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Transportproteine vermitteln Resistenzen

22.08.2005  00:00 Uhr
.Therapie der Leukämie

Transportproteine vermitteln Resistenzen

von Christoph A. Ritter, Greifswald

Transportproteine schleusen fremde Stoffe, zum Beispiel Zytostatika, aus einer Zelle aus und bestimmen damit wesentlich den Erfolg oder Misserfolg einer Tumortherapie. In den letzten Jahren wurde eine große Zahl von Transportproteinen mit unterschiedlichen Eigenschaften identifiziert. Können spezifische Hemmstoffe dieser Proteine die Therapie von Leukämien verbessern?

Tumorerkrankungen nehmen in der älter werdenden Gesellschaft ständig zu. Obwohl die Therapie seit Jahrzehnten weiterentwickelt und verfeinert wird, konnte nur bei wenigen Tumorarten, wie dem Hodenkarzinom oder verschiedenen Formen der Leukämie, besonders bei Kindern, ein Durchbruch erzielt werden.

Die Entwicklung von Resistenzen spielt für das sehr unterschiedliche Ansprechen verschiedener Tumorentitäten auf die Therapie eine große Rolle. Dabei stehen zelluläre Resistenzmechanismen, die sich auf molekularer Ebene manifestieren, im Vordergrund. Ein wichtiger Mechanismus ist die vermehrte Bildung von Membranproteinen, die Stoffe, die von der Zelle aufgenommen wurden, unter Energieverbrauch aktiv wieder auswärts transportieren. Diese Abwehrstrategie der Tumorzellen ist bei Leukämien so bedeutend, weil Zytostatika hier die einzige Möglichkeit einer Therapie darstellen und schon kleinste Mengen von resistenten Tumorzellen zu einem Rückfall der Erkrankung führen können.

Das ABC der Transportproteine

Die Familie der ABC-Transporter bildet eine der größten Genfamilien und kodiert für etwa 50 humane, strukturell verwandte Transmembranproteine (1). Die wichtigste Gemeinsamkeit der ABC-Transporter liegt in der hoch konservierten ATP-Bindungsdomäne, die für die Transportfunktion unerlässlich ist und der Proteinfamilie ihren Namen ATP-binding cassette (ABC)-Transporter gegeben hat.

Die circa 50 Transportproteine werden auf Grund struktureller Ähnlichkeiten in sieben Unterfamilien eingeteilt, die nach der neuesten Nomenklatur ABCA bis ABCG genannt werden. Die für die Unterteilung wichtigsten Strukturen sind die ATP-Bindungsdomänen sowie eine definierte Anzahl an Transmembrandomänen. Die Mehrzahl der ABC-Transporter bei Säugetieren besitzt zwei ATP-Bindungsdomänen, die jeweils einer die Membran sechsfach durchlaufenden Transmembrandomäne folgen. Einige Transportproteine besitzen an ihrem aminoterminalen Ende eine weitere Transmembrandomäne mit fünf membrandurchspannenden Elementen. Zusätzlich wurden Transportproteine identifiziert, die nur aus je einer ATP-Bindungs- und Transmembrandomäne bestehen und dementsprechend als »Halbtransporter« bezeichnet werden.

Transportproteine werden weitestgehend in allen Geweben und Zelltypen in unterschiedlicher Menge und in bestimmten Fällen an unterschiedlichen Membranen exprimiert. Daraus kann man schließen, dass sie eine wichtige Komponente der körpereigenen Abwehr gegenüber Fremdstoffen darstellen und sowohl von gesundem Gewebe als auch von Tumorzellen genutzt werden. Darüber hinaus weisen neuere Untersuchungen darauf hin, dass auch körpereigene Substanzen durch diese Transportproteine ausgeschleust und somit offensichtlich auch physiologische Vorgänge beeinflusst werden (Tabelle 1) (2).

