Mutterkonzern wurden
Daueraufträge über einen Zeitraum von fünf Jahren
ausgehandelt. Das soll reichen, den Schuh in der
Türspalte zu halten.
60 Millionen DM Jahresumsatz hatte die Fabrik im
Konzernverbund erzielt. Auf 46 Millionen DM schrauben die
drei Gesellschafter ihre Erwartungen für ihr erstes
Geschäftsjahr erstmal zurück. Mit 75 Prozent aller
Lohnaufträge wird der alte Besitzer in den ersten Jahren
ihr bester Kunde sein. Die ersten Entwicklungszahlen bis
März 1997: "Wir sind im Plan und konnten sogar ein
ganz kleines Plus erzielen", freut sich die
Geschäftsleitung. Spätestens ab dem fünften
Geschäftsjahr planen die drei Jungunternehmer aber, an
alte Umsatzzahlen anknüpfen zu können. Davon sollen
dann nur noch 25 Millionen DM durch SB-Aufträge gedeckt
werden. Deshalb lautet das oberste Gebot: Beschaffung
neuer Aufträge.
Holz: "Nach unserer Auffassung wurden die
Möglichkeiten und Stärken dieses Werkes durch den
Konzern nicht voll wahrgenommen. Man hat zwar alles
getan, um den neuesten technischen Stand zu halten, aber
wirklich neue Dinge hat man in den letzten Jahren in
Gronau nicht mehr bewegt. Die Produktion war vollständig
auf SmithKline Beecham-Präparate ausgerichtet.
Marktchancen hat man so nicht nutzen können."
Besonders das Auslandsgeschäft soll angekurbelt werden.
Dabei kommt dem Werk die langjährige Erfahrung aus einem
weltweit agierenden Konzern zugute. In 68 Länder wurde
bisher exportiert; das muß ausgenutzt werden.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Oberursel
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