Purpur, die Farbe der Kaiser |
17.04.2000 00:00 Uhr |
FARBSTOFFCHEMIE
Der echte Purpur, auch tyrischer Purpur genannt, war in der Antike ein wichtiger und wertvoller Farbstoff. Er wurde immer dann eingesetzt, wenn es galt, ein Stück Stoff zu etwas Besonderem zu machen (1). In der Stadt Tyrus im heutigen Libanon waren die ältesten und berühmtesten Produktionsstätten für Purpur angesiedelt. Erst im 20. Jahrhundert wurde die farbgebende Komponente als 6,6´-Dibromindigo identifiziert. Purpur, einst kostbarster Textilfarbstoff, kann heute im Labor synthetisiert werden, wenn auch recht mühsam.
Das Wort "Purpur" leitet sich vermutlich von einem griechischen Wort für "mischen, anrühren" ab (2). Eine Sage berichtet, dass der Hund des phönizischen Gottes Melkarth, den die Römer "tyrischen Herakles" nannten, einst am Strand eine Schnecke fraß und davon eine purpurfarbene Schnauze bekam. Die geheimnisvolle Farbe ließ sich nicht wieder abwaschen. Daraufhin soll Melkarth seiner Geliebten, der Nymphe Tyros, ein Kleid geschenkt haben, das mit dieser Farbe gefärbt worden war (3).
Sicher ist, dass die Kunst des Purpurfärbens von den Phöniziern entdeckt wurde. Von dort aus verbreitete sie sich nach Ägypten, Griechenland und Rom. Praktisch jede Hochkultur der damaligen Zeit kannte diesen besonderen Farbstoff. Die Einsatzgebiete waren entsprechend zahlreich. Wenn die griechischen Elite-Infanteristen, die so genannten Hopliten, in die Schlacht zogen, trugen sie ein Gewand, das mit reinem Purpur gefärbt war. Die Farbe sollte zum einen den Gegner durch ihre Pracht beeindrucken und verunsichern, zum anderen war sie durch ihren dunklen Ton gut geeignet, die Wunden der Soldaten zu verbergen. Bei Seeschlachten der griechischen Flotte war das Schiff des Admirals oft an einem purpurnen Segel zu erkennen. In der Sagenwelt der alten Griechen hat der Purpur ebenfalls seinen Platz gefunden. So hüllte der Trojanerkönig Priamos den Leichnam seines Sohnes Hektor in ein Purpurtuch und ließ ihn darin bestatten.
Auch die Römer waren sich der Besonderheit des Farbstoffs bewusst. So trugen die angesehenen Equites (Ritter) eine schmale Purpurborte an ihren Togen. Die Senatoren, angesehener und ranghöher, schmückten sich mit einem breiteren Streifen, und der Imperator selbst trug in der Schlacht gar einen Purpurmantel, der weithin über das Schlachtfeld zu sehen war. Die edle Farbe war in der römischen High Society so beliebt, dass sich die römischen Kaiser veranlasst sahen, den Gebrauch von Purpur einzuschränken. Nur noch den höchsten Beamten und natürlich sich selbst und ihren Familien gestatteten sie es, ihn zu tragen.
Eine besondere Stellung nahm der Purpur auf religiösem Gebiet ein. Die Bibel erwähnt ihn an einigen Stellen, so waren beispielsweise die Vorhänge der Stiftshütte während der Wüstenwanderung der Israeliten aus blauem und rotem Purpur gewirkt (2. Mose 26). Um Jesus als "König der Juden" zu verspotten, legten ihm die römischen Soldaten vor seiner Kreuzigung zur Dornenkrone einen purpurfarbenen Mantel um (Markus 15).
Von der Kaiser- zur Kardinalsfarbe
Mit der Zerschlagung des Römischen Reiches und der Aufteilung in ost- und weströmisches Reich ging auch die große Zeit des Purpurs zu Ende. Lediglich im oströmischen Reich überlebte die alte Färbekunst. Mit dessen Eroberung durch die Türken verschwanden die bedeutendsten und bekanntesten Produktionsstätten der Stadt Tyrus. Ganz aus dem Mittelmeerraum verschwand der antike Purpur mit dem Fall Konstantinopels im Jahre 1453. Noch heute spricht man vom "Kardinalspurpur". Ob aber die Robe und Kopfbedeckung der römisch-katholischen Kardinäle tatsächlich einmal mit echtem Purpur gefärbt war, ist unsicher. Heutzutage und wahrscheinlich seit der Institution dieses Amtes sind die Gewänder leuchtend rot "scharlachrot" nach dem früher für die Färbung verwendeten Cochenille aus Schildläusen. Zwar nicht mit Purpur gefärbt, aber ihm farblich ähnlicher als das Kardinalsrot ist das Violett der katholischen Bischofsgewänder.
