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Schweiz: Managed Care auf europäische Art

09.12.1996  00:00 Uhr

- Politik

  Govi-Verlag

Schweiz: Managed Care auf europäische Art

  Unter dem Begriff Managed Care werden Modelle der medizinischen Versorgung subsumiert, die durch Effizienzsteigerung zu einem wirtschaftlicheren Umgang mit dem Gut Gesundheit führen sollen. Die meisten Ansätze kommen aus den USA. Doch selbst Managed-Care-Befürworter lehnen die unreflektierte Übernahme nordamerikanischer Strukturen in Europa ab.

In Europa könnten Managed-Care-Modelle nur dann erfolgreich sein, wenn sie den Wertvorstellungen der Europäer entsprechen, erläuterte der Schweizer Gesundheitswissenschaftler Jürg Baumberger auf einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie in Frankfurt. Ein Gesundheitswesen, das nicht allen Menschen den Zugang zu medizinischer Versorgung sichere, müsse in Europa zwangsläufig scheitern.

Europäisches Managed Care sei deshalb "ein Prozeß, im Rahmen zur Verfügung stehender, beschränkter Mittel, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu optimieren, geeignete Dienstleistungen in ausreichendem Maß sicherzustellen mit dem Ziel einer ständigen Überwachung der Fallkosten," definierte Baumberger. Dabei müßten sowohl staatliche Zielvorgaben als auch individuelle Bedürfnisse erfüllt werden. Während Managed Care in den USA lediglich wirtschaftliche Ziele verfolge, kämen in Europa soziale Ziele hinzu.

In den USA werde mit Managed Care eine Effizienzsteigerung in einzelnen Teilsystemen angestrebt, während in Europa nach Gesamtlösungen gesucht werde. Grundvorausetzung für Managed Care sind nach seiner Einschätzung die enge Kooperation der einzelnen Anbieter im Gesundheitswesen. Ziel dieser Kooperation ist es, effiziente Lösungsweg, für staatliche Zielvorgaben zu finden. Der Staat hat dabei nicht die Aufgabe, einzelne Leistungen vorzugeben.

Die Erfahrungen in der Schweiz haben nach Baumbergers Einschätzung gezeigt, daß die europäische Variante von Managed Care deutlich billiger ist als das bisherige Gesundheitssystem. Im Jahr 1990 machte in der Alpenrepublik die erste HMO (Health Maintenance Organisation) auf, in der ein Allgemeinmediziner als erste Anlaufstelle für die Versicherten fungiert. Er veranlaßt die weiteren Leistungen und behält die Kontrolle über die gesamte Therapie. Für Baumberger liegt der Vorteil des Modells auf der Hand: Der Allgemeinarzt hat den Überblick über den Verlauf der Therapie und kann verhindern, daß Leistungen zweimal erbracht und abgerechnet werden.

Die weiteren Leistungserbringer, also Fachärzte, Apotheker oder Krankenhäuser sind vertraglich an die Leistungseinkäufer gebunden. Der Vertrag regelt exakt, welche Leistungen zu welchem Preis in welcher Qualität erbracht werden müssen.

Heute ist rund ein Prozent aller Schweizer auf diese Weise krankenversichert. Baumberger glaubt, daß Ende des nächsten Jahres 5 bis 10 Prozent aller Schweizer einem Hausarztmodell angeschlossen sein werden. Umfragen hätten gezeigt, daß viele Schweizer freiwillig auf die freie Arztwahl verzichten würden, wenn gleichzeitig die Versicherungsprämien sinken. Neben den niedrigeren Prämien schließen sich laut einer Umfrage von 1993 die meisten Schweizer einer HMO an, weil sie diese als sinnvolles Instrument zur Eindämmung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen ansehen. Ablehnend reagieren nach dieser Umfrage die meisten Versicherten, wenn ihr Hausarzt nicht in einer HMO engagiert ist.

Nach den bislang vorliegenden Daten arbeiten die meisten eidgenössischen HMOs mit relativ großem Erfolg. So lägen die durchschnittlichen Behandlungskosten der HMO Wiedikon mit 7100 Versicherten um rund ein Drittel niedriger als bei konventionellen Krankenversicherungen. Sowohl die Zahl der Krankenhauseinweisungen als auch die Verweildauer im Krankenhaus sei deutlich gesunken. Dramatisch sei der Rückgang der Ausgaben für Arzneimittel: Während im gesamten Kanton Zürich jeder Versicherte pro Jahr Arzneimittel für durchschnittlich 281 Franken erhalte, kämen HMO-Versicherte mit 114 Franken aus. Baumberger glaubt, eine HMO könne die Krankheitskosten im Vergleich zu einer herkömmlichen Versicherung um rund 20 Prozent senken.

Ob anhand dieser Anfangserfolge in der Schweiz auf einen allgemeinen Trend geschlossen werden kann, ist allerdings unklar. Kritische Stimmen aus dem Auditorium befürchteten, daß die Konsequenz kurzfristiger Sparerfolge bei Arzneimitteln langfristige Mehrausgaben bei teureren Therapieformen sein könnten. Das Schweizer Modell sei deshalb zwar interessant, für eine Bewertung seines Rationierungspotentials sei es aber noch zu früh.

Aus Sicht der Apotheker hat das Schweizer Modell noch einen Pferdefuß: Sie spielen nämlich in den HMOs kaum eine Rolle. Die Distribution von Arzneimitteln kann hier weitgehend über die HMO-Ärzte erfolgen. Baumberger sieht im Apotheker einen möglichen großen Verlierer von Managed Care.

PZ-Artikel von Daniel Rücker, Frankfurt
   

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