Titel
Pharmakotherapie
der Tuberkulose: Wirkmechanismen und Resistenzen
Die Tuberkulose ist
eine der weltweit bedeutendsten Infektionskrankheiten.
Rund ein Drittel der Erdbevölkerung ist mit
Tuberkelbazillen infiziert. Obwohl weniger als zehn
Prozent der Infizierten erkranken, starben 1995 mehr
Menschen an Tuberkulose als je zuvor. Vor allem in den
USA hat die HIV/AIDS-Epidemie zu einem erneuten
Aufflammen der Erkrankung geführt. Zudem wird ein
Therapieerfolg zunehmend durch Resistenzen gegen die
bekannten Tuberkulosemedikamente gefährdet. Die
Tuberkulose wird hauptsächlich durch Mycobacterium
tuberculosis, seltener durch M. bovis oder M. africanum
ausgelöst und in der Regel durch Tröpfcheninfektion
übertragen. In den meisten Fällen (etwa 85 Prozent) ist
die Lunge betroffen; mit der Zunahme der HIV-Infektionen
steigt jedoch der Anteil extrapulmonaler Erkrankungen.
Mykobakterien können nach der Phagozytose durch
Makrophagen in diesen überleben und sich vermehren. Dazu
müssen sie vielen zellulären Abwehrstrategien
widerstehen können, zum Beispiel reaktiven
Sauerstoffspezies und Stickstoffverbindungen sowie der
Einwirkung von Peroxidasen, Phosphatasen, Hydrolasen,
Proteasen, Lysozym und Lipasen. Neben weiteren
Mechanismen spielt die lipidreiche Zellwand der
Mykobakterien eine wichtige Rolle als Schutzschicht gegen
aggressive lysosomale Faktoren.
Die außergewöhnlich hydrophobe Zellwand stellt auch
für Chemotherapeutika eine schwer zu überwindende
Penetrationsbarriere dar. Mykobakterien haben in der
Zellwand für den Stoffaustausch jedoch auch
wassergefüllte Poren, die von kleineren Molekülen wie
Isoniazid, p-Aminosalicylsäure (PAS) oder Protionamid
zur Penetration genutzt werden. Größere, ausreichend
hydrophobe Arzneistoffe wie Rifampicin können durch die
Mykolsäureschicht diffundieren. Zu den bakteriostatisch
wirksamen Substanzen gehören PAS, Thioacetazon und
Ethambutol. Für eine schnelle Reduktion der Zahl
ausgeschiedener Keime sind bakterizide Stoffe
erforderlich wie Isoniazid, Rifampicin und Protionamid,
möglicherweise auch Gyrasehemmer. Gegen persistierende
Bakterien mit geringem Stoffwechsel wirken nur Rifampicin
und Pyrazinamid.
Standard-Antituberkulotika
Isonicotinsäurehydrazid (Isoniazid, INH)
wirkt auf proliferierende Keime bakterizid,
wahrscheinlich durch Eingriff in die Mykolsäuresynthese.
Aus dem Befund, daß resistente Keime zum Teil keine
Katalase-Peroxidase-Aktivität besitzen, wurde
geschlossen, daß INH erst durch Peroxidase in die
eigentliche Wirkform - Isonicotinsäure,
Isonicotinsäure-Derivate oder reaktive elektrophile
Intermediate - überführt wird. Vor wenigen Jahren
gelang der Nachweis, daß bei hochresistenten Stämmen
das die Katalase-Peroxidase kodierende Gen (katG) fehlt
oder mutiert ist. Ein anderer Resistenzmechanismus beruht
auf den Wechselwirkungen zwischen INH und einem Enzym aus
der Fettsäuresynthese-Kaskade
(2-trans-Enoyl-ACP-Reduktase), das vom Gen inhA kodiert
wird und am Aufbau langkettiger Fettsäuren beteiligt
ist.
