Warum der kleine Unterschied so wichtig ist |
25.08.2003 00:00 Uhr |
Dass Männer und Frauen nicht gleich sind, ist nichts Neues. Oder doch? In Bezug auf Wirksamkeit und Verstoffwechselung von Arzneimitteln scheint der „kleine Unterschied“, der mitunter beträchtlich sein kann, fast eine Neuentdeckung zu sein.
Der Organismus von Männern und Frauen reagiert unterschiedlich auf Arzneimittel. Die Gründe dafür liegen in einer sehr weiblichen Tatsache: Frauen bekommen Kinder und haben einen völlig anderen Hormonstatus. Bei neuen Arzneistoffen besteht immer das Risiko eines teratogenen oder fetotoxischen Effektes. Daher wurden Frauen spätestens seit der Contergan-Katastrophe in klinischen Studien nicht weiter berücksichtigt, und fast drei Jahrzehnte lang kaum oder gar nicht mehr in solche Untersuchungen aufgenommen. Erst im Zeitalter von AIDS kämpften amerikanische Frauen selbst für die Teilnahme an Studien, um ebenfalls von den neuesten Arzneimitteln zu profitieren zu können. Sie hatten Erfolg: Zumindest in den USA sind Frauen in Arzneimittelprüfungen ausreichend repräsentiert.
Seitdem hat sich das Wissen um die geschlechtsspezifisch variierende Pharmakokinetik und -dynamik von Arzneistoffen erheblich vergrößert. Die Forscher fanden nicht nur Unterschiede beim Einsatz von antiretroviralen Medikamenten, sondern zahlreiche weitere: Man weiß von unterschiedlichen Wirkungen bei Blutdruck- und Schmerzmitteln und kann belegen, dass Psychopharmaka zum Teil anders dosiert werden müssen, um eine optimale Wirkung zu entfalten. Wo liegen die Gründe?
Hormone beeinflussen die Kinetik
Männer und Frauen unterscheiden sich physiologisch in Körpergewicht, Fett- und Wasseranteil, Muskelmasse und Stoffwechsel sowie etlichen Organfunktionen (Tabelle 1). Dies beeinflusst die Pharmakokinetik und -dynamik etlicher Wirkstoffe. Einen wichtigen Einfluss hat der Hormonspiegel. Neben den physischen sind auch die psychischen Unterschiede zwischen Mann und Frau zum Teil über die Wirkung von Testosteron und Estradiol beziehungsweise Progesteron zu erklären.
Tabelle 1: Charakteristische physiologische Unterschiede von Mann und Frau (Mittelwerte) (1)
ParameterMannFrau Körpergewicht (kg) 85 60 Wasseranteil (Prozent)
Der Organismus von Männern wird während der Embryonalentwicklung, in der Neonatalphase und ab der Pubertät vorwiegend durch einen relativ hohen Testosteronspiegel geprägt, der der Frau durch ein komplexes Zusammenspiel von Estradiol und Progesteron. Die hormonelle Regulation wird durch den Hypothalamus und den Hypophysenvorderlappen gesteuert. Entscheidend ist bei beiden Geschlechtern die pulsatile Abgabe von Gonadotropin-Releasing-Hormonen (Gn-RH) aus dem Hypothalamus, die ihrerseits die Freisetzung der Gonadotropine LH (Luteinisierendes Hormon) und FSH (Follikel stimulierendes Hormon) sowie von effektorischen Hormonen wie Prolaktin anregt. Beim erwachsenen Mann schwanken die Plasmakonzentrationen von LH, FSH und Testosteron während des Tages, die täglich sezernierten Gesamtmengen sind jedoch relativ konstant. Dagegen ändert sich die pulsatile Freisetzung von Gn-RH und Gonadotropinen bei der Frau im Verlauf des Monatszyklus. FSH und LH beeinflussen die Bildung von Estradiol und Progesteron und steuern damit den menstruellen Zyklus und die Blutung(1).
Sowohl Testosteron als auch Estrogene werden von männlichen und weiblichen Organismen gebildet. Estradiol entsteht unter dem Einfluss der Aromatase und der 3b-Hydroxy-Steroiddehydrogenase direkt aus Androstendion oder Testosteron. Allerdings sind die Hormonmengen unterschiedlich groß. Tabelle 2 zeigt die durchschnittlichen Sekretionsraten für Estradiol und Progesteron.
