PZ-Redakteur Richard Brieger und die Anfänge der Pharmazie |
23.06.2003 00:00 Uhr |
In diesem Jahr feiert die Hochschulpharmazie der Hebräischen Universität Jerusalem ihr 50-jähriges Bestehen. An der Etablierung des Faches in der dreimal Heiligen Stadt haben deutschsprachige Apotheker einen herausragenden Anteil.
Die ersten Bemühungen begannen im Schicksalsjahr 1933 und sind eng mit zwei Namen verbunden: dem Botaniker Professor Dr. Otto Warburg und dem Apotheker und Pharmaziejournalisten Dr. Richard Brieger. Ihnen wäre die Institutionalisierung des Faches im Gelobten Land fast geglückt.
Über die letzte - erfolgreiche - Phase der Etablierung des Faches als Teil der Medizinischen Fakultät wurde anlässlich des FIP-Kongresses 1996 in Jerusalem berichtet (1). Besonderen Anteil an der Institutionalisierung hatte der 1999 verstorbene Kollege Dr. Josua Kohlberg, der während dieser Tagung hochgeehrt wurde, sowie der aus Görlitz stammenden Gründer der inzwischen auch in Deutschland vertretenen Firma Teva, der 1968 verstorbene Günther Friedländer.
Begonnen hatten die Bemühungen 1933 mit Professor Otto Warburg (1859 bis 1938) und Dr. Richard Brieger (1887 bis 1938). Die Geschichte des Scheiterns ihres Vorhabens konnte vor vier Jahren anhand von Unterlagen des Universitätsarchivs auf dem Jerusalemer Skopusberg rekonstruiert werden. Aus Gründen der zeitgeschichtlichen Authentizität werden hier einige längere Zitate referiert.
Warburgs erste späte Versuche
Der aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie stammende Berliner Tropen- und Kolonialbotaniker Otto Warburg hatte bereits nach Abschluss seiner Ostasienexpedition (1886 bis 1889) enge Beziehungen zur neu gegründeten Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft und ihrem ersten Präsidenten Hermann Thoms (1859 bis 1931) geknüpft. Diese schlugen sich in zwei Vorträgen nieder, die der Botaniker und Zionistenführer – Präsident der zionistischen Weltorganisation von 1911 bis 1920 - bei seinem pharmazeutischen Kollegen hielt.
Warburg begriff die Pharmazie, insbesondere die Pharmakognosie, als “angewandte Botanik“ in dem Sinn, dass sie sich mit den pharmakologischen Wirkungen von Pflanzeninhaltsstoffen beschäftigt und sich zielgerichtet aus dem Pflanzenreich die Gruppe arzneilich verwendbarer Gewächse nutzbar macht. Zu einer Zeit, als die Stoffsynthese in den Anfängen steckte, definierte er die Pharmakognosie als Hilfsdisziplin der Botanik (2).
So verwundert es nicht, dass der Gelehrte - nach der Installierung von Botanik, Zoologie und Geologie unter seiner Regie an der jungen Hebräischen Universität und der bereits im Eröffnungsjahr 1923 erfolgten Etablierung von Chemie und Biochemie - die Einrichtung eines pharmazeutischen Studienganges als dringend notwendig erachtete. Da Warburgs Hauptarbeitsgebiet, die Tropenbotanik, nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland praktisch bedeutungslos geworden war, hatte er sich 1921 von der zionistischen Weltorganisation verpflichten lassen, eine landwirtschaftlich-botanische Versuchsstation in Tel Aviv zu eröffnen. Diese erwies sich später als Keimzelle der Biowissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Bereits nach seiner Fundraising-Tour in die USA 1923 hatte der Botaniker von der Mobilisierung jüdischer Mitglieder solcher Berufsgruppen berichtet, deren Ausbildungsgang an der Hebräischen Universität eingerichtet werden sollte (3): “Außer den Ärzten sind auch die jüdischen Zahnärzte, Apotheker, Drogisten und Chemiker in den Vereinigten Staaten organisiert worden, und man hofft, jährlich die Gelder für mindestens ein Institut aufzubringen.“
In den folgenden Jahren setzten Warburg und der spätere Präsident Israels, der Chemiker Chaim Weizmann, als Spiritus Rectores der “Faculty of Science“ andere Prioritäten. Warburg verstärkte seine Anstrengungen, eine Ausbildung für angehende Apotheker zu schaffen, erst zehn Jahre später als Emeritus. Doch da war sein Einfluss in den Führungsgremien der Hebräischen Universität bereits geschwächt. Gelder für neue Studiengänge fehlten nicht zuletzt auf Grund der beginnenden Masseneinwanderung aus Mitteleuropa (4).
