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Reichstag statt Lahnstein

10.02.2003  00:00 Uhr

Gesundheitspolitik

Reichstag statt Lahnstein

von Thomas Bellartz, Berlin

In Berlin streiten Regierung und Opposition heftig um das beste Konzept für eine Gesundheitsreform. Während sich Grüne und Union annähern, ist die SPD innerparteilich uneins. Ulla Schmidt will die Arzneimittelpreisverordnung novellieren, Versandhandel und Mehrbesitz zulassen. Eine zweite Kungelrunde à la Lahnstein wollen CDU und CSU nicht. Das Parlament soll entscheiden.

Ulla Schmidt lächelte wie in ihren besseren Tagen. Gut zwei Jahre nachdem sie das Ministerinnen-Amt von ihrer grünen Vorgängerin Andrea Fischer übernommen hatte, präsentierte die Aachenerin in der Hauptstadt ihre Eckpunkte für eine Gesundheitsreform.

Aus der Perspektive der deutschen Apothekerinnen und Apotheker bietet das Konzept aus dem Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung (BMGS) allerhand Sprengstoff. Neben der – bereits seit etlichen Monaten vorgesehenen – Einführung der Positivliste und einer Novellierung der Arzneimittelpreisverordnung will die Ministerin den Versandhandel mit Arzneimitteln und den Apotheken-Mehrbesitz zulassen. Die so genannte „vierte Hürde“ soll die Kosten-Nutzen-Bewertung von Medikamenten ermöglichen. Das komplette Maßnahmenpaket aus dem BMGS:

Positionen aus dem Eckpunktepapier des Gesundheitsministeriums

  • Die Transparenz medizinischer Leistungen wird für die Patienten verbessert. Es wird ein Patientenbeauftragter ernannt.
  • Ärzte werden zur Fortbildung verpflichtet. Das unabhängige „Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin" wird gegründet mit den Aufgaben der Verbesserung der Patienteninformation, der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln sowie der Entwicklung von Behandlungsleitlinien für die wichtigsten Volkskrankheiten.
  • Die Patientenquittung wird eingeführt. Bis 1. Januar 2006 soll es die elektronische Patientenkarte mit Angaben zu früheren Behandlungen, Medikamenten und Notfalldaten unter Wahrung des Datenschutzes geben.
  • Für erfolgreiche Teilnahme an qualitätsgesicherten Präventionsprogrammen sollen Bonusregelungen entwickelt werden. Krankenkassen werden verpflichtet, Anreize für die freiwillige Inanspruchnahme des Hausarztmodells anzubieten und bei den Regelungen für Zuzahlungen sollen nicht mehr Einkommen oder Packungsgröße entscheidend sein, sondern wirtschaftliches und gesundheitsbewusstes Verhalten der Versicherten.
  • Krankenkassen und Vertragsärzte sollen gemeinsam für den Auftrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung verantwortlich sein. Neben Kollektivverträgen sollen auch Einzelverträge ermöglicht werden, Krankenhäuser sollen teilweise für die ambulante Versorgung geöffnet und die Einrichtung von Gesundheitszentren ermöglicht werden.
  • Die Vergütung für die hausärztliche Versorgung soll patientenorientiert gestaltet werden, für fachärztliche Behandlungen sollen Fallpauschalen eingeführt werden.
  • Geplant sind die Novellierung der Arzneimittelpreisverordnung, die Aufhebung des Verbots, mehrere Apotheken zu besitzen, und die Zulassung von Versandapotheken.
  • Die Organisationsstrukturen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen sollen modernisiert werden. Die Gehälter und Aufwandsentschädigungen der Spitzenfunktionäre müssen veröffentlicht werden.

 

Im Gespräch mit der PZ nach der Vorstellung ihrer Eckpunkte am vergangenen Donnerstag sagte Schmidt ausdrücklich, sie wolle „keinen Fremdbesitz zulassen“. Das habe man bewusst „außen vor gelassen“. Schmidt: „Sonst kommen die großen Pharmagroßhändler und die Industrie und machen eigene Ketten.“ Das sei nicht in ihrem Interesse. Sie wolle die unabhängige Apotheke erhalten, aber den Markt liberalisieren.

