Arzneimittelrisiken auch nach der Markteinführung beobachten |
22.08.2005 00:00 Uhr |
Hochwirksame Arzneimittel bergen immanent auch Risiken. Diese zu erkennen und zu vermeiden ist eine wesentliche Aufgabe von Ärzten, Apothekern und Industrie. Auf dem Deutschen Apothekertag beschäftigt sich ein von ABDA-Geschäftsführerin Dr. Christiane Eckert-Lill geleiteter Arbeitskreis mit dem Thema Pharmakovigilanz.
PZ: Was bedeutet Pharmakovigilanz?
Eckert-Lill: Die Weltgesundheitsorganisation definiert Pharmakovigilanz als Aktivitäten, die der Entdeckung, Beurteilung sowie dem Verständnis und der Vorbeugung unerwünschter Wirkungen oder anderen Problemen in Verbindung mit Arzneimitteln dienen. Es geht aber nicht nur um die Erkennung von Fehlern, sondern insbesondere um ihre Vermeidung. Pharmakovigilanz beinhaltet daher auch Risikomanagement, Vorbeugung von Therapiefehlern, Vermittlung von Arzneimittelinformationen und Förderung der rationalen Arzneitherapie. Sie ist also ein Instrument zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit.
PZ: Welche Aspekte werden Sie in dem Arbeitskreis ansprechen?
Eckert-Lill: Im ersten, eher methodischen Teil wird es darum gehen, was Pharmakovigilanz ist und welche Instrumente wir haben. Daran schließt sich die Frage an, wie wir diese noch besser, auch im Zusammenspiel mit den anderen Beteiligten nutzen können. Diese richtet sich dann natürlich auch direkt an uns selber: Was können und müssen wir konkret tun, um uns noch besser einzubringen?
PZ: Wer sitzt auf dem Podium?
Eckert-Lill: Wir haben hochkarätige Diskutanten gewinnen können, die einen interessanten und lebhaften Arbeitskreis versprechen. Der Arbeitskreis beginnt mit einem Vortrag von Dr. Horst Möller, Referat Arzneimittelsicherheit des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS), zum Thema Pharmakovigilanz. Dieses Referat wurde geschaffen, um die Aktivitäten im Rahmen der Pharmakovigilanz besser zu koordinieren.
Auf dem Podium werden weiterhin vertreten sein Professor Dr. Dietrich Höffler, stellvertretender Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie Professor Dr. Volker Dinnendahl, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker. Die Arzneimittelkommissionen sind die Einrichtungen der Ärzte- und Apothekerschaft, die sich institutionell mit Fragen der Pharmakovigilanz beschäftigen. Sie sind auch Beteiligte des Stufenplans nach dem AMG.
Die Pharmaindustrie, die ja für die größtmögliche Sicherheit ihrer Arzneimittel in einer besonderen Verantwortung ist, wird durch Dr. Rainer Schmeidl, bei Merck Leiter der Abteilung Global Drug Safety, vertreten sein.
Simone Melzer ist Leiterin der Abteilung »Patientenorientierte Arzneimittelversorgung« des Service-Centers APONOVA und arbeitet am Allgemeinen Krankenhaus St. Georg in Hamburg. Sie befasst sich dabei auch insbesondere mit dem Schnittstellenmanagement ambulant/stationär.
Magdalene Linz ist Präsidentin der Bundesapothekerkammer und zugleich Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen. Sie leitet die Delfin-Apotheke in Hannover. Fragen der Pharmakovigilanz sind mit ein Schwerpunkt der Arbeit der Bundesapothekerkammer.
Drei Arbeitskreise Das politische Programm des Deutschen Apothekertages startet am Donnerstag, 22. September, mit den Reden von ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf und dem Hauptgeschäftsführer Dr. Hans-Jürgen Seitz. Anschließend werden in drei Arbeitskreisen bis zum 24. September zentrale standespolitischen Themen diskutiert. In diesem Jahr werden die Arbeitskreise mit den Themen »Nutzenbewertung von Arzneimitteln« »Pharmakovigilanz« und »Zukunftsaufgaben der Apotheker« von den ABDA-Geschäftsführern Dr. Frank Diener, Dr. Christiane Eckert-Lill und Dr. Sebastian Schmitz geleitet. Neu ist dabei ein für jedes Thema hochkarätig besetztes Podium mit Experten anderer Gesundheitsberufe.
PZ: Warum ist das Thema so wichtig?
