Der Gewinn muss stimmen |
07.03.2005 00:00 Uhr |
Die Übernahme des Generikaherstellers Hexal durch Novartis hat erneut den Spot auf die Entwicklung des Pharmamarktes gelenkt. Egal, ob in Deutschland oder den USA: Überall auf der Welt gerät die Branche in Bewegung. Das hat Folgen: für die Unternehmen, die Patienten und auch für die Apotheken.
Es war nicht der Deal zwischen der höchst erfolgreichen Hexal und den schweizerischen Fusionsspezialisten von Novartis, der eine Debatte um die Konsolidierung in der Pharmabranche in Gang brachte. Die Debatte hatte bereits im Jahr 2004 mit dem Kauf der Aventis durch Sanofi begonnen.
Die Fragestellungen sind bekannt, die Antworten natürlich nicht: Wie entwickelt sich der Pharmamarkt mit Blick auf die dynamische Globalisierung und die gesundheitspolitischen Eingriffe in allen wichtigen Märkten, auch in den USA? Und welche Folgen wird eine fortschreitende Vertikalisierung auf den Apothekenmarkt in Europa und insbesondere den deutschen Markt haben?
Zu den vielfältigen Einflussfaktoren, die zu möglichen Antwortszenarien führen, zählen auch die Gefechte auf den Nebenkriegsschauplätzen. Ein solches Gefecht bilden beispielsweise die Vorgänge rund um die Marktrücknahme von Vioxx im Jahr 2004 und zwei Jahre zuvor von Lipobay ab. Beide Skandale stehen stellvertretend für die wachsenden Risse im glänzenden Gewand der Pharmaindustrie. Ausgerechnet die Juwelen im Safe der Konzerne bringen ihnen im zunehmenden Maße Unglück.
Gefahr durch Blockbuster
Dabei sorgten eben diese Juwelen der Pharmariesen, die Blockbuster, nicht nur für den Großteil des Umsatzes, sondern sicherten satte Gewinnmargen und finanzielle Unabhängigkeit. Die Kriegskassen mancher Konzerne quollen über vor barer Liquidität – von einer beinahe grenzenlos positiven Bewertung an den Börsen dieser Welt einmal ganz abgesehen. Dabei hätte auch den naivsten Spekulanten klar sein müssen: Gerät ein solcher Blockbuster ins Trudeln, dann fällt mit ihm auch das sensible Gerüst eines Konzerns, das manchmal nur um einen oder eine Hand voll Blockbuster konfiguriert ist, in sich zusammen.
Während in München Ende September 2004 der Deutsche Apothekertag eröffnet wurde, nahm für den Pharmakonzern Merck & Co. das Unglück seinen Lauf. Etliche Monate nach dem Lipobay-Skandal, der für Bayer den Absturz aus der Weltliga der Pharmahersteller bedeutete, wandelte sich das Juwel Vioxx in einen Unheilstifter. Jenseits der dramatischen und auch tödlichen Folgen für die Patienten rauschte der Aktienkurs und damit der Wert des bis dahin grandios aufgestellten Multis in den Keller. Und mit dem Wertverlust und den milliardenschweren Schadenersatzforderungen sank auch das Renommee. Überrascht wurde die komplette Branche davon, dass aus einer Stärke plötzlich eine Schwäche geworden war.
Der Blockbuster mutierte innerhalb von Stunden von der Cashcow zum Ertragskiller. Das Beispiel Merck ist bezeichnend für die großen Risiken, die sich nicht nur auf die Hersteller beschränken: Obwohl Mercks Barkasse nach einigen fetten Jahren gut gefüllt ist, schätzen Analysten die jährlichen Verluste allein durch den Vioxx-Ausfall auf sage und schreibe 2,5 Milliarden US-Dollar. Und im nächsten Jahr läuft das Patent für den Cholesterolsenker Zocor aus. Allein dieses Statin machte zuletzt mehr als ein Fünftel der rund 22 Milliarden Dollar Umsatz aus. Nicht überraschend erscheint die Ankündigung des Konzerns vom Dienstag dieser Woche, wonach man gezielte Zukäufe beabsichtige, und auch den Generikabereich im Auge behalte.