1933 ging der Berliner Gelehrte, der jedes Jahr nur wenige Monate in Palästina verbrachte, in einem an den Kanzler Jehuda Magnes gerichteten Schreiben auf das Projekt “Fakultät für Pharmazie“ ein (5):
„Dass Sie und die Universität auch grosse Sorgen haben, weiss ich. Es tut mir leid, jetzt den Plan einer pharmaceutischen Fakultät, von der ich mir sehr viel verspreche, nicht persönlich vorlegen zu können. [...] Das verlockende ist, dass neue Lehrkräfte ausser 2 Assistenten dafür nicht nötig sind, wohl dagegen Arbeitsräume und ein viel grösserer Collegesaal, was beides aber vorläufig als Baracke gemacht werden kann. [...] Diese Fakultät würde sehr bald Hunderte von Studenten anziehen.“
Warburg fügte eine Zeichnung hinzu, auf der ein runder Seminarraum skizziert ist, der von einem pharmazeutisch-chemischen und einem pharmakognostischen Labor begrenzt wird.
Ein möglicher Kandidat
Während eines Aufenthalts in Genf erbat Kanzler Magnes, der als liberaler amerikanischer Rabbiner in dieses Amt berufen worden war, von Paul Wolff den Hinweis auf eine geeignete Persönlichkeit für den in Erwägung gezogenen Pharmazeutischen Lehrstuhl in Jerusalem. Wolff, Privatdozent an der Berliner Universität und Mitarbeiter an Hermann Thoms‘ “Handbuch der wissenschaftlichen und praktischen Pharmazie“, nannte wenig später Richard Brieger (Breslau 1887 bis 1937 Berlin). Dieser war Pharmaziejournalist und Redakteur der Pharmazeutischen Zeitung bis zu deren Gleichschaltung (6) durch die Nationalsozialisten. Wolf schrieb (7):
“Dr. Brieger has been for some years the scientific editor of the Pharmazeutische Zeitung, a very highly estimed journal on Pharmacy, but he is now discharged on account of his beeing a jew. He is a graduate pharmacist (approbierter Apotheker) with personal experience in technical subjects of pharmacy. He is a middle-aged man. I have known him personally for years and I esteem him an excellent, didgent, assidous and scrupulous worker, with an unimpeachable and fine character.”
Brieger bewirbt sich
Der in Breslau gebürtige Brieger hatte in seiner Heimatstadt studiert und war dort auch zum Dr. phil. promoviert worden. Nachdem er einige Zeit bei einer pharmazeutisch-chemischen Fabrik gearbeitet hatte, trat er 1926 als Wissenschaftsjournalist in die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung ein. In dieser Funktion publizierte Brieger mehrere Fachbücher. Im Auftrag seines Arbeitgebers edierte er das „Manual der Pharmazeutischen Zeitung“, in dem er pharmazeutische, kosmetische, chemisch-technische sowie Vorschriften für Genussmittel wie Limonaden und Liköre zusammenfasste (8).
Der Kanzler ließ Brieger ausrichten, sich an der Universität zu bewerben und sich gleichzeitig mit Otto Warburg ins Benehmen zu setzen, um sich mit dem Gelehrten über die projektierte Stelle auszutauschen (9). Brieger wandte sich am 10. Juli 1933 in deutscher Sprache an Magnes, nachdem er sich für eine unzureichende Beherrschung des Englischen entschuldigt hatte (10):
„Ich bitte […] Euer Magnificens, mich um die Dozentur für Pharmazie an der Universität Jerusalem bewerben zu dürfen […]. Ich hatte ursprünglich die Absicht, die Dozentenlaufbahn einzuschlagen, musste aber als Jude davon Abstand nehmen, da ich die Taufe verweigerte. Ich glaube aber durch eine Reihe meiner Werke meine Lehrbegabung erwiesen zu haben. Meine “Grundzüge der praktischen Pharmazie“ werden allgemein als Unterrichtswerk anerkannt und benutzt und meine “Anleitung zur Erkennung der Arzneimittel“ wird an fast allen deutschen Universitäten und in zahlreichen Apotheken ständig gebraucht. Ich darf mich auch ohne Übertreibung als einen guten Kenner der Arzneibücher aller Länder bezeichnen. Ich kenne auch die deutsche sowie die englische Apotheken-Gesetzgebung gut, sodass ich als Berater für den Ausbau des palästinensischen Apothekenwesens gute Dienst leisten könnte. […] Ich kann Eurer Magnificens mit aufrichtigem Herzen versprechen, dass ich ein eifriger Lehrer und ein unermüdlicher Forscher sein würde, wenn mir die Stelle übertragen wird.“
Flankierend bat Brieger den nach Holland geflüchteten Vorstandsvorsitzenden der Hamburger Arzneimittel- und Verbandstofffabrik Beiersdorf, Dr. Willy Jacobsohn (1884, Stolp/Pommern, bis 1963, Los Angeles), um Protektion (11).