Eckert-Lill: Das Thema ist besonders unter zwei Gesichtspunkten wichtig. Wir alle kennen den Spruch »Keine Wirkung ohne Nebenwirkung«. In klinischen Studien, auf deren Ergebnissen die Zulassung beruht, wird schwerpunktmäßig die Wirksamkeit eines Arzneimittels geprüft. Die Patientenkollektive sind vergleichsweise klein und häufig hochgradig selektiert. Klinische Studien, die im Übrigen zeitlich begrenzt sind, reichen aus, um häufige unerwünschte Wirkungen zu erkennen. Bei seltenen unerwünschten Wirkungen muss davon ausgegangen werden, dass sie nicht auftreten bzw. nicht erkannt werden, zum Beispiel, wenn sie erst bei chronischer Anwendung entstehen. Dies bedeutet, dass auch und insbesondere nach der Markteinführung von Arzneimitteln besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich möglicher Risiken geboten ist. Aktuelles Beispiel sind die COX-2-Inhibitoren, die ja zwischenzeitlich auf Grund ihrer kardialen Risiken ganz anders bewertet werden als noch vor einem Jahr.
Unerwünschte Wirkungen belasten zweifelsohne den Patienten und seine Angehörigen. Bei etwa drei bis sechs Prozent der Patienten, die stationär aufgenommen werden, ist eine unerwünschte Wirkung die Ursache. Unerwünschte Wirkungen belasten aber auch die Solidargemeinschaft. Die direkten Kosten werden in Deutschland auf jährlich 350 bis 400 Millionen Euro geschätzt.
Ein zweiter Aspekt sind die auch unter den Begriff Pharmakovigilanz fallenden arzneimittelbezogenen Probleme. Sie können auf dem gesamten Weg von der Verordnung bis zur Anwendung des Arzneimittels entstehen, zum Beispiel nicht sachgerechte Dosierung, nicht korrekter Einnahmezeitpunkt, Probleme des Patienten bei der Handhabung und so weiter. Kurz gesagt: Das beste Arzneimittel wird nicht oder nicht richtig helfen, wenn es nicht der richtige Patient erhält und es nicht richtig angewandt wird.
PZ: Ist die deutsche Arzneimittelüberwachung generell ausreichend oder sehen Sie Schwachstellen?
Eckert-Lill: Der Gesetzgeber hat in vergangenen Jahren eine Reihe Maßnahmen ergriffen, um das System der Pharmakovigilanz zu verbessern, insbesondere um Informationen schneller verfügbar und transparenter zu machen. Sicherlich wird dieses noch weiter entwickelt werden müssen. Ein Punkt, der in Diskussionen immer wieder beklagt wird, ist das so genannte Underreporting durch Ärzte und Apotheker, das heißt, das Spontanmeldesystem sollte von diesen beiden Berufsgruppen intensiver genutzt werden.
PZ: Welche Rolle spielen die öffentlichen Apotheken?
Eckert-Lill: Im Rahmen der Erfassung unerwünschter Wirkungen können die Apotheker das schon erwähnte Spontanmeldesystem nutzen. Der Schwerpunkt der Aufgaben des Apothekers ist jedoch sicherlich der Bereich der arzneimittelbezogenen Probleme. Hier hat der Apotheker in doppelter Hinsicht eine wichtige Funktion: Er kann und muss Medikationsfehler mit dem Arzt klären, und er unterstützt im weitesten Sinne den Patienten bei der Anwendung seiner Arzneimittel. Und wir haben ja heute die Instrumente, um alle medikationsrelevanten Daten des Patientenkontinuierlich zu erfassen, die Medikation zu beurteilen und zu intervenieren. Das ist ein Mehr an Arzneimittelsicherheit.
PZ: Warum werden die Leistungen der Apotheker in diesem Gebiet nur am Rande registriert?
Eckert-Lill: Es ist die Frage, ob die Leistungen der Apotheker tatsächlich wenig registriert werden oder ob sie nicht ausreichend anerkannt werden. Möglicherweise liegt es daran, dass die apothekerlichen Leistungen zwar dem Patienten zu Gute kommen, aber in ihrer Bedeutung für seine Gesundheit so nicht wahrgenommen werden. Wir müssen diese sicher stärker kommunizieren. Der Arbeitskreis »Pharmakovigilanz« beim Deutschen Apothekertag in Köln ist dafür ohne Frage eine sehr gute Gelegenheit.
Apothekertag in Köln Der Deutsche Apothekertag findet in diesem Jahr vom 22. bis 24. September in der Messe Köln statt. Zutritt zur Hauptversammlung haben alle Apothekerinnen und Apotheker, die im Besitz einer gültigen Teilnehmerkarte sind. Weitere Informationen zum Programm finden Sie auf der Website der Werbe- und Vertriebsgesellschaft Deutscher Apotheker unter www.wuv-gmbh.de.
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