Ältere multimorbide Patienten in Apotheken gut betreut |
12.03.2001 00:00 Uhr |
Studien zur Pharmazeutischen Betreuung sollen den Nutzeffekt dieses Betreuungskonzeptes belegen und gleichzeitig dessen Praktikabilität im Apothekenalltag testen. Beide Aspekte wurden in einer über Biomed 2 geförderten europäischen Studie geprüft, an der sich neben Deutschland auch Großbritannien (Studienzentrum), die Niederlande, Dänemark, Schweden, Irland und Portugal beteiligten. Das Acronym der Studie "OMA" geht auf die niederländische Bezeichnung "Ouderen Medicatie Analyze" zurück und benennt zugleich die Zielgruppe des Programm: ältere multimorbide Patienten. In Deutschland startete die Studie mit Unterstützung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe im Herbst 1996; die Datenerhebung wurde Ende 1999 abgeschlossen. Die Ergebnisse liegen jetzt vor*).
Arzneimittel gehören zu den am häufigsten eingesetzten Mitteln der modernen Medizin. Dennoch kann eine Arzneimitteltherapie auch ein hohes Risiko für Patienten darstellen oder erreicht nicht immer den angestrebten und theoretisch möglichen Effekt. Beides, mangelnde Effektivität und Sicherheit, werden mit Begriffen wie "arzneimittelbezogene Morbidität" oder "Therapieversagen" zusammengefasst. Die arzneimittelbezogene Morbidität verursacht je nach Patientengruppe und Bewertungsmethodik zwischen 5 bis 20 Prozent aller Hospitalisierungen in entwickelten Industrienationen (1). Dabei liegt das Risiko weniger im Arzneimittel selbst begründet, sondern in dem System, in dem es verschrieben, abgegeben und angewendet wird. Mehr als die Hälfte aller Krankenhauseinweisungen, die auf suboptimale Arzneitherapie zurückgingen, waren nach Studien vermeidbar (2, 3, 4, 5, 6).
Ältere Patienten sind dabei einem besonderen Risiko ausgesetzt (7, 8, 9). Fast 20 Prozent aller Rehospitalisierungen älterer Patienten gingen auf vermeidbare Probleme mit der Pharmakotherapie zurück (7, 8). Die Harvard Medical Practice Study, die die Qualität medizinischer Versorgung und deren Konsequenzen in 50 Krankenhäusern der Vereinigten Staaten untersuchte, fand bei älteren hospitalisierten Patienten signifikant mehr vermeidbare Fehler als bei jüngeren (10). In der Pharmakotherapie wurden fünf elementare Problemkreise identifiziert, die zu vermeidbarer arzneimittelbezogener Morbidität führen können (11):
Neben der individuell angemessenen Arzneimittelauswahl scheint die begleitende Therapieüberwachung bei Langzeittherapie eine wichtige Rolle zu spielen; sie wird aber unzureichend umgesetzt. Das "Monitoring" steht daher im Mittelpunkt des Konzepts der Pharmazeutischen Betreuung, das zu Beginn der 90er Jahre vorgeschlagen wurde (12).
Die OMA-Studie sollte ein Betreuungsmodell für ältere Patienten testen, das arzneimittelbezogene Probleme als Ursache von Morbidität erkennt und löst und dadurch zu einer effektiven und sicheren Therapie beiträgt. Kernstück der 18-monatigen Betreuung war eine kontinuierliche Überwachung der Arzneimitteltherapie und deren Erfolge, wobei kontinuierlich Medikationsdaten erhoben und regelmäßig Patienteninterviews geführt wurden (13).
Dem Start von OMA im Kammerbereich Westfalen-Lippe ging eine Pilotstudie in Berlin mit 14 Apotheken voraus, in der vor allem methodische Fragen der Umsetzung und Nutzenevaluation geklärt wurden (14). Die Studie in Westfalen-Lippe hat eine besondere Anerkennung erfahren: Im Herbst 1997 wurde sie als einziges pharmazeutisches Projekt in den Projektverbund "Nordrhein-Westfalen" im Europäischen Netzwerk der Weltgesundheitsorganisation "Regionen für Gesundheit" aufgenommen.
Zur Methodik der Datengewinnung
Der OMA-Studie liegt ein randomisiertes kontrolliertes Studiendesign mit der Bewertung verschiedener Ergebnisvariablen zu verschiedenen Messzeitpunkten zugrunde. Randomisierungsebene waren die eingeschlossenen Apotheken; die Ergebnisauswertung basierte jedoch auf einem Vergleich für jeden eingeschlossenen Patienten. Hierzu wurde eine Stichprobe älterer Patienten in ambulanter Therapie durch zwei Gruppen Apotheker (Kontroll- und Interventionsapotheker) rekrutiert. Zur Evaluation des Einflusses der Pharmazeutischen Betreuung auf die Patienten wurden drei Datensätze herangezogen:
Interventions- und Kontrollapotheker rekrutiert
Die Rekrutierung von Studienapothekern erfolgte im Herbst 1996 durch Aufruf im Rundschreiben der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Etwa 250 Kolleginnen und Kollegen folgten der Einladung zu einer Informationsveranstaltung. Unter 135 Interessenten, die anschließend der Anforderung nachkamen, wenigstens fünfzig potentielle Studienpatienten anhand spezifischer Einschlusskriterien aufzulisten, wurden 49 Apotheken zufällig ausgewählt und im Verhältnis 2:1 in Interventions- und Kontrollapotheken aufgeteilt. Die beiden Gruppen waren vergleichbar hinsichtlich demographischer Grunddaten (Apothekenlage, Anzahl der Mitarbeiter und Patienten), Servicespektrum an patientenorientierten Aktivitäten und Einstellung zur Pharmazeutischen Betreuung. Diese Variablen waren zuvor in einem Fragebogen an alle Apothekenleiter erhoben worden.