Nach dem Bewerbungsgespräch Briegers bei Warburg unterstützte auch der Botaniker dem Kanzler gegenüber Briegers Bewerbung mit einer kurzen Stellungnahme (12):
“Ich glaube, er wäre eine besonders geeignete Kraft für die Universität, da er nicht nur Wissenschaftler ist, sondern auch in der pharmaceutischen Technik sehr bewandert ist und durch seine ausgezeichneten Verbindungen den ausgebildeten Studenten sehr nützlich sein kann. Da er, wie mir sein Verleger Dr. Julius Springer mitteilt, auch gut reden kann und journalistisch sehr bewandert ist, so würde er der Universität auch propagandistisch sehr nützlich sein können. Ich glaube nicht, dass man eine geeignetere Kraft für das Fach der Pharmazie finden kann.“
Gute Beurteilungen
Weitere zwei Wochen später berichtete Warburg dem Kanzler über ein persönliches Gespräch mit dem Apotheker, der weitere Empfehlungsschreiben beibrachte. So hielt Otto Anselmino (13), außerordentlicher Professor für Pharmazeutische Chemie an der Berliner Universität, Brieger für “wissenschaftlich und organisatorisch geeignet für eine entsprechende Lehrstelle an der Universität in Jerusalem“ (14). Er, Warburg, habe sich an die Zentralstelle für jüdische Wirtschaftshilfe, die seinerzeit die Daten von 500 arbeitslosen jüdischen Dozenten verwaltete, wegen weiterer Personalvorschläge gewandt und keinen geeigneteren Kandidaten gefunden.
Der Botaniker machte den Kanzler vorab mit Ideen und Vorschlägen des Bewerbers sowie seinen eigenen Konzepten für die Ausgestaltung des pharmazeutischen Studienplans vertraut (15):
“Er zweifelt nicht, dass er, da er hier in Deutschland bei allen Pharmaceuten durch seine Zeitschrift und Bücher des täglichen Gebrauchs bekannt ist, eine grosse Anzahl deutscher Studenten, denen hier ja die pharmaceutische Karriere unmöglich gemacht wird, hinüberziehen wird. Er würde, da er durch seine Redaktion auch die auswärtigen pharmaceutischen Lehrpläne kennt bzw. sich verschaffen kann, den für uns passendsten - vermutlich unter Angleichung an England - vorschlagen bzw. einrichten können. Er hält übrigens ein 3jähriges Studium, das jetzt fast überall gilt, für das auch für uns geeignetste.“
Brieger halte eine jährliche Studentenzahl von 100 für möglich. Wenn er auch vorläufig die Teilnahme der Pharmaziestudenten an den qualitativen und quantitativen chemischen Übungen der allgemeinen Naturwissenschaftler für tolerabel erachte, gebe er einem besonderen Laboratorium unter chemisch-pharmazeutischer Leitung den Vorzug (16):
“Sollte es möglich sein, Dr. Brieger schon jetzt herüberkommen zu lassen, so könnte man vielleicht schon jetzt auch mit dem pharmaceutischen Unterricht beginnen. In diesem Falle würden die zuerst ja nur wenigen Studenten der Pharmacie an dem neuen Cyclus der Biologie teilnehmen unter Mitwirkung von Dr. Brieger. Dieser würde dann alsbald ein vorläufig behelfsmässiges chemisches Laboratorium einrichten, ev. in einem Mietshaus in der Stadt, falls es auf dem Skopus nicht möglich sein sollte. Man würde dann Zeit haben, bis nächsten Oktober die definitiven Laboratorien der pharmaceutischen Chemie und Pharmacognosie einzurichten in der Grösse, wie es sich die Universität leisten kann. Ich möchte annehmen, dass für das jetzt beginnende Jahr für 10 - 20 Pharmaciestudenten in den vorhandenen chemischen und botanischen Laboratorien Platz ist, und sicher auch in den für die biologischen Kurse zur Verfügung stehenden Hörsälen, und eine solche Anzahl würde wahrscheinlich schon momentan in Palästina zur Verfügung stehen. Sollte, wie ich glaube, bei Bekanntwerden des Planes sich eine grosse Anzahl maturareifer Studenten aus Europa melden, so würde man dann freilich ein behelfsmässiges chemisches und wohl auch botanisches Laboratorium einrichten müssen, die aber wohl schon im Dezember gebrauchsfähig sein könnten.“
Nur einen Tag später gab auch Brieger dem Kanzler ein Resümee des Gesprächs zwischen ihm und Warburg. Der Apotheker referierte, dass Warburg ihn um eine überschlägige Kostenaufstellung für das zu etablierende Institut gebeten habe. Er könne jedoch ohne Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten diesbezügliche Zahlen nicht nennen (17).
