
Titel
Von Kröten und Wundermitteln:
neue
Pharmaka tierischer Herkunft
Die Pflanzenwelt wird
häufig als "größte Apotheke der Welt"
bezeichnet, denn viele pflanzliche Stoffe standen dem
Menschen Modell bei der Entwicklung von Arzneistoffen.
Doch auch die Tierwelt bietet eine schier
unerschöpfliche Quelle für neue Pharmaka.
Daß Verbindungen aus dem Tierreich
pharmakodynamische Wirkungen haben können, ist seit
alters her bekannt. So findet man auf Tontafeln der
Assyrer und Babylonier Rezepte mit Sauermilch und
Froschgalle zur Linderung von Augenschmerzen; Chinesen
und Römer verwendeten Froschhaut, um die Funktion
innerer Organe zu steuern und als Schutz gegen
Hundebisse. Getrocknete Kröten, Bufones exsiccati,
wurden in der europäischen Medizin des 17. und 18.
Jahrhunderts bei Herzinsuffizienz eingesetzt. Indios in
Kolumbien imprägnieren ihre Pfeile mit Froschgiften, da
das Gift selbst große Tiere lähmen kann. Dazu verwenden
sie das milchig-weiße Drüsensekret des Kokoifrosches,
des winzig kleinen Phyllobates bicolor. Die
Krötensekrete enthalten tatsächlich eine große
Vielfalt an aktiven Stoffen: biogene Amine wie
Noradrenalin und Epinin, Verbindungen mit Sterangerüst
wie Bufogenine und Bufotoxine, Alkaloide wie Epibatidin
oder biologisch aktive Peptide wie Magainine.
Im Mittelpunkt des Interesses stehen die Mitglieder der
Ordnung Anura (Froschlurche) mit 24 Frosch- und
Krötenfamilien. Die Frösche synthetisieren ihre
Giftstoffe zum Teil selbst, können sie aber auch über
die Nahrung aufnehmen und anreichern.
Biogene Amine
Neben gängigen Stoffen wie Adrenalin und
Noradrenalin haben Epinin und Bufotenin Bedeutung
erlangt. Epinin, N-Methyl-Dopamin, wirkt dosisabhängig
selektiv agonistisch an Dopamin-D1-Rezeptoren. Sein
Prodrug Ibopamin wirkt positiv inotrop und
vasodilatierend. Hinter Bufotenin verbirgt sich
5-Hydroxy-N,N-Dimethyl-Tryptamin (N-Dimethyl-Serotonin).
Das Amin wird unter Mitwirkung des Enzyms
5-Hydroxy-Indol-O-Methyltransferase in das bekannte
Halluzinogen O-Methyl-Bufotenin umgewandelt. Die
Methyltransferase kommt in der Kröte Bufo alvarius und
in der Epiphyse vor. Auch im Urin des Menschen wurde
Bufotenin nachgewiesen und mit psychiatrischer Erkrankung
in Verbindung gebracht.
Sterane
Die meisten Bufogenine und deren Ester, die
Bufotoxine, dienen den Kröten zusammen mit Peptiden als
Abwehrstoffe, wirken im Krötenblut aber auch
hormonartig. Die Bufogenine, auch Bufadienolide genannt,
leiten sich wie die herzwirksamen Glykoside von einem
Sterangrundgerüst ab. Bufadienolid-Glykoside kommen auch
in Pflanzen vor, zum Beispiel in Urginea und Helleborus.
Alkaloide
Im chemischen Cocktail aus den Drüsen von
Epipedobates tricolor, einem der kleinsten
Pfeilgiftfrösche, fand man ein Alkaloid mit höchst
ausgefallener Struktur: Epibatidin. Seine analgetische
Potenz ist etwa 200mal höher als die von Morphin und
nicht durch Naloxon antagonisierbar. Das bedeutet, daß
seine Wirkung nicht über die klassischen Opiatrezeptoren
vermittelt wird. Epibatidin ist ein hochselektiver
Agonist an nikotinergen Acetylcholin-Rezeptoren. Das
toxische Molekül, das zur Leitstruktur für völlig neue
Analgetika werden könnte, ist seit kurzem für
Forschungszwecke im Handel. Zu den hochgiftigen
steroidalen Alkaloiden mit eigenwilliger Struktur
gehören auch die Batrachotoxine aus dem Sekret der
Pfeilgiftfrösche Phyllobates. Batrachotoxin ist das
giftigste aller bislang bekannten Neurotoxine aus dem
Tierreich.
Biologisch aktive Peptide
Die Vielfalt der sezernierten Peptide ist
eindrucksvoll. Über 100 Froschhautpeptide mit einer
Länge von zwei bis fünfzig Aminosäuren sind derzeit
bekannt. Viele davon kommen auch im Verdauungstrakt und
im Gehirn der Frösche vor. Neben den antimikrobiell
wirksamen Pipinin-Derivaten Brevinin, Ranalexin und
Esculentin werden die Magainine aus afrikanischen
Krallenfröschen intensiv erforscht.
Die Magainine wirken bakterizid gegen ein breites
Spektrum an grampositiven und gramnegativen Keimen
einschließlich Staphylococcus aureus und Pseudomonas
aeruginosa. Außerdem wirken sie fungizid,
antineoplastisch und antiparasitär. Der Entdecker Dr.
Michael Zasloff hat die beiden Oligopeptide aus der Haut
von Xenopus laevis nach dem hebräischen Wort für
Schutzschild "Magainine" benannt. Sie
interagieren direkt mit körperfremden Zellmembranen und
bilden Kanäle durch sie hindurch. Die Membran
körpereigener Zellen wird nicht verändert. Der Vorgang
ist reversibel. Derzeit wird das Analogon MSI 78 als
topisches Antibiotikum klinisch geprüft bei Patienten
mit infiziertem diabetischem Fuß.
Peptide mit Magainin-ähnlicher Funktion - host defense
peptides - wurden in allen Lebewesen gefunden; bei
höheren Tieren werden sie Defensine genannt. Solche
Schutzmoleküle müssen nicht unbedingt Peptidstruktur
haben, wie das Squalamin, ein kationisches Polyaminsterol
aus dem Dornhai, zeigt. Dieses Molekül wird dafür
verantwortlich gemacht, daß Haie sehr resistent gegen
Infektionen sind und extrem selten Tumoren entwickeln.
Crinotoxine
Um die unliebsame Begegnung mit Haien zu vermeiden,
bilden etwa 50 Fischarten aus 13 Familien sogenannte
Crinotoxine. Diese Hai-Abwehrstoffe kommen aus der Gruppe
der Polypeptide (Paradaxine) oder der Steroidglykoside
wie das Pavonin oder Mosesin. Die Moleküle haben
Surfactant-ähnliche Eigenschaften und schrecken auch
hungrige Haie ab. Der Traum von Tauchern, mit chemischen
Stoffen angreifenden Haien Ungenießbarkeit zu
signalisieren, könnte in nicht allzu ferner Zeit
Realität werden.
PZ-Titel von PD Dr. Georg Petroianu und Dr. Rita
Brunnengräber
© 1996 GOVI-Verlag
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