Frontalangriff auf die Apotheke

ABDA-Präsident Hans-Günter Friese reagierte unmissverständlich: „Die Eckpunkte zur Modernisierung des Gesundheitswesens sind ein Frontalangriff auf die unabhängige öffentliche Apotheke.“ Mit der ablehnenden Haltung des BMGS-Konzepts steht Friese nicht alleine da. Nicht nur die Verbände der betroffenen Leistungserbringer reagierten zurückhaltend bis ablehnend. Auch in den eigenen Reihen erntete die Ministerin mit ihren Eckpunkten wenig Applaus. Die Opposition nahm das Papier ins Kreuzfeuer. Und auch beim grünen Koalitionspartner gibt man sich zurückhaltend. Dort zeichnen sich immer mehr Gemeinsamkeiten mit der Unionsfraktion ab.

Friese meint, die Eckpunkte führten unweigerlich zur Zerstörung der privatwirtschaftlich geführten Einzelapotheke. Schmidts Konzept stehe im Widerspruch zur Mittelstandsoffensive von Superminister Wolfgang Clement (SPD). Es sei nicht nachvollziehbar, warum Schmidt an der Einführung des Versandhandels und der Zulassung von Kettenapotheken festhalte, obwohl beide Systeme nicht zu Kostenersparnissen führten. Auch eine Steigerung der Qualität sei nicht zu erwarten. Der ABDA-Präsident fürchtet, Schmidt wolle das System der unabhängigen Apotheke zerschlagen. Dabei hatten sich erst im Sommer 2002 rund 7,7 Millionen Menschen mit ihren Unterschriften für den Erhalt des Systems eingesetzt.

Hickhack um die Eckpunkte

Während Ulla Schmidt vor einigen Monaten die millionenfachen Unterschriften der Apothekerschaft nicht persönlich entgegennehmen wollte, empfing sie – im Beisein von Kamerateams und Fotografen – in ihrem Berliner Ministerium eine Delegation des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die Funktionäre wünschten der Ministerin viel Erfolg bei ihrem Tun und übergaben ihr zwei mit Geschenkbändern umgarnte Unterschriftenpakete mit insgesamt rund 49 000 Unterschriften für einen Erhalt des solidarischen Gesundheitswesens.

Doch der Termin, der eine organisierte Unterstützungsveranstaltung für Schmidt werden sollte, glitt schnell in die Tiefen der aktuellen Tagespolitik ab. Kurz zuvor hatte SPD-Generalsekretär Olaf Scholz angekündigt, Schmidt werde ihr Konzept zunächst mit den Daten der Rürup-Kommission verzahnen. Diese sollte schneller als geplant Ergebnisse präsentieren, und dies am besten gemeinsam mit Schmidt tun, allerdings erst im März oder April.

Der forsche Generalsekretär hatte sein Vorgehen allerdings allem Anschein nach weder mit der Fraktion, noch mit dem Kanzleramt und am allerwenigsten mit der betroffenen Ministerin selbst abgestimmt. Schmidt, die ihre Eckpunkte noch vor den Landtagswahlen hatte präsentieren wollen und aus Gründen der Parteiräson zurückgewichen war, geriet stündlich stärker unter Druck.

Das Hickhack nahm seinen Lauf. Professor Dr. Bert Rürup wollte sich nicht dem Zeitplan unterwerfen. Auch im Schmidt-Ministerium war man über das Vorgehen des Generalsekretärs tief verärgert. Nachdem am vergangenen Mittwoch die Gesundheitspolitik zum Nummer-eins-Thema auf den Titelseiten und in den Kommentarspalten der Republik mutierte, lud Bundeskanzler Gerhard Schröder die Gesundheitsministerin, den Generalsekretär und SPD-Fraktionschef Franz Müntefering ins Kanzleramt. Zu später Stunde las der Regierungschef seinen Parteifreunden die Leviten.

Nur so lässt sich eine weitere Überraschungsaktion erklären, die Schmidt den wartenden Journalisten offerierte. Denn am vergangenen Donnerstag wollte sie eigentlich der erstmals tagenden Arbeitsgruppe Gesundheit der Rürup-Kommission ihre Eckpunkte präsentieren. Wohl aus Furcht, aus dem großen Gremium könnte allzu schnell allzu viel in die Öffentlichkeit dringen, ging die Ministerin schließlich in die Offensive.