“Viel eher scheint es mir möglich, sich bei der Einrichtung eines solchen Instituts den gegebenen Mitteln anzupassen, da eine Einrichtung zunächst auf einfacher Basis getroffen werden könnte und ein Ausbau sich später anschliessen kann. Es wäre auch für den Anfang durchaus möglich, die bereits vorhandenen Einrichtungen für den Unterricht in Chemie und Botanik soweit auszunutzen, dass der im Lehrplan für Pharmazie vorgesehene allgemeine Unterricht in Chemie und Botanik vorweggenommen würde und der im Laufe des weiteren Ausbildungsganges sich anschließende Spezialunterricht in den für Apotheker besonders wichtigen Fächern folgen könnte. […] Für das pharmazeutische Studium sind besonders kostspielige Einrichtungen wohl überhaupt nicht notwendig, da der Apotheker bestrebt sein muss, seinen Beruf mit möglichst einfachen Mitteln ausüben zu können.“
Disput über die Zuordnung
Der Ausblick Briegers, ohne größere Investitionen einen pharmazeutischen Studiengang einrichten zu können, veranlasste den Kanzler, eine Kommission aus Professoren der “Faculty of Science“ zur Beratung über dieses Projekt einzusetzen (18). Nach weiteren vier Wochen lagen Magnes die schriftlichen Stellungnahmen der Professoren Andor Fodor, Department of Biological and Colloidal Chemistry, und Israel Jacob Kligler, Department of Bacteriology and Hygiene, vor. Fodor unterstützte vorbehaltlos das Anliegen und den Personalvorschlag Warburgs (20):
“Nach eingehender Prüfung der über Dr. Brieger eingelaufenen Expertisen glaube ich, dass wenn überhaupt das Fach Pharmazie bei uns eingeführt werden sollte, er der geeignete Kandidat für jenes ist. Dr. Brieger ist kein Grenzgebietler, kein Chemiker, sondern ein erfahrener Pharmazeut, der jene Gebiete (Chemie, Pharmakologie) als seine Grenzgebiete beherrscht. Einer der Experten Dr. Briegers, Dr. Urdang (19), Redakteur der Pharm. Ztg. Berlin, befindet sich zur Zeit hier [...]. Von ihm werden Sie das gleiche hören.“
PZ-Chefredakteur Georg Urdang Georg Urdang (1882 bis 1960) war Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung und durfte trotz seiner jüdischen Herkunft 1933 für eine begrenzte Zeit seine Tätigkeit bei der Zeitschrift fortsetzen. Brieger schrieb an Willy Jacobsohn über seinen Kollegen Urdang: "Herr Dr. Urdang ist noch in der Pharm. Ztg. tätig, er ist jetzt etwas einsam dort." (WA, Brieger an Jacobsohn, 16. 9. 1933.) Der Fachjournalist und Pharmaziehistoriker wanderte später in die USA aus, studierte in New York erneut Pharmazie und gründete das renommierte “Institute of the History of Pharmacy“ in Madison/Wisconsin (19).