Schwächelnde Innovationskraft
Die Herausforderungen für die Pharmahersteller werden nicht geringer. Während Patentabläufe alleine in den nächsten beiden Jahren im Volumen von rund 40 Milliarden Dollar drohen, kollabieren die Sozialsysteme zahlreicher Industrienationen. Die Sinnhaftigkeit von Innovationen wird hinterfragt, für Scheininnovationen soll aus den Sozialtöpfen kein Geld mehr fließen. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo die Pharmaindustrie zuletzt gedeihlich wachsen und ihre Gewinne auf mitunter mehr als 20 Prozent optimieren konnte, trompetet die Bush-Regierung nun zum geordneten Rückzug.
Problematisch erscheint auch die schwächelnde Innovationskraft der Branche. Die Zulassungsbehörden legen die Messlatte immer höher, die Entwicklungskosten steigen – nicht nur dadurch – erheblich. Und die Zahl der Indikationen wird nicht wirklich größer.
Einige Unternehmen, darunter Boehringer Ingelheim und Schering, haben die Fokussierung auf das ganz große Geschäft mit einigen wenigen Produkten in den hart umkämpften Indikationen in weiser Voraussicht verlassen und Kompetenz in Nischen entwickelt. Doch viele der ganz großen Konzerne setzten bislang auf eine andere, auf den ersten Blick auch schlichtere Strategie – großer Markt gleich große Nachfrage gleich großer Umsatz gleich großer Gewinn.
Dem Problem der sich nicht selbstständig entwickelnden Nachfrage begegneten die Konzerne bislang mit einem recht simplen Lösungsmodell: Immer mehr Pharmareferenten, umsatzorientierte Außendienstmitarbeiter, beackerten in den vergangenen Jahren die Mediziner rund um den Erdball. Dieses ausufernde Pharmamarketing wurde zuletzt sogar von den Regierungen heftig kritisiert. Nicht diese Kritik, aber die zukünftige Sicherung der Erträge und die mögliche Neuorientierung im Marketing und in der Logistik sorgen bei Pfizer anscheinend für ein Umdenken. Mit bösen Folgen für das Gros der angestellten Pharmaaußendienstler. Nun drohen dort Massenentlassungen. Beim weltgrößten Pharmakonzern ist die Freisetzung von bis zu 35 000 Mitarbeitern in den nächsten Jahren in der Diskussion, berichtete die Washington Post. Und in der nicht minder renommierten New York Times sind mittlerweile täglich Negativ-Berichte über die Branche und deren Produkte und Handlungsweisen zu lesen.
Immer häufiger müssen Konzernführer bei Analystenkonferenzen erläutern, wie sie das Geld wieder einnehmen wollen, das sie beispielsweise für die immer größer werdenden Forschungsabteilungen ausgegeben haben. Mit der Rechtfertigung beginnen die Probleme. Schon kleinste Erfolge aus frühen Forschungsstadien melden die Konzerne, um dem Aktienkurs Dynamik zu verleihen. Und damit beginnen die Probleme – auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Denn nur diese verfrühten Ankündigungen verursachen den Eindruck, dass aus Blockbustern Rohrkrepierer werden. Dabei ist es das Kreuz der Wissenschaft, dass nicht jede erhoffte Errungenschaft auch wirklich eine wird. Dass auch Zulassungsbehörden Fehleinschätzungen unterliegen, kommt hinzu.
Schon befeuert ein Teil der Pharmaindustrie gezielt die Diskussion, wie hoch das Risiko von Medikamenten sein dürfe, wie viel Risiko erträglich sei. Um immer neue Blockbuster zu finden, haben die Konzerne ihre Forschungsabteilungen jahrelang aufgebläht. „Abfallprodukte“ dieser Forschung wurden nur bedingt wahrgenommen oder genutzt, landeten in Archiven. Ein teilweise unsinniger Kreislauf.