Den überraschten Medienvertretern präsentierte sie plötzlich und ohne Ankündigung ihre Eckpunkte zur Modernisierung des Gesundheitswesens. Aufmerksame Beobachter werden allerdings festgestellt haben, dass die meisten Inhalte bereits seit Jahresbeginn nicht nur hinter verschlossenen Türen diskutiert wurden, sondern allenthalben bekannt waren, in den Medien teilweise bereits veröffentlicht wurden.

Das den Journalisten zum Fraß vorgeworfene Papier ist denn auch identisch mit einem Papier, das bereits Anfang Januar in die Öffentlichkeit gelangte. Einzige Änderung: Das Datum wurde angepasst.

Im Laufe eines ganzen Monats wurde an den Eckpunkten der Ministerin nichts verändert, weder inhaltlich noch redaktionell. Das überrascht angesichts der vielfältigen Gespräche, die zuletzt im Ministerium zum Beispiel mit Vertretern von Leistungserbringern und Patientenorganisationen, Gewerkschaften et cetera geführt worden waren.

Allerdings steht dieser Umstand auch als Beleg für die verworrene Situation innerhalb der SPD. Schmidt hätte tatsächlich lange vor den Landtagswahlen ihr Konzept präsentieren können. Aus taktischen Gründen wurde sie davon abgehalten.

Kommissionschef Rürup gab sich am Donnerstag eher weich gespült, lobte den Mut und die Innovation, die den Eckpunkten zu Grunde liege. Er wies indes darauf hin, dass er nicht in allen Fragen mit den Eckpunkten übereinstimme. Trotzdem soll nun die bisher gedachte Variante der „Reform in zwei Schritten“ im Papierkorb landen. „Alles aus einem Guss“ lautet die neue Parole.

Großer Wurf

In einem gemeinsamen Gesetzentwurf sollen die Vorschläge aus dem BMGS und der Rürup-Kommission münden. Einen großen Wurf hat Schmidt dies genannt. Doch während Rürup eigentlich im Herbst seine Ergebnisse präsentieren wollte, muss er nun schon im Mai seine wichtigsten Positionen gesetzesfertig skizzieren. Seine Trotzigkeit hat sich der Wissenschaftler bewahrt. „Unseren Abschlussbericht werden wir dann im Herbst vorlegen“, räumte Rürup ein und gab damit Gerüchten um ein Zerwürfnis zwischen ihm und der Auftrag gebenden Regierung neue Nahrung. Grund hierfür sind auch die dauernden Zwischenrufe von Schmidt-Intimus Professor Dr. Karl Lauterbach, der ein Auge auf das von der Ministerin vorgeschlagene neu zu gründende (und von den Grünen abgelehnte) „Institut für Qualität in der Medizin“ geworfen haben soll.

Rürup will sich seinen Zeitplan nicht von der Politik diktieren lassen. Freilich seien aber „4,6 Millionen Arbeitslose“ ein gutes Argument, um möglichst schnell Ergebnisse zu präsentieren.

Die Verzahnung zwischen Kommission und ihrem eigenen Ministerium ist Schmidt ein Graus. Schließlich wurde Rürup lediglich beauftragt, damit die Grünen nach der gewonnenen Bundestagswahl im September letzten Jahres Ruhe gaben und sich als Reformmotor der Koalition bestätigt sahen. Seitdem war zumindest gesundheitspolitisch von Bündnis 90/Die Grünen wenig zu hören.

Fraktion sauer auf Schmidt

Alles andere als unbelastet ist zurzeit das Verhältnis zwischen Schmidt und der SPD-Bundestagsfraktion. Vor der Sondersitzung der Fraktion im Willy-Brandt-Haus am Montagabend äußerte ein Abgeordneter gegenüber der PZ drastisch: „Ich komme mir reichlich verarscht vor.“ Dieses Gefühl teile er mit vielen Abgeordneten. Hintergrund waren die unzureichenden Informationen aus dem Ministerium zum Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) und dessen Folgen (siehe PZ 6/03, Seite 10). Die SPD-Fraktion fühlt sich vom BMGS schlecht informiert. Daher rühren auch zahlreiche fraktionsinterne Anfragen, die bei Müntefering und seiner Stellvertreterin Gudrun Schaich-Walch auflaufen. Die ehemalige Staatssekretärin gilt nicht nur als gesundheitspolitisches Schwergewicht ihrer Partei, sondern auch als Konkurrentin von Schmidt. Dass die Fraktion sich also derzeit bitter über die Ministerin beklagt – und beklagen darf –, kommt nicht von ungefähr und spiegelt die wirklichen Machtverhältnisse wider.