Da es bereits im Römischen Reich billigere Ersatzfarben gab, nahmen diese den Platz des echten teuren Färbemittels ein. Sie hatten aber einen anderen Farbton: Statt "purpurrot" - das man auch altrosa oder violett nennen kann - sind sie leuchtend rot. Auch der "Purpurmantel", den Elisabeth II. von England bei ihrer Krönung im Jahre 1953 trug, war rot. Man sieht daran, dass sich die Bedeutung des Wortes Purpur seit der Antike verändert hat. Zudem wurden früher Farben häufig nach der Herkunft oder kulturellen Bedeutung der farbgebenden Komponente bezeichnet, nicht wie wir das heute gewöhnlich tun nach dem exakten Farbton. So erklärt sich auch, warum die Evangelisten Markus und Johannes den erwähnten Spottmantel als purpurn (porfura) bezeichnen, während Matthäus "scharlachrot" schreibt (kokkinoV, Ursprungswort für Cochenille).
Welche Farbe hatte der antike Purpur?
Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick auf die Art und Weise seiner Herstellung und Gewinnung werfen. Bis zur Aufklärung der Struktur und der Entwicklung einer Synthese zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es nur eine Quelle: ein weißliches Sekret aus einer kleinen Drüse der Purpurschnecken, der Hypobrachialdrüse. Lässt man das Sekret an Sonne und Luft stehen, verändert sich die Farbe allmählich über hellgrün, dunkelgrün, meergrün und hellblau nach purpurrot. Die chemischen Vorgänge bei diesen Umwandlungen konnten erst untersucht werden, als der Chemiker Friedländer (4) 1908 die Struktur der farbgebenden Komponente als 6,6'-Dibrom-Derivat des Indigos aufklärte, jenem blauen Farbstoff, der auch heute noch großindustriell zum Färben vor allem von Jeansstoffen eingesetzt wird (5).
Nach Arbeiten von Zollinger enthält die Hypobrachialdrüse der im Mittelmeer häufigen Murex trunculus vor allem die Kaliumsalze des Schwefelsäureesters von 6-Bromindoxyl sowie 2-Methylthio- und 2-Methylsulfonyl-6-bromindoxyl. Diese Indoxylderivate werden unter Katalyse des ebenfalls in der Drüse vorkommenden Enzyms Purpurase hydrolysiert. Dabei entstehen die 6-Bromindoxyle, welche bei Licht- und Sauerstoffeinwirkung zu Purpur oxidiert werden.
Zur Erklärung der wechselnden Farbtöne des antiken Purpurs ist folgendes von Bedeutung. Dibromindigo ist in fast allen Lösungsmitteln einschließlich Wasser unlöslich. Um es auf Stoff aufzuziehen, muss es als Küpenfarbstoff reduktiv in seine wasserlösliche Leukoform umgewandelt werden. Der Stoff wird damit getränkt, und an der Luft bildet sich durch Oxidation mittels Sauerstoff wieder der eigentliche Farbstoff. Die Leukoform wird durch Licht sehr rasch debromiert. In der Folge ist der Stoff - je nach Dauer der Lichteinwirkung - mit einem mehr oder weniger großen Anteil von blauem Indigo und purpurnem Dibromindigo gefärbt; die resultierenden Farbtöne reichen von (pupur)rot bis blau. Es kommt hinzu, dass manche Purpurschnecken-Arten genuin teilweise bromfreie Vorstufen enthalten, also auch ohne die Lichtreaktion ein Gemisch von purpurn und blau liefern.
Färbungen mit pflanzlichem Indigo hingegen können dadurch im Farbton variieren, dass neben Indigo sein rotes Isomeres Indirubin (Indigorot) gebildet wird. Das entsprechende kirschrote Dibromindirubin wurde allerdings in oxidierten Schneckensekreten nur in sehr geringer Menge (etwa 1 Prozent) nachgewiesen, kann aber angeblich nach Verküpung einen Anteil von bis zu 14 Prozent erreichen (6).