Während des ersten Studienjahres konnten die Interventionsapotheker an Fortbildungsseminaren mit folgenden Schwerpunkten teilnehmen:
Weiterhin war gesichert, dass Fachliteratur zur Verfügung stand, eine Hotline zur Arzneimittelinformationsstelle in Anspruch genommen und die große ABDA-Datenbank genutzt werden konnte. Die regionale Arzneimittelinformationsstelle der Apothekerkammer Westfalen-Lippe dokumentierte spezifische Anfragen.
Patientenrekrutierung schwieriger als erwartet
Kontroll- und Interventionsapotheken hatten auf Grund des unterschiedlichen Arbeitsaufwands unterschiedliche Zielgrößen für die Patientenrekrutierung. Kontrollapotheken sollten zehn, Interventionsapotheken wenigstens fünf Patienten für die Teilnahme gewinnen. Jede Apotheke sollte während eines zweimonatigen konsekutiven Pre-Screenings aller eingelösten Rezepte mindestens fünfzig Patienten dokumentieren, die den Einschlusskriterien entsprachen (Tabelle 1). Die Patienten wurden zufällig aus dieser Liste durch das Studienzentrum ausgewählt, wobei für jeden ausgewählten Patienten mindestens zehn Optionen verfügbar sein mussten; so mussten für fünf ausgewählte Patienten fünfzig vorgeschlagen worden sein. War ein Patient nicht zur Teilnahme bereit, konnte ein weiterer Name vom Studienzentrum angefordert werden.
Tabelle 1: Eckdaten der OMA-Studie
Kenngröße Kriterien Studiendesign Randomisierte kontrollierte Interventionsstudie, Prä-Posttest 4 Messzeitpunkte für patientenspezifische Ergebnisvariablen (18 Monate) Einschlusskriterien für Patienten 65 Jahre und älter, zu Hause lebend mindestens 4 allopathische Arzneimittel als Dauerverordnung mental in der Lage, der Betreuung zu folgen Einwilligung zur Datenerhebung Einschlusskriterien für Apotheken alle Apotheken im Kammerbereich Westfalen-Lippe, die mindestens 50 potenzielle Studienpatienten listeten und Teilnahmebereitschaft bekundeten Datenerhebung Patientenergebnisse, teils selbst-reportiert in Fragebögen, teils im strukturierten und dokumentierten InterviewDokumentation des Betreuungsprozesses und arzneimittelbezogener Probleme durch InterventionsapothekerFortschreibung der Medikationshistorie
Da die Betreuung auch Maßnahmen zur Patientenschulung umfassen sollte und die Patienten selbstständig Fragebögen ausfüllen sollten, mussten sie in der Lage sein, dem Beratungsgespräch kognitiv zu folgen. Ausschlusskriterien waren Aufenthalt oder Einweisung in ein Altenheim, da dort die Organisation der Arzneimittelanwendung häufig von Pflegekräften übernommen wird.
Zur Unterstützung bei der Patientenansprache erhielten die Apotheker Anschauungsmaterial (Poster, Handzettel) sowie eine Broschüre, die die wichtigsten Aspekte der Studie vorstellte. Aus datenschutzrechtlichen Gründen mussten die Patienten ihre Einwilligung zur Datenerfassung durch die Apotheker und zur anschließenden Auswertung durch die Universität schriftlich erklären.
Die Patientenrekrutierung dauerte insgesamt sechs Monate; ursprünglich geplant waren nur zwei Monate. Als wichtigster Grund für die Schwierigkeiten wurde angegeben, dass das aktive Angebot von Pharmazeutischer Betreuung im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie sowohl für Apotheker als auch Patienten neu und ungewohnt war. 36 Interventionsapotheken rekrutierten insgesamt 196 Patienten, 13 Kontrollapotheken fanden 105 Patienten.
Basisdaten zu Studienbeginn erhoben
Studieneinleitend erhielten die Patienten einen selbständig zu beantwortenden Fragebogensatz für selbst-reportierte Ergebnisvariablen, zum Beispiel gesundheitsbezogene Lebensqualität oder Zufriedenheit mit der Versorgung durch den Apotheker. Sie sollten die Bögen vor dem ersten Treffen mit dem zukünftig betreuenden Apotheker ausfüllen und in einem vorfrankierten Umschlag an das Studienzentrum zurückschicken. Im ersten Gespräch ermittelte der Apotheker weitere Informationen sowie die bestehende Medikation zu Studienbeginn.
Mit Eintritt in die Studie protokollierten die Apotheker fortlaufend die Medikation der Patienten. Um eine möglichst lückenlose Erfassung von Medikationsdaten zu garantieren, boten wir Patientenpässe an, die den Patienten nicht nur als Teilnehmer der Studie auswiesen, sondern auch eine Identifikation mit der Studie ermöglichen und die Aufmerksamkeit aller Apothekenmitarbeiter für ihre Studienpatienten erhöhen sollten. Wenn Patienteninterviews verabredet wurden, konnten Tag und Uhrzeit in den Pässen eingetragen werden.
Zur Datenerfassung erhielten die Apotheker ein eigens entwickeltes Softwareprogramm des ARZ Haan. Das Programm erlaubte nicht nur die kontinuierliche Erfassung der jeweiligen Medikationshistorie und die Darstellung des Medikationsprofils, sondern bot zusätzliche Hilfen an. Dazu gehörten beispielsweise die Berechnung der theoretischen Reichdauer eines abgegebenen Arzneimittels, um Aussagen über die Compliance der Patienten treffen zu können. Weiterhin signalisierte das System die Neuverordnung eines bisher nicht gespeicherten Arzneimittels. Bestandteil des Softwareprogramms war die große ABDA-Datenbank mit der Möglichkeit, Interaktions-Checks durchzuführen. Hard- und Software zur Dokumentation der Medikationshistorie waren nicht mit dem normalen Warenbewirtschaftungsprogramm der Apotheke verknüpft; alle abgegebenen Arzneimittel mussten zusätzlich zur routinemäßigen Erfassung in die Studiendatei eingegeben werden.
