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Schnellboote für die Apotheke

19.11.2001  00:00 Uhr

PRIVATER GROßHANDEL

Schnellboote für die Apotheke

von Thomas Bellartz, Frankfurt am Main

Der pharmazeutische Großhandel in Deutschland zeichnet sich durch eine extreme Blockbildung aus. Drei Blöcke dominieren den Markt mit einem Anteil von über 80 Prozent. Den Rest macht rund ein Dutzend privater Pharmagroßhändler aus, die etwa die Hälfte der deutschen Apotheken zu ihren Kunden zählen. Im Verbund PharmaPrivat haben sich die meisten der mittelständischen Familienunternehmen zusammengeschlossen und nutzen die daraus resultierenden Synergien. Für die Zukunft sehen sich die Privaten gut positioniert.

Der Pharmagroßhandel ist mit der Diskussion um das Arzneimittelsparpaket ebenso wie die Apotheken und die Industrie ins Visier derjenigen gerückt, die im Gesundheitswesen den Rotstift ansetzen wollen, koste es, was es wolle. Das trifft die privaten Pharmagroßhändler nicht weniger hart als die Großen. Die Privaten in Deutschland machen über 5 Milliarden DM Umsatz, im PharmaPrivat-Verbund werden davon rund 3,5 Milliarden DM erzielt.

Bereits vor 20 Jahren wurde gemutmaßt, dass die Situation für die privaten Pharmagroßhandlungen in Zukunft immer schwieriger werde und am Ende nur die großen Anbieter den Markt bestimmen würden. Das Gerede über die vermeintlich kleinen Großhändler hat bis heute nicht nachgelassen, wird von den großen Wettbewerbern fleißig angefeuert. Da ein natürliches Branchenwachstum innerhalb Deutschlands nur mit einer Ausgabensteigerung im Arzneimittelsektor erreicht werden kann, bleibt als Alternative für die großen Anbieter nur das Wachstum durch Zukauf. In den vergangenen Jahren hat mancher Konzern, jenseits des organischen Wachstums, seine Bilanz durch Zukäufe aufgepäppelt. Die Situation hat sich jedoch wesentlich beruhigt.

Vergangenheit und Gegenwart zeigen, dass es immer noch private Großhandlungen gibt, die sich im Wettbewerb mit den Großen des Marktes durchaus erfolgreich entwickeln. Die kleinen Betriebe sehen sich dabei intern gerne als Schnellboote, die zügig auf den Markt und dessen Bedürfnisse reagieren können. Ganz im Gegenteil zu den in Konzernstrukturen gebundenen übrigen Großhandlungen, die wie große schwerfällige Tanker manövrieren müssen.

Aufkäufe und Fusionen

Die innerhalb der vergangenen Jahre vollzogenen Unternehmensverkäufe innerhalb des privat organisierten Branchensegments waren nicht darauf zurückzuführen, dass die wirtschaftliche Situation des Unternehmens negativ verlaufen war. Vielmehr gab es in der Regel keine Nachfolger, die den Betrieb fortführten. Ein typisches Problem des deutschen Mittelstandes, das sich quer durch alle Branchen zieht.

Aufkäufe und Fusionen waren die Folge. Das führte zu erheblichen Verschiebungen bei den Marktanteilen. So verfügen die privaten Pharmagroßhandlungen am deutschen Markt, und nur dort sind sie aktiv, über gut 15 Prozent Marktanteil. Etwa 5 Prozent entfallen dabei allein auf die im Rheinland ansässige Großhandlung von der Linde, die als einzige private Großhandlung nicht dem PharmaPrivat-Verbund angehört, dort aber als Kooperationspartner eingebunden ist.

Der gesamte Großhandelsmarkt erlebte in den vergangenen beiden Dekaden erhebliche Umbrüche. Phoenix katapultierte sich von Null auf Hundert in den Markt, Genossenschaften fusionierten und bildeten starke Blöcke, das Filialnetz wurde erheblich ausgedünnt. All dies waren notwendige Konsolidierungen, die der Markt erforderte.

