
Titel
Therapie von
Lungenerkrankungen
mit Antioxidantien
Schon vor Erfindung
der Zigarette und vor der ersten Smogwarnung enthielt die
Atemluft freie Radikale, also Moleküle mit ungepaarten
Elektronen, die aggressiv reagieren. Auch bei
physiologischen Prozessen und erst recht bei Infekten ist
das Lungengewebe Oxidantien ausgesetzt. Die Freisetzung
von Oxidantien ist ein essentieller Mechanismus der
Immunabwehr. Die Zellen sind daher mit verschiedenen
Schutzmechanismen gegen Oxidantien ausgerüstet; dazu
zählen zum Beispiel die Superoxid-Dismutase, die
Katalase und das Glutathionsystem. Glutathion ist ein
Tripeptid, das Zellen vor oxidativem Streß schützt. Im
Epithelial Lining Fluid (ELF), das den tiefen
Respirationstrakt auskleidet, ist seine Konzentration 50-
bis 60fach höher als im Plasma.
Bei Lungenerkrankungen verursachen
Entzündungsprozesse und Zelluntergänge eine erhöhte
Belastung mit freien Radikalen. Die Schutzfunktion
alveolärer Strukturen gegen den erhöhten oxidativen
Streß wird überfordert; es kommt zum Funktionsverlust
von Proteinen, Lipiden, DNA und anderen intra- und
extrazellulären Komponenten. Beispiele dafür sind die
akute oder chronische Bronchitis, Asthma bronchiale,
Lungenemphysem, akutes Lungenversagen oder
HIV-Infektionen mit Lungenbeteiligung. Eine exogene
Belastung mit Oxidantien stellt das Rauchen dar.
Zunächst schützt sich die gesunde Lunge durch Anstieg
der Schutzmechanismen, zum Beispiel der
Glutathionkonzentration. Auch unter Ozonbelastung
scheinen die zugeführten oder endogen produzierten
Antioxidantien nicht auszureichen; zehn Prozent der
Bevölkerung gelten als ozonsensitiv.
N-Acetylcystein, das Acetylderivat der Aminosäure
L-Cystein, wird seit seiner Einführung in den sechziger
Jahren als Mukolytikum eingesetzt. Nach der Gabe von
N-Acetylcystein steigt die Plasmakonzentration von
Glutathion an; dieser Effekt konnte bei Lungenkranken,
zum Beispiel Mukoviszidose-Patienten oder bei Patienten
nach akutem Lungenversagen, nach intravenöser, peroraler
und inhalativer Gabe festgestellt werden. Klinische
Studien an Patienten mit chronisch obstruktiver
Bronchitis (COPD), überwiegend Rauchern, bestätigten
den protektiven Effekt von N-Acetylcystein peroral. Als
Glutathion-Vorstufe können auch Glutathionester
eingesetzt werden, die intrazellulär gespalten werden.
Derzeit läuft in Bochum eine Praxisstudie mit 100
COPD-Patienten, in der Vitamin C, N-Acetylcystein oder
die Kombination der beiden Stoffe gegen Placebo als
Rezidivprophyaxe getestet werden.
PZ-Titelbeitrag von Inge Kelm-Kahl, Wiesbaden
© 1996 GOVI-Verlag
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