Umsetzung und Dokumentation in der Apotheke
Die Interventionsapotheker wurden gebeten, ungefähr einmal monatlich Kontakt zu ihren Patienten aufzunehmen, Erfolg, Misserfolg und Schwierigkeiten der Arzneimitteltherapie zu verfolgen und bei Bedarf zu intervenieren. Kontrollapotheker sollten dagegen nicht systematisch nach arzneimittelbezogenen Problemen fragen und die bisherige Form der Beratung möglichst unverändert lassen. Jeder Kontakt mit Interventionspatienten, der über das normale Dispensieren von Arzneimitteln hinausging, wurde von den Interventionsapothekern in einem Betreuungsprotokoll festgehalten. Dieses reflektiert die notwendigen Arbeits- und Dokumentationsschritte bei der Pharmazeutischen Betreuung und wurde somit Bestandteil der Auswertung.
Pharmazeutische Betreuung versteht sich ausgehend vom Modell des Qualitätsmanagements als kontinuierlicher Prozess, der regelmäßig seinen Erfolg überprüft. Dazu werden nach einer Status-quo-Erhebung Handlungs- und Betreuungsziele festgelegt und regelmäßig kontrolliert. So kann man sicherstellen, dass bei suboptimalem Betreuungsergebnis weitere Interventionen folgen, bis die gesetzten Ziele erreicht sind (15, 16). In der Studie sollten sowohl das eingangs formulierte Ziel der Arzneitherapie als auch der Erfolg der apothekerlichen Interventionen, zum Beispiel zur Behebung arzneimittelbezogener Probleme oder bei schulenden Maßnahmen, überprüft werden. Daher dokumentierten die Apotheker nicht nur die "geleisteten Interventionen", sondern auch die "Zielsetzungen für das nächste Gespräch". Aus diesem Grundprinzip der Pharmazeutischen Betreuung leiten sich die spezifischen Aufgaben der Interventionsapotheker ab (Tabelle 2).
Tabelle 2: Aufgabenspektrum der Studienapotheker
Monitoring des TherapieerfolgesIdentifizierung, Prävention und Lösung arzneimittelbezogener Probleme
Patientenschulung
Beratung bei der Organisation der Arzneimittelanwendung und Bereitstellung von Compliance- und Anwendungshilfen
Simplifizierung und Rationalisierung der Medikation (auch Sortieren der Hausapotheke)
Auswertung der Interventionsprotokolle
Für 101 der zum Studienbeginn einbezogenen 196 Interventionspatienten liegen insgesamt 762 Gesprächsprotokolle vor, für die übrigen Patienten wurden keine Gespräche oder arzneimittelbezogenen Probleme dokumentiert. Die durchschnittliche Zahl von Protokollen pro Patient (unter Einbezug nur derjenigen Fälle, für die Gespräche dokumentiert wurden) beträgt 7,6; die maximale Anzahl beträgt 36. In 67 Fällen wurden Telefonkontakte dokumentiert und in 19 erfolgte ein Hausbesuch.
97 Prozent aller Protokolle enthalten detaillierte Angaben zur Art der erbrachten Leistung, wobei Mehrfachnennungen möglich waren. In 150 Fällen beinhaltete das Patienteninterview eine Erstberatung bei einem neu verordneten Arzneimittel, in 126 Fällen erfolgte eine allgemeine Beratung über Therapie oder Erkrankung, wobei Schmerz und Laborwerte als Themen dominieren. In 91 Protokollen wird die Beratung zu einem bestimmten arzneimittelbezogenen Problem dokumentiert, wobei als Schwerpunkte Arzneimittelumstellung, unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Dauergebrauch genannt werden. 102 Protokolle handeln von der Erhebung bestimmter Laborwerte und 80 von der Erstellung eines Therapie- oder Dosierungsplans. In 22 Protokollen wird von einer Ernährungsberatung berichtet, in 16 von Schulungen zur Arzneimittelhandhabung und in 18 von Schulungen zum Therapie-Selbstmanagement.
Auch Ziele für den weiteren Verlauf der Patientenbetreuung - das Monitoring - wurden festgehalten (Tabelle 3). In 196 Bögen, das heißt etwas mehr als einem Viertel aller Protokolle, wurden für 71 Patienten Betreuungsziele festgelegt, wobei auch mehrere Ziele je Protokoll formuliert wurden. Schwerpunkte waren Patientenschulung (Selbstmonitoring, Ernährungsumstellung), Therapieumstellung und das Erfolgsmonitoring der Arzneimitteltherapie.
