Titel
Neues über
Cytochrom-P450-Enzyme:
Folgen für die Pharmakotherapie?
Bei der Behandlung
mit Arzneimitteln fallen immer wieder Patienten auf, die
nach Gabe von Standarddosen ungewöhnliche Reaktionen -
mangelndes Ansprechen oder Überempfindlichkeit - zeigen.
Neuere Studien belegen, daß dieses Phänomen zumindest
teilweise erklärbar ist durch einen variablen
Arzneimittelstoffwechsel, besonders durch das
Cytochrom-P450-System.
Die P450-Enzyme sind Monoxygenasen, die
molekularen Sauerstoff in ein Molekül einführen. Dies
erhöht in der Regel die Wasserlöslichkeit, verbessert
die renale Ausscheidung und verkürzt die Halbwertszeit.
Die große Gruppe der P450-Enzyme wird von einer
Supergenfamilie kodiert. Es gibt insgesamt 477
P450-Sequenzen in 127 Subfamilien und 70 Familien; bei
Säugetieren wurden 14 Familien mit 26 Subfamilien
identifiziert. So kennzeichnet der Name CYP2D6 ein Enzym
der Subfamilie D aus der Familie 2. Vielen Enzymen kann
man Substrate, zum Beispiel Arzneistoffe, zuordnen, die
von diesem Enzym verstoffwechselt werden. Wenn zwei
Arzneimittel von einem Enzym umgesetzt werden, kann es zu
metabolischen Interaktionen kommen. Viele Arzneistoffe
können aber auch von mehreren P450-Enzymen umgesetzt
werden, und einzelne Enzyme kommen in verschiedenen
Organen unterschiedlich häufig vor. Alle diese Faktoren
erschweren eine Voraussage möglicher metabolischer
Interaktionen.
Die individuelle Clearance von Arzneistoffen kann
erheblich schwanken, wie die Beispiele Propafenon und
Spartein zeigen. Als Ursachen wurden genetische Defekte
im Enzymsystem sowie exogene Einflußfaktoren wie Arznei-
oder Nahrungsmittel identifiziert.
Erbfaktoren: der
CYP2D6-Polymorphismus
Der Fall eines Patienten, der das
Antiarrhythmikum Spartein nicht verstoffwechselt, führte
auf die Spur des CYP2D6-Polymorphismus. Ein autosomal
rezessiv vererbter Defekt führt bei acht bis zehn
Prozent der Bevölkerung zu einer verringerten oder
fehlenden Aktivität dieses Enzyms, das am Stoffwechsel
zahlreicher, häufig verwendeter Arzneistoffe beteiligt
ist. Man spricht von langsamen Metabolisierern (poor
metabolizer) im Unterschied zu schnellen Metabolisierern
(extensive metabolizer). Somit liegt definitionsgemäß
ein genetischer Polymorphismus vor: Darunter versteht man
ein monogen vererbtes Merkmal, das sich in mindestens
zwei Phänotypen manifestiert, von denen keiner seltener
als unter einem Prozent vorkommt. In Deutschland sind
etwa sechs Millionen Menschen betroffen.
Inzwischen kennt man auch die molekularen Grundlagen des
CYP2D6-Polymorphismus. Auf dem langen Arm des Chromosoms
22 liegt ein Gencluster aus den Genen CYP2D6, CYP2D7 und
CYP2D8. Die beiden letzteren sind Pseudogene, so daß das
funktionelle Protein von CYP2D6 kodiert wird. Eine
Vielzahl von Mutationen und Deletionen in der DNA-Sequenz
bis zur kompletten Deletion des gesamten Gens können zur
Fehlfunktion des Enzyms führen.
Derzeit kann man den CYP2D6-Status eines Menschen auf
zwei Wegen identifizieren: mit der Genotypisierung oder
der Phänotypisierung. Beide Verfahren haben Vor- und
Nachteile. Bei der Genotypisierung wird die Gensequenz in
einem mehrstufigen Verfahren ermittelt. Am Dr. Margarete
Fischer-Bosch-Institut in Stuttgart wurde dafür ein
Multiplex-PCR-Verfahren entwickelt, bei dem nach der
Präamplifikation der CYP2D6-Sequenz alle wichtigen
Mutationen nach einer Art "Eintopfreaktion" in
einem Arbeitsgang detektiert werden können. Bei der
Phänotypisierung ermittelt man dagegen die individuelle
Enzymfunktion; nach Gabe eines Arzneimittels (Spartein
oder Dextromethorphan) mißt man im Urin des Patienten
die Menge an Ausgangsstoff und Metaboliten und kann
daraus auf die Enzymfunktion rückschließen.