  

Tabelle 1: Charakterisierung einiger ABC-Transporter; modifiziert nach (2)

Name Synonym Größe (AS)Lokalisation im GewebesubzellulärPhysiologische Substrate P-gp (MDR1) ABCB1 1280 Epithelien von Darm, Leber, Niere, Blut-Hirn-Schranke apikal Glucosylceramide, PAF BCRP (MXR, ABCP) ABCG2 655 Placenta, Brust, Leber, Endothel apikal Steroidhormone MRP1 ABCC1 1531 zahlreiche Gewebe basolateral LTC4, GSSG, GSH, Steroidglucuronide MRP2 ABCC2 1545 Leber, Darm, Niere apikal Bilirubinglucuronid, GSSG, GSH, saure Gallensalze (Konjugate) MRP3 ABCC3 1527 Leber, Galle, Darm, Nebenniere basolateral saure Gallensalze (Konjugate) MRP4 ABCC4 1325 zahlreiche Gewebe basolateral und apikal (Niere) zyklische Nucleotide, GSH, Steroide, Prostaglandine, Gallensalze MRP5 ABCC5 1437 zahlreiche Gewebe basolateral zyklische Nucleotide, GSH MRP8 ABCC11 1382 Leber, Gehirn, Placenta nicht bekannt zyklische Nucleotide

AS: Aminosäuren; P-gp: P-Glykoprotein; MDR: Multidrug resistance; BCRP: Breast cancer resistance protein; MRP: Multidrug resistance associated protein; MXR: Mitoxantrone resistance; ABCP: ATP-binding cassette transporter in placenta; PAF: Plättchen-aktivierender Faktor; LTC4: Leukotrien C4; GSSG: oxidiertes Glutathion; GSH: reduziertes Glutathion

  

P-Glykoprotein und Hemmstoffe

P-Glykoprotein, das Produkt des humanen MDR1-(ABCB1)-Gens (MDR: Multidrug resistance), wurde als erstes Mitglied der Transporterfamilie identifiziert (3) und ist das wohl am besten untersuchte ABC-Transportprotein. Es besteht aus zwei Transmembrandomänen, an deren Anschluss sich je eine ATP-Bindungsstelle befindet. Die einzelnen Domänen können sich so zusammenlagern, dass eine Proteinpore entsteht, durch die die entsprechenden Substanzen hindurchgepumpt werden können (4). Die Energie, die für diesen üblicherweise gegen einen Konzentrationsgradienten gerichteten Ausschleusvorgang nötig ist, wird durch ATP zur Verfügung gestellt.

Auf der Grundlage kristallographischer Untersuchungen wurde als Alternative für den transmembranären Transport durch eine Kanalstruktur ein so genannter Flip-Flop-Mechanismus diskutiert bei dem Substrate von der inneren Membranschicht an den Transporter gebunden werden und durch Konformationsänderung an die äußere Membranschicht gelangen (5). Dieser Mechanismus könnte auch das ungewöhnlich breite Spektrum an hydrophoben Substanzen erklären, das durch dieses Transportprotein transportiert wird (Tabelle 2, nur in der Druck-Ausgabe).

Dass die Expression von P-Glykoprotein einen wichtigen klinischen Faktor für den Erfolg einer Chemotherapie darstellt, wurde in zahlreichen Studien deutlich. Zwischen 17 und 75 Prozent der Patienten mit erstmals diagnostizierter akuter myeloischer Leukämie (AML) weisen P-gp-positive Leukämiezellen auf; gerade bei diesen Patienten war die Remissionsrate verringert und die Überlebenswahrscheinlichkeit reduziert (6). In einer Studie der European Organization for Research and Treatment of Cancer (EORTC) an nicht vorbehandelten erwachsenen Patienten mit AML wurde darüber hinaus gezeigt, dass eine starke Expression von P-gp einen sehr hohen prognostischen Wert für ein Therapieversagen hat (7). Man erwartete daher, dass genau diese Patientengruppe von einer Hemmung der P-gp-Aktivität am meisten profitiert.