Konsolidierung
Da diese Misere nicht mit eigenen Mitteln und Möglichkeiten aufzuhalten ist, wird der Kreislauf zwar nicht unterbrochen, sondern ergänzt. Sollten keine eigenen Innovationen gefunden werden, dann wird die gut gefüllte Kriegskasse geplündert, um Zukäufe zu realisieren. Man kauft die Innovationen ein, und zwar nicht nur die Patente, sondern gleich ganze, möglicherweise innovativere und produktivere Unternehmen. Die Fusionen der vergangenen Jahre waren nur der Beginn einer Konsolidierung, die bei einer bereits breiteren Aufstellung mancher Konzerne und einer grundsätzlich zurückhaltenderen Gewinnerwartung nicht zwingend nötig wäre. Sollen aber die Top-Margen und hohen Dividenden weiterhin gezahlt werden, dann hilft nur ein Ausbau der Größe, glaubt man immer noch mancherorts. Schon heute zeigen Unternehmensnamen wie der von GlaxoSmithKline die zunehmende Verdichtung in der Branche.
Verlassen sich die Unternehmen auf ihre eigene Innovationskraft, dann bedeutet dies nach heutigem Ermessen eher Schrumpfung als Wachstum. Hart getroffen von den anstehenden Patentabläufen werden besonders die ganz Großen des Geschäfts.
Ein Fusionsspezialist ist die weltweite Nummer eins im Pharmageschäft, der US-Riese Pfizer. Hier zu Lande liefert sich die Deutschland-Tochter seit Monaten ein gesundheitspolitisches Scharmützel um die geltende Festbetragsregelung, gedeckt vom amerikanischen Mutterkonzern. Der letzte große Wurf war Pfizer Ende der 90er-Jahre mit der Entdeckung von Viagra gelungen. Seitdem ist die eigene Forschung eher erfolglos unterwegs. Zur Jahrtausendwende schluckte Pfizer den Branchenkonkurrenten Warner-Lambert und macht mit dessen Produkt Lipitor mittlerweile rund 10 Milliarden Dollar Umsatz.
Strategiewechsel in Europa
Die einstmals führenden Pharmakonzerne aus dem „alten Europa“ haben längst einen Strategiewechsel eingeleitet. „Big is beautiful“ gehört der Vergangenheit an, es gilt plötzlich „klein, aber fein“. Die alte Kaufmannserkenntnis, dass in der Nische der Wettbewerbsdruck für eine bestimmte Zeit am niedrigsten ist, weist den Weg. An den Börsen werden die Unternehmen für diese neuen Wege seit einiger Zeit sittsam belohnt.
Sehr konsequent sortieren sich die Unternehmen und verzichten auf all das, was eine Neuorientierung erschweren könnte. So trennte sich Roche von seinem OTC-Geschäft und auch von der Vitaminsparte. Die nachgeordnete Fokussierung auf Kerngebiete bescherte dem Konzern neuen Auftrieb und in den Spezialgebieten Spitzenpositionen im Weltmarkt. Als Konzernchef Franz B. Humer seinerzeit die Neuordnung verkündete, galt seine Uhr als abgelaufen, Analysten zweifelten am Erfolg der Konzeption. Ihnen fehlten die Blockbuster in der Pipeline. Am Ende erkämpfte sich Roche neue Märkte und behielt Recht.
Kooperationen mit jungen Biotechunternehmen sind insbesondere die klassischen mittelständigen Pharmahersteller eingegangen. Über ihre Beteiligungen haben sie die sehr viel preiswerter agierenden jungen Unternehmen ermutigt, innovativ arbeiten zu können. Der Erfolg gibt diesen Kooperationen Recht. Und der Trend, alles in einem Konzern, unter einem Dach selbst machen zu wollen, ist vorbei. In Zeiten der Spezialisierung kaufen die Unternehmen bestimmte Leistungen konsequent ein. Diese Strategie hat in der Forschung dazu geführt, dass die Rolle der Biotechnologie in wenigen Jahren an Dominanz gewonnen hat. Es gibt einige Unternehmen, die mit diesen Mitteln zu alter, neuer Stärke gefunden haben. Eines der Aushängeschilder für eine derart erfolgreiche Strategie ist Boehringer-Ingelheim.
Keine Welt-Apotheke
Trotz dieser positiven Marktentwicklung wird der Konzentrationsprozess weiter zunehmen. Allerdings wird die einstige „Apotheke der Welt“, die deutsche Pharmaindustrie, keine führende Rolle spielen können. Im internationalen Vergleich kommen die deutschen Unternehmen recht bescheiden daher.
Im drittgrößten Pharmamarkt haben längst andere Konzerne ihre Vormachtstellung ausgebaut. Und es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, dass dies so bleiben wird oder sich sogar noch weiter fortsetzt, wie das jüngste Übernahmebeispiel Novartis/Hexal verdeutlicht.