Tabelle 3: Häufigkeit dokumentierter Betreuungsziele
Betreuungsziel Häufigkeit Ernährungsberatung, Diätplan, Gewichtsreduktion, Bewegung, Nikotinabstinenz (4) 38 Kontrolle von Laborwerten, Peak-flow-Werten, Blutdruck 35 Beobachtung des Gesundheitszustandes und spezieller Erkrankungen, zum Beispiel Wundheilung, Nagelpilz, Glaukom, Osteoporose, Mundpilz, Obstipation 33 Einstellung und Kontrolle des Blutzuckers, Selbstmanagement des Diabetes 18 Kontrolle von Verträglichkeit der Arzneimittel, Wechselwirkungen, Wirksamkeit, Dosis, Interaktions-Check 16 Rücksprache mit Arzt, Krankenhaus oder Pflegedienst 16 Arzneimittel- oder Dosierungsumstellung (zum Beispiel bei Asthma) 14 Einstellung, Beobachtung, Selbstmanagement des Bluthochdrucks (zum Beispiel Blutdruck-Pass) 11 Ausschleichen, Dosisreduktion von Benzodiazepinen, Tranquilizern und Laxantien 11 Ängste abbauen, Motivation und Compliance fördern 9 Schmerzmanagement, Schlafmanagement 5 Überweisung zum Facharzt, zur Fußpflege 5 Asthma-Selbstmanagement 4 Erläuterung der Arzneimittelhandhabung, Dosierungsplan 4 Kontrolle des Verständnisses über die Therapie 1 Andere Ziele 12 Gesamtzahl 232
Auswertung der arzneimittelbezogenen Probleme
Zusätzlich zu den Gesprächsprotokollen wurden in 21 (von 36) Interventionsapotheken insgesamt 318 arzneimittelbezogene Probleme für 79 Patienten dokumentiert. Unter der Annahme, dass bei allen 196 Interventionspatienten systematisch danach gesucht wurde, sind dies 1,6 Probleme je Patient. Unter Einbezug nur der Patienten, für die ein Gespräch oder ein Problem dokumentiert wurde (101), werden 3,2 Probleme je Patient beschrieben. Das Maximum an Problemen liegt bei 15 Berichten für einen betreuten Patienten. 15 Interventionsapotheken dokumentieren für keinen der betreuten Patienten ein Problem. Darunter sind sieben Apotheken, die auch alle Patienten während der Studie verloren haben.
Der Hinweis, dass die Anzahl dokumentierter Probleme auch von den Studienapothekern abhing (und nicht nur die tatsächlichen Schwierigkeiten der Patienten reflektierte), wurde durch eine weitere Beobachtung bestätigt. So korrelierte die durchschnittliche Anzahl an Problemen je Patient mit dem Anteil Patienten, für die in der jeweiligen Apotheke überhaupt Probleme dokumentiert wurden (Pearson r = 0,687, p<0.001). Dies bedeutet, dass mit zunehmendem Anteil an Patienten mit Problemen in einer Apotheke auch die Gesamtzahl dokumentierter Probleme zunahm. Die Detektion und Dokumentation arzneimittelbezogener Probleme hing damit auch von der Stärke und Konsistenz der angebotenen Pharmazeutischen Betreuung ab.
Bezüglich der Verteilung arzneimittelbezogener Probleme in acht Studienquartalen (Januar 1997 bis Februar 1999) ergibt sich folgendes Bild: Die Studienapotheker identifizierten nach einer gewissen Anlaufphase die Mehrzahl aller Probleme in den ersten Studienquartalen. Es war allerdings auch zu erwarten, dass arzneimittelbezogene Probleme mit Fortschreiten der Pharmazeutischen Betreuung abnehmen. Die Analyse einzelner Fallbeispiele zeigt zudem, dass sich im Laufe der OMA-Studie auch neue Probleme entwickelten, die durch die kontinuierliche Betreuung prompt behoben werden konnten.
Die Interventionsapotheker sollten die Art der arzneimittelbezogenen Probleme sowohl verbal als auch mittels eines Codierungssystems beschreiben (17). Für 309 Probleme wurden Codes zugeordnet, wobei häufig mehrere (insgesamt 478) für ein Problem verwendet wurden. Dies betraf vor allem die Kombination zweier Codes für ein arzneimittelbezogenes Problem und einen "Problem begünstigenden Faktor" wie begrenztes Wissen des Patienten über seine Therapie. Tabelle 4 zeigt alle Codes und deren prozentuale Verteilung, bezogen auf die Gesamtheit aller vergebenen Codes oder aller dokumentierten Probleme (Einzelberichte). Den größten Anteil stellen unerwünschte Arzneimittelwirkungen dar. Kontraindikationen und Interaktionen machen weitere zehn Prozent aus. Fast jedes fünfte Problem bezieht sich auf ein unangemessenes oder überflüssiges Arzneimittel. Missbrauch, Arzneimittelunterdosierung und Noncompliance sind eher gering vertreten. Sehr altersgruppenspezifisch dürften Schwierigkeiten mit der Handhabung und der Organisation der Arzneimittelanwendung sein (fast 15 Prozent). In zwölf Prozent aller Fälle wird Therapieversagen oder eine unzureichende Wirkung des Arzneimittels beschrieben, die der Apotheker nicht abklären konnte. Mehr als ein Drittel aller Berichte beinhalten zusätzlich weitere Problem begünstigende Faktoren wie Unwissenheit oder Ängste des Patienten.
