pol3 |
08.05.2000 00:00 Uhr |
Politik
EU-PARLAMENT
Mit seiner Zustimmung zu dem vom Rat sorgfältig austarierten Gemeinsamen Standpunkt schaffte das Europäische Parlament am 4. Mai in Brüssel die Voraussetzung dafür, dass die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr in Rekordzeit in Kraft treten kann.
Der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar Frits Bolkestein bezeichnete die Richtlinie als "Meilenstein für die EU" und lobte die vorbildliche Zusammenarbeit der europäischen Institutionen, die es ermöglichte, dass die Richtlinieninitiative der Kommission in nur knapp 18 Monaten zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden konnte. Gleichzeitig wies Bolkestein in der Plenardebatte auf die besondere Problematik im Arzneimittelbereich hin.
Die Auswirkungen der Richtlinie auf den Arzneimittelbereich waren von Anfang an, insbesondere auf Initiative der ABDA in der Diskussion. Problematisiert wurde, dass die Richtlinie zwar bestehendes Gemeinschaftsrecht unberührt lässt, im Arzneimittelbereich jedoch zudem ein komplexes Regelwerk unterschiedlicher nationaler Bestimmungen zu beachten ist. Aus diesem Grund war bis zuletzt eine Änderung der Richtlinie im Gespräch, die den für Arzneimittel geltenden Besonderheiten Rechnung tragen sollte.
Letztendlich obsiegten Dringlichkeitsaspekte und der Wille zur Förderung der neuen Technologien gegenüber der Klärung von Detailproblemen. Noch bei der zweiten Lesung im Parlament betonte Bolkestein, dass der Handel mit Arzneimitteln auf gemeinschaftlicher wie auf nationaler Ebene sehr strengen Regeln unterworfen sei, was auch im Internet zu gelten habe. Darüber hinaus sicherte er zu, dass die Kommission gegen illegale Aktivitäten von Unternehmen, die außerhalb der EU ansässig seien, entschieden vorgehen würde.
Mit der nun verabschiedeten Fassung der Richtlinie wurde gegenüber dem Richtlinienvorschlag der Kommission zumindest insofern eine Nachbesserung erreicht, dass nationale Versandhandelsverbote, wie sie beispielsweise in Deutschland für Arzneimittel gelten, vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen bleiben. Problematisch bleibt die Vorgabe der Richtlinie, dass darüber hinaus ausschließlich das Recht des Herkunftslandes, das gerade im Arzneimittelbereich europaweit erhebliche Unterschiede aufweisen kann, Anwendung findet.
Somit kann künftig beispielsweise ein Anbieter im Internet ohne Einschränkung für den Versand eines in seinem Lande rezeptfreien Medikamentes werben, während dieses Arzneimittel gleichzeitig in einem anderen Mitgliedstaat verschreibungspflichtig ist und dort gegenüber der Öffentlichkeit überhaupt nicht beworben und versandt werden darf. Da dieses Problem grundsätzlich auch vor Einführung der neuen Medien bestand, wurde im Rahmen der E-Commerce-Richtlinie kein spezifischer Handlungsbedarf gesehen. Einwände, die zu bedenken gaben, dass das Internet eine völlig neue Dimension der Problematik eröffne und präventive Zugriffe auf illegal agierende ausländische Arzneimittelversender weiter erschwere, fanden bei den Verantwortlichen nicht die nötige Resonanz.
Zu den von der Richtlinie erfassten Bereichen und Tätigkeiten gehören auch Online-Dienstleistungen der freien Berufe. Innerhalb eines eigens den reglementierten Berufen gewidmeten Artikels wird klargestellt, dass diese auch online werben dürfen, soweit die berufsrechtlichen Regeln eingehalten werden. Zudem wird angeregt, dass die Berufsvereinigungen und -organisationen auf europäischer Ebene Verhaltenskodizes aufstellen, um zu bestimmen, welche Arten von Informationen im Rahmen von kommerziellen Kommunikationen erteilt werden können. Hierunter sind Vorgaben zum Inhalt von Webseiten und elektronischen Werbeaussendungen zu verstehen.
Hauptanliegen der Richtlinie ist die Klarstellung, dass auch für die Dienste der Informationsgesellschaft, laut Definition alle Dienstleistungen, die in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf des Empfängers erbracht werden, die Binnenmarktgrundsätze der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit gelten. Zudem gewährleistet die Richtlinie, dass solche Dienste in der gesamten EU angeboten werden können, sofern sie den im Land des Anbieters geltenden Rechtsvorschriften entsprechen. Besondere harmonisierte Regeln sind nur insoweit vorgesehen, als sichergestellt werden muss, dass die neuen Dienste EU-weit und über Grenzen hinweg angeboten und in Anspruch genommen werden können. Dafür harmonisiert die Richtlinie beispielsweise die Definition des Niederlassungsortes, Informationspflichten der Anbieter, Abschluss und Gültigkeit elektronischer Verträge, die Haftung der Vermittler oder Bestimmungen zur Beilegung von Streitfällen.
Trotz der in Brüssel bewiesenen Schnelligkeit und Handlungsfähigkeit, mit der ganz bewusst zugunsten des Wirtschaftsstandortes Europa ein entschiedener Schritt nach vorn gemacht werden sollte, darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die Richtlinie allgemein zwar als dringlich und vernünftig, jedoch nicht als perfekt erachtet wird. Aus diesem Grund muss sie nach drei Jahren auf den Prüfstand, um über den Bedarf einer Novellierung zu befinden. Dass das Zustandekommen der Richtlinie nicht allgemein als völlig befriedigend bewertet wird, wird teilweise darauf zurückgeführt, dass die technische Entwicklung der Gesetzgebung einfach davongelaufen sei und die Binnenmarktentwicklung in vielen Gebieten noch Defizite aufweise. Darüber hinaus müssen weitere ergänzende Gemeinschaftsinitiativen zur Förderung der Informationsgesellschaft baldmöglichst folgen. Spätestens 18 Monate nach der in Kürze erwarteten offiziellen Veröffentlichung müssen die EU-Mitgliedstaaten die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt haben.
© 2000 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de