In der Rangliste von IMS Health führt Pfizer (USA) vor GlaxoSmithKline (Großbritannien), Johnson & Johnson (USA) und Merck & Co (USA). Den Zusammenschluss von Aventis und Sanofi berücksichtigte das Ranking noch nicht. Immer näher an die Top Ten rückt zumindest mit Boehringer Ingelheim das im Umsatz größte deutsche Pharmaunternehmen. Bayer und Schering landen dahinter und gehören noch zu den größten 20 Unternehmen weltweit. Seit Beginn der 90er-Jahre sank der Stern deutscher Hersteller im internationalen Vergleich. Nunmehr reine Chemiekonzerne wie BASF zogen sich komplett zurück aus der Pharmabranche, Hoechst gibt es nicht mehr (und noch nicht einmal die eigenständige Aventis), Boehringer und Altana als Familienunternehmen scheinen gegen Übernahmen grundsätzlich gewappnet.
Mitschuld trägt an der unbefriedigenden Situation wohl auch die Politik, die nicht nur vom Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) als „innovationsfeindlich“ gegeißelt wird. Kritik am Standort Deutschland gibt es immer wieder und gerne – das beschränkt sich nicht nur auf die Steuer- und Forschungspolitik, sondern auch auf die immer rigideren Eingriffe der Gesundheitspolitik, beispielsweise in Form von Herstellerrabatten und Festbeträgen.
Eine Studie des Beratungsunternehmens Corfina führt den heutigen Größennachteil der deutschen Pharmaindustrie auf eine geringe Wertsteigerung der Unternehmen in der Vergangenheit zurück. Damit einhergehend verzeichne die deutsche Branche im internationalen Vergleich auch eine unterdurchschnittliche Ertragskraft. Die Studie bestätigt die Meinung vieler Analysten und Branchenkenner: Das Geheimnis des Erfolgs innovativer Unternehmen liege in einer besseren Steuerung der Forschung sowie in der beständigen Sorge um Lizenzen und Akquisitionen.
Novartis wechselt Strategie
Insoweit dürfte auch Novartis ein erfolgreiches Unternehmen sein. Seit Jahren ist der schweizerische Konzern hoch profitabel, scheut sich nicht vor gezielten Zukäufen, sammelt Biotech-Partner an seinen Flanken und hat gerade mit dem Hexal-Kauf einen zwar teuren, aber zukunftsweisenden Deal unter Dach und Fach gebracht.
Novartis-Vorstandschef Daniel Vasella, seit zwei Jahren Chef des Weltpharmaverbands, hat eine eigene Strategie entwickelt, um den Konzern krisenfester zu machen und die Abhängigkeit von Blockbustern zu minimieren. Vasella setzt auf ein zusätzliches Generika-Standbein, will in diesem Wachstumssegment präsent und stark zugleich sein.
In Deutschland gehört die erlesene Schar der Generikahersteller zu den aktuell erfolgreichsten und gefragtesten Lobbyisten. Im Gegensatz zu den mitunter bewegungsarmen Großkonzernen und den aus politischer Sicht unangenehmen „Störenfrieden“ wie Pfizer, spielen die Nachahmer einen Joker, der politisch zieht: Den Joker ziert das Signet „Kostenersparnis“.
Und während Pfizer gegen die Festbetragsregelung wetterte, kündigte der im vergangenen Jahr gegründete Verband „Pro Generika“ an, man werde in diesem Jahr nicht die Preise erhöhen. Freiwillig! Damit verlängerten die Hersteller das Ende 2004 abgelaufene gesetzliche Preismoratorium für verschreibungspflichtige Generika.
Zudem gilt der Generikamarkt als absoluter Wachstumsmarkt. Daran zweifelt kein Analyst und auch die Unternehmen gehen mit breiter Brust in die nächsten Jahre. Dr. Claudio Albrecht, Vorstandsvorsitzender von Ratiopharm, glaubt, dass die Branche gute Perspektiven hat, aber vor einer Konsolidierung steht. Seiner Ansicht nach werden nur zwei der jetzt im Markt agierenden Unternehmen in fünf Jahren noch unabhängig sein.