Tabelle 4: Art und Häufigkeit arzneimittelbezogener Probleme (ABP);
für die meisten Berichte liegt mehr als ein Code vor
Arzneimittelbezogene Probleme 2 Kein Arzneimittel trotz Indikation 10 2,1 3,2 3,3 1 Keine Indikation für Arzneimittel 12 2,5 3,9 19,9 3 Unzweckmäßige Kombination 9 1,9 2,9 4 Arzneimittel für Indikation ungeeignet 27 5,6 8,7 92 Fehlverordnung 8 1,7 2,6 1b Doppelverordnung 4 0,8 1,2 16 Überdosierung 13 2,7 4,2 6,3 19 Arzneimittelmissbrauch 6 1,3 1,9 17 Unterdosierung 9 1,9 2,9 7,0 18 Primäre Noncompliance 12 2,5 3,9 21 Handhabungsprobleme 14 2,9 4,5 14,9 22 Falsche Zeitintervalle oder Zeitraum 22 4,6 7,1 23 Richtiges Arzneimittel, falsche Darreichungsform 4 0,8 1,3 27 Keine Dosierungsangabe 5 1,0 1,6 31a Symptome einer Kontraindikation 13 2,7 4,2 11,3 31 Symptome einer Interaktion 21 4,4 6,8 32 Unerwünschte Arzneimittelwirkung 71 14,9 23,0 23,6 33 Unzureichende Wirkung 36 7,5 11,7 12,0 7 Unklare Beschwerden 5 1,0 1,6 1,6
Problem begünstigende Faktoren und andere Probleme 48 Patient will Arzt nicht mit Fragen belästigen 6 1,3 1,9 11 Angst vor dem Arzneimittel, Verunsicherung 29 6,0 9,4 45 Patient ist falsch informiert 24 5,0 7,7 13a Begrenztes Wissen über Therapie oder Krankheit 72 14,9 23,2 15a Patient möchte Lebensstil nicht ändern 6 1,3 1,9 15 Unzufriedenheit mit Therapie 17 3,6 5,5 100 Andere (können nicht zugeordnet werden) 23 4,7 7,4 Gesamt 478 100,0 154,2
* Prozentuale Verteilung der Codes für arzneimittelbezogene Probleme; Gesamtsumme = 100 Prozent (Problem begünstigende Faktoren wurden nicht einbezogen)
Arzneimittel für kardiovaskuläre Erkrankungen verursachten die meisten Probleme, gehörten allerdings auch zu den meist verordneten Arzneimitteln. Am häufigsten genannt wurden Glibenclamid, Insulin, Furosemid und Nifedipin (Tabelle 5). Insgesamt werden 172 verschiedene Arzneimittel in den 318 Problemberichten beschrieben.
Tabelle 5: Liste der zehn Arzneistoffe, die am häufigsten im Zusammenhang mit ABPs genannt wurden
Arzneistoff ATC-Code Prozent Glibenclamid A10BB01 3,8 Insulin A10AD01 3,0 Furosemid C03CA01 3,0 Nifedipin C08CA05 3,0 Isosorbidmononitrat C01DA14 2,7 Metformin A10BA02 2,2 Torasemid C03CA04 2,2 Captopril C09AA01 2,2 Metoprolol C07AB02 1,9 Acarbose A10BF01 1,6
Zur besseren Beurteilung, welche Arzneimittel tatsächlich häufiger mit Problemen verbunden sind, wurden die zehn am häufigsten genannten Arzneimittel in Bezug zu deren Verordnungsprävalenz in der Stichprobe gesetzt. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass alle Probleme für alle Patienten dokumentiert wurden. Tabelle 6 bezieht sich somit auf alle Interventionspatienten, für die eine vollständige Medikationshistorie während der gesamten 18-monatigen Studienzeit vorliegt (n = 142) und auf insgesamt 8937 Verordnungen. Die "Risikorate" wurde für die zehn am häufigsten verordneten Arzneimittel sowie die zehn im Zusammenhang mit Problemen am häufigsten genannten Arzneimittel berechnet. Die Risikorate für jedes Arzneimittel errechnet sich als Quotient aus dem prozentualen Anteil anwendender Patienten und dem prozentualen Anteil an Patienten, die Probleme mit dem jeweiligen Arzneimittel haben.
Tabelle 6: Risikoprofil für ABPs bei ausgewählten Arzneistoffen
Arzneistoff Anzahl der anwendenden Patienten (n = 142) * Anzahl der Patienten mit Problemen (n = 142) * ABP Risikorate Torasemid 5 (3,5) 5 (3,5) 1 Acarbose 8 (5,6) 3 (2,1) 0,38 Metoprolol 11 (7,8) 4 (2,8) 0,36 Metformin 16 (11,3) 5 (3,5) 0,31 Insulin 26 (18,3) 8 (5,6) 0,31 Glibenclamid 32 (22,5) 9 (6,3) 0,28 Nifedipin 40 (28,2) 9 (6,3) 0,23 Isosorbidmononitrat 40 (28,2) 7 (4,9) 0,17 Furosemid 36 (25,4) 6 (4,2) 0,17 Captopril 25 (17,6) 4 (2,8) 0,16 Theophyllin 26 (18,3) 4 (2,8) 0,15 Verapamil 22 (15,5) 3 (2,1) 0,14 Acetylsalicylsäure 53 (37,3) 4 (2,8) 0,08 Acetylcystein 57 (40,1) 1 (0,7) 0,02*) Prozent-Angaben in Klammern
Die Risikorate gibt somit einen Schätzwert an, mit welcher Wahrscheinlichkeit bei der Anwendung eines bestimmten Arzneimittels mit Schwierigkeiten zu rechnen ist und weist gleichzeitig auf Betreuungsschwerpunkte hin. Trotz geringer Verordnungsprävalenz hat Torasemid die höchste Risikorate, da für alle fünf Anwender Probleme beschrieben werden. Acetylsalicylsäure, das ebenfalls häufig mit Problemen assoziiert wurde (bei 2,8 Prozent aller Patienten), hat hingegen eine niedrige Risikorate, weil 37 Prozent aller Patienten Acetylsalicylsäure anwenden. Auffällig ist weiterhin, dass die meist verordneten Antidiabetika einheitlich eine hohe Risikorate aufweisen. Somit sollte der Apotheker vermehrt auf Sicherheit und Effektivität der Diabetestherapie achten.
Für 317 (von insgesamt 318) arzneimittelbezogene Probleme berichten die Apotheker, welche Schritte sie zur Lösung unternommen haben (Tabelle 7). In fast 70 Prozent aller Interventionen wurde der Patient beraten. Dies unterstreicht, wie wichtig die Kommunikation zwischen Patient und Apotheker bei der Pharmazeutischen Betreuung ist. Bei etwa 30 Prozent schlug der Apotheker direkte Veränderungen in der Arzneitherapie vor, wobei die Empfehlung eines OTC-Arzneimittels einen relativ geringen Stellenwert einnimmt. Knapp jeder fünfte Patient wurde zum Arzt oder Pflegedienst überwiesen und in einem Viertel aller Fälle direkter Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufgenommen.