Der Schlüssel für die Beständigkeit des privaten Großhandels liegt immer noch im Wörtchen "privat". Der mittelständische "kleine" Großhändler steht dem selbstständigen, meist in einem kleinen Unternehmen tätigen Apotheker sehr nahe, spricht als Unternehmer seine Sprache, unterscheidet sich von ihm nicht durch eine sperrige und nicht zwingend durchsichtige Konzernstruktur mit internationalen Verflechtungen. Die privaten Großhändler sehen sich in der Rolle eines natürlichen Geschäftspartners für den Apotheker.

Problem Nachfolge

Die Schicksalsfrage für den privaten Pharmagroßhandel stellt sich etwa alle dreißig Jahre. Denn dann wird eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gesucht. Die Nachfolge kennzeichnet vielfach den Scheideweg in mittelständischen Unternehmen, ganz besonders im von persönlichen und langjährigen Lieferanten- und Kundenbeziehungen geprägten Pharmagroßhandel. In den vergangenen wie den kommenden Jahren steht für die meisten privaten Pharmagroßhändler die Nachfolgeregelung an. So werden beispielsweise bei der norddeutschen Pharmagroßhandlung Max Jenne behutsam die Sprösslinge der beiden Zweige, die eine spezifische Ausbildung erlernen und in das Unternehmen einsteigen wollen, an die Geschäftsführung des Unternehmens herangeführt. Und so zeichnet sich landauf, landab ein sehr ähnliches Bild. Manchmal steuern noch beide Generationen ein Unternehmen, zum Beispiel bei der Firma Geilenkirchen mit Sitz im Aachener Zentrum.

Ein Generationswechsel gilt als durchaus gefährlich für den Fortbestand eines Unternehmens. Ein neuer Stil, neue Arbeitsweisen müssen sich nicht zwingend vorteilhaft auf die Zusammenarbeit mit den Kunden und den Lieferanten auswirken. Das wissen auch die Unternehmen und agieren entsprechend sorgfältig.

Schmunzelnd nehmen private Großhändler die von den großen Konkurrenten fleißig befeuerte Gerüchteküche zur Kenntnis, wonach das ein oder andere private Unternehmen auf der Kippe stehe. Derzeit scheinen alle deutschen privaten Großhandlungen, ob im Generationswechsel oder nicht, sehr fest im Sattel zu sitzen.

Politische Lage

Die privaten Großhändler rechnen hinter vorgehaltener Hand durchaus damit, dass die Politik mehrere Projekte umsetzen will, die Teile des Marktes massiv treffen und verändern werden. Die Themen, die die ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände beschäftigen, sind auch die Themen des privaten Großhandels. Dabei gibt es in den wesentlichen Punkten ausschließlich gemeinsame Interessen, die auch offensiv in der Öffentlichkeit transportiert werden. Beispiele sind die Ablehnung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes oder auch die Haltung gegenüber dem Versandhandel. Lediglich beim derzeit viel diskutierten Aut idem streben die Meinungen auseinander (siehe Interview weiter unten). Insgesamt sehen sich die privaten Großhandlungen in einer Linie mit den Konkurrenten am Markt. Allesamt zusammengeschlossen sind die Unternehmen im Bundesverband des Pharmazeutischen Großhandels (Phagro). Mit Lothar Jenne steht überdies ein privater Unternehmer dem Verband vor.

Lutz Geilenkirchen, Gesellschafter der Pharmagroßhandlung Geilenkirchen OHG mit Geschäftsstellen in Aachen und Mönchengladbach, blickt - wie seine Kolleginnen und Kollegen - mit Sorgenfalten über die holländische Grenze. Wenige Kilometer vom seinem Schreibtisch entfernt, rührt die niederländische Internetapotheke DocMorris seit einigen Monaten die politische Trommel. Vor dem Versandhandel habe man jedoch keine Angst, solange er - wenn er denn irgendwann überhaupt kommen sollte - systemkonform arbeiten wird. Gerade die kleineren privaten Großhandlungen seien in dieser Beziehung sehr gut aufgestellt, findet Hans-H. Kehr, Geschäftsführer von PharmaPrivat, Braunschweig. Probleme ganz anderen Ausmaßes bringe die Einführung einer Kette, denn "dann geht der Gleichklang zwischen selbstständigen Apotheken und selbstständigem Großhandel verloren. Dafür sind wir nicht gemacht", sagt der Gesellschafter der Pharmagroßhandlung Kehr.