Starkes Generika-Wachstum
Einer Analyse der Unternehmensberater Bain & Company zufolge wird sich noch bis 2008 ein jährliches Wachstum von 13 Prozent halten können. Bereits seit Ende der 90er-Jahre hat der Markt der Generika jährlich zweistellig zugelegt. In Deutschland hatte sich das Tempo angesichts einer höheren Marktdurchdringung verlangsamt. Hier steht deswegen eine Konsolidierung im Markt selbst an. Die Zahl der Marktteilnehmer wird in den nächsten Jahren weiter abnehmen. Ein erstes Indiz war auch die Zusammenführung von Sandoz und Hexal unter dem Novartis-Konzerndach.
Seit 1998 hat sich das Marktvolumen für Generika weltweit auf nunmehr bald 40 Milliarden Dollar verdoppelt - Tendenz: stark steigend. Und angesichts der beschriebenen Patentabläufe herrscht in der Branche jenseits von politischen Eingriffen durchaus Goldgräberstimmung.
Auch die Unternehmensberater sind sich sicher, dass der Kostendruck auf das Gesundheitswesen nicht nachlassen wird, günstige Generika demnach gefragt bleiben. Michael Steiner, Partner bei Bain, bezifferte unlängst den Gesamtumsatz mit Medikamenten, die ihren Patentschutz bis zum Jahr 2015 verlieren, auf 318 Milliarden Dollar. Das zeigt, dass Vasella durchaus richtig liegen könnte, mit seiner neuen Betonung der Generikaschiene. Nicht auf dem deutschen Markt bislang vertreten ist die Nummer eins im weltweiten Generikageschäft, die israelische Teva. „Nichts auf der Welt wird Generika stoppen können", sagte deren Vorstandsvorsitzender Israel Mako kürzlich mit Blick auf die Entwicklung der Pharmamärkte.
Ähnlich wie die forschenden Hersteller sind auch Generikaunternehmen von den Sparbemühungen betroffen. Zudem liefern sich die Unternehmen einen teilweise harten Wettbewerb um Marktanteile. Dieser Wettbewerb wird teilweise über die Preis, meist aber auch über die Liefer- und Rabattbedingungen geführt. Im vergangenen Jahr hatten sich die drei großen deutschen Generikahersteller Ratiopharm, Hexal und Stada mit dem aggressiv auftretenden Novartis-Ableger Sandoz einen heftigen Schlagabtausch geliefert, der nur in einer konzertierten Aktion eingedämmt werden konnte.
Eine charmantere Möglichkeit, die Risiken einer drohenden Ertragsvernichtung durch allzu viel Wettbewerb einzudämmen, gibt es natürlich auch: Man nimmt möglichst viel Geld in die Hand und kauft den Konkurrenten einfach auf. Aktien im Gegenwert von 4 Milliarden Dollar legte der amerikanische Generikahersteller Mylan Laboratories vor einigen Monaten für den Pharmakonzern King Pharmaceuticals auf den Tisch.
Bei der Teva kennt man den Druck im Markt wie kaum ein anderes Unternehmen. „Der Generikamarkt ist sehr wettbewerbsintensiv", sagt Makov. „Der Druck variiert von Jahr zu Jahr, aber wenn er anzieht, kommt es auch zu einer schnelleren Konsolidierung der Branche. Ein Markt mit großer Konkurrenz wird für kleinere Unternehmen bedrohlich, bietet uns aber Übernahmemöglichkeiten und die Chance, unseren Marktanteil auszubauen."
Spekulationen um Stada
Nach dem Verkauf der Hexal kamen umgehend neue Diskussionen auf. Wer ist der nächste Übernahmekandidat? In dieser Rolle wird sich Hartmut Retzlaff, Vorstandschef der Stada Arzneimittel AG aus Bad Vilbel bei Frankfurt wohl fühlen. Denn mit den Spekulationen zog gleich der Aktienkurs der deutschen Nummer drei im Generikamarkt kräftig an. Das kann auch die Stada nach einem etwas schwierigeren Jahr gut gebrauchen. Trotzdem: Retzlaff kann Jahr für Jahr neue Rekorde verbuchen. Aber riskant dürfte sein, dass sich die Aktien fast komplett in Streubesitz befinden.