Tabelle 7: Häufigkeit von Interventionen zur Lösung arzneimittelbezogener Probleme
Beschreibung Prozentsatz aller Codes Prozentsatz pro Bericht Patientenberatung 34,4 57,7 Patientenmotivation 6,0 10,1 Patient beruhigt, Abbau von Ängsten 2,3 3,8 Schulung zum "Selbstmonitoring" 2,3 3,8 Demonstration der Arzneimittelanwendung 2,3 3,8 Patient wurde veranlasst, Medikation abzusetzen 4,7 7,9 Veränderung der Applikationsform 1,9 3,2 OTC-Arzneimittel empfohlen 2,6 4,4 Therapeutische Alternativen vorgeschlagen 4,5 7,6 Dosierungsänderung vorgeschlagen 6,0 10,1 Erfolgsbeobachtung vorgeschlagen 2,3 3,8 Überweisung zum Hausarzt 6,4 10,7 Überweisung zum Facharzt 4,0 6,6 Überweisung zum häuslichen Pflegedienst 0,2 0,3 Kontaktaufnahme mit Hausarzt/Facharzt 15,2 25,5 Kontaktaufnahme mit anderen Apothekern 0,8 1,3 Kontaktaufnahme mit Arzneimittelinformationsstelle 1,7 2,8 Konflikt mit Arzt mit Patient besprochen 0,2 0,3 Kontaktaufnahme mit Familie des Patienten 0,2 0,3 Andere 2,7 4,4 Gesamt 100,0 167,5
730 Betreuungsprotokolle enthielten Angaben zum Zeitaufwand je Patientenkontakt (Gespräche und Lösung arzneimittelbezogener Probleme; nicht berücksichtigt ist die Zeit für Dokumentation und Fortbildung oder zum Beispiel für Recherchen bei schwierigen pharmakotherapeutischen Fragen). Mehr als zwei Drittel aller Interventionen dauerten 5 bis 15 Minuten, etwa 20 Prozent dauerten 30 bis 60 Minuten. Diese Angaben beziehen sich auf insgesamt 101 Interventionspatienten. Bei ungefähr 1,5 monatlichen Kontakten mit den Patienten und durchschnittlich fünf betreuten Studienpatienten errechnet sich pro Apotheke ein Zeitaufwand von etwa 15 Minuten pro Woche für die direkte Patientenbetreuung.
Apotheker lösen auch komplexe Arzneimittelprobleme
Ziel der OMA-Studie war die Implementierung und Evaluation eines Betreuungsprogramms für ältere multimorbide Patienten. Zugrunde lag die Annahme, dass diese Patienten eine Risikogruppe für arzneimittelbezogene Morbidität darstellen und dass die Pharmazeutische Betreuung zur Reduktion dieser Morbidität beitragen kann. Die Analyse der Studiendaten bestätigt dies und legt nahe, dass Sicherheit und Effektivität der Arzneimitteltherapie bei den Studienpatienten tatsächlich eingeschränkt waren.
Polypharmazie, verringerte Toleranz gegenüber arzneimittelbezogener Morbidität und ungenügendes Monitoring des Therapieverlaufs sind zentrale Probleme bei der Arzneimitteltherapie des alten Menschen und wurden auch von den Studienapothekern dokumentiert: Der Schwerpunkt lag auf unerwünschten Arzneimittelwirkungen und der Anwendung ungeeigneter Arzneimittel, zum Beispiel bei Kontraindikationen oder Doppelverordnungen. Die Analyse der Probleme, der betroffenen Arzneimittel und der Auswirkungen auf die Patienten liefert wichtige Daten für zukünftige Betreuungsprogramme; sie weist zum Beispiel auf Risikopatienten hin. Auszüge aus den Betreuungsprotokollen von Studienpatienten verdeutlichen dies (siehe "Fallbeispiele").
Die Prozessanalyse in der OMA-Studie macht deutlich, dass Apotheker durch kontinuierliche Zusammenschau von Medikationsdaten und Patientenberichten arzneimittelbezogene Probleme identifizieren und beheben können. Die regelmäßig erstellten Protokolle reflektieren ein umfassendes Spektrum von Leistungen, die alle das Ziel hatten, die Therapieergebnisse zu optimieren. Erwartungsgemäß ist die Beratung über Arzneimitteltherapie und Erkrankung die meist genannte Serviceleistung; gleich danach kommt das Monitoring des Anwendungserfolgs, zum Beispiel anhand verschiedener Laborwerte. Dabei ist nicht die Erhebung der Messwerte die zentrale Leistung, sondern die Anwendung der Ergebnisse für ein kontinuierliches Erfolgsmonitoring. So werden als Betreuungsziele häufig mit Laborwerten überprüfbare Therapieerfolge genannt, zum Beispiel die Einstellung des Blutzuckers. Weiterhin spielte die Stärkung des Selbstmanagements eine zentrale Bedeutung. Dies zielt sowohl auf die Organisation der Therapie (mit Therapie- und Dosierungsplänen) als auch das Selbstmonitoring chronischer Erkrankungen ab.
Die OMA-Studie belegt, dass Apotheker eine kontinuierliche Betreuung mit Definition und Überwachung von Betreuungszielen gewährleisten und mit dieser Vorgehensweise auch schwierige und komplexe arzneimittelbezogene Probleme Schritt für Schritt lösen können (siehe Fallbeispiele). Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Patientengruppe in der OMA-Studie im Vergleich zu krankheitsspezifischen Betreuungsmodellen und Patientengruppen eine große Herausforderung bedeutete. Probleme dieser Patienten sind oft nicht monokausal und wegen Multimedikation und Multimorbidität nicht unabhängig voneinander zu lösen und Therapierichtlinien nicht immer auf individuelle Patienten übertragbar. Daher lassen sich auch Interventionen zur Lösung arzneimittelbezogener Probleme schlecht standardisieren. Dies mag unter anderem erklären, weshalb Intensität und Konsistenz der Pharmazeutischen Betreuung innerhalb der Interventionsgruppe so stark variiert haben.