So unterschiedlich wie die P-gp-Substrate sind auch die Substanzen, die den Transporter hemmen (Tabelle 3). Die meisten, wenn nicht alle dieser Substanzen sind hoch lipophil, um durch die Zellmembran zu diffundieren und dann an die Substratbindungsstelle zu gelangen, wo sie entweder kompetitiv Substrate verdrängen oder durch sterische Hinderung deren Bindung beeinflussen (6). Es ist nicht überraschend, dass die Aktivität der Hemmstoffe stark variiert; dies hängt vom Ausmaß der Proteinbindung, dem Ort der P-gp-Hemmung und der Bindungsaffinität ab. Hinzu kommt, dass viele Verbindungen erst in einem Konzentrationsbereich wirksam werden, der für einen klinischen Einsatz nicht mehr realisierbar ist. Andere zeigen ein ungünstiges pharmakologisches Verhalten, zum Beispiel variable Resorption, ausgeprägte Plasmaproteinbindung, schlecht vorhersehbare Plasmaspiegel und inakzeptable Toxizität (8).

 

Tabelle 3: Hemmstoffe von P-Glykoprotein; modifiziert nach (6)

WirkstoffgruppeArzneistoffe (Beispiele) Antiarrhythmika Amiodaron, Chinidin, Chinin Antibiotika Ceftriaxon Calcium-Kanalblocker Diltiazem, Nifedipin, Verapamil Immunsuppressiva Cyclosporine Proteinkinasehemmer Imatinib-mesylat, Staurosporin Steroidhormone Progesteron, Tamoxifen

 

So gelangten von den ursprünglich identifizierten Substanzen nur Chinin und Cyclosporin A als Hemmstoffe von P-gp in die Phase III der klinischen Prüfung (9, 10). Sie wurden bei Patienten mit positivem P-gp-Phänotyp getestet. In zwei von fünf randomisierten Phase-III-Studien wurde eine reduzierte Therapieresistenz festgestellt; in drei Studien stiegen sowohl die Remissions- als auch die Überlebensrate signifikant an. Nur eine Studie erbrachte keine signifikante Verbesserung der Therapie durch den P-gp-Hemmstoff; hier war Cyclosporin A bei der Mehrzahl der Patienten allerdings stark unterdosiert (6).

Auf Grund dieser viel versprechenden Ergebnisse wurden P-gp-Modulatoren der zweiten Generation mit stärkerer Wirkpotenz, größerer Spezifität und höherer Affinität entwickelt. Von allen Verbindungen, die in die klinische Prüfung gelangten, beendete nur PSC833 (Valspodar®, Novartis) die Phase III der klinischen Prüfung. Dabei handelt es sich um ein Derivat des Cyclosporin D mit einer etwa zehnfach stärkeren Hemmwirkung auf P-gp als Cyclosporin A, jedoch deutlich geringeren nierenschädigenden und immunsuppressiven Eigenschaften (11). Jedoch wurden vier Phase III-Studien mit PSC833 entweder auf Grund fehlender positiver Zwischenergebnisse oder erhöhter Toxizität vorzeitig beendet oder verbesserten bei regulärer Beendigung die Therapie in Bezug auf Remission und Überlebensrate nicht (6).

Bei näherer Betrachtung des Studiendesigns fiel auf, dass sich dieses deutlich vom Design der Studien mit den Erstgenerationshemmern unterschied. Da PSC833 ähnlich wie Cyclosporin A in der Lage ist, Cytochrom-P450 3A4 in der Leber zu hemmen und somit die Bioverfügbarkeit von zahlreichen Zytostatika zu erhöhen, wurde die Dosis der in den PSC833-Studien verwendeten Zytostatika empirisch um 30 bis 50 Prozent reduziert, um toxische Plasmaspiegel zu vermeiden (6). Diese Wechselwirkung war in früheren Studien jedoch nur bei einem Teil der Patienten aufgetreten (12). Daher ist nicht auszuschließen, dass die Therapie bei einer signifikanten Anzahl an Patienten in den PSC833-Studiengruppen unterdosiert war.

