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Die Gesellschaft verschläft ihre Verantwortung

15.04.2002  00:00 Uhr

Sucht

Die Gesellschaft verschläft ihre Verantwortung

von Christina Hohmann, Berlin

Jeder vierte Todesfall in der Bundesrepublik geht auf das Konto der Volksdrogen Nikotin und Alkohol. Damit sind die beiden arglos und häufig konsumierten Substanzen die gefährlichsten Umweltgifte überhaupt.

17 Millionen Nikotinabhängige und 9,3 Millionen Alkoholgefährdete ist die traurige Bilanz, die Privatdozentin Dr. Gudrun Richter, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, auf deren 14. wissenschaftlichen Tagung in Berlin ziehen musste. Vor allem der viel zu hohe Alkoholkonsum müsse um mindesten 20 Prozent gesenkt werden. Richter forderte härtere Maßnahmen, wie ein Verbot für aggressive Werbung, die Null-Promille-Grenze im Straßenverkehr und eine eingeschränkte der Verfügbarkeit von alkoholischen Getränken. Denn die Zahlen sind verheerend: Jährlich sterben rund 42.000 Menschen in Deutschland an den Folgen ihres Alkoholkonsums. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Sucht beziffern Experten auf etwa 40 Milliarden Euro jährlich.

"Seit 20 Jahren nimmt Deutschland beim Alkoholkonsum einen Spitzenplatz in der Welt ein", erklärte Richter. Mit einem jährlichen Konsum von 10,6 Litern reinem Alkohol pro Kopf liegt die Bundesrepublik nach Luxemburg, Irland, Portugal und Frankreich auf Platz fünf im internationalen Vergleich. Studien zufolge steigt das Bruttosozialprodukt eines Landes deutlich, wenn es seinen jährlichen Pro-Kopf-Konsum um ein bis zwei Liter reduzieren kann.

Um den Drogenkonsum erfolgreich zu senken, müsse vor allem präventiv eingegriffen werden. Das falsche Bild vom harmlosen Alkohol, das in unserer Gesellschaft besteht, sei in dieser Hinsicht äußerst schädlich, erklärte Jobst Böning, Präsident der Gesellschaft für Suchtforschung. In anderen Ländern würden Alkohol und Nikotin kritischer gesehen als in der Bundesrepublik. Allein der erschwerte Zugang zu den Drogen verdeutliche dort ihre Gefährlichkeit. "In den USA muss man seinen Ausweis zeigen, um Alkohol zu kaufen. In Deutschland gilt dies dagegen als Beschneidung der individuellen Freiheit", so Böning. Das Bild der Drogen muss sich ändern: "Die Gesellschaft verschläft ihre Verantwortung."

Noch schlimmer als beim Alkohol ist die Situation beim Nikotin. Etwa 17 Millionen Menschen in der Bundesrepublik sind abhängig, rund 110.000 Raucher sterben jedes Jahr an den Folgen des Tabakkonsums. Zigaretten sind auch weiterhin noch die häufigste Einstiegsdroge, erklärte Böning. Das Einstiegsalter liegt mittlerweile bei etwa 12 bis 13 Jahren und sinkt kontinuierlich. Ein erster Schritt in Richtung wurde allerdings bereits eingeleitet: Um Jugendliche vom Rauchen abzuhalten, hat sich die Tabakindustrie Ende März dazu verpflichtet, 11,8 Millionen Euro (etwa ein Prozent ihrer Werbeausgaben) in den nächsten fünf Jahren für eine Aufklärungskampagne zu bezahlen. Dabei haben die Zigarettenhersteller in dem mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) geschlossenen Vertrag festgesetzt, dass erwachsene Raucher nicht verunglimpft werden. Ansonsten hat die Tabakindustrie keinen Einfluss auf die Inhalte der Aufklärungskampagne.

Aber nicht nur die Prävention liegt im Argen, auch die Sucht-Forschung wird nach Ansicht der Experten in Deutschland vernachlässigt. So ist die medikamentöse Behandlung von Abhängigen immer noch nicht möglich. "Die Industrie ist daran interessiert, die Folgeerkrankungen der Sucht, wie Bluthochdruck, Leberzirrhose oder Depressionen zu behandeln", erklärte Professor Dr. Hans Rommelspacher vom Institut für Klinische Neurobiologie am Universitätsklinikum Benjamin Franklin. Auf diese Indikationen konzentriere sich ihre Forschung. "In der Entwicklung von Rückfallmedikamenten ist sie dagegen mehr oder weniger inaktiv." Zur Therapie von Alkoholabhängigen stünden zurzeit nur zwei Medikamente, Acamprostat und Naltrexon zur Verfügung, wobei nur Acamprostat in Deutschland zugelassen ist. Die Grundlagenforschung müsse neue Ansätze liefern, um Alkoholabhängige besser therapieren zu können, forderte Rommelspacher.

Aber die finanziellen Mittel sind knapp. Der Staat unterstützt die Suchtforschung mit etwa 15 Millionen Euro jährlich. Die USA hingegen investierten den 60-fachen Betrag: Sie gaben im Jahr 2001 rund 340 Millionen Dollar für die Alkoholismusforschung und zusätzliche 496 Millionen Dollar für die übrige Drogenforschung aus. "Die Sucht ist die einzige Volkskrankheit, deren Ursachenforschung in Deutschland nicht staatlich gefördert wird", sagte Rommelspacher. Top

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