Für ungefähr die Hälfte aller Interventionspatienten liegt eine Dokumentation vor, die den Ablauf der Betreuung und die Identifizierung arzneimittelbezogener Probleme darstellt. Für die andere Hälfte fehlt jegliche Dokumentation, was nicht unbedingt mangelnde Betreuung, sondern auch schlicht mangelnde Dokumentation bedeuten kann. Allerdings ist fraglich, wie eine 18-monatige zielorientierte Betreuung ohne schriftliche Erfassung von Zielen und Zwischenergebnissen möglich war. Die Interventionsprotokolle zeigen, dass das Ausmaß der Betreuung und vor allem der Identifizierung arzneimittelbezogener Probleme von Apotheke zu Apotheke variierten. Die durchschnittliche Zahl der Protokolle in einer Apotheke war relativ konstant, das heißt anscheinend weitgehend unabhängig vom jeweiligen Patienten. Ein ähnlicher Trend lässt sich bei der Dokumentation arzneimittelbezogener Probleme feststellen. Daraus kann man schließen, dass Spektrum und Zahl der erfassten Probleme nicht vollständig sind und die Problematik eher unter- als überschätzt wird.
Zur Nutzenbewertung der Studie
Die Pharmazeutische Betreuung wurde in unterschiedlicher Intensität angeboten und dies hat sich einschränkend auf die Nutzenbewertung der OMA-Studie ausgewirkt. Ohne die Gewähr, dass bestimmte essenzielle Leistungen wirklich konsistent umgesetzt wurden, lässt sich zwischen Kontroll- und Interventionsgruppe keine klare Trennung vornehmen, das heißt auch keine klaren Erfolge messen. Da vorwiegend interessierte und engagierte Apotheker zur unentgeltlichen Teilnahme an Studien bereit sind, stellt sich außerdem die Frage, wie sich "keine" Intervention in der Kontrollgruppe garantieren lässt. Da in Apotheken kaum Patientendaten routinemäßig erhoben werden, könnten die Kontrollpatienten schon das Interview mit dem Apotheker und das Ausfüllen von Fragebögen als Zuwendung wahrgenommen haben.
Wenn keine Pharmazeutische Betreuung stattgefunden hat, also keine Probleme erkannt und gelöst wurden, sollte man auch keinen Erfolg beim Patienten messen können. Ein starker Zusammenhang zwischen der Intensität der Betreuung und deren Ergebnis würde daher die Aussagekraft und Validität von Studien zur Pharmazeutischen Betreuung erheblich steigern, da ausgeschlossen werden könnte, dass andere Faktoren wie die persönliche Zuwendung das Ergebnis beeinflusst haben.
Weiterhin sollten Studien repräsentative Schlussfolgerungen liefern, das heißt prognostizieren, wie die Pharmazeutische Betreuung auf Patientenergebnisse wirken würde, wenn mehr Apotheken größere Patientengruppen betreuen. Hierzu muss jedoch bekannt sein, welche Leistungen genau erbracht und ob diese einheitlich und konsistent angeboten wurden. Dieser Aspekt einer kontinuierlichen Prozessqualität wird auch in der Diskussion mit den Krankenkassen eine Rolle spielen.
Studien zur Pharmazeutischen Betreuung können auf Grund ihres Pilotcharakters diese Anforderung derzeit nicht vollständig erfüllen, da sie neben der Nutzenbewertung auch die Realisierbarkeit des Konzepts testen. Für Apotheker sind wenigstens Teilbereiche davon neu. Vielfach müssen Leistungen modifiziert werden, wenn sie sich als ineffektiv erwiesen haben. Letztlich versucht die Pharmazeutische Betreuung, die Qualität der Arzneimitteltherapie durch langfristiges engmaschiges Erfolgsmonitoring über den derzeitigen Standard hinaus zu verbessern. Dies erfordert neue interdisziplinäre Strategien und eine effektive Infrastruktur für die Organisation der kontinuierlichen Patientenbetreuung und die Kommunikation mit Patienten und anderen Heilberuflern, die oft erst aufgebaut werden müssen. Trotzdem konnte die OMA-Studie zeigen, dass die Pharmazeutische Betreuung umsetzbar ist und der Apotheker mit diesem Konzept arzneimittelbezogene Probleme erkennen, lösen und verhindern kann.
Asthma-Patientin gut eingestellt
Eine 71-jährige Asthmatikerin wird zu Studienbeginn mit Berodual Dosieraerosol (DA), Aeromax DA und Theophyllin 300 behandelt. Zwischen 19. April 1997 und 12. Oktober 1998 werden sieben Gespräche dokumentiert. Die Patientin reduziert auffallend die Asthma- und Gichtmedikation. Ihr fehlt die Einsicht zum Selbstmonitoring (Peak-Flow-Messung).
In den ersten beiden Studienquartalen steigt der Verbrauch von Berodual von sieben auf etwa 14 Hübe täglich. Aus der Medikationshistorie errechnet sich die durchschnittliche Tagesdosis Beclomethason mit 1,4 Hüben und für Theophyllin mit 300 mg. Zur Bluthochdruckbehandlung erhält die Patientin seit längerem einen ACE-Hemmer, der anscheinend nicht gut vertragen wird. Wegen häufigerer Herzrhythmusstörungen wird seit einiger Zeit zusätzlich Tambocor verordnet. Die Apothekerin wird auf den hohen Verbrauch des Beta-Agonisten aufmerksam, als die Patientin über Asthmaprobleme klagt. In der Folge erhält sie eine Stoßtherapie Prednisolon, das langsam ausgeschlichen wird. Die Apothekerin erklärt ausführlich die Wirkweise des Cortisons ("Beschützerfunktion"). Nach Rücksprache mit dem Arzt und der Arzneimittelinformationsstelle wird Tambocor abgesetzt. Allopurinol, das inzwischen vergessen wurde, wird nach Hinweis auf erhöhte Harnsäurespiegel wieder eingesetzt.