Jede Apotheke ein Kunde

Sehr selbstbewusst gehen die Großhändler in eine mögliche Diskussion der Preismarge. Die kann aus Sicht des Großhandels keinesfalls günstiger gestaltet werden. Der Preis für die Distribution ist aus ihrer Sicht nicht angreifbar. Das eigentliche Problem besteht nach Meinung der Großhändler in der andauernden, von den Krankenkassen massiv betriebenen Diskussion, ob man 21.500 Apotheken braucht oder nicht. Diese Diskussion betrachtet der Großhandel mit Sorge. Schließlich lebt man von jedem einzelnen Apotheker, nicht von irgendeiner fiktiven Größe. Die Händler haben also großes Interesse daran, dass genau dieser, ihr einziger Markt nicht innerhalb kürzester Zeit gewaltig schmilzt. Mit dem Wegfall zahlreicher Apotheken würde für viele Großhandlungen die Existenzgrundlage wegbrechen.

Sehr sorgenvoll blicken die privaten Großhändler über die Grenze in die Niederlande: Dort sind Versandhandel und Kette Realität. Die großen Versandhandelsillusionen der deutschen Politik betrachten die Großhändler hier zu Lande zurückhaltend. Auch das Schweizer Rückvergütungsmodell habe den Markt und die anderen Marktbeteiligten nicht wesentlich getroffen. Hier gebe es durch den Versandhandel keine dramatische Situation. Aber in jedem Fall werde etwas vom Markt weggenommen.

In einem riesigen Land wie den Vereinigten Staaten ist der Versandhandel geografisch bedingt sinnvoll, meint Kehr. Doch in Deutschland gebe es für den Versandhandel keine wirkliche Perspektive und, noch viel wichtiger: Es werden aus seiner Sicht keine Einsparpotenziale erzielt. Nach Ansicht der Großhändler ist die logistische Ebene ausgereizt. Ulrich von der Linde, Gesellschafter der Pharmagroßhandlung von der Linde, meint dazu: "Die ganze Diskussion um den Internethandel mit Arzneimitteln ist überbewertet und überdies falsch aufgezäumt." Das Internet sei nur ein neues Medium, um die bereits seit Jahren geführte Versandhandelsdiskussion fortsetzen zu können. Als Kommunikationsmittel wollen die Unternehmen das Internet intensiv nutzen. Aber in der Logistik sei es keine wie auch immer geartete Ergänzung, schon gar kein Ersatz.

Einer politisch induzierten Nachfragemacht, zum Beispiel bei einem Fall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes, müssten besonders die mittelständisch organisierten privaten Großhändler Tribut zollen. Derzeit sieht man sich dort einer atomisierten Nachfrage gegenüber, das heißt, der einzelne Apotheker ist für den Großhändler extrem wichtig, kann das Unternehmen alleine aber nicht gefährden. Das könne bei einer Kette sehr wohl geschehen. Viele Szenarien beschäftigen die Kaufleute, um auf die möglichen Veränderungen vorbereitet zu sein.

Die "Privaten" erwarten unterdessen selbst, dass man sich besonders in der nächsten Zeit verstärkt wandeln müsse, wenn man in der Konkurrenzsituation, aber auch unter den sich abzeichnenden politischen Vorgaben erfolgreich sein will. Mit Blick auf den womöglich anstehenden "großen Wurf" der Politik bei einer großen Gesundheitsreform nach der kommenden Bundestagswahl müssen sich die privaten Großhandlungen neu orientieren. Dabei sehen sie sich in einer guten Verfassung. Kehr: "Da räume ich uns gute Chancen ein." Überhaupt ist es das "uns", das die Kooperation der privaten Großhandlungen auszeichnet.

Arzt in Vorteilssituation?

Als Gefahr sieht man in den Chefetagen der Mittelstandes besonders die Möglichkeiten einer stärkeren Vernetzung von Arztpraxen und Internetversandhändlern. Da könnte sehr leicht und öfters passieren, was bereits heute in bestimmten nicht-apothekenpflichtigen Bereichen vorkommt. Der Arzt würde als Entscheider beziehungsweise Käufer in eine ökonomische Vorteilssituation gebracht.