Am Montag abend ging es in der SPD-Zentrale denn auch hoch her. Laut Müntefering kam „vieles auf den Tisch“, es habe „dutzende Wortmeldungen gegeben“. Und dabei ging es nicht nur um die jüngsten Scharmützel des Kanzlers in der Außenpolitik, sondern auch um innen- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen. Der Fraktionschef ist allerdings bemüht, seine Leute beisammenzuhalten: „Es muss wieder geschlossen zugehen.“ Zu den Reformplänen der Regierung belässt es der ehemalige Generalsekretär bei der Feststellung: „Wir haben Recht mit der Linie, die wir machen.“

Damit ist dem Informationsbedarf der Fraktion anscheinend nicht genüge getan. Am Dienstag hatte die SPD-Landesgruppe Niedersachsen im Deutschen Bundestag die Spitzen der niedersächsischen Apothekerschaft eingeladen, um sich über die Auswirkungen des BSSichG informieren zu lassen. Neben Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, nahmen auch Kammer-Geschäftsführer Götz Schütte und der Vorsitzende des niedersächsischen Landesapothekerverbands, Heinz-Günter Wolf, an den Gesprächen im Paul-Löbe-Haus teil. Wolf ist auch Vizepräsident der ABDA, Schütte Mitglied im geschäftsführenden ABDA-Vorstand.

Wichtig sind Gespräche wie das vom Dienstag aus mehreren Gesichtspunkten. Zum einen haben Apotheker noch einmal die Chance, die tatsächlichen Auswirkungen der rot-grünen Gesetzgebung zu erläutern. Zum anderen wird der Kontakt auch mit Blick auf die anstehende Reform gebaut oder vertieft. Zudem kann die niedersächsische Apotheker-Delegation für das im Land mit dem BKK-Landesverband auf den Weg gebrachte Hausapothekenmodell werben oder auch das Homeservice-Angebot der Apotheken ins Gespräch bringen. Wichtig erscheint es derzeit, im Gespräch zu sein und zu bleiben. Ausgestattet mit der aktuellen Zahlen- und Faktenlage, aber auch mit konkreten Angeboten für die Politik werden zurzeit Termine im Dutzend wahrgenommen – in den Ländern wie im Bund.

Bei der Abstimmung zum BSSichG hatten knapp 60 Abgeordnete ihre Zustimmung von verschiedenen Aspekten abhängig gemacht. Mittlerweile soll deren Zahl allerdings weit höher sein. Aus den Reihen der SPD war vor der Sondersitzung am Montag zu hören, dass weit mehr als 100 Abgeordnete mit dem Zustandekommen des BSSichG unzufrieden seien.

Das Konzept der Union

Am Tag nach den verlorenen Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen hatte der Kanzler bereits Kompromissbereitschaft angedeutet, wollte sogar den Geist von Lahnstein wiederbeleben. Doch CDU und CSU wollen da nicht mitspielen und sehen sich in souveränerer Rolle, als ihnen vom Kanzler zugedacht. So präsentierten die CDU-Fraktions- und Parteivorsitzende Angela Merkel und der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Michael Glos, am Montag im Berliner Reichstag ein eigenes Konzept zur Reform des Gesundheitswesens. Nach eineinhalbtägiger Klausur hatte die Unionsfraktion dem Papier den Segen gegeben. Damit ist auch die Linie der Merkel-Truppe für mögliche Verhandlungen mit der Regierung bereits frühzeitig abgesteckt.

Vorschläge der Union für eine Gesundheitsreform Ziel ist, den Kassenbeitrag von heute 14,4 auf 13 Prozent zu senken. Die hohen Sozialbeiträge seien Hauptursache für die Jobmisere, heißt es. „Notwendige medizinische Leistungen und Spitzenmedizin müssen für alle zugänglich bleiben.“

Budgets: Die Ausgabenbegrenzung im Gesundheitswesen soll fallen.