Tabelle 2: Durchschnittliche Sekretionsmengen von Estradiol und Progesteron bei Männern und Frauen (1)
Geschlecht und ZyklusphaseEstradiol (mg/Tag)Progesteron (mg/Tag)Testosteron (mg/Tag) Mann 0,1 0,7 7 Frau generell 1-2 Menstruation 0,1 - Proliferationsphase 0,2 4 Ovulation 0,7 - Gelbkörperphase 0,3 30 Schwangerschaft 8-15 frühe: 90
Unterschiedliche Nierenleistung
Testosteron erfüllt wichtige Funktionen beim Aufbau von Gewebe. Der anabole Effekt ist der Grund für den höheren Anteil an Muskelmasse bei Männern (45 Prozent vom Körpergewicht im Vergleich zu 35 Prozent bei Frauen), die wiederum die Arbeit der Nieren beeinflusst. Durch den größeren Muskelanteil sind der Muskelstoffwechsel und in der Folge auch die Kreatinin-Clearance erhöht.
Problematisch kann dies bei Frauen im fortgeschrittenen Lebensalter werden, wenn die Nierenleistung physiologischerweise abnimmt. Da Frauen ohnehin eine geringere Kreatinin-Clearance haben, erreichen sie bei sinkender Nierenleistung früher den kritischen Wert von unter 50 ml/min. Wegen der höheren Lebenserwartung müssen Frauen auch länger mit dem Risiko einer Niereninsuffizienz leben. Bei Nierenleistungen unter einer Clearance von 50 ml/min ist bei vielen Arzneistoffen mit Nebenwirkungen auf Grund von Kumulation zu rechnen. Dies ist vor allem bei Substanzen mit einem Q0-Wert von unter 0,7, zum Beispiel bei Digoxin, Gentamycin, Metoclopramid oder Sotalol, zu erwarten. Dieser Wert beschreibt den extrarenal ausgeschiedenen bioverfügbaren Dosisanteil bei normaler Nierenfunktion.
Geschätzte Kreatinin-Clearance
Cl (ml/min) = (150 - Alter) x KG x Faktor / Serumkreatinin (mmol/L)
Faktor für Frauen: 0,9; Faktor für Männer: 1,1
Nach (18)
Grundsätzlich ist der Wasserhaushalt bei Frauen hormonell beeinflusst. Estradiol führt an der Niere zur Retention von Wasser und Salz. Daher schwanken die Flüssigkeitsansammlungen im Interzellularraum ebenfalls zyklisch, was die meisten Frauen durch Zunahme des Körpergewichts vor der Menstruation und viele bei Einnahme oraler Kontrazeptiva bemerken.
Testosteron hat zusätzlich einen positiven Effekt auf die Blutbildung. Der Erythrozytengehalt im männlichen Blut liegt bei 5 Millionen, im weiblichen bei 4,5 Millionen.
Estradiol schützt vor Infarkt
Estradiol erhöht die Gerinnungsfähigkeit des Blutes, senkt aber bei Frauen vor der Menopause den LDL-Cholesterolspiegel, so dass bis zu diesem Zeitpunkt kardiovaskuläre Ereignisse bei Frauen seltener auftreten als bei Männern. Nach der Menopause steigt das Risiko deutlich. Da mit zunehmendem Alter weitere Faktoren wie Übergewicht und Bewegungsarmut hinzukommen, treten bei über 60-jährigen Frauen vermehrt kardiovaskulär bedingte Todesfälle auf.
Diabetische Frauen haben ein drei- bis siebenfach erhöhtes Risiko, an einem kardiovaskulären Ereignis zu erkranken; bei männlichen Diabetikern ist das Risiko zwei- bis dreifach höher (2). Interessanterweise kommen Frauen meist erst eine Stunde später als Männer nach einem kardiovaskulären Ereignis zum Arzt, was die Prognose negativ beeinflusst. Die Gründe liegen in den unterschiedlichen Symptomen, die Männer und Frauen angeben (Tabelle 3).
Tabelle 3: Symptome im Zusammenhang mit einem Myokardinfarkt (2)
SymptomMannFrau retrosternales Brennen + Brustschmerzen mit ausstrahlenden
Bis vor wenigen Jahren galt eine Hormonsubstitution nach der Menopause zur sekundären Herzinfarktprävention als Standard. In der Heart and Estrogen/Progestin Replacement Study (HERS-Studie) wurde 1998 an 2800 Frauen festgestellt, dass die Sekundärprävention die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse nicht reduziert (2). Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam nach dreijähriger Studiendauer die ERA-Studie (Estrogen Replacement und Arteriosclerosis); es konnten keine angiographischen Veränderungen bei postmenopausalen KHK-Patienten beobachtet werden (14).
