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Kassen müssen im Einzelfall auch für nicht zugelassene Mittel zahlen

01.11.2004  00:00 Uhr
BSG

Kassen müssen im Einzelfall auch für nicht zugelassene Mittel zahlen

von Siegfried Löffler, Kassel

Normalerweise müssen die Krankenkassen nur die Kosten von in Deutschland zugelassenen Medikamenten übernehmen. Eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zeigt allerdings, dass es auch Ausnahmen gibt. Das wird am Beispiel des mit Zeitverzögerung in Deutschland zugelassenen Medikaments Visudyne® (Wirkstoff Verteporfin) deutlich.

Ein sechsjähriges Mädchen aus Mecklenburg-Vorpommern, das an dem selten auftretenden, angeborenen Aderhautkolobom litt, musste im Juli 2000 mit einer photodynamischen Therapie unter Einsatz dieses Arzneimittels behandelt werden, weil nach zunächst massiver Sehverschlechterung des rechten Auges die Erblindung drohte. Die zuständige Ersatzkasse lehnte die Übernahme der Kosten in Höhe von 4120 DM (= 2106,52 Euro) ab, da die Methode damals weder anerkannt noch hinreichend gesichert, das Arzneimittel lediglich in den USA und der Schweiz zugelassen gewesen sei.

Die dagegen gerichtete Klage war sowohl beim Sozial- als auch beim Landessozialgericht erfolgreich. Das BSG, das als Revisionsinstanz keine Tatsachenfeststellungen treffen kann, ordnete eine erneute Verhandlung des Falles beim Landessozialgericht an (B 1 KR 27/02 R vom 19. Oktober 2004).

Die dabei gegebenen Hinweise gelten grundsätzlich für gleich gelagerte Fälle. Es muss „mit sachverständiger Hilfe“ geklärt werden, in welcher Häufigkeit eine Krankheit auftritt und warum „eine systematische Erforschung der Behandlungsmöglichkeiten praktisch ausscheidet“. Die vorgeschalteten Instanzen müssen außerdem klären, ob die Arzneimittelqualität des Präparats mit Rücksicht auf ausländische Zulassungen zum Behandlungszeitpunkt als ausreichend anzusehen ist. Sollte das zutreffen, ist die Leistungspflicht der Krankenkasse zu bejahen.

Keine faktische Markteinführung

Unter den genannten Voraussetzungen steht das Arzneimittelrecht dem Anspruch nicht entgegen, denn es lässt „den Vertrieb von im Ausland zugelassenen Medikamenten im Rahmen der Einzelbestellungen“ zu. Nach Ansicht des BSG besteht bei „singulären Erkrankungen nicht die Gefahr, dass die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung faktisch zu einer Markteinführung von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln führt und so die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes unterlaufen werden“. Die unkonventionelle Vorgehensweise eines Arztes bei einer singulären Erkrankung setze auch nicht die vorherige Anerkennung durch den Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen voraus.

Der Erlaubnisvorbehalt für neue Therapien in der vertragsärztlichen Versorgung gelte nur für Behandlungsmethoden. Darunter verstand schon die bisherige Rechtsprechung „Behandlungsmaßnahmen, die der Arzt bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch anwendet und zu deren therapeutischem Nutzen infolgedessen generelle Aussagen möglich sind“.

Die Vorgehensweise bei einer einmalig auftretenden Krankheit stelle dagegen keine Methode dar. In diesen Ausnahmefällen können die Krankenkassen die Übernahme der Arzneimittelkosten nur dann verweigern, wenn weitere Ermittlungen begründete Zweifel an der Qualität von im Ausland durchgeführten Arzneimittelprüfungen ergeben. Darüber hinausgehende Belege für die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des eingesetzten Arzneimittels sind – so das BSG – nicht zu fordern, wenn „die Einzigartigkeit der Erkrankung verallgemeinerungsfähige Aussagen zur Therapie nicht zulässt“. Eine Zahlungspflicht der Krankenkassen ist gegeben, wenn die Tatsacheninstanz auf Grund der medizinischen Unterlagen und Stellungnahmen die Überzeugung gewinnt, „dass die Abwägung von Nutzen und Risiken des Eingriffs nicht zu beanstanden“ ist, keine Behandlungsalternative ernsthaft zur Verfügung steht und die Behandlung „eine die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung“ betrifft. Top

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