Politik
Infektionen sind
weltweit die Todesursache Nummer eins. Auch in den
Industrienationen ist der Kampf gegen Bakterien und Viren
längst noch nicht gewonnen. Im Gegenteil: Resistenten
Erregern ist auch mit modernen Antibiotika immer
schlechter beizukommen. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) nutzte deshalb den diesjährigen Weltgesundheitstag
am 7. April um auf die unterschätzte Gefahr alter und
neuer Infektionskrankheiten aufmerksam zu machen.
Nach Einschätzung der Bundesvereinigung für Gesundheