Politik
Schweiz:
Managed Care auf europäische Art
Unter dem Begriff
Managed Care werden Modelle der medizinischen Versorgung
subsumiert, die durch Effizienzsteigerung zu einem
wirtschaftlicheren Umgang mit dem Gut Gesundheit führen
sollen. Die meisten Ansätze kommen aus den USA. Doch
selbst Managed-Care-Befürworter lehnen die
unreflektierte Übernahme nordamerikanischer Strukturen
in Europa ab.
In Europa könnten Managed-Care-Modelle nur dann
erfolgreich sein, wenn sie den Wertvorstellungen der
Europäer entsprechen, erläuterte der Schweizer
Gesundheitswissenschaftler Jürg Baumberger auf einer
Veranstaltung des Bundesverbandes der Pharmazeutischen
Industrie in Frankfurt. Ein Gesundheitswesen, das nicht
allen Menschen den Zugang zu medizinischer Versorgung
sichere, müsse in Europa zwangsläufig scheitern.
Europäisches Managed Care sei deshalb "ein Prozeß,
im Rahmen zur Verfügung stehender, beschränkter Mittel,
die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu optimieren,
geeignete Dienstleistungen in ausreichendem Maß
sicherzustellen mit dem Ziel einer ständigen
Überwachung der Fallkosten," definierte Baumberger.
Dabei müßten sowohl staatliche Zielvorgaben als auch
individuelle Bedürfnisse erfüllt werden. Während
Managed Care in den USA lediglich wirtschaftliche Ziele
verfolge, kämen in Europa soziale Ziele hinzu.
In den USA werde mit Managed Care eine
Effizienzsteigerung in einzelnen Teilsystemen angestrebt,
während in Europa nach Gesamtlösungen gesucht werde.
Grundvorausetzung für Managed Care sind nach seiner
Einschätzung die enge Kooperation der einzelnen Anbieter
im Gesundheitswesen. Ziel dieser Kooperation ist es,
effiziente Lösungsweg, für staatliche Zielvorgaben zu
finden. Der Staat hat dabei nicht die Aufgabe, einzelne
Leistungen vorzugeben.
Die Erfahrungen in der Schweiz haben nach Baumbergers
Einschätzung gezeigt, daß die europäische Variante von
Managed Care deutlich billiger ist als das bisherige
Gesundheitssystem. Im Jahr 1990 machte in der
Alpenrepublik die erste HMO (Health Maintenance
Organisation) auf, in der ein Allgemeinmediziner als
erste Anlaufstelle für die Versicherten fungiert. Er
veranlaßt die weiteren Leistungen und behält die
Kontrolle über die gesamte Therapie. Für Baumberger
liegt der Vorteil des Modells auf der Hand: Der
Allgemeinarzt hat den Überblick über den Verlauf der
Therapie und kann verhindern, daß Leistungen zweimal
erbracht und abgerechnet werden.
Die weiteren Leistungserbringer, also Fachärzte,
Apotheker oder Krankenhäuser sind vertraglich an die
Leistungseinkäufer gebunden. Der Vertrag regelt exakt,
welche Leistungen zu welchem Preis in welcher Qualität
erbracht werden müssen.
Heute ist rund ein Prozent aller Schweizer auf diese
Weise krankenversichert. Baumberger glaubt, daß Ende des
nächsten Jahres 5 bis 10 Prozent aller Schweizer einem
Hausarztmodell angeschlossen sein werden. Umfragen
hätten gezeigt, daß viele Schweizer freiwillig auf die
freie Arztwahl verzichten würden, wenn gleichzeitig die
Versicherungsprämien sinken. Neben den niedrigeren
Prämien schließen sich laut einer Umfrage von 1993 die
meisten Schweizer einer HMO an, weil sie diese als
sinnvolles Instrument zur Eindämmung der Kostenexplosion
im Gesundheitswesen ansehen. Ablehnend reagieren nach
dieser Umfrage die meisten Versicherten, wenn ihr
Hausarzt nicht in einer HMO engagiert ist.
Nach den bislang vorliegenden Daten arbeiten die meisten
eidgenössischen HMOs mit relativ großem Erfolg. So
lägen die durchschnittlichen Behandlungskosten der HMO
Wiedikon mit 7100 Versicherten um rund ein Drittel
niedriger als bei konventionellen Krankenversicherungen.
Sowohl die Zahl der Krankenhauseinweisungen als auch die
Verweildauer im Krankenhaus sei deutlich gesunken.
Dramatisch sei der Rückgang der Ausgaben für
Arzneimittel: Während im gesamten Kanton Zürich jeder
Versicherte pro Jahr Arzneimittel für durchschnittlich
281 Franken erhalte, kämen HMO-Versicherte mit 114
Franken aus. Baumberger glaubt, eine HMO könne die
Krankheitskosten im Vergleich zu einer herkömmlichen
Versicherung um rund 20 Prozent senken.
Ob anhand dieser Anfangserfolge in der Schweiz auf einen
allgemeinen Trend geschlossen werden kann, ist allerdings
unklar. Kritische Stimmen aus dem Auditorium
befürchteten, daß die Konsequenz kurzfristiger
Sparerfolge bei Arzneimitteln langfristige Mehrausgaben
bei teureren Therapieformen sein könnten. Das Schweizer
Modell sei deshalb zwar interessant, für eine Bewertung
seines Rationierungspotentials sei es aber noch zu früh.
Aus Sicht der Apotheker hat das Schweizer Modell noch
einen Pferdefuß: Sie spielen nämlich in den HMOs kaum
eine Rolle. Die Distribution von Arzneimitteln kann hier
weitgehend über die HMO-Ärzte erfolgen. Baumberger
sieht im Apotheker einen möglichen großen Verlierer von
Managed Care.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Frankfurt
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