Um größere Klarheit über die widersprüchlichen Ergebnisse zu erhalten, wurden mittels quantitativer Struktur-Wirkungs-Analysen und kombinatorischer Chemie P-gp-Hemmstoffe der dritten Generation entwickelt. Diese beeinflussen CYP 3A4 nicht mehr, hemmen aber P-gp hoch spezifisch und nicht-kompetitiv. In klinischer Prüfung befinden sich derzeit XR9576 (Tariquidar; Xenova), LY335979 (Zosuquidar; Ely Lilly), R101933 (Laniquidar) und ONT-093 (13). Diese Substanzen, die selbst nicht durch P-gp transportiert werden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Vergleich zu bekannten P-gp-Substraten eine sehr viel höhere Affinität besitzen und somit schlechter von ihrer Bindungsstelle verdrängt werden können, was zusätzlich zur Verlängerung der Wirkdauer führt (6). Inwieweit dies für eine Tumortherapie bei Leukämiepatienten vorteilhaft ist, muss sich in aktuellen klinischen Studien erweisen.

Der Halbtransporter BCRP

Das menschliche Breast Cancer Resistance Protein (BCRP, synonym ABCP, MXR, ABCG2) erhielt seinen Namen nach der erstmaligen Klonierung aus einer multiresistenten Brustkrebszelllinie, die gegen Doxorubicin und Verapamil selektioniert wurde, aber kein P-Glykoprotein überexprimierte (14). Unabhängig davon wurde BCRP in Zelllinien gefunden, die eine Resistenz gegen Mitoxantron aufwiesen (Mitoxantrone Resistance, MXR) (15), sowie in großen Mengen in placentarem Gewebe (ABC Placenta, ABCP) (16).

Im Gegensatz zu P-gp besteht BCRP nur aus einer transmembranären Domäne aus sechs Einheiten sowie einer ATP-Bindungsdomäne (17). BCRP gehört damit zu den Halbtransportern (half transporters), die erst dann aktiv werden, wenn sich zwei identische Untereinheiten zusammenlagern (18).

BCRP transportiert zahlreiche Substrate, die unter anderem bei Leukämien therapeutisch eingesetzt werden. Interessant ist hierbei, dass das Substratspektrum durch Mutationen in der Gensequenz des Transportproteins veränderbar ist. Ein Austausch von bestimmten Aminosäuren führt dazu, dass die Spezifität für Methotrexat verloren geht, während das Protein eine Spezifität für Doxorubicin gewinnt. Die Transportfähigkeit für andere Substrate wie Mitoxantron wird hingegen nicht beeinflusst (19). Wie allerdings eine Veränderung der Aminosäuresequenz zu einer solch dramatischen Veränderung der Spezifität von BCRP führen kann, ist noch nicht geklärt.

Welche klinische Relevanz BCRP für die Therapie von Leukämiepatienten hat, ist nicht eindeutig erwiesen. Zwar wird in der überwiegenden Mehrheit der an Leukämiezellen durchgeführten Studien eine Expression von BCRP gesehen, diese schwankt jedoch je nach Detektionsmethode und Art der Leukämie stark (20). Auch die Frage, ob die BCRP-Expression nach Versagen der Therapie erhöht ist, wird kontrovers diskutiert und ist nach aktueller Studienlage nicht eindeutig zu beantworten (20). Dessen ungeachtet versucht man, Hemmstoffe für BCRP zu finden.

