Antragsflut in Europa |
12.03.2001 00:00 Uhr |
In den USA und in Japan gibt es sie schon seit Jahren: die Orphan-Drug-Verordnungen. 218 Präparate hat die FDA seitdem in den USA zugelassen, in Japan waren es bislang mehr als 70. Ende April vergangenen Jahres trat die europäische Verordnung zu den Waisen in der Medizin in Kraft. Über den Stand der Dinge informierten Experten während des dritten europäischen Bio-Gen-Tec-Forums NRW.
Innerhalb von weniger als einem Jahr hat sich in Europa einiges getan. 75 Anträge für die Zulassung als Arzneimittel für seltene Krankheiten sind bei der EMEA bislang eingegangen, genauer beim "Committee for Orphan Medicinal Products" (COMP), das für das zentrale Ausweisungsverfahren zuständig ist. Das berichtete Professor Dr. Rembert Elbers vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Mitglied des COMP. Für 40 weitere Produkte haben Unternehmen die Absicht bekanntgegeben, einen Antrag einzureichen. Vier Anträge sind inzwischen zurückgezogen worden, bei zwei Produkten hat sich der COMP negativ geäußert. Für 34 Arzneimittel hat der Ausschuss die Zulassung als Orphan Medicinal Product empfohlen, 17 Produkte haben den Orphan-Drug-Status bereits von der EU-Kommission erhalten.
"Zurzeit gehen etwa zehn Anträge im Monat ein", erklärte Elbers. "Bei den meisten handelt es sich um antineoplastische Wirkstoffe und Arzneimittel zur Behandlung von Stoffwechselstörungen." Das Nadelöhr beim Zulassungsverfahren sei derzeit die Zustimmung der EU-Kommission. Nachdem der Ausschuss seine Empfehlung zu einem bestimmten Produkt weitergegeben hat, sollte laut EU-Bestimmungen die Kommission diese Entscheidung innerhalb von 30 Tagen übernehmen und den Wirkstoff ins Orphan-Drug-Register eintragen. "Das dauert zurzeit wesentlich länger", so Elbers.
Einfluss der Patienten wächst
Zum Committee for Orphan Medicinal Products gehören 21 Mitglieder. Immerhin drei davon vertreten Selbsthilfegruppen - ein Zeichen, dass der Einfluss der Patienten besonders bei den seltenen Erkrankungen zunimmt. Einer dieser Vertreter ist Yann Le Cam von der European Organisation for Rare Disorders (Eurordis). Die Vereinigung wurde 1997 in Frankreich von vier Selbsthilfegruppen gegründet, die sich um Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen, zystischer Fibrose, Aids und Krebs kümmern. Heute handelt es sich um eine große Organisation mit 200 Mitgliedsverbänden aus 14 Ländern der EU, berichtete Le Cam.
Er forderte die Pharma- und Biotech-Unternehmen auf, früh in der Entwicklung ihrer Medikamente mit Patientenorganisationen zusammenzuarbeiten. Diese könnten die Firmen unterstützen, denn Vertreter der Organisationen würden weltweit Kongresse besuchen, sie seien in der Lage, die besten Experten auf dem entsprechenden Gebiet zu empfehlen und bei der Rekrutierung von Patienten für Studien behilflich zu sein. "Aber die Organisationen werden nur kooperationsbereit sein, wenn man sie von Anfang an in den Prozess einbindet", mahnte Le Cam.
In den USA haben die Patientenorganisationen bereits 1983 ihren Einfluss deutlich gemacht. Damals wollte der amerikanische Präsident Reagan die Orphan-Drug-Verordnung nicht unterschreiben, berichtete Marlene E. Haffner, Direktorin des Office for Orphan Products Development der FDA. Die Kosten würden das Budget sprengen, begründete er seine Haltung. Unter dem Druck der Patientenorganisationen habe er schließlich unterschreiben müssen.
Biotechnologie-Boom
Die Regelungen für seltene Krankheiten haben einen Boom bei den Biotech-Unternehmen ausgelöst, denn ein relativ großer Teil der neuen Präparate stammt aus den molekularbiologischen Labors kleiner und mittelständischer Unternehmen. "Orphan-Drug-Verordnungen und die Biotechnologie gehen Hand in Hand", sagte Dr. Erik Tambuyzer, Vizepräsident der Europe Genzyme Corporation.
Man schätzt, dass es 5000 bis 8000 seltenen Leiden gibt. Nach den europäischen Regelungen dürfen nur weniger als fünf pro 10 000 Personen von einer solchen Krankheit betroffen sein, damit es sich um eine seltene Krankheit handelt (mehr Details über Zulassungskriterien in PZ 50/99, Seite 20). Trotzdem sind die Zahlen groß: Insgesamt sind in der EU etwa 25 bis 30 Millionen Menschen betroffen.
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