Spekuliert wurde über eine Beteiligung von CYP2D6 am
Stoffwechsel bestimmter Neurotransmitter. Der Phänotyp
könnte zudem mit der Neigung zu bestimmten Krankheiten
wie Morbus Parkinson oder Bronchialkarzinomen verbunden
sein.
Eine wesentliche Konsequenz des CYP2D6-Polymorphismus
besteht darin, daß bei gleicher Medikamentendosis extrem
unterschiedliche Plasmakonzentrationen erreicht werden.
So wurden nach Gabe von N-Propylajmalin (dreimal 20 mg)
an 31 Patienten Steady-state-Plasmakonzentrationen
zwischen 9 und 750 ng/ml erzielt. Im angenommenen
therapeutischen Bereich von 60 bis 440 ng/ml lagen nur
drei Patienten. Eine andere Studie bewies für
Nortriptylin, daß langsame Metabolisierer mit einer
Tagesdosis von 10 mg wirksame Plasmaspiegel erreichen,
während ultraschnelle Metabolisierer mehr als 500 mg
benötigen.
Die Annahme, daß langsame Metabolisierer mehr
Nebenwirkungen erleiden, trifft immer dann zu, wenn der
Ausgangsstoff die pharmakologische Wirkung auslöst.
Umgekehrt haben langsame Metabolisierer einen
schwächeren therapeutischen Effekt, wenn der Arzneistoff
selbst inaktiv ist und durch CYP2D6 erst in die aktive
Wirkform überführt wird. Dies ist bedeutend für Codein
in der Schmerztherapie und Dihydrocodein in der
Substitutionsbehandlung.
Metabolische Interaktionen sind möglich bei
gleichzeitiger Gabe mehrerer CYP2D6-Substrate. Substanzen
mit hoher Affinität wie Chinidin oder Propafenon können
weniger affine Substrate wie Spartein oder Metoprolol
verdrängen und deren Clearance reduzieren. Dieser Effekt
tritt nur bei schnellen Metabolisierern auf
(Phänotyp-spezifisch).
Exogene Einflüsse auf die
Enzymaktivität
Die Aktivität einzelner Enzyme wird auch durch
Arzneistoffe oder Nahrungsmittel beeinflußt. Ein
Beispiel ist CYP3A4, das Arzneistoffe wie Lidocain,
Ketoconazol, Diltiazem, Nifedipin, Verapamil, Ciclosporin
metabolisiert. Eine bekannte Interaktion besteht zwischen
dem Antihistaminikum Terfenadin und dem Antimykotikum
Ketoconazol. Ketoconazol hemmt den CYP3A4-vermittelten
Abbau von Terfenadin, das kumuliert und in höheren
Konzentrationen einen repolarisierenden Kaliumkanal hemmt
mit der Folge lebensbedrohlicher kardialer Arrythmien.
Umgekehrt steigert das Tuberkulostatikum Rifampicin die
Aktivität von CYP3A4 und erhöht somit die Clearance von
Arzneistoffen wie Methadon, Nifedipin und Midazolam. Daß
der Induktionseffekt keineswegs nur in der Leber
stattfindet, konnte kürzlich bewiesen werden. CYP3A4
wird im Endothel der Darmwand gebildet und kann
Arzneistoffe während der Resorption metabolisieren.
Dieser prähepatische duodenale Stoffwechsel betrifft
neben Verapamil beispielsweise auch Ciclosporin,
Midazolam und Nifedipin. Ein interessanter neuer Ansatz
ist die gezielte Hemmung des CYP3A4, um den Plasmaspiegel
teurer Arzneistoffe wie Ciclosporin anzuheben. Als
potentieller Hemmstoff wird ein Flavonoid aus der
Grapefruit derzeit intensiv beforscht.
PZ-Titel von Dr. Heyo Kroemer, Stuttgart
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