Der Mikrobiologe Kligler legte zur Institutionalisierungsfrage die konträre Ansicht des “Medical Committee“ dar, das die Pharmazie gerne unter den Auspizien der Medizin gesehen hätte (21):
“It would be desirable if pharmaceutics could be combined with pharmacology as a section in a Department of Pharmacology. If that is not to be the case then the medical committee does not feel competant to consider the question and suggests that the matter be referred to the Chemists and Botanists.“
Als Reaktion ergänzte Fodor am 30. Oktober 1933 seine Stellungnahme und wiederholte den Standpunkt, die pharmazeutische Ausbildung müsse, insbesondere in Palästina, einem erfahrenen Pharmazeuten anvertraut werden (22). Fodor begründete diese, im damaligen Deutschen Reich nicht flächendeckend erfüllte Conditio sine qua non für die Erfordernisse der Hebräischen Universität (23):
“Die Pharmazeutische Wissenschaft ist eine solche sui generis und keine Nebenbeschäftigung eines Pharmakologen. An Hochschulen, wo ein Pharmakologe schon da ist, muß man sich seiner mit Vorteil bedienen. Die Hauptsache bleibt jedoch der Pharmazeut. [...] Diese ist eine angewandte Wissenschaft, wobei die Pharmakologie nur eines von mehreren Anwendungsgebieten (Grenzgebieten) ist.“
Vorschlag für ein Curriculum
Unterdessen richtete Magnes ein Schreiben an Brieger, indem er ihn wissen ließ, dass die Frage der Pharmazie sich noch im Prüfungsstadium befinde und man Georg Urdang aufgefordert habe, ein Memorandum zu erstellen. Dieser sei überzeugt, ein spezielles pharmazeutisches Laboratorium sei bereits für die ersten Semester erforderlich. Unter den gegebenen Umständen seien nicht alle Kollegen sicher, dass die erforderlichen Ausgaben aufgebracht werden könnten. Als Entscheidungshilfe bat Magnes um Zusendung eines Budgetvorschlags und eines vier Studienjahre umfassenden Lehrplans.
Dieser Aufforderung kam der Apotheker umgehend nach und legte, ermutigt durch Urdangs Vorschläge und unter Verkennung der begrenzten Möglichkeiten der jungen Hochschule, ein Memorandum vor, das entgegen seiner ersten Ankündigung umfangreichen Raumbedarf implizierte. Briegers “Entwurf eines Ausbildungsganges für Pharmazeuten“ (25) sah ein aus drei Hauptteilen bestehendes Curriculum vor. Dieses deckte sich weitgehend mit einem Entwurf des “Fachgruppenvorsitzenden der deutschen Pharmazeutenschaft“, Walter Stief, der 1926 im Rahmen der Diskussion um eine Vollakademisierung der Pharmazie eine sechsjährige Ausbildung postuliert hatte und für eine Aufteilung des viersemestrigen Studiengangs in ein je dreisemestriges Grund- und Hauptstudium eingetreten war (26).
Abweichend schlug Brieger drei bis vier Halbjahre für die “allgemeinen Grundlagen der Pharmazie in Chemie, Botanik und Physik“ sowie vier bis fünf Halbjahre für eine “speziell pharmazeutische Universitätsausbildung“ vor. Auf eine Assistententätigkeit in der Apotheke nach Abschluss des Studiums verzichtete er. Er hielt das Grundstudium in vorhandenen Räumlichkeiten für möglich, unterlag jedoch der Fehleinschätzung, es sei sinnvoll, das Wünschenswerte zu formulieren und sich nicht auf das Unabdingbare zu beschränken (27):
“Für die allgemein-chemischen Vorlesungen und Uebungen wäre es allerdings das beste, wenn sie von Beginn an durch einen besonderen Pharmazie-Dozenten im besonderen Laboratorium abgehalten werden könnten, da dann von Beginn an der ganze Anlageplan pharmazeutisch eingestellt werden könnte. Man müsste also über einen eigenen Hörsaal, über ein eigenes chemisches Laboratorium und ein besonderes pharmakognostisches Laboratorium verfügen können. Wenn Pharmakologie und Bakteriologie bereits dort gelehrt wird, so wäre der Unterricht in diesen Fächern im Rahmen der vorhandenen Einrichtungen voraussichtlich möglich, andernfalls wäre zum mindesten für die bakteriologischen (Sterilisierübungen) Arbeiten ein Sondereinrichtung zu schaffen.“
Zusammenfassend reklamierte Brieger drei Laboratorien für pharmazeutisch-chemische Praktika, einen Hörsaal “mit anschliessendem Raum für die Sammlung der Experimentiergeräte, der Chemikalien und der Drogen, die für die Vorlesungen benötigt werden“, einen Wägeraum sowie einen Raum für bakteriologische Übungen. Nicht zuletzt mahnte er einen “unbedingt nötigen Raum für den Dozenten“ an.
Absage aus Jerusalem
Obwohl unterdessen zahlreiche Empfehlungsschreiben für Brieger in Jerusalem eingetroffen waren - darunter ein umfangreiches “Gutachten über die wissenschaftlichen Leistungen des Herrn Dr. Richard Brieger“ (28) des Wiener Pharmakognosten Richard Wasicky (29) - erteilte der Kanzler dem Berliner Apotheker umgehend eine Absage (30).