Die Apothekerin konzentriert sich auf Asthmatherapie und -selbstmanagement, Abbau von Cortisonangst und Steigerung der Patientencompliance. Bei Studienende liegt der tägliche Verbrauch von Berodual bei 4,5 Hüben, die durchschnittliche Tagesdosis an Corticosteroid hat sich auf 2,5 Hübe erhöht. Die Asthmatherapie ist optimiert. Die Patienten begreift ihre "Atemnot" nun als chronische Erkrankung, empfindet therapiebegleitende Maßnahmen (Peak Flow) aber nach wie vor als "lästig" - hier wird der weitere Schwerpunkt der Betreuung liegen.
Blutdrucktherapie optimieren
Eine Patientin erhält in den ersten drei Studienquartalen eine Reihe verschiedener Antihypertensiva sowie zusätzlich einen H2-Antagonisten, Bikalm und diverse nicht-steroidale Antiphlogistika. Im ersten Quartal beschreibt die Studienapothekerin einen "schlecht einstellbaren" Bluthochdruck, der trotz ACE-Hemmer und Diuretikum nicht kontrolliert werden kann. Die Patientin erhält Training im Selbstmanagement, beginnt ein Blutdruck-Tagebuch und kommt regelmäßig zur Kontrolle in die Apotheke und zum Hausarzt. Die Apothekerin kontaktiert die Arzneimittelinformationsstelle und den Facharzt.
Während einer Bluthochdruckkrise fährt die Apothekerin die Frau ins Krankenhaus. Die Patientin erhält nach Entlassung Delix 5 plus, Norvasc und Dilatrend. Es kommt zu hypotonen Krisen, die zu erneuten Beratungsgesprächen führen. Dilatrend wird auf Empfehlung der Apothekerin abgesetzt, am Studienende ist der Blutdruck der Patientin mit Delix und Norvasc optimal eingestellt.
Besser umgehen mit Diabetes
Ein 68-jähriger Diabetiker wird vom 1. April 1997 bis 1. Oktober 1998 in der OMA-Studie betreut. Neun Gespräche mit einem Zeitaufwand von je 28 Minuten werden dokumentiert. Der Blutzucker des Patienten ist schlecht eingestellt und schwankt erheblich. Der Patient nimmt seine Arzneimittel mehr oder weniger regelmäßig; es kommt öfters vor, dass er seine guten Vorsätze vergisst und "sündigt".
Die Apothekerin diskutiert Blutdruck- und -zuckerwerte ausführlich mit dem Patienten und ermutigt ihn zur Teilnahme an einem DDB-Treffen "Ernährung mit Diabetes". Der Arzt wird kontaktiert und die Dosis Glibenclamid und Acarbose erhöht. Der Patient klagt über Blähungen, die mit Dimeticon verschwinden. Die Apothekerin arbeitet einen Dreiwochenplan zur Blutzucker- und Blutdruckkontrolle mit dem Patienten aus. Die Blutdruckwerte stabilisieren sich, beim Zucker erkennt auch der Patient, dass es so nicht bleiben kann: "Das will ich aber geändert wissen. Dafür muss ich etwas tun." Da auch die Umstellung auf Metformin nicht den gewünschten Erfolg bringt, wird der Patient darauf vorbereitet, Insulin zu spritzen. Nach einer Woche Schulung in einer Diabetesklinik wird der Patient auf Amaryl 2mg und 12 IE Insulin 70/30 umgestellt.
Die Blutzuckerwerte des Patienten sind gut. Der Patient nimmt aktiv an der Therapie teil und hat die Umstellung auf Insulin mit getragen. Er kann selbstständig mit Therapie und Erkrankung umgehen. Die Apothekerin hofft, dass Spätschäden vermieden werden können, räumt aber ein, dass sie früher hätte intervenieren sollen.
Literatur
Die Autoren
Apothekerin Almut Winterstein leitete die OMA-Studie in Westfalen-Lippe und wurde 1999 mit der Arbeit "Pharmaceutical Care - Grundlagen und Methoden zur Nutzenevaluation, dargestellt am Beispiel einer experimentellen Studie zur pharmazeutischen Betreuung älterer multimorbider Patienten" an der Humboldt-Universität Berlin promoviert. Die Arbeit stand unter Anleitung von Professor Dr. Marion Schaefer, Abteilung Arzneimittelepidemiologie/Sozialpharmazie des dortigen Instituts für Pharmazie. Dr. Winterstein ist derzeit als Clinical Assistant Professor in Gainesville am College of Pharmacy, University of Florida, tätig. Apotheker Roland Jopp arbeitet in einer öffentlichen Apotheke und in der Arbeitsgruppe von Professor Schaefer an Projekten und Studien zur pharmazeutischen Betreuung. Seine Schwerpunkte sind die Apotheke im Internet und neue Wege der Arzneimittelinformation.
Für die Verfasser:
Professor Dr. Marion Schaefer
Institut für Pharmazie der Humboldt-Universität
Goethestraße 54
13086 Berlin
*) Der Titelbeitrag behandelt den Prozess der Pharmazeutischen Betreuung und dessen konkreten Einfluss auf die Arzneimitteltherapie innerhalb der OMA-Studie. Welche direkten Ergebnisse hat die Betreuung für die Studienpatienten gebracht? Dies lesen Sie demnächst in zwei Folgebeiträgen im Ressort Pharmazie.
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