Rifampicin, ein lipophiles Ansamycin,
ist fester Bestandteil jeder Tuberkulosetherapie. Die
Substanz ist ein potenter Hemmstoff der bakteriellen
DNA-abhängigen RNA-Polymerase. In Rifampicin-resistenten
Stämmen findet man Mutationen im Gen rpoB, das für die
beta-Untereinheit des Enzyms kodiert, an die der
Arzneistoff bindet.
Pyrazinamid wirkt in saurem Milieu am
stärksten und daher besonders gut gegen phagozytierte
Mykobakterien und solche in verkästen Läsionen.
Kombinationen mit Pyrazinamid sind bedeutend in der
Initialphase der Kurzzeit-Chemotherapie der Tuberkulose.
Ethambutol beeinträchtigt den Aufbau
der Zellwand und kann so die Sensitivität der Zelle für
andere Wirkstoffe erhöhen. Vermutlich hemmt der
Wirkstoff die Arabinan-Synthese.
Streptomycin wirkt auf proliferierende
Keime bakterizid durch Störung oder Hemmung der
Proteinbiosynthese. Als stark hydrophile Arzneistoffe
müssen Aminoglykoside parenteral gegeben werden.
Kontraindiziert ist Streptomycin wegen seiner Oto- und
Nephrotoxizität bei Patienten mit Niereninsuffizienz,
Säuglingen und Kleinkindern sowie in der
Schwangerschaft.
Mittel der zweiten Wahl
Die Arzneimittel werden vorwiegend bei Unverträglichkeit
von Standard-Antituberkulotika und bei
(multi-)resistenten Keimen eingesetzt. Zu Mitteln der
zweiten Wahl zählen p-Aminosalicylsäure, Protionamid
und sein Analogon Ethionamid, D-Cycloserin und sein
Prodrug Terizidon, Gyrasehemmer (Fluorchinolone),
Thioacetazon sowie Antibiotika wie Capreomycin, Kanamycin
und Amikacin.
Therapieschemata
Die Resistenz der Mykobakterien basiert meist auf
Mutationen in Genen, die für die Zielstrukturen des
Arzneistoffs kodieren. Bei unzureichender Verordnung oder
schlechter Compliance werden resistente Stämme
selektiert. Therapeutisch werden daher heute
Arzneistoff-Kombinationen eingesetzt, vorzugsweise als
Kurzzeittherapie von mindestens 6 Monaten. Zur
Chemoprävention eingesetzt, kann Isoniazid (300 mg
täglich als Einmaldosis für 6 bis 12 Monate) meist den
Ausbruch der Erkrankung verhindern. In der meist zwei-,
eventuell auch dreimonatigen Initialphase einer
Kurzzeittherapie ist die Kombination von INH, Rifampicin
und Pyrazinamid obligat, als vierte Substanz wird
Streptomycin oder Ethambutol empfohlen (zwingend bei
schweren Fällen). In der anschließenden
Stabilisierungsphase wird 4 Monate mit INH und Rifampicin
(täglich oder intermittierend 2- bis 3mal pro Woche)
behandelt. Ist die Behandlung mit Pyrazinamid in der
Initialphase nicht möglich, wird für diese Zeit als
Kombipartner Ethambutol oder Streptomycin oder
Protionamid empfohlen. Eine 7- bis 10monatige
Stabilisierungsphase mit INH und Rifampicin schließt
sich an (9- bis 12- Monatsregime).
Ausblick
Das erneute gehäufte Auftreten der Tuberkulose in den
Industrieländern hat die Forschung deutlich aktiviert.
In den letzen Jahren wurden viele Substanzen
unterschiedlicher Struktur auf ihre antimikrobielle
Wirkung untersucht. Die neuen Erkenntnisse über die
beteiligten Gene und ihre Produkte, über Wirkmechanismen
und Angriffsorte der Arzneistoffe könnten eine
gezieltere Entwicklung ermöglichen. Fortschritte
erwartet man auch von Eingriffen in das Immunsystem sowie
von der Entwicklung eines Impfstoffes gegen die
Tuberkulose.
PZ-Titelbeitrag von Armin Buschauer, Regensburg
E-Mail: Armin.Buschauer@chemie.uni-regensburg.de
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