Fast schon im Halbjahrestakt wiederholen sich daher die Spekulationen – und geben dem Aktienkurs immer mal wieder etwas Dynamik. Mit dem jetzt wieder steigenden Kurs wird eine Übernahme allerdings nicht wirklich wahrscheinlicher. Sowohl Novartis als auch die Darmstädter Merck KGaA hatten immer wieder gesagt, sie suchten nach einer Ergänzung für ihre Konzernportfolio. Zu einem Ergebnis haben mögliche Gespräche bislang freilich nicht geführt.
Stada litt im vergangenen Jahr wie die deutschen Konkurrenten unter dem drastischen Wettbewerb und unter den Folgen der Gesundheitspolitik. Der Aktienkurs brach ein, auch wenn wenigstens die Spekulationen für einigen Auftrieb sorgten. Im Verlauf des Jahres hat sich die Situation erheblich verbessert. Nach einem frustrierenden Halbjahresbericht wird Retzlaff am Monatsende mit guten Zahlen aufwarten können, auch wenn die Wachstumsdynamik hinter der anderer Jahre liegt. Der Stada-Vorstand geht jedoch von einer nur vorübergehenden Verlangsamung des Wachstumskurses des Konzerns aus.
Grundsätzlich dürften die europäischen Generikaanbieter zudem weiterhin davon profitieren, dass die Preise für Generika etwa in Deutschland sehr viel höher sind als in den Vereinigten Staaten - auch das hat Bain in einer Studie herausgefunden.
Neue Märkte
Auf der Suche nach neuen Märkten hatten manche Konzerne klammheimlich darauf gehofft, dass die Türen, die mit dem Ausbruch von Sars in China plötzlich sperrangelweit offen standen, offen bleiben. Doch die Erwartungen wurden in den vergangenen Monaten zunehmend gedämpft. Der chinesische Markt ist in sich geschlossen, die Regierung will das Gesundheitswesen nicht gänzlich marktwirtschaftlichen Einflüssen überlassen, heißt es aus Peking. Und so dürfte Harvey Bale vom Weltpharmaverband seine Einschätzung wohl revidieren, wonach die Regierung sich vielleicht in Zukunft stärker an international geltende Regeln halten werde.
Für die Industrie zählt bei diesem Öffnungsprozess vor allem, dass China das internationale Patentrecht anerkennt. Dies nutze beiden Seiten, glaubt Bale. Den Bekundungen wollen die Großkonzerne nur bedingt glauben. Zudem wirbt man vor Ort damit, es gebe auch für chinesische Firmen einen stärkeren Anreiz, selber Medikamente oder Diagnostika zu entwickeln und zu exportieren. Rund 8 Milliarden Dollar setzt der chinesische Pharmamarkt heute um, nicht eingerechnet die traditionelle chinesische Medizin. Bislang haben patentgeschützte, hochpreisige Medikamente einen Marktanteil von 10 Prozent, drei Viertel des Marktes machen Generika aus, den Rest frei verkäufliche Arzneien.
Trotzdem: Die kommende Dynamik zieht Pharmainvestments magisch an. So wächst in der chinesischen Volkswirtschaft das verfügbare Einkommen der Bevölkerung stärker als in vielen Industrienationen. Zweitens steigt der Altersdurchschnitt in der Gesellschaft und die Geburtenraten gehen zurück. Heute sind 9 Prozent der Chinesen 60 Jahre und älter, 2010 werden schon 16 Prozent dieser Altersklasse angehören. Insgesamt käme der chinesische Pharmamarkt 2010 auf ein Volumen von rund 24 Milliarden Dollar - das entspräche Platz fünf unter den großen Absatzmärkten.
Westliche Pharmaunternehmen kritisieren, dass die Preisbildung und Auftragsvergabe der lokalen Behörden für das öffentliche Gesundheitswesen undurchsichtig sei. Kein Wunder, denn in China produziert auch der Staat für den öffentlichen Sektor. Darunter sind etwa orale Kontrazeptiva zur Durchsetzung der staatlich verordneten Ein-Kind-Familie. Selbst
für Schering, den weltweit größten Hersteller von Verhütungspillen, ist das Reich der Mitte schwer zu knacken. Deswegen konzentrieren sich die Unternehmen, auch wenn es schwer fällt, auf heimische Gefilde.