Arbeitgeberanteil: Der Beitrag der Arbeitgeber zur Krankenkasse soll eingefroren werden. Künftige Ausgabensteigerungen müssten damit allein die Versicherten schultern.

Selbstbehalt: Um die Kassen zu entlasten, sollen die Versicherten mehr Eigenverantwortung übernehmen. Die Union strebt einen „sozial gestaffelten Selbstbehalt“ an. Dabei zahlen Patienten je nach Einkommen Kosten bis zu einer Höchstgrenze im Jahr von zum Beispiel 400 Euro selbst. Für Kinder und Einkommensschwache soll es Schutzklauseln geben.

Zuzahlung: Die Zuzahlungen etwa zu Arzneien sollen so verändert werden, dass sie Versicherte zu einem sparsamen Verhalten anhalten. Dem Vernehmen nach wird etwa eine prozentuale Zuzahlung diskutiert.

Zahnbehandlung: Die Union will prüfen, ob Zahnbehandlung schrittweise ganz aus dem Kassenkatalog gestrichen wird. Patienten müssten dies dann privat versichern.

Versicherungsfremde Leistungen: „Gesamtgesellschaftliche“ Aufgaben sollen nicht mehr über die Kassenbeiträge, sondern anders finanziert werden. Als versicherungsfremd gelten zum Beispiel Sterbegeld, Leistungen bei Schwanger- und Mutterschaft, Empfängnisverhütung und Abtreibung.

Bonussysteme: Versicherte, die regelmäßig an Prävention- und Vorsorgemaßnahmen teilnehmen, sollen finanziell belohnt werden.

Patienten: Die Union will eine Patientenquittung einführen. Versicherte sollen direkt mit dem Arzt abrechnen können, wenn sie das wollen. Sie sollen mehr Wahlmöglichkeiten beim Versicherungsschutz haben, also Wahltarife nutzen können.

Wettbewerb: Die Union will mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen. Ärzte und Krankenhäuser sollen stärker nach Qualität vergütet werden.

Krankenkassen: Der Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen soll so reformiert werden, dass sich für die Kassen sparsames Verhalten mehr lohnt.

 

Die Union will sich von der SPD nicht unter Druck setzen lassen. Die hatte gefordert, CDU und CSU sollten gefälligst ihre Konzepte präsentieren und in Verhandlungen eintreten. Nachdem nun Schmidt ihre Karten auf den Tisch gelegt hatte, konnte die Union getrost nachziehen. Ein Vergleich der beiden Konzepte zeigt, wie weit zurzeit die gesundheitspolitischen Positionen voneinander entfernt sind.

Während sich die SPD in ihrem Konzept mit inbrünstiger Leidenschaft den Leistungserbringern widmet und die Einnahmenseite, weil Rürup-Thema, vernachlässigt, setzt die Union genau hier an. Glos: „Keine Rationierung, Schluss mit der Gängelei und dem staatlichen Dirigismus.“ Der CSU-Stratege bringt die Forderungen der Union auf den Punkt und sagt, man sei sich „im Gegensatz zu der SPD“ einig über die Eckpunkte.

Doch die Verantwortung für Gesetzentwürfe liege bei der Bundesregierung. Die müsse nun initiativ werden, fordert auch Merkel. Von Versandhandel und einer Reform der Apothekenlandschaft ist bei der Union nicht die Rede. Stattdessen fordert man dort die Halbierung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. Fachleute halten diese Forderung vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltslage für reine Verhandlungsmasse.

Von Lahnstein und Kungelrunden wollen weder Merkel noch Glos etwas wissen. Mit breiter Brust marschieren CSU und CDU an einer Seite. Denn dank der komfortablen Mehrheit im Bundesrat ist die rot-grüne Bundesregierung auf die Zustimmung der Unions-geführten Länder zwingend angewiesen. Den kräftigen Stimmenüberhang durch den „Kauf“ von Stimmen bei kleinen Bundesländern zu kippen, dürfte in dieser Konstellation nicht gelingen.