Einen selektiven Hemmstoff stellt das Pilzgift Fumitremorgin C dar, das jedoch wegen seiner stark nervenschädigenden Eigenschaften nicht für einen klinischen Einsatz infrage kommt (21). Inwieweit neuere Substanzen wie das nicht neurotoxische Fumitremorgin-C-Derivat Ko143 (22), Estrogenderivate (23) oder die Tyrosinkinase-Hemmer CI1033 (gegen die HER-Familie) (24) und Imatinib (Gleevec®) (25) einen sinnvollen Beitrag zur Verhinderung von Resistenzen bei der Therapie von Leukämien leisten können, muss weiter untersucht werden.

MRPs in der Resistenzbildung

Lange Zeit wurde P-Glykoprotein als der einzige Arzneimitteltransporter angesehen, der in der Lage ist, Resistenzen gegenüber Tumortherapeutika zu vermitteln. Mit zunehmenden Befunden über Resistenzentwicklungen in Tumorzellen, die P-gp nicht exprimieren, wurde klar, dass noch andere Transportproteine existieren müssen. Dies führte zur Entdeckung von Multidrug Resistance Associated Protein (MRP), das heute als MRP1 bezeichnet wird (26).

In der Folge wurden weitere MRP-Transporter identifiziert, die die ABCC-Familie der ABC-Transporter bilden. Diese umfasst aktuell 13 Mitglieder (17). Einige sind allerdings nicht an der Ausbildung von Arzneimittelresistenzen beteiligt; dazu gehören ABCC7 (Cystic fibrosis transmembrane conductance regulator, CFTR), ein cAMP-regulierter Chloridkanal, dessen Funktionsverlust mit Mukoviszidose assoziiert ist, sowie die Oberflächenrezeptoren ABCC8 (SUR1) und ABCC9 (SUR2), die Sulfonylharnstoff-Derivate binden und Kaliumkanäle im Rahmen der Insulinsekretion regulieren. Vom erst kürzlich identifizierten ABCC13 wird angenommen, dass es ein nicht funktionelles Gen (»Pseudo«-Gen) darstellt (27). Von den übrigen neun Transportproteinen werden hier diejenigen vorgestellt, für die eine Bedeutung bei der Therapie von Leukämien besteht oder zu erwarten ist.

MRP1 bewegt lipophile Anionen

Das 1992 klonierte MRP1, auch ABCC1 genannt (26), ist zweifellos das am besten charakterisierte Transportprotein innerhalb der ABCC-Familie. Es ist aus 17 transmembranären Helices aufgebaut, die sich auf insgesamt drei Transmembrandomänen verteilen, wobei die dem Aminoterminus nächste Domäne aus fünf und die zwei folgenden aus je sechs Helices bestehen. Den Transmembrandomänen mit sechs Helices folgt jeweils eine ATP-Bindungsstelle (17).

Somit unterscheidet sich MRP1 sowohl strukturell als auch in seinem Substratspektrum von P-gp. Während P-Glykoprotein im Wesentlichen neutrale, lipophile Verbindungen transportiert, interagiert MRP1 mit lipophilen Anionen (Tabelle 4, nur in der Druck-Ausgabe) (28). Dies geschieht entweder nach Konjugation der Ausgangssubstanz mit Glutathion, wie für Cyclophosphamid, Chlorambucil, Melphalan und Thiotepa nachgewiesen, mit Glucuronsäure wie für den Irinotecan-Metaboliten SN-38 beschrieben oder im Cotransport mit freiem Glutathion, wie es bei Vinca-Alkaloiden, Anthracyclinen oder Epipodophyllotoxinen der Fall ist. Andere Substanzen, die selbst amphiphile Anionen darstellen wie Methotrexat oder Camptothecin-Derivate wie Irinotecan und sein Metabolit SN-38, werden hingegen auch unabhängig von Glutathion oder einer Konjugationsreaktion transportiert (17, 29).