Der Zutritt von außen ist überdies nur dann interessant, wenn man sich Rosinen herauspicken kann. Jeder Phagro-Großhändler ist vollsortiert; ein paar Importeure und so genannte "Rucksackgrossisten" versuchen es immer mal wieder, den Fuß in den hochkomplexen deutschen Markt zu setzen. Ein elementarer Pfeiler für dieses funktionierende System ist die Arzneimittelpreisverordnung. Würde diese gekippt, dann könnten sich Anbieter auf bestimmte einträgliche Sortimente konzentrieren, den unrentablen Rest außen vor lassen. Davor haben auch die Privaten Angst. In Zeiten einer für alle Beteiligten vorteilhaften Mischkalkulation sehen die Großhändler das Rabattspiel vollends ausgereizt. Wenn man die Kosten einer einzelnen Position im Großhandelslager bedenke, komme man schnell dazu, die Hälfte der Generika aus dem Programm zu eliminieren. Dabei sind die Krankenkassen dankbar, dass die Großhändler manche Medikamente für erquickliche 15 Pfennige durchhandeln. Und genau dies werden auch die privaten Grossisten nur solange tun, wie die Mischkalkulation funktioniert.

Keine Luft in der Handelsspanne

Das Aberkennen der Gewinnmarge des Großhandels ist aus Sicht der privaten Großhändler sicherlich ebenso wenig der Schlüssel zur Rettung des deutschen Gesundheitswesens wie die Einführung des Versandhandels. Kehr: "Mit alldem ist noch gar nichts gewonnen; das muss ganz klar bedacht werden." Das "Aufbröseln der Mischkalkulation" sei äußerst gefährlich. Denn dann werde garantiert irgendetwas anderes teurer.

Eine Reduktion der Spannen bei den Großhändlern, die aus deren Sicht äußerst knapp kalkuliert sind, würde unter Umständen auch die deutschen Apotheken treffen, ganz oder teilweise durchgereicht werden. Bei - nach Angaben der Großhändler - Gewinnmargen von 0 bis 2 Prozent im Pharmagroßhandel sehen die Unternehmen keine Luft, um Kürzungen abzufangen.

Großhändler wissen am besten, dass Apotheken eben nicht per se Gelddruckmaschinen sind. Das Marktwachstum der vergangenen Monate führt aus Großhandelsperspektive zu einer Verzerrung der tatsächlichen Lage und sei schließlich nur das Resultat der verfehlten Budgetierungspolitik. Apotheken, denen es wirtschaftlich eher schlecht gehe, könnten sich durch das laufende Wachstum zumindest länger über Wasser halten. Bei aller Schwierigkeit für die ABDA, diese nur auf den ersten Blick hohen Zuwachszahlen in die durch Krankenkassenpolemik angeheizte Öffentlichkeit zu transportieren: Es gibt, müssen auch private Großhändler erkennen, viele Apotheken, denen es zusehends schlechter geht. Der Großhandel erwartet langfristig einen natürlichen Abschmelzungsprozess, eine leichte Marktbereinigung.

Vor einer höheren Eigenverantwortung des Patienten haben die Großhändler keine Angst. Im Gegenteil. Die Gesundheit ist "das höchste Gut", und das sei den Leuten weiterhin viel wert. Für den Großhandel bedeutet dies, dass das Geld weiterhin zur Verfügung gestellt wird. Das Arzneimittel ist immer noch eine sehr günstige Therapieform.

Neue Sortimentsfelder erwartet der Großhandel allerdings langfristig nicht. Die Zukunft liegt in einer stärkeren Betonung des Dienstleistungsangebots. Wie auch die ABDA-Vertreter, wandern die Großhändler nicht minder missionarisch durch die Apotheken und betonen die enorme Bedeutung einer dem Patienten und Kunden zugewandten Ausrichtung. Im Dienstleistungssektor versucht der Großhandel durch unterstützende Maßnahmen, die Apotheken auf die stärkere Nachfrage des Patienten auszurichten. Ob die Dienstleistung ein eigenständiger Umsatzbringer wird? Der Großhandel zuckt mit den Schultern und zweifelt. Allerdings kann die Dienstleistung zumindest indirekt den Umsatz sichern.

Reifer Markt

Die persönliche wird neben der rein geschäftlichen Beziehung zwischen privatem Großhändler und Apotheke zur Seele des Geschäfts. Der private Großhandel sieht sich bei seiner Geschäftstätigkeit in einer besonderen Rolle. Er ist in einer bestimmten Region tätig - und nur dort. Auch wenn sich der Markt insgesamt leicht bewegt, bleibt die Marktposition dadurch recht statisch. Damit sind auch auf lange Sicht die privaten Pharmagroßhändler die "Platzhirsche" in ihrer angestammten Region.