Potenzielle Verhandlungsführer

Auf Seiten der Union hat Merkel in einem Nebensatz am Montag deutlich gemacht, wer in der Gesundheitspolitik spätere Verhandlungen mit der Regierung fachlich führen könnte. Ausdrückliches Lob gab es nämlich nicht nur für den ehemaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), sondern insbesondere für die beiden jungen Abgeordneten Annette Widmann-Mauz (CDU) und Andreas Storm (CDU), die maßgeblich an der Vorarbeit für das Konzept beteiligt waren.

Glos verheimlichte bei der Vorstellung der Ergebnisse nicht, dass es bei der Klausurtagung auch heftigere Diskussionen gegeben habe. Schließlich seien auch die Interessengruppen quer durch die Fraktion vertreten. Doch am Ende sei man sich einig gewesen.

Die Union will nun abwarten, was die Regierung auf den Weg bringt. Über den Ort der Verhandlungen lässt man wenig Zweifel aufkommen, wie Glos bekräftigte: „Die Einigung wird nicht in Kungelrunden und nicht in Lahnstein gefunden, sondern im Deutschen Bundestag.“

Aus Sicht der deutschen Apothekerinnen und Apotheker hatten die letzten Tage zahlreiche Hochs und Tiefs. Beschäftigt mit den Auswirkungen des BSSichG, verfolgten viele Apothekerinnen und Apotheker die Diskussionen um die Eckpunkte aus dem Ministerium eher kopfschüttelnd.

Interessant ist in diesem Zusammenhang aber die jüngste Position der Grünen. Im von Ministerin Schmidt angestrengten Reformprozess kommen die Grünen praktisch nicht vor. Das hat dazu geführt, dass es aus der grünen Fraktion eher Kritik als Lob für Schmidts Eckpunkte gab. Sowohl die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Biggi Bender, als auch Fraktionschefin Krista Sager sind mit Teilen des Schmidt’schen Reformpakets unzufrieden. Stattdessen gibt es verhaltenes Lob für die CDU-Positionen. Es dürfe keine Tabus geben, sagte Sager der Berliner Zeitung. Das ist für die Apotheken nicht unbedingt ein gutes Signal.

Während die Eckpunkte insbesondere bei den Krankenkassen auf Zustimmung stießen, wurde das Papier auf breiter Linie von Ärzteverbänden, aber auch von der Pharmaindustrie und anderen Leistungserbringern abgelehnt. Ärzte-Präsident Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe bezeichnete Teile des Papiers als „unverschämt“, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zeigte sich bereit zum „kritischen Dialog“. Die Gewerkschaften stehen nicht komplett hinter der Ministerin, werden noch in dieser Woche in Berlin ein eigenes Konzept präsentieren. Nun ist die Zeit gekommen, in der alle Marktbeteiligten noch einmal ihre Ideen und Vorstellungen in den großen Topf werfen dürfen. In den kommenden Monaten feiert der gesundheitspolitische Lobbyismus in Berlin fröhliche Urständ.

Der Zeitplan

Der Zeitplan für die Gesundheitsreform steht beileibe noch nicht fest. Schmidt will ein Gesetz noch im Mai einbringen, nicht zuletzt, damit die Regierung die von der Europäischen Union eingeforderten Reforminitiativen belegen kann. Vorher wird es einen Referentenentwurf als erste Gesprächsgrundlage geben.

Die Union will sich auf außerparlamentarische Verhandlungsrunden nicht einlassen und dringt auf die Auseinandersetzung im Parlament. Während die Rolle der Liberalen in dieser Frage eher zurückhaltend eingestuft werden muss, könnten die Grünen innerhalb der Koalition wieder ihre Rolle als Reformmotor entdecken. Dies könnte bedeuten, dass eben nicht nur auf Seiten der Leistungserbringer Reformen durchgesetzt werden, sondern auch die weit reichenden Strukturreformen auf der Einnahmenseite, sprich: bei den Patienten.

Die Union hat der Gesundheitsreform hohe Priorität eingeräumt und will hier zu schnellen Ergebnissen kommen auch um sich selbst in der Öffentlichkeit als reformorientiert und nicht als Betonfraktion geben zu können. Egal, ob es zu einer Beschlussfassung vor der Sommerpause kommt oder erst kurz danach: Das mit der Reform verbundene Gesetzespaket dürfte am 1. Januar 2004 in Kraft treten – sofern sich Regierung und Union einig sind und damit der Weg durch den Bundesrat frei ist. Top

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