Ähnlich wie bei P-gp schwankt auch die Expression von MRP1 in Leukämiezellen innerhalb der untersuchten Patientengruppen sehr stark (20). In den meisten Studien, die entweder die Bildung der MRP1-mRNA oder des MRP1-Proteins bestimmten, wurden keine Korrelationen mit der Remissions- oder der Überlebensrate gefunden (30). Dagegen haben Befunde aus funktionellen Untersuchungen der MRP1-Aktivität klar ergeben, dass eine hohe MRP1-Aktivität im Zusammenhang mit einer schlechten Prognose von AML-Patienten steht (31). In weiteren Untersuchungen wurde ferner gezeigt, dass die Remissionsraten weiter sinken, wenn MRP1 und P-gp gemeinsam aktiv sind.

Da also auch MRP1 einen Beitrag zur Resistenzentwicklung bei Leukämien zu leisten scheint, wurden Hemmstoffe gegen dieses Transporterprotein entwickelt. Je nach Wirkspektrum können sie in verschiedene Gruppen eingeteilt werden. So existieren Substanzen, die neben MRP1 generell organische Anionentransporter auch außerhalb der ABC-Familie blockieren, sowie solche, die nur verwandte ABC-Transporter hemmen. Hier spielen vor allem duale Inhibitoren eine Rolle, die neben MRP1 insbesondere P-gp blockieren. Neuere Substanzen wirken nur auf die MRP-Familie oder MRP1 (Tabelle 5) (17). Inwieweit diese Hemmstoffe die Therapie resistenter Leukämien im klinischen Alltag günstig beeinflussen, bleibt abzuwarten.

 

Tabelle 5: Hemmstoffe von MRP1; modifiziert nach (17)

Hemmstoff vonSubstanz (Beispiel) organische Anionentransporter Probenecid, Sulfinpyrazon, Indometacin MRP1 und P-Glykoprotein Agosterol A, Verapamil, Cyclosporin A, Genistein, Quercetin, RU 486, Budesonid MRP-verwandte Transporter MK571, Glibenclamid

  

MRP2 und -3 bei Kindern wichtig

Hinsichtlich Struktur und Substratspektrum sind MRP2 (ABCC2) und MRP3 (ABCC3) dem Transporter MRP1 vergleichbar. Sie besitzen ebenfalls zusätzlich zur Grundstruktur der ABC-Transportproteine eine weitere Transmembrandomäne am Aminoterminus (17, 29).

Das Substratspektrum von MRP2 umfasst ebenso wie bei MRP1 Vinca-Alkaloide, Epipodophyllotoxine sowie Anthracycline, die eines Cotransports mit Glutathion bedürfen (17), während Methotrexat und Irinotecan (32) unverändert und unabhängig von Glutathion transportiert werden. Im Gegensatz zu MRP1 wurde jedoch ein Zusammenhang zwischen der Überexpression von MRP2 und einer Cisplatin-Resistenz gefunden (33). MRP3 transportiert bevorzugt Glucuronide (34), Glutathion-Konjugate dagegen nur mit geringer Affinität und vermittelt nur noch eine Resistenz gegen Etoposid, Teniposid und Methotrexat (35).

Sowohl MRP2 als auch MRP3 werden in Blastenzellen von Leukämiepatienten exprimiert, wobei die Variabilität ähnlich wie bei MRP1 hoch ist (36). Während für MRP2 allein keine Assoziation mit dem Therapieerfolg gefunden wurde, war die Gesamtüberlebensrate von pädiatrischen Leukämiepatienten, deren Blasten MRP3 hoch exprimierten, deutlich schlechter als bei Kindern mit niedrigem MRP3. Dies galt auch, wenn die Transporter MRP2 und MRP3 gemeinsam betrachtet wurden (37, 38).

Dies bedeutet, dass die Expression von MRP3 eine wichtige Rolle bei der Resistenzentwicklung von kindlichen Leukämien spielt und spezifische Hemmstoffe somit sehr hilfreich sein könnten.