Die Resultate des abgebrochenen WHI-Studienarms gehen in die gleiche Richtung, wobei diese auf Grund des Studiendesigns, zum Beispiel der Auswahl der Teilnehmer, von einigen Wissenschaftlern kritisch beurteilt werden. Die Ergebnisse lassen sich mit Sicherheit, wie auch die der HERS-Studie, lediglich auf equine Estrogene (von der Stute) in Kombination mit Medroxyprogesteronacetat übertragen (15).
Unterschiede im Gehirn
Lebenslang haben steroidale Hormone, vor allem Testosteron und Estradiol-17b eine wichtige Funktion bei der Steuerung von Hirnprozessen wie Transkription und Translation. Dabei werden sowohl Transportmoleküle als auch Rezeptoren beeinflusst.
Im Zusammenhang mit der Manifestation einer Schizophrenie im Erwachsenenalter wird dem Estradiol eine neuroprotektive Wirkung zugeordnet. Frauen sind durchschnittlich etwa vier Jahre älter als Männer, wenn erstmals eine Schizophrenie auftritt. Außerdem gibt es einen zweiten Erkrankungsgipfel zwischen dem 45. und 54. Lebensjahr, meist zu Beginn der Menopause. Der Estradiolspiegel der betroffenen Frauen ist deutlich niedriger als der gesunder Frauen.
Forscher konnten morphologische Unterschiede im Hypothalamus bei Mann und Frau feststellen. Diese beeinflussen die von dort gesteuerten zirkadianen Rhythmen der Ausschüttung von Releasing-Hormonen und Neurotransmittern (beziehungsweise Aminosäuren). Ebenso findet man typische Veränderungen bei schizophrenen Erkrankungen vor allem in den Gehirnarealen, die durch Sexualhormone geprägt werden.
Bei der Behandlung der Schizophrenie hat sich gezeigt, dass Frauen auf eine Therapie mit Antipsychotika deutlich besser ansprechen. Verschiedene Gründe werden diskutiert:
Erhöhte Progesteron-Werte sind vermutlich die Ursache für Stimmungsschwankungen und Depressionen vor der Menstruationsblutung und am Ende der Schwangerschaft. Zudem senkt Progesteron die epileptische Krampfschwelle und beeinflusst die Körpertemperatur. Dies wird genutzt bei der Messung der Basaltemperatur zur Bestimmung der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage.
Bei Männern scheint Estradiol für die Kopulationsbereitschaft eine große Rolle zu spielen. Aus im Gehirn vorhandenem Testosteron kann die Aromatase, ein Cytochrom-P-450-Enzym CYP19, im Hypothalamus Estradiol bilden. Dieses aktiviert dann ein bestimmtes Hirnareal (präoptisches Areal), das für die Kopulationsbereitschaft entscheidend ist. Wie diese Prägung in der frühembryonalen Phase genau gesteuert wird, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Es konnte aber gezeigt werden, dass im Lauf des Lebens bestimmte Gehirnareale bei Männern und Frauen unterschiedlich groß sind – so haben Männer eine höhere Neuronenzahl im präoptischen Areal –, und dass sich die Zellenanzahl bei Frauen schneller ändert als bei gleichaltrigen Männern (3).
Das Gerücht, dass Frauen besser mit Sprachen umgehen können als Männer, lässt sich ebenfalls im Gehirn nachweisen. Frauen haben im Sprachzentrum mehr und längere Dendriten ausgebildet als Männer. Die Ursache ist darin zu sehen, dass Estradiol bestimmte Stoffwechselprozesse im Gehirn reguliert, wie die Umsetzung von ATP zu c-AMP, die Neurotransmittersynthese und das dendritische Wachstum (3).
Vor Alzheimer-Demenz geschützt?
