Zur Biochemie des Glutathionsystems: ein Überblick |
04.11.1996 00:00 Uhr |
Titel
Zur Biochemie
des Glutathionsystems:
ein Überblick
Glutathion
ist ein biologisch und medizinisch bedeutsames Tripeptid,
das Zellen vor oxidativem Streß, das heißt vor der
Einwirkung freier Radikale und deren Folgeprodukten
schützt. Von vielen Experten wird Glutathion für das
wichtigste Antioxidans im menschlichen Körper gehalten,
obgleich eine solche Wertung nicht unstrittig ist. Hier
wird nur an Erkenntnisse von Meister über die
Interaktionen zwischen Glutathion und Vitamin C, die
Entdeckung der monomeren Phospholipid-Hydroperoxid -
Glutathionperoxidase durch Ursini oder an die
Beeinflussung des Glutathionstoffwechsels bei
AIDS-Kranken durch Herzenberg erinnert. Auch deutsche
Forschergruppen haben in den letzten Jahrzehnten
entscheidend zu Fortschritten bei der Erforschung der
Effekte und des Stoffwechsels von Glutathion beigetragen,
so die Gruppen um Sies, Wendel und Flohé.
Glutathion ist eine in biologischen Geweben
ubiquitäre Verbindung. Das Tripeptid übernimmt wichtige
Funktionen in verschiedenen Stoffwechselwegen, bei der
Aktivierung und Inhibition von Enzymen und
Transportproteinen sowie beim Transport von Aminosäuren.
Es trägt vor allem zur Stabilisierung von Protein- und
Nichtprotein-Sulfhydrylgruppen und zur Aufrechterhaltung
eines reduzierenden intrazellulären Milieus bei. Der
Glutathionpool beinhaltet mehr als 90 Prozent des
nichtprotein-gebundenen Schwefels der Zellen. Der weitaus
größte Teil des intrazellulären Glutathions liegt als
reduziertes Glutathion (GSH) vor. Unter physiologischen
Bedingungen liegt nur ein sehr kleiner Anteil des
Glutathions als Glutathiondisulfid (GSSG) vor. Das
deutlich zugunsten des GSH ausgerichtete Gleichgewicht
wird durch die NADPH-abhängige Glutathionreduktase
garantiert. Bei oxidativem Streß wird GSH für
verschiedene Reaktionen des primären und sekundären
antioxidativen Schutzes verbraucht.
Die chemischen Eigenschaften des Glutathions basieren auf
seiner Zusammensetzung aus den Aminosäuren Glutamat,
Glycin und Cystein. Beim physiologischen pH-Wert besitzt
das Molekül zwei negativ geladene Carboxylgruppen und
eine positiv geladene Aminogruppe. Die funktionellen
Gruppen können mit geladenen Resten von Proteinen oder
anderen Makromolekülen reagieren. Die reaktivste Gruppe
des Glutathions ist die Sulfhydrylgruppe der
Cysteinyl-Seitenkette. Sie kann als Elektronen-Donator
und demzufolge als nukleophiles Zentrum, als Reduktans
und Fänger freier Radikale dienen. Nukleophile Addition
und Substitutionsreaktionen führen zur Bildung von
Glutathion-Konjugaten.
Die Umwandlung der oxidierten und der reduzierten
Komponente des Glutathions erfolgt durch die Enzyme
Glutathionreduktase (GR) und Glutathionperoxidase (GPx).
Die Glutathionperoxidase katalysiert die Reduktion von
Wasserstoffperoxid und anderen Hydroperoxiden. Dabei
entsteht aus GSH das GSSG, das mittels der
Glutathionreduktase wieder in GSH zurückverwandelt wird.
Glutathion schützt mittels der
Glutathionperoxidasereaktion Hämoglobin, andere Proteine
und Membrankomponenten vor der Oxidation. Jede der vier
Untereinheiten der GPx enthält ein Selenatom. Die
monomere, membranständige, ebenfalls Selen enthaltende
Phospholipid-Hydroperoxid-Glutathionperoxidase reduziert
organische Hydroperoxide und ist anscheinend an der
Eicosanoid-Bildung beteiligt. Glutathiontranshydrogenasen
sind in Kopplung mit der Glutathionreduktase in der Lage,
einen Thiol-Disulfid-Austausch zwischen Glutathion und
niedermolekularen Disulfiden vorzunehmen.
Eine bedeutsame Funktion bei der Erhaltung des
Thiol-Disulfid-Status von Zellen hat das
Thioredoxinsystem, bei dem die Disulfidform des
Thioredoxins durch die Thioredoxinreduktase in die
SH-Form des Thioredoxins umgewandelt wird. Die Thiolform
des Thioredoxins ist der Wasserstoffdonator für die
Reduktion von Ribonukleotiden zu Desoxyribonukleotiden
durch die Ribonukleotid-Reduktase.