Färbetechniken in der Antike
Die genauen Färbemethoden der Antike sind heute nicht mehr bekannt, es gibt jedoch in der Literatur einige Hinweise auf verschiedene Techniken. Eine genaue Kenntnis der antiken Färbemethoden ist auch Grundlage für analytische Arbeiten, um die Echtheit gefärbter Antiquitäten nachweisen zu können (8). Ein großes Problem stellte die Überführung des Farbstoffs in seine reduzierte Leukoform dar, die man für den eigentlichen Färbeprozess benötigte. Moderne Reduktionsmittel wie Natriumdithionit standen nicht zur Verfügung. Man musste also auf andere Methoden ausweichen.
Wie diese Reduktion genau ablief, dafür gibt es mehrere Hypothesen. Eine Möglichkeit ist die Zubereitung der Küpe in einem Zinngefäß, wobei das Zinn als Reduktionsmittel dient. Tatsächlich ist das Reduktionspotenzial von Zinn groß genug, um Dibromindigo zu reduzieren. Nach einer anderen Methode bedeckt man das Färbebad mit Öl und versetzt es mit Traubensaft. Die Ölschicht verhindert eine Oxidation durch Luftsauerstoff, und die im Traubensaft enthaltene Glucose dient zur Stabilisierung der Küpe, wenn auch ihr schwaches Reduktionspotenzial nicht zur eigentlichen Reaktion ausreicht. Diese Aufgabe wird den ebenfalls im Schneckenextrakt vorkommenden Merkaptanen wie Methanthiol zugeschrieben.
Farbstoffe aus dem Labor
Purpur kann heute synthetisch aus 4-Methyl-3-nitrophenamin, welches bei der Nitrierung von p-Toluidin entsteht, hergestellt werden (9). Dieses wird am Amin diazotiert und anschließend durch eine Sandmeyer-Reaktion unter Katalyse von Kupfer(I)-Ionen bromiert. Das erhaltene Produkt wird an der Methylgruppe durch Chrom(VI)oxid und Essigsäureanhydrid zum Aldehyd oxidiert. Im letzten Schritt entsteht in wässrigem Aceton unter Zugabe von Natriumhydroxid 6,6'-Dibromindigo.
Auf traditionelle Weise, das heißt durch Extraktion von Drüsensekreten der Purpurschnecke werden heute nur noch Stoffe für spezielle gottesdienstliche Zwecke gefärbt, zum Beispiel Gewänder für das jüdische Oberrabbinat. In Mexiko wurde ein kleines Entwicklungshilfeprojekt gestartet, bei dem Einheimische Purpurschnecken aus dem Pazifik "melken" und aus dem so gewonnenen Sekret gefärbte Stoffe herstellen. Die Purpursynthese hat heute aber keine wirtschaftliche Bedeutung mehr und wird nur zu historischen oder restaurativen Zwecken betrieben. Wie mühselig und zeitaufwändig die Produktion einst gewesen sein muss, kann man an der Tatsache ablesen, dass Friedländer im Jahre 1909 für die 1,4 g des reinen Farbstoffs, die er für die Aufschlüsselung der Strukturformel benötigte, etwa 12000 Schnecken schlachten musste.
Außer Textilien wurden in der Antike auch Haut und Haare mit Purpur gefärbt; mit Honig versetzt diente er als Malerfarbe. In neuester Zeit sind zwei Indigo-Derivate plötzlich für die Pharmazie interessant geworden. Das schon länger bekannte Alkaloid Tryptanthrin (10) aus dem Färberwaid erwies sich als selektiver pflanzlicher Hemmstoff der Cyclooxygenase-2 (11). Färberwaid (Isatis tinctoria) war bis ins 17. Jahrhundert wichtiger Lieferant von Indigo. Vor kurzem entdeckte man, dass das Indigo-Isomere Indirubin (Indigorot) bestimmte Cytisin-abhängige Kinasen (CDKs) selektiv hemmt, so dass die Suche nach weiteren Purpur- und Indigo-Derivaten angeregt wurde (12). CDK-Inhibitoren gelten derzeit als aussichtsreiche neue Zytostatika-Klasse (13).
Übrigens konnten schon die Heilkundigen der Antike dem Purpur etwas abgewinnen. Zermahlene Purpurschnecken, vermischt mit Honig oder Schweineschmalz, sollten als Salbe zum Auftragen bei Brandwunden oder bei chronischem Ohrengeschwulst verwendet werden. Bei Mandelentzündung wurde empfohlen, eine Natter mit einer purpurnen Leinenschnur zu erdrosseln und sie dann solange um den Hals des Patienten zu binden, bis Besserung eintrat.
Literatur:
Interessierte Apotheker können beim Verfasser 6,6'-Dibromindigo oder mit Purpur gefärbte Stoffe erwerben.
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