Folgen für die Apotheken
So sehr der Staat aber die Unternehmen fördern will, so sehr setzt er sie wieder unter Druck. Dem patentierten Angebotsschutz stellt er mehr und mehr die Nachfragemacht der Krankenkassen gegenüber. Im Zusammenspiel mit der zunehmenden Konzentration im Markt sind die Folgen für die nachgelagerten Handels- und Vertriebsstufen enorm.
In den Rabatt- und Preisverhandlungen mit den Krankenkassen, die gerade beginnen, wird deutlich, welche Rolle die Industrie sich selbst zugesteht. Es gibt keine wirklichen anderen „Partner“, Allianzen werden nach der aktuellen Gesetzeslage und der Gefechtssituation geschlossen und gelöst. Wenn Ratiopharm die Incentivierung von Ärzten anregt – wie letzte Woche in Berlin – dann wissen alle Beteiligten, dass es längst einen Wettbewerb von Incentivierungsmaßnahmen zwischen den einzelnen Pharmaherstellern bei den Ärzten gibt. Schließlich geht es darum, welches Präparat auf dem Rezeptblock landet.
Wenn also ein Pharmahersteller, zudem noch ein Generikaunternehmen, eine sozusagen übergeordnete Motivation oder eben Incentivierung von Ärzten von Gesetzes wegen einfordert, dann zeichnet dies einen deutlichen Weg, wer wessen Partner werden soll.
Dass ein gemeinsamer Weg nicht zwingend vorteilhaft ist, verdeutlicht die aktuelle Strategie eines großen Pharmaherstellers in Spanien. Dort setzt ein US-Konzern auf die Kontingentierung in den Apotheken. Das bedeutet nichts anderes, als dass jede Apotheke nur eine bestimmte Anzahl von Präparaten zur Abgabe an Patienten erhält. Ist das Kontingent aufgebraucht, dann bedeutet dies für die Apotheke, dass sie den Kunden zur nächsten Apotheke oder sonst wohin schicken muss.
Der Konzern möchte auf diesem Weg mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn mit der Kontingentierung wird nicht nur der Großhandel in seiner logistischen Funktion ausgeschaltet, auch die Apotheke dient als Warenlager für den Konzern. Die Vertriebskosten werden drastisch gesenkt – und das gilt auch für die Verwaltungskosten. Zudem hat das System auch analytische Vorteile – für den Hersteller.
Ähnliche Modelle werden hinter verschlossenen Türen längst auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern diskutiert. Eine weitergehende Konsolidierung auf der Herstellerebene wird zwangsläufig dazu führen, dass sich die Konsolidierung in Richtung Logistik/Vertrieb fortsetzt. Betroffen davon sind zu guter Letzt dann die Apotheken.
Tendenzen zeichnen sich bereits ab. So haben die Krankenkassen ein natürliches Interesse daran, mit den Herstellern direkt Preise zu verhandeln, weiterhin die Durchreichung von Einkaufsvorteilen der Apotheken zu verlangen und auch bei der Verschreibungspraxis der Ärzte mitzureden. Allerdings dürften nicht alle Modelle, die in anderen Ländern funktionieren und von Krankenkassenmanagern erdacht werden, einfach so im Markt umsetzbar sein.
Die Konsolidierung des Marktes auf der Herstellerseite wird zwangsläufig eine Konsolidierung auf der Vertriebsebene nach sich ziehen. Damit ist nicht per se gemeint, dass sich Apothekenketten bilden müssen, um die Konsolidierung zu betreiben. Genossenschaften und Kooperationen sind Vorboten einer Konsolidierung, die nicht mit Konzentration gleichgesetzt werden muss.
Allerdings zeigen die jüngsten Entwicklungen im Pharmamarkt, dass sich die Hersteller bewegen und auch in Bereiche vordringen, von denen Analysten nicht geglaubt hätten, dass forschende Hersteller dorthin vordringen. Dass Konzerne nun die Generikasparte für sich entdecken, verdeutlicht, was alles möglich ist. Es geht um die langfristige Gewinnoptimierung. Und dabei ist es den Unternehmen grundsätzlich gleichgültig, wie und in welchem Rahmen sie ihre Produkte an den Patienten bringen: Hauptsache, der Preis stimmt und der Gewinn.
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