“I would say that to my very great regret it seems impossible to begin work in Pharmaceutics at the University on account of the great demand for room, which in accordance to your letter is necessary for this purpose. Our University is still small and poor and we had thought, that it might be possible to begin with pharmaceutics without the necessity of building new laboratories and lecture-rooms. We thank you for the trouble you have taken in giving us the benefit of your ideas and we wish you much success in whatever work you undertake.“
Experten intervenieren
Ende November informierte Brieger Warburg über den negativen Bescheid aus Jerusalem. Auch Magnes hatte dem Botaniker sein Bedauern darüber ausgedrückt (31),
“that we could not […] continue the negotiations because Dr. Brieger demands too much space and we cannot comply with his request. We have decided to defer the question of Pharmaceutics for some later and more suitable date.“
Der Gelehrte erkannte, dass nurmehr über das von Chaim Weizmann geleitete Londoner “Central Bureau for the Settlement of German Jews“ der “Jewish Agency for Palestine“ ein letzter Hebel zur Durchsetzung der Pläne anzusetzen war (32). Zunächst formulierte Brieger auf Anraten von Warburg an den Zionistenführer einen Bittbrief unter Hinweis auf seine privaten Verhältnisse (33).
“Ich bedaure diesen Bescheid des Herrn Rektors auf das Tiefste, denn ich hatte gehofft, dass sich Mittel und Wege finden lassen würden, um diese für das Land und die Sache sicher segensreichen Einrichtungen zu schaffen. Ich bedaure diesen Bescheid aber auch in meinem Interesse, denn ich hätte nicht nur ein Arbeitsgebiet gefunden, dem ich mich mit Begeisterung hätte widmen können, sondern ich hätte so auch die schwere Sorge um die Existenz meiner Familie behoben. Sehr geehrter Herr Professor, ich bitte Sie daher inständig, helfen Sie mir dabei, eine neue Existenz aufzubauen.“
Auch Warburg intervenierte bei Chaim Weizmann, dem designierten Leiter des privat finanzierten Daniel-Sieff-Instituts (heutiges Weizmann-Institut), zugunsten eines pharmazeutischen Studiengangs (34).
“Es tut mir besonders schon deshalb leid, weil ich fürchte, dass uns diese besonders geeignete Kraft verloren geht, weil seine pekuniären Verhältnisse (Frau 2 Kinder) ihn zwingen, sobald wie möglich irgendetwas anzunehmen. Ich möchte Ihnen nun nahelegen, ob es nicht möglich ist, in Verbindung mit Ihrem Institut ein Übergangsstadium zu schaffen. [...] Ich denke mir die Sache folgendermaßen. Er wird vorläufig mit einem notdürftigen Gehalt bei Ihnen arbeiten und gleichzeitig wird der Versuch gemacht, von den Hilfsgeldern in London die für die Einrichtung des Laboratoriums nötigen Gelder zu erlangen. Ich bin der Ansicht, dass es für die deutsche Einwanderung ebenso wichtig ist, das Laboratorium zu bauen bzw. ein solches einzurichten wie neue Schulhäuser und Dormitorien [...] zu errichten, da auf diese Weise Hunderte (Ich erwähnte Ihnen wohl schon mündlich, dass im vorigen Jahr an den beiden Prager Universitäten nicht weniger als 400 jüdische Pharmaceuten studierten) junger deutscher Juden in den Stand gesetzt werden, sich in Palästina für einen Lebensberuf vorzubereiten. Denn selbst wenn auch nur ein Teil sich Apotheken wird verschaffen können, so werden doch sehr viele in Drogengeschäften Unterkunft finden und auch zum Teil selbst solche errichten können, nicht nur in Palästina selbst, sondern auch in den Nachbarländern, Nord und Ostafrika, ja vielleicht sogar in Süd- und Ostasien, auch Südafrika.“
Warburg räumte selbst ein, dass mit einer rein biologischen Ausbildung, wie sie an der Hebräischen Universität angeboten wurde, die spätere Stellensuche innerhalb und außerhalb Palästinas problematisch werde, da die Absolventen “nur Naturwissenschaftslehrer oder Bacteriologen“ werden könnten. „Apotheken und Drogisten [gemeint sind Drogerien] gibt es dagegen überall“ (35).