Engagiert gingen einige private Großhändler nach der Wiedervereinigung Anfang der neunziger Jahre auch in die Neuen Länder, teilweise mit gutem Erfolg. Auch hier zählte von Beginn an die enge, sehr persönliche Beziehung zu den Apothekerinnen und Apothekern. Die Beziehungen zwischen Apotheken und den Großhändlern sind sehr gefestigt und stabil. Der Lieferradius ist eingegrenzt. Da sind logistische Grenzen gezogen. Der Großhandelsmarkt ist eben gekennzeichnet als ein reifer Markt, in dem alles bereits verteilt ist.

Die betont persönliche Ausrichtung und die Philosophie der privaten Großhändler spiegelt sich auch im Verhältnis zu den Mitarbeitern. Langjährige Firmenzugehörigkeiten sind häufig, insoweit ähneln sich auch hier die Privaten und die Apotheke.

Eingeschränktes Wachstum

Regionales Wachstum gibt es für das private Unternehmen kaum noch, außer wenn sich zwei zusammenschließen. Wachstumsmöglichkeiten sind rar. Es erscheint für einen Pharmagroßhändler schwer, den Markt auch im regionalen Umfeld "aufzurollen". In ihren Strukturen unterscheiden sich die konkurrierenden Großhandlungen kaum. Auch wenn die privaten für sich in Anspruch nehmen, immer ein bisschen flexibler zu sein, schneller auf Marktentwicklungen reagieren zu können.

Die Dienstleistung der Großhändler besteht darin, qualitativ hochwertige Ware zum richtigen Zeitpunkt in die richtige Apotheke zu bringen. Die privaten Anbieter sehen ihre Chance in der sehr persönlichen Ansprache, wollen jenseits des eigentlichen Kerngeschäfts Vertrauen und Kultur einbringen.

Drehscheibe

Verbünde zwischen den PharmaPrivat-Häusern wurden in den vergangenen Jahren immer weiter entwickelt. Man lernt voneinander und miteinander; aus Konkurrenten sind gefestigte, kollegiale Partner geworden, die ihre Erkenntnisse miteinander teilen. Auf dieses Plus setzen die privaten Großhändler im harten Wettbewerb. Mit der technischen Verknüpfung der verschiedenen Häuser entwickelt sich der Zugriff auf ein enorm großes Sortiment, nach Angaben der privaten Händler sogar größer als bei den Großen der Branche. Es ergibt sich ein Lieferverbund, der allen Beteiligten nutzt und die Partner am Markt stärkt, aber eben nicht schwächt, weil in der Regel keine direkte Konkurrenzsituation existiert. Durch die schnelle, elektronisch organisierte Kommunikation zwischen den PharmaPrivat-Partnern sei man auf allen Unternehmensebenen miteinander verbunden - ob Einkäufer, EDV-Leiter oder Geschäftsführer. PharmaPrivat bedeutet nach Ansicht der Mitglieder Nachteilsausgleich für mangelnde Marktabdeckung und ermöglicht die Erschließung strategischer Lücken, die sich aus der mittelständischen Struktur der Unternehmen ergeben. Kehr: ""So selbstständig wie möglich, so zentral wie nötig."

Der Großhandel bemüht sich, dass die Apotheke auch erkennt, dass sie nicht nur Qualität transportiert, sondern eben auch Produkte nach vorne bringen kann und muss. Auch die privaten Großhändler sehen sich als Drehscheibe für Pharmaindustrie und Apotheken. Sie sehen ihre Aufgabe darin, die Aktionen für den Apotheker passend vorzubereiten, logistisch anzupassen. Dieses Feld wird mit viel Einsatz beackert, wird aber als durchaus ausbaufähig angesehen, gerade im Bereich Information und Marketing. Die Aktionen haben bislang einen recht begrenzten Radius. Dabei können Seminare zum Thema Zusatzverkauf heute vom Großhandel guten Gewissens angeboten werden.