In den vergangenen Jahren wurden Überlegungen diskutiert, ob Estradiol vor einer Alzheimer-Erkrankung schützen könnte. Als eine Ursache der Plaquebildung im Gehirn gilt eine sinkende Konzentration der Acetylcholinesterase. Ab dem sechzigsten Lebensjahr nimmt die Konzentration dieses Enzyms physiologisch ab. Estradiol soll sich im Gehirn positiv auf den Amyloidstoffwechsel auswirken, zusätzlich inflammatorisch wirken und Reparaturmechanismen im Gehirn positiv beeinflussen. Diese Eigenschaften sollen zusammengenommen einen der Cholinesterase vergleichbaren Effekt haben.
Eine Auswertung der Daten, die im Zusammenhang mit der Nurses’ Health Studie erhoben wurden, ergab, dass das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung für Frauen, die eine Hormonsubstitutionstherapie vorgenommen haben, genauso groß war wie für Frauen ohne diese Therapie (6). Seit 1996 läuft eine spezielle Studie zu dieser Frage, die „Women’s Health Initiative Memory Study“. Endgültige Ergebnisse sind für 2007 zu erwarten (Informationen und Studiendesign unter www.wfubmc.edu/whims). Nach vorzeitigem Abbruch eines WHI-Studienarms, in dem rund 16.600 Frauen eine Hormonkombination eingenommen hatten, zeigt sich nun, dass das Risiko einer Demenzerkrankung sogar steigen kann. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft weist darauf hin, dass bei 40 Frauen in der Testgruppe, aber nur bei 21 Frauen in der Placebogruppe ein Demenzverdacht auftrat (16).
Metabolismus verändert
Estradiol und Testosteron spielen eine Rolle bei der Verstoffwechselung einiger Arzneistoffe (Tabelle 4). Betablocker wirken bei Männern intensiver als bei Frauen. Die Ursachen liegen zum einen in der höheren Anzahl an b-Rezeptoren bei Männern (vermutlich durch Testosteron induziert), am wirkungsverstärkenden Effekt des Testosterons und dem abschwächenden Effekt der Estrogene. Estrogene induzieren das CYP-Enzym 2D6, über das etliche Betablocker und auch Antiarrhythmika metabolisiert werden.
Tabelle 4: Unterschiede in der Arzneimittelwirkung, die im Zusammenhang mit Testosteron und Estrogenen beschrieben sind
TestosteronEstradiol, Estron, Estriol depolarisierende Muskelrelaxantien - Insulin/Antidiabetika + Insulin/Antidiabetika - orale Antikoagulantien + orale Antikoagulantien - Levothyroxin - trizyklische Antidepressiva + Coffein +- Wirkung nimmt ab; + Wirkung steigt
ACE-Hemmer: Estrogene vermindern die Aktivität des Konversionsenzyms. Auch die Angiotensinrezeptoren sind bei Frauen weniger reaktionsfreudig. In Studien konnte gezeigt werden, dass Frauen von ACE-Hemmern weniger profitieren als Männer. Von der Nebenwirkung Husten sind sie aber häufiger betroffen.
Thiaziddiuretika wirken stärker als bei Männern, da Frauen vermutlich mehr Thiazidrezeptoren in der Niere haben. Gleichzeitig hat man festgestellt, dass Thiaziddiuretika einen Einfluss auf den Calciumstoffwechsel haben. Wird neben den Diuretika ausreichend Calcium zugeführt, kann eine Erhöhung der Knochendichte beobachtet werden. Bei Frauen war dieser Effekt stärker als bei Männern. Die Studienergebnisse sind aber nur punktuell signifikant. Für die Praxis gilt: Bei Frauen sind Thiaziddiuretika wegen der besseren Calciumbilanz gegenüber anderen Diuretika zu bevorzugen (9).
Amlodipin senkt bei Frauen schneller den Blutdruck als bei Männern. Acetylsalicylsäure und Testosteron sind ein gutes Gespann. Testosteron stimuliert die Thromboxan-A2-Bildung. Insgesamt erreichen Männer nach der Einnahme von ASS höhere Blutspiegel als Frauen. Ibuprofen wirkt bei Männern besser als bei Frauen.
CYP3A4-Induktoren
Durch die Enzyminduktoren Rifamipicin und Phenobarbital werden Estrogene, Gestagene und Progesteron schneller metabolisiert. Für Estrogene und orale Kontrazeptiva gilt dies auch in Gegenwart anderer enzyminduzierender Antiepileptika, vor allem Primidon und Phenytoin. Estrogene werden bei gleichzeitiger Einnahme von Paracetamol langsamer abgebaut, bei Ethinylestradiol kommt es zudem zu einer kompetitiven Sulfatierung. Bei oralen Kontrazeptiva ist außerdem bekannt, dass der Abbau von Paracetamol beschleunigt wird und dessen Wirkdauer verkürzt ist.