Der Gelehrte bat Weizmann, Brieger nach England kommen zu lassen, um das Budget des Laboratoriums zu besprechen. Vom selben Tag datieren zwei Schreiben, die Weizmann an Brieger und an Magnes sandte. Während er den Apotheker auf das Frühjahr vertröstete (36), bat er den Rektor, den Fall Brieger nochmals zu prüfen.
Vor dem Hintergrund der Fakten erscheint es merkwürdig, dass der Chemiker den Pharmazeuten als “old friend of Prof. Warburg and of my own“ bezeichnete (37), denn Warburg war Brieger erstmals anlässlich seiner Bewerbung begegnet und Weizmann hatte ihn wohl noch nie gesehen.
Zu einer Zeit, als jüdische Akademiker Deutschland nach dem antisemitischen “Gesetz über das Berufsbeamtentum“ in großer Zahl verlassen wollten, wurden Empfehlungen sehr genau geprüft. So hatte auch Weizmanns Londoner “Central Bureau“ kritische Anmerkungen zum Personalvorschlag Warburgs zugunsten von Richard Brieger, die Warburg umgehend zu einer Erwiderung veranlassten (38):
“Im Besitz Ihres geehrten Schreibens teile ich Ihnen mit, daß es mir bei dem Eintreten für Dr. Brieger nicht so sehr um seine Person zu tun ist, als um die Sache, d.h. dass an der Universität in Jerusalem ein pharmaceutisches Studium ermöglicht wird, was durch die zweifellos starke Frequenz sowohl das Odium des zu starken im Vordergrund stehens der theoretischen Fächer beseitigen würde, als auch den zahlreichen Studenten, darunter viele aus Europa, die Möglichkeit geben würde sich auf praktische Berufe vorzubereiten. Ich kenne persönlich Dr. Brieger nur durch zwei Besuche, bei denen er mir freilich einen guten Eindruck machte; ausserdem habe ich günstige Auskünfte über ihn erhalten. Ob seine gedruckten Arbeiten erstklassig sind, weiss ich nicht. Ich würde aber auch darauf weniger Wert legen als auf sein gründliches Vertrautsein mit allem, was die Pharmaceutik betrifft sowie auf seine vielfachen persönlichen Beziehungen mit den Vertretern des Faches in der ganzen Welt. Er wird ohnehin soviel mit der Anleitung der vielen Studenten zu tun haben, dass er zu persönlichen wissenschaftlichen Arbeiten nicht allzu viel kommen dürfte, und ein wirklich großer Gelehrter wird wohl kaum hierfür in Betracht kommen bzw. sich befriedigt fühlen. Auch wird man wohl kaum einen solchen finden, da jüdische pharmaceutische Gelehrte kaum vorhanden sind und Pharmacologen oder Chemiker wenig geeignet sind, um Pharmaceuten heranzubilden.“
Weizmann ließ Warburg ausrichten, er wolle alles in seinen Kräften stehende tun, um Brieger einen neuen Wirkungskreis in Palästina zu ermöglichen. Er habe jedoch von anderer Seite keine so hervorragende Auskunft über die wissenschaftliche Qualifikation des Apothekers erhalten. Nach einer weiteren Bearbeitung von Warburgs Vorschlag in Rehovoth, dem Standort seines im Bau befindlichen Instituts, werde Brieger gegebenenfalls zu einem Vorstellungsgespräch nach London eingeladen (39).
Dazu kam es nie. Aus Unterlagen des Jüdischen Friedhofs Weissensee geht hervor, dass Richard Brieger am 26. November 1937, kurz vor Vollendung seines 50.Geburtstags, im Berliner Virchow-Krankenhaus an der Folgen einer Oberschenkelhalsfraktur verstarb.
