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PZ Titel

09.12.1996  00:00 Uhr

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Titel

  Govi-Verlag

Von Kröten und Wundermitteln: neue
Pharmaka tierischer Herkunft

Die Pflanzenwelt wird häufig als "größte Apotheke der Welt" bezeichnet, denn viele pflanzliche Stoffe standen dem Menschen Modell bei der Entwicklung von Arzneistoffen. Doch auch die Tierwelt bietet eine schier unerschöpfliche Quelle für neue Pharmaka.

Daß Verbindungen aus dem Tierreich pharmakodynamische Wirkungen haben können, ist seit alters her bekannt. So findet man auf Tontafeln der Assyrer und Babylonier Rezepte mit Sauermilch und Froschgalle zur Linderung von Augenschmerzen; Chinesen und Römer verwendeten Froschhaut, um die Funktion innerer Organe zu steuern und als Schutz gegen Hundebisse. Getrocknete Kröten, Bufones exsiccati, wurden in der europäischen Medizin des 17. und 18. Jahrhunderts bei Herzinsuffizienz eingesetzt. Indios in Kolumbien imprägnieren ihre Pfeile mit Froschgiften, da das Gift selbst große Tiere lähmen kann. Dazu verwenden sie das milchig-weiße Drüsensekret des Kokoifrosches, des winzig kleinen Phyllobates bicolor. Die Krötensekrete enthalten tatsächlich eine große Vielfalt an aktiven Stoffen: biogene Amine wie Noradrenalin und Epinin, Verbindungen mit Sterangerüst wie Bufogenine und Bufotoxine, Alkaloide wie Epibatidin oder biologisch aktive Peptide wie Magainine.

Im Mittelpunkt des Interesses stehen die Mitglieder der Ordnung Anura (Froschlurche) mit 24 Frosch- und Krötenfamilien. Die Frösche synthetisieren ihre Giftstoffe zum Teil selbst, können sie aber auch über die Nahrung aufnehmen und anreichern.

Biogene Amine

Neben gängigen Stoffen wie Adrenalin und Noradrenalin haben Epinin und Bufotenin Bedeutung erlangt. Epinin, N-Methyl-Dopamin, wirkt dosisabhängig selektiv agonistisch an Dopamin-D1-Rezeptoren. Sein Prodrug Ibopamin wirkt positiv inotrop und vasodilatierend. Hinter Bufotenin verbirgt sich 5-Hydroxy-N,N-Dimethyl-Tryptamin (N-Dimethyl-Serotonin). Das Amin wird unter Mitwirkung des Enzyms 5-Hydroxy-Indol-O-Methyltransferase in das bekannte Halluzinogen O-Methyl-Bufotenin umgewandelt. Die Methyltransferase kommt in der Kröte Bufo alvarius und in der Epiphyse vor. Auch im Urin des Menschen wurde Bufotenin nachgewiesen und mit psychiatrischer Erkrankung in Verbindung gebracht.

Sterane

Die meisten Bufogenine und deren Ester, die Bufotoxine, dienen den Kröten zusammen mit Peptiden als Abwehrstoffe, wirken im Krötenblut aber auch hormonartig. Die Bufogenine, auch Bufadienolide genannt, leiten sich wie die herzwirksamen Glykoside von einem Sterangrundgerüst ab. Bufadienolid-Glykoside kommen auch in Pflanzen vor, zum Beispiel in Urginea und Helleborus.

Alkaloide

Im chemischen Cocktail aus den Drüsen von Epipedobates tricolor, einem der kleinsten Pfeilgiftfrösche, fand man ein Alkaloid mit höchst ausgefallener Struktur: Epibatidin. Seine analgetische Potenz ist etwa 200mal höher als die von Morphin und nicht durch Naloxon antagonisierbar. Das bedeutet, daß seine Wirkung nicht über die klassischen Opiatrezeptoren vermittelt wird. Epibatidin ist ein hochselektiver Agonist an nikotinergen Acetylcholin-Rezeptoren. Das toxische Molekül, das zur Leitstruktur für völlig neue Analgetika werden könnte, ist seit kurzem für Forschungszwecke im Handel. Zu den hochgiftigen steroidalen Alkaloiden mit eigenwilliger Struktur gehören auch die Batrachotoxine aus dem Sekret der Pfeilgiftfrösche Phyllobates. Batrachotoxin ist das giftigste aller bislang bekannten Neurotoxine aus dem Tierreich.

Biologisch aktive Peptide

Die Vielfalt der sezernierten Peptide ist eindrucksvoll. Über 100 Froschhautpeptide mit einer Länge von zwei bis fünfzig Aminosäuren sind derzeit bekannt. Viele davon kommen auch im Verdauungstrakt und im Gehirn der Frösche vor. Neben den antimikrobiell wirksamen Pipinin-Derivaten Brevinin, Ranalexin und Esculentin werden die Magainine aus afrikanischen Krallenfröschen intensiv erforscht.

Die Magainine wirken bakterizid gegen ein breites Spektrum an grampositiven und gramnegativen Keimen einschließlich Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa. Außerdem wirken sie fungizid, antineoplastisch und antiparasitär. Der Entdecker Dr. Michael Zasloff hat die beiden Oligopeptide aus der Haut von Xenopus laevis nach dem hebräischen Wort für Schutzschild "Magainine" benannt. Sie interagieren direkt mit körperfremden Zellmembranen und bilden Kanäle durch sie hindurch. Die Membran körpereigener Zellen wird nicht verändert. Der Vorgang ist reversibel. Derzeit wird das Analogon MSI 78 als topisches Antibiotikum klinisch geprüft bei Patienten mit infiziertem diabetischem Fuß.

Peptide mit Magainin-ähnlicher Funktion - host defense peptides - wurden in allen Lebewesen gefunden; bei höheren Tieren werden sie Defensine genannt. Solche Schutzmoleküle müssen nicht unbedingt Peptidstruktur haben, wie das Squalamin, ein kationisches Polyaminsterol aus dem Dornhai, zeigt. Dieses Molekül wird dafür verantwortlich gemacht, daß Haie sehr resistent gegen Infektionen sind und extrem selten Tumoren entwickeln.

Crinotoxine

Um die unliebsame Begegnung mit Haien zu vermeiden, bilden etwa 50 Fischarten aus 13 Familien sogenannte Crinotoxine. Diese Hai-Abwehrstoffe kommen aus der Gruppe der Polypeptide (Paradaxine) oder der Steroidglykoside wie das Pavonin oder Mosesin. Die Moleküle haben Surfactant-ähnliche Eigenschaften und schrecken auch hungrige Haie ab. Der Traum von Tauchern, mit chemischen Stoffen angreifenden Haien Ungenießbarkeit zu signalisieren, könnte in nicht allzu ferner Zeit Realität werden.

PZ-Titel von PD Dr. Georg Petroianu und Dr. Rita Brunnengräber
   

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