Transporter für Nucleoside

Im Gegensatz zu MRP1, -2 und -3 bestehen die Proteine MRP4, -5 und -8 (synonym ABCC4, -5 und -8) nur aus insgesamt zwölf transmembranären Segmenten, die in zwei Transmembrandomänen zusammengefasst sind, sowie zwei Nucleotid-Bindungsstellen. Darin ähneln sie dem P-Glykoprotein und repräsentieren damit die Zentralstruktur der ABC-Transporter.

In ihrem Substratspektrum unterscheiden sich MRP4, -5 und -8 jedoch grundlegend von den anderen Transportproteinen der MRP-Familie, da sie vorzugsweise nucleosidische Verbindungen transportieren (Tabelle 6, nur in der Druck-Ausgabe) (17, 29, 39). Dazu gehören vor allem 6-Mercaptopurin und 6-Thioguanin, die nach Aufnahme in die Zelle zu den aktiven phosphorylierten Verbindungen verstoffwechselt werden. Diese Bioaktivierung erfolgt über mehrere Zwischenprodukte, die zum Teil mit ähnlicher Affinität von MRP4 und MRP5 transportiert werden, zum Teil aber exklusive Substrate für nur einen Transporter sind (40).

MRP4 ist darüber hinaus in der Lage, Methotrexat (41) und Topotecan (42) zu transportieren. Für MRP5 werden als weitere Substrate Methotrexat und glutamatierte Methotrexat-Derivate (43) sowie 5-Fluoruracil, Gemcitabin und Cytarabin diskutiert (39). Über das Substratspektrum von MRP8 ist noch sehr wenig bekannt, da dieser Transporter erst kürzlich identifiziert wurde. Man hat aber bereits Transportaktivitäten für verschiedene Metabolite von 5-FU gefunden (44).

Obwohl zurzeit noch keine Daten zur klinischen Relevanz der Transporter MRP4, -5 und -8 bei der Entstehung von Resistenzen vorliegen, legt das bisher bekannte Substratspektrum eine solche Rolle nahe, da Nucleosid-Analoga gerade bei Leukämien weitläufig Anwendung finden. Zudem transportieren die drei Proteintypen neben den Nucleosid-Analoga auch die endogenen zyklischen Nucleotide cAMP und cGMP, wobei MRP4 für cAMP (45) und MRP5 für cGMP die jeweils höhere Affinität besitzen (46).

Der Transport von cAMP und cGMP lässt auf eine physiologische Funktion von MRP4, -5 und -8 schließen, da sie die zyklischen Nucleotide sowohl einer extrazellulären Funktion zuführen als auch die intrazelluläre Konzentration und damit wesentliche Signalwege kontrollieren. Während deren Funktion in gesundem Gewebe sehr gut charakterisiert ist, gibt es nur wenige Hinweise für die Leukämie. Es wurde jedoch gezeigt, dass hohe Spiegel an zyklischen Nucleotiden in Leukämiezellen die Fähigkeit zum programmierten Zelltod unterdrücken und somit die Ausbildung einer Resistenz fördern können (47). Inwieweit sich diese Mechanismen gegenseitig beeinflussen und klinisch relevant sind, wird derzeit in einem von der Deutschen Krebshilfe geförderten Projekt in der Arbeitsgruppe des Autors untersucht.

Es wäre aber in jedem Fall von großem Nutzen, neben den unspezifischen P-Glykoprotein-Hemmstoffen spezifische Inhibitoren zu entwickeln, um den Einfluss der Transportproteine MRP4, -5 und -8 auf die Therapie mit Nukleosid-Analoga untersuchen zu können.

Kombinierte Therapieansätze

Transportproteine spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Resistenzen während einer Tumortherapie. Jedoch reicht die Betrachtung eines einzelnen Transportproteins nicht aus, um die beobachteten Resistenzeffekte zu beschreiben. Beispielsweise werden im Lauf der Aktivierung der Antimetaboliten 6-Mercaptopurin und Thioguanin verschiedene Zwischenstufen von den Transportproteinen MRP4 und -5 mit unterschiedlicher Affinität transportiert.