Friedländers Memorandum
An der bislang fruchtlosen Erörterung beteiligte sich nun auch der ehemalige Görlitzer Apothekenleiter und Gründer des Pharmazeutischen Unternehmens Teva (hebräisch Natur), Dr. Günther Friedländer (Görlitz 1902 bis 1975 Jerusalem) (40). Er sandte Warburg ein Memorandum für die pharmazeutische Ausbildung. Warburg war jedoch skeptisch ob der Erfolgsaussichten eines zu forsch und ausgeklügelt vorgetragenen Programms. Der letztmalig in Palästina bei seinem in Haifa wohnenden Sohn weilende Emeritus wollte in seinem Antwortschreiben im April 1935 den jungen Pharmazeuten jedoch nicht entmutigen (41):
“Ihr [...] eingesandtes Memorandum hat mich sehr interessiert, da ich schon seit einigen Jahren die Universität - bisher vergeblich - zu veranlassen gesucht habe, eine pharmaceutische Abteilung (noch vor der schwierigen medizinischen Fakultät) einzurichten. Ich glaubte, dass sie sich mit sehr geringen Kosten (wenigstens vorlaeufig) einrichten liesse. [...] Aus Ihrem Memorandum geht nicht hervor, was fuer Kraefte benoetigt werden und es lassen sich daher auch nicht die Kosten berechnen. Ich nehme an, dass Sie der Ansicht sind die Abteilung mit der medizin. Fakultaet zu verbinden, und daher annehmen, gleich einen großzügigen Plan entwickeln zu koennen. Ich fuerchte, dass dann die Ausfuehrung auf Jahre verschleppt wird.“
Friedländer pflichtete in seiner prompten Replik den Bedenken des Botanikers gegen eine vorzeitige und zu weitgehende Planung bei und sagte zu, das Memorandum zugunsten eines weniger kostspieligen Provisoriums zu überarbeiten. Wie Warburg zweifelte auch Friedländer, ob man sich bei der Installierung eines neuen Faches allein auf die Mitwirkung des Professorenkollegiums stützen könne (42).
Hochschulstudium erst ab 1953
Die Skepsis beider Naturwissenschaftler sollte sich als berechtigt erweisen. Letztlich führte der aus Sicht der Universitätsgremien nicht finanzierbare Entwurf von Richard Brieger und Georg Urdang zur jahrelangen Benachteiligung deutscher Pharmazie-Immigranten, deren viersemestriger Ausbildung die britische Mandatsregierung die Anerkennung verweigerte. Ein Ergänzungsstudium war in Palästina nicht möglich. Daher konnten sie im Gegensatz zu ihren österreichischen Kollegen, die wie die meisten europäischen Pharmazeuten ein sechssemestriges Curriculum absolviert hatten, keine leitenden Funktionen in Apotheken “Erez Israels“ einnehmen und wurden vom Aufbau der Verwaltungspharmazie ausgeschlossen.
Es dauerte weitere 18 Jahre, bis die Pharmazie unter dem Dach der Medizinischen Fakultät an der Hebräischen Universität installiert wurde und Apotheker mit deutscher Approbation unter den Auspizien des jungen Staates Israel die Berufserlaubnis erhielten (43). Die Überalterung der Apothekerschaft in Israel hatte unter der Führung deutschsprachiger Pharmazeuten zu einer Eigeninitiative geführt. Unter der Leitung von Josua Kohlberg (1905 bis 1999) und mit finanzieller Hilfe amerikanisch-jüdischer Kreise (Jewish Pharmaceutical Society) wurde 1953 eine universitäre Ausbildung für Apotheker geschaffen (44).
Literatur
Abkürzungen: AHJP: Central Archives of the History of the Jewish People, Hebrew University, Givat Ram Campus; CZA: Central Zionist Archives, Jerusalem; HUA: Central Archives of the Hebrew University, Mount Scopus Campus; WA: Archiv des Yad Weizmann (Weizmann House), Rehovot
Der Autor
Frank Leimkugel studierte Pharmazie (Universität Düsseldorf), Pharmaziegeschichte und Historische Hilfswissenschaften (Universität Marburg) und wurde an der Universität Heidelberg promoviert. Von 1991 bis 1993 bearbeitete er ein DFG-Projekt zum Wissenschaftstransfer emigrierter Pharmazeuten und erhielt 1997 die Georg-Urdang-Medaille des American Institute of the History of Pharmacy. Seit 1991 ist er als Lehrbeauftragter für Terminologie und Pharmaziegeschichte an der Universität Düsseldorf tätig. 2001 habilitierte er sich für Geschichte der Pharmazie an der TU Braunschweig und ist dort Privatdozent für dieses Fach. Dr. Leimkugel ist zudem Offizinapotheker in Mülheim an der Ruhr. Seine wissenschaftlichen Arbeiten umfassen die Pharmazie und Zeitgeschichte, Naturwissenschaften und Judentum sowie die Naturwissenschaftsgeschichte Israels. Im Govi-Verlag ist sein Buch „Wege jüdischer Apotheker - Emanzipation, Emigration, Restitution: Die Geschichte deutscher und österreichisch-ungarischer Pharmazeuten“ erschienen.
Anschrift des Verfassers:
Privatdozent Dr. Frank Leimkugel
Institut für Geschichte der Medizin
Heinrich-Heine-Universität
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