Die Glutathion-S-Transferasen (GST) katalysieren die
Konjugation von Glutathion mit verschiedenen exogenen
Verbindungen, zum Beispiel Medikamenten, Mykotoxinen und
Umweltchemikalien. Glutathion-S-Konjugate werden zu
Merkaptursäuren umgewandelt. Der Metabolismus der
Glutathion-S-Konjugate ist an das Wechselspiel mehrerer
Organe gekoppelt. Im Intermediärstoffwechsel solcher
Verbindungen spielen die Leber, die Nieren und der
Dünndarm die entscheidenden Rollen.
Die Schilddrüse benötigt große Mengen
Wasserstoffperoxid zur Synthese der Schilddrüsenhormone
(Jodierungsreaktion). Um die Schilddrüse vor oxidativem
Streß zu schützen, synthetisieren und sezernieren die
Thyrozyten die extrazelluläre selenhaltige
Glutathionperoxidase. Eine Schlüsselrolle für Synthese
und Abbau des Glutathions spielt der y-Glutamylzyklus.
Die Glutathionsynthese erfolgt durch zwei enzymatisch
katalysierte Schritte: die Reaktionen der
y-Glutamylcystein-Synthetase und der GSH-Synthetase. Der
GSH-Abbau erfolgt extrazellulär. An ihm sind die
y-Glutamyl-Transpeptidase und Dipeptidasen beteiligt.
Beide Enzymreaktionen laufen durch die Bindung dieser
Enzyme an der Außenseite der zellulären Plasmamembranen
ab. Der Glutathiongehalt der verschiedenen Gewebe- und
Zelltypen variiert zwischen 0,5 und 10 mM. Besonders hoch
ist er in Leber, Gehirn, Milz, Niere und Dünndarmmucosa.
Daten über die Ausstattung mit Enzymen des
Glutathionstoffwechsels zeigen ebenfalls deutliche
Gewebe- und Zellunterschiede. So sind die Aktivitäten
der Enzyme der Merkaptursäurebildung in der Niere
besonders hoch. Leber und Darm weisen hohe Aktivitäten
der beiden Enzyme der Glutathionsynthese auf. Ein
Vergleich der Organe hinsichtlich der
Glutathionperoxidase-Aktivität zeigt die mit Abstand
höchsten Werte in Blut und Leber, gefolgt von Lunge,
Niere und Herz.
Das intravaskuläre GSH ist in die Reduktion von
Disulfidbrücken von Plasmakomponenten und die
Freisetzung von Substanzen einbezogen, die über
Disulfidbrücken an Plasmaproteine gebunden werden. Damit
dient GSH der Aufrechterhaltung der
Thiol-Disulfid-Balance an Rezeptoren, Transportproteinen
und Ektoenzymen. Weitere Funktionen des Plasma-GSH sind
die Aufrechterhaltung der Funktion von Plasmaproteinen
und -peptiden, die direkte antioxidative Wirkung bei
Entzündungen, der Transport von Übergangsmetallen, die
Reduktion anderer Antioxidantien wie Vitamin C und der
Transport oder die Entgiftung von NO.
Die Mitochondrien besitzen ein eigenes, wenn auch
unvollständiges Glutathionsystem. Das in den
Mitochondrien befindliche Glutathion stammt aus dem
Cytosol und gelangt durch energieabhängige
Transportprozesse in die Mitochondrien. Der Netto-Efflux
von Glutathion aus den Mitochondrien in das Cytosol ist
sehr niedrig, was zur Konservierung von mitochondrialem
Glutathion unter Bedingungen einer cytosolischen
Glutathiondepletion beiträgt.
Der GSSG-Export aus Zellen in den extrazellulären Raum
dient der Elimination von GSSG aus dem intrazellulären
Raum bei oxidativem Streß. Die Ausschleusung von GSSG in
die Gallenflüssigkeit ist als Index für den Umfang des
Hydroperoxidmetabolismus in der Leber akzeptiert.
Glutathionefflux und Verfügbarkeit von Glutathion im
Blutplasma implizieren den Transport von Glutathion zu
den verschiedenen Organen. Glutathion aus Zellen mit
vernachlässigbar niedriger
y-Glutamyl-Transpeptidase-Aktivität gelangt in das
Blutplasma. Es wird durch die Nieren und andere Organe,
die über eine hohe Transpeptidase-Aktivität verfügen,
aus dem Blutplasma entfernt.
Die Messung von Veränderungen des
Protein-Sulfhydrylgehaltes und des Glutathions (GSH und
GSSG) wird häufig als Parameter für einen oxidativen
Streß verwendet.
PZ-Titelbeitrag von Werner Siems, Bad Harzburg, Klaus
Krämer, Offenbach, Tilman Grune, Berlin
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Sie nächste Woche.
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