Auch bei Theophyllin kann ein Einfluss oraler Kontrazeptiva beobachtet werden: Der Abbau von Theophyllin wird verlangsamt und die Wirkdauer verlängert, was unter Umständen zu einer Kumulation führen könnte. Gleiches gilt auch für Diazepam (12). Insgesamt sind unter oral zugeführten Estrogenen auf Grund inhibitorischer Eigenschaften auf die mikrosomalen Enzyme Cytochrom P 450 3A4 Wechselwirkungen mit Ciclosporin, Erythromycin und anderen Stoffen zu erwarten (13). Beschrieben ist dieses Phänomen auch für CYP 2 C19 in Zusammenhang mit Omeprazol (17).
Schmerzverarbeitung bei Frauen
Seit langem bekannt ist das unterschiedliche Schmerzempfinden von Männern und Frauen. Bereits 1894 zeigte Francis Galton in Versuchen, dass Frauen zwei nebeneinander liegende Berührungspunkte besser voneinander trennen können als Männer. Das liegt vermutlich am höheren Wassergehalt der Haut unter Estrogenen, da elektrische Reize besser weitergeleitet werden. Die Unterschiede können sogar zyklusabhängig beschrieben werden. Der Einfluss der Estrogene auf das Schmerzempfinden zeigt sich auch daran, dass im höheren Alter das Schmerzempfinden von Frauen deutlich nachlässt – bei Männern dagegen in abgemilderter Form.
Der weibliche Organismus hat ein spezielles Schmerzmanagement entwickelt, um mit Wehen- und Geburtsschmerz besser zurecht zu kommen. Am Ende der Schwangerschaft steigt der Progesteronspiegel massiv an. Zusätzlich verursacht ein starker Druck auf die Vagina, dass das Schmerzempfinden während der Geburt automatisch reduziert wird.
Progesteron fördert seinerseits die körpereigene Endorphinproduktion. Die dabei freigesetzten Endorphine wirken vor allem auf k-Rezeptoren. Deshalb sprechen Frauen besser auf k-wirksame Opioide an und Männer, die bevorzugt m-Rezeptoren haben, auf die m-wirksamen Opioide (Tabelle 5).
Tabelle 5: Beispiele für k- und m-wirksame Opioide (8)
Substanz Kappa-RezeptorMy-Rezeptor Agonist Antagonist Agonist Antagonist Buprenorphin ++ + Codein + Fentanyl +++ Levomethadon +++ Morphin + +++ Naloxon ++ +++ Pentazocin ++ (+) (+) Pethidin +++ : Anzahl zeigt Wirkstärke am Rezeptor an
Dafür sprechen auch Erfahrungen aus der Anästhesiologie, dass die k-wirksamen Opioidagonisten bei Männern um 30 Prozent höher dosiert werden müssen als bei Frauen, um einen vergleichbaren schmerzstillenden Effekt zu erzielen (10). Es wird sogar diskutiert, ob die bessere Ansprechbarkeit von Frauen auf k-wirksame Opioide Einfluss auf die Abhängigkeit zum Beispiel von Pentazocin haben kann (11). Bei der Beratung zur Schmerzbehandlung darf natürlich nie außer Acht gelassen werden, dass auch psychische und soziale Faktoren zur Bewältigung beitragen (7).
Literatur
Die Autorin
Elisabeth Thesing-Bleck arbeitete nach ihrem Pharmaziestudium in Kiel als Offizinapothekerin in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Zusätzlich zu ihrer beruflichen Weiterbildung Gesundheitsberatung und Gesundheitserziehung qualifizierte sie sich zur ehrenamtlichen Telefonberaterin für das Kinder- und Jungendtelefon des Deutschen Kinderschutzbundes und führte für die “Nummer gegen Kummer” Beratungsgespräche mit Kindern in Not. Auf der Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover arbeitete sie als Teamleader in der PharmaXie. Zusätzlich zu ihrer Offizintätigkeit in einer öffentlichen Apotheke referiert sie derzeit in der Kollegenfortbildung und engagiert sich als Vizepräsidentin der Apothekerkammer Nordrhein.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. ElisabethThesing-Bleck
Vizepräsidentin der Apothekerkammer Nordrhein
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