Dem privaten Großhandel fiel es auf Grund seiner Größe manchmal schwerer als den großen Wettbewerbern, von der Industrie als strategischer Partner wahrgenommen zu werden. Hintergrund waren mitunter auch die bessere Zugänge der Großen in die Industrie. Als Türöffner wirkten die Branchen-übergreifenden Verflechtungen zwischen Großhandlung und Produzent. Auch die Börsennotierung der großen Unternehmen macht den Kontakt zur Großindustrie sehr viel einfacher. Die privaten Großhändler können dem auf den ersten Blick nichts entgegensetzen. Und wenn überhaupt, dann nur, indem sie einheitlich auftreten.

80 Prozent des Marktes sind in den Händen von drei Gruppierungen - neben dem Block der genossenschaftlichen Großhandlungen Noweda, Sanacorp und Anzag sind dies die Gehe und Phoenix. Das ist keine grundsätzlich angenehme Situation für die Lieferanten, also die Industrie. Genau darin liegt aber die Chance für die kleineren Großhandelsanbieter. Die Industrie nimmt zusehends PharmaPrivat als Regulativ im Großhandelsmarkt wahr. Alle Privaten zusammen kommen auf eine 50-prozentige Marktabdeckung in Deutschland; die Hälfte der deutschen Apotheken nutzt private Großhändler als Haupt- oder Nebenlieferanten. Genau diese Abdeckung ist für die Hersteller ein entscheidendes Maß. Interessant ist, dass trotz der unterschiedlichen Größe von privaten Großhandlungen und Konzernen in der Regel die gleichen Einkaufskonditionen bei der Industrie gelten. "Auch durch gemeinsamen Einkauf mit anderen Privaten oder Großen des Marktes ist erstaunlich wenig zusätzlich herauszuholen", konstatiert von der Linde. 

Europäischer Blick

Auch mit privaten Großhändlern aus anderen europäischen Ländern tauschen sich die deutschen Grossisten über Gesundheits- und Geschäftspolitik aus. Regelmäßige Treffen sollen die Kommunikation fördern und die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Die Devise heißt, voneinander zu lernen. Vergrößerungen im europäischen Rahmen, wie es manch anderer deutsche Großhändler aktiv betreibt oder plant, liegt den Privaten aber nicht. Die Fokussierung liegt ausschließlich in der regionalen Struktur.

Die privaten Pharmagroßhändler scheinen gut gerüstet, sehen ihre Chance als eigenständige Unternehmen jedoch nur im Zusammenspiel mit dem selbstständigen Apotheker. Das wollen die Unternehmen, ob im Einzelauftritt oder im Verbund, auch weiterhin öffentlich transportieren.

 

INTERVIEW: Chance für Reform geschmälertMeist sind die Positionen der Apothekerschaft mit denen des pharmazeutischen Großhandels identisch. Bei der Diskussion um die Einführung des Aut idem ist dies nicht so. Zur aktuellen Gesundheitspolitik der Bundesregierung und zu Aut idem äußerte sich im PZ-Interview der Geschäftsführer von PharmaPrivat, Hanns-H. Kehr.

PZ: Wie bewerten Sie die derzeitigen Aktivitäten von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt?

Kehr: Sie ist mit zwei Hypotheken in ihr Amt gestartet: mit einem Wahlgeschenk und einer Sünde ihrer Vorgänger. Die Verringerung der Zuzahlung brachte den Kassen Mehraufwendungen von circa 700 Millionen DM und die jahrelange Deckelung der Arzneimittelausgaben ließ sich nicht länger halten, weil der vorhandene Bedarf auf Dauer nicht künstlich wegdefiniert werden konnte. Der Druck war zu groß geworden. Jetzt steht sie selbst unter starkem Druck, weil die Regierung ihre Ziele in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik ebenso verfehlen wird wie ihre Ziele für die Kosten der GKV. Nicht gerade ideale Voraussetzungen für eine gute Reform.

Was am Runden Tisch mit dem besonnenen Suchen nach dem langfristigen Weg aus dem Dilemma des Gesundheitswesens, also einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und der wirtschaftspolitischen Notwendigkeit, die Beiträge stabil zu halten, begann, mündet leider seit Ende September in kurz greifenden Sparmaßnahmen ohne Rücksicht auf mittel- und langfristige Strukturveränderungen. Das ist schade, denn damit wird sie die Chance für eine wirkliche Reform schmälern - sie verliert an Vertrauen.