Ein ähnliches Muster findet man bei der Aktivierung des Folsäureantagonisten Methotrexat, das als Polyglutamat die DNA-Synthese hemmt. Die Ausgangsverbindung wird von den Transportern MRP1 bis -5 sowie BCRP transportiert. Mit fortschreitender Konjugation von Methotrexat mit Glutamatresten sind aber nur noch MRP5 und BCRP in der Lage, diese Verbindungen aktiv aus der Zelle zu entfernen. Dies hat zur Folge, dass durch MRP1 bis -4 vor allem Resistenzen gegenüber kurzen, hoch dosierten Methotrexat-Gaben ausgebildet werden, während bei niedrig dosierten kontinuierlichen Methotrexat-Gaben keine Resistenzen auftreten, da in dieser Situation Methotrexat relativ rasch zu seinen glutamatierten Metaboliten verstoffwechselt und dadurch den Transportern MRP1 bis -4 als Substrat entzogen wird (29).

Gleiches gilt für den prognostischen Wert von Transportproteinen für den Erfolg einer Chemotherapie. Die Betrachtung von mehreren Transportproteinen, zum Beispiel die gemeinsame Aktivität von P-Glykoprotein (MDR1) und MRP1 (48) oder die Expression von MRP2 und -3 (38), lässt unter Umständen deutlichere Aussagen zu als die Beurteilung nur eines Transporters. Es lohnt sich daher, mehr Gewicht auf die Untersuchung von Transportermustern zu legen und Hemmstoffe zu entwickeln, die gezielt die Aktivität verschiedener Transportproteine unterdrücken können.

Parallel zur Entwicklung spezifischer Hemmstoffe werden auch neue Wege durch den Einsatz von Antisense-Oligonucleotiden beschritten, die die Bildung von Transportproteinen schon auf der Ebene der mRNA hemmen sollen. Die Kombination von liposomal verpacktem Doxorubicin und Antisense-Oligonucleotiden gegen MRP1 sowie gegen das anti-apoptotisch wirkende Bcl-2, einen weiteren transporterunabhängigen Resistenzmechanismus (49), war zumindest im Zellsystem viel versprechend. Dies zeigt, dass eine Kombination herkömmlicher Therapien mit neuartigen Therapieansätzen gegen transporterabhängige Resistenzen sinnvoll sein kann.

  

Literatur beim Verfasser

 

Der Autor

Christoph A. Ritter begann nach dem Pharmaziestudium 1997 eine Promotion am Dr.-Margarete-Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie in Stuttgart unter der Leitung von Professor Heyo K. Kroemer. Mit dessen Ruf wechselte er Ende 1998 an das Pharmakologische Institut der Universität Greifswald, wo er 2000 seine Promotion abschloss. Ein zweijähriger Forschungsaufenthalt als Stipendiat der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung führte ihn an die Vanderbilt-University in Nashville, Tennessee/USA, wo er Fragen zur Signaltransduktion von Wachstumsfaktoren beim Mammakarzinom bearbeitete. Seit Anfang 2003 ist er wieder am Institut für Pharmakologie der Universität Greifswald tätig und wurde hier im November 2003 zum Juniorprofessor für Klinische Pharmazie ernannt. Wissenschaftlich arbeitet Ritter vorrangig an der Verbesserung der Tumortherapie, unter anderem durch die Modulation von Faktoren der Therapieresistenz, im besonderen Transportproteine.

 

Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. Christoph A. Ritter
Institut für Pharmakologie und Institut für Pharmazie
Peter-Holtz-Research-Center of Pharmacology and Experimental Therapeutics
Friedrich-Loeffler-Straße 23D
17487 Greifswald
ritter@uni-greifswald.de
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