Politik
Heilberufler
sehen NOG mit einiger Skepsis
Gesundheitspolitisches Forum
Vorfahrt für die
Selbstverwaltung. So umriß Bundesgesundheitsminister
Horst Seehofer vor zwei Jahren das Ziel der dritten Stufe
der Gesundheitsreform. Jetzt liegt das Gesetzeswerk auf
dem Tisch. Wieviel Vorfahrt wurde der Selbstverwaltung
eingeräumt?
Auf dem Gesundheitspolitischen Forum des
Deutschen Ärzteblattes und der Pharmazeutischen Zeitung
während der Medica in Düsseldorf diskutierten die
Spitzen der Standesvertretungen über Seehofers
Gesetzeswerk. Die Ärzteschaft wurde vertreten durch Dr.
Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer und Dr.
Winfried Schorre, Vorsitzender der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV). Die Positionen der Apotheker
erläuterten Dr. Hartmut Schmall, Präsident der
Bundesapothekerkammer und ABDA-Präsident Klaus
Stürzbecher.
Nach Vilmars Einschätzung bleibt die Verantwortung der
Selbstverwaltung eingeschränkt. Durch die
Neuordnungsgesetze NOG 1 und 2 würden Ärzte, Apotheker
und Krankenhäuser stark in ihrem Spielraum begrenzt.
Ohne Handlungskompetenz könne die Selbstverwaltung keine
Verantwortung tragen. Der Kammerpräsident bedauerte,
daß die Ergebnisse der Petersberger Gespräche, die
ursprüngliche Basis der Reform, im Bundesrat gescheitert
sind. Bedauerlich sei dies, weil auf dem Petersberg ein
Konzept entstanden sei, das von den verschiedenen
Interessengruppen akzeptiert wurde.
Die Neuordnungsgesetze betrachtet Vilmar dagegen mit
einiger Skepsis. Erstmals in der Geschichte der
Kostendämpfungspolitik werde nicht nur die Ausgabenseite
begrenzt, sondern auch die Einnahmen. Er bezweifelt, daß
es allein mit Hilfe des Wettbewerbes gelingen werde,
trotz knapperer Ressourcen die optimale Versorgung der
Menschen zu garantieren. Vilmar: "Ich habe meine
Zweifel, ob Wettbewerb im Gesundheitswesen
ausschließlich gut ist."
Schorre: NOG 2 stärkt die Selbstverwaltung
Wesentlich positiver beurteilt Schorre zumindest
das NOG 2. Durch die Stärkung des Bundesausschusses, in
dem die Spitzen der Krankenkassen und der Ärzteschaft
sitzen, erhalte die Selbstverwaltung ein starkes
Gestaltungsinstrument. Das Gesetz sieht vor, daß
zukünftig der Bundesausschuß über den Leistungskatalog
der Krankenkassen entscheidet. Dies gelte nicht nur für
neu aufzunehmende Leistungen, sondern auch für die
älteren Bestandteile des Kataloges. Aus Sicht des
KBV-Vorsitzenden sind die im NOG 2 vorgesehen
Gestaltungsleistungen der Kassen mit Blick auf den
geforderten Wettbewerb ebenfalls sinnvoll. Sie seien auch
deshalb wichtig, weil nicht mehr alles im
Gesundheitswesen bezahlbar sei. Durch die zwangsläufige
stärkere Beteiligung der Patienten an den
Krankheitskosten komme dringend benötigtes Geld in das
Gesundheitswesen.
Die Vertreter der Apotheker sehen bei den
Neuordnungsgesetzen sowohl positive als auch negative
Aspekte. Stürzbecher kritisierte erneut die im NOG 2
vorgesehene indikationsbezogene Zuzahlung. Durch diese
Regelung sei das Chaos programmiert, denn theoretisch
könnten so maximal 360 000 verschiedene Zuzahlungen
entstehen. Durch das NOG 2 sollen Krankenkassen
ermächtigt werden, die Höhe der Arzeimittelzuzahlung
nach Indikationsgruppen individuell festzulegen. Für
praktikabel hält der ABDA-Präsident dagegen die
Koppelung einer Erhöhung von Kassenbeiträgen und der
Arzneimittelzuzahlung. Wenn die Kassen den Apothekern
jeweils eine dreimonatige Vorlaufzeit bei
Zuzahlungsänderungen ließen, sei die Regelung
umsetzbar.
Positiv bewertete Schmall die im NOG 2 vorgegebenen
Möglichkeiten zu Modellversuchen. Er forderte seine
Kollegen nachdrücklich dazu auf, sich an Modellen zur
Verbesserung des Gesundheitswesens zu beteiligen. Nur
wenn die Apotheker aktiv an dessen Weiterentwicklung
mitarbeiten, könnten sie ihre Position im System
festigen. Allerdings müßten die von Seehofer immer
wieder geforderten gleich langen Spieße auch
tatsächlich an alle Beteiligten verteilt werden.
Stürzbecher: Mitverantwortung statt Verteilungskampf
Klaus Stürzbecher hat bei Apothekern und
Ärzten eine starke Verunsicherung festgestellt. Beide
Berufsstände würden von der Politik massiv unter Druck
gesetzt. Die Gesundheitsreform sei zu einem Spielball der
Politiker verkommen, die hier ihre Machtkämpfe
austrügen. Der ABDA-Präsident hofft, daß Ärzte und
Apotheker jetzt die Ruhe bewahren und sich nicht in einen
Verteilungskampf hineinziehen lassen. Die Schwierigkeiten
des Gesundheitswesens könnten nur dann gelöst werden,
wenn die beiden akademischen Heilberufe gemeinsam an
einer Lösung im Sinne der Patienten arbeiteten.
So sei die Apothekerschaft dazu bereit, Mitverantwortung
für das Budget zu übernehmen und so die
Budgetschwierigkeiten der Ärzte in den Griff zu
bekommen. Dies sei zwar für die Apotheker mit
erheblichen Schwierigkeiten verbunden, angesichts der
prekären finanziellen Situation der GKV müßten aber
Eigeninteressen hinter dem Allgemeinwohl zurücktreten.
Das auf dem Apothekertag in Leipzig vorgestellte Konzept
sieht eine enge Kooperation auf lokaler Ebene zwischen
Ärzten und Apothekern bei der Arzneimittelverordnung
vor. Gemeinsam sollen die beiden Heilberufler
praxisindividuell eine medizinisch und ökonomisch
sinnvolle Arzneimittelauswahl treffen. Der stationäre
Bereich zeige, daß die Kooperation zwischen Ärzten und
Apothekern sinnvoll sei.
Ärzte: Angebot der Apotheker nur Teillösung
Die Ärztevertreter lehnten die Unterstützung
durch die Apotheker zwar nicht ab, machten jedoch
deutlich, daß sie die Budgetüberschreitung und die
damit verbundenen Regreßforderungen als rein ärztliches
Problem betrachten. Schorre: "Dies ist ein Schritt
in die richtige Richtung, aber keine Gesamtlösung."
Das Notprogramm der KBV sei keine Kampfansage an die
Apotheker, sondern der Versuch einer sofortigen
Begrenzung der Ausgaben.
Kooperationsmöglichkeiten zwischen den beiden
Heilberufen sieht er bei einer allgemeinen fachlichen
Bewertung von Arzneimitteln. Die Krankenkassen verlangten
jedoch von den Ärzten auch eine indikationsbezogene
Beurteilung. Dabei könnten die Apotheker die Ärzte
nicht unterstützen.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Düsseldorf
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