PZ: Der Phagro hat sich deutlich gegen Aut idem ausgesprochen. Teilt PharmaPrivat diese Ansicht?

Kehr: Uneingeschränkt ja.

PZ: Warum fürchten die Großhändler die Einführung von Aut idem?

Kehr: Aus mehreren Gründen. Wenn die Apotheke weiter in den Fokus von direkten Rabattierungen der Generikahersteller gerät, werden Warenströme kreuz und quer laufen. Nischen-Großhändler werden ins Kraut schließen. Wir versuchen, deren Pfründe auszutrocknen und damit die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Die Preisspannenverordnung wird im Übrigen massiv gefährdet, wenn der Herstellerabgabepreis dauerhaft unterschritten wird, woran wohl niemand zweifelt.

Zudem weiß ich nicht, ob sich die Apothekerinnen und Apotheker einen Gefallen tun, wenn sie die Herstellerneutralität aufgeben und sich dem Verdacht der Mon-ethik als Motivation aussetzen. Außerdem lassen sich Apothekenerträge dann argumentativ sehr leicht wegsteuern.

Neben den gesetzessystematischen Bedenken, die Juristen gegen das Verfahren der Einführung fundiert vortragen, bestehen auch haftungsrechtliche Unklarheiten für die Apothekerinnen und Apotheker. Ich weiß nicht, ob dies ausreichend reflektiert wurde.

PZ: Die ABDA ist für Aut idem. Ein Problem für den Großhandel?

Kehr: Im Moment werden Apotheke und Großhandel in dieser Frage wohl nicht an einem Strang ziehen. Und ich bedauere sehr, dass uns keine Zeit bleibt, die unterschiedlichen Einschätzungen ausführlich zu diskutieren. Gerade die Unsicherheit über die Haftungsfolgen bei der Substitution wird immer wieder von unseren Kunden an uns herangetragen. Ich habe darauf bisher keine befriedigende Antwort gefunden und wünschte, die Abstimmung der Verbände darüber wäre vorher intensiver erfolgt.

PZ: Erwarten Sie eine Schwächung der Beziehungen zu den Apothekerinnen und Apothekern wegen der unterschiedlichen Auffassungen?

Kehr: Eine Schwächung der Beziehungen wird sich nicht aus ideologischen Ansätzen ergeben, dafür ist der Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen selbstständigem Apotheker und selbstständigem Pharma-Großhändler sicherlich zu groß. Faktisch wird aber die Bedeutung des Großhandels abnehmen, wenn die Bemühungen der Industrie um den "Point of Sale" Apotheke den Großhandel durch wachsenden Direktvertrieb aus dem Geschäft manövrieren. Dies wird die Leistungsfähigkeit des Großhandels beschneiden, was wiederum der Apotheker durch nachlassenden Service bitter spüren wird.

PZ: Was würden Sie unserer Gesundheitsministerin raten, wenn Sie auf ihr offenes Ohr hoffen dürften?

Kehr: Die erhofften aber keineswegs garantierten Einsparungen einer Aut-idem-Regelung ließen sich auf Dauer über eine Modifizierung der Preisspannenverordnung garantiert erzielen. Eine längst überfällige Drehung, das heißt bei den billigen Arzneimitteln mehr, bei teuren weniger Spanne, ist für Apotheke und Großhandel aufwandsneutral und wird meines Wissens von allen Leistungserbringern mitgetragen. Selbst die Generikaverbände werden angesichts der Alternative kaum widerstreben. Frau Schmidt könnte es so leicht haben, das Richtige zu tun, wenn sie den Mut hätte, ihrem ursprünglichen Sparkonzept, das ohnehin nur noch Makulatur ist, ganz abzuschwören.

 

Der Autor

Thomas Bellartz ist seit 1998 Chef vom Dienst der Pharmazeutischen Zeitung und betreut die Sozial- und Wirtschaftspolitik. Seit 1986 arbeitete er für Print und Hörfunk, hospitierte in Deutschland, Großbritannien und den USA. Nach seinem Volontariat bei der Aachener Zeitung entwickelte Bellartz Zeitschriftenformate und betreute die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen und Verbänden. Zudem unterrichtet er als Dozent angehende Journalisten in Frankfurt und Nürnberg.

 

Anschrift des Verfassers:
Thomas Bellartz
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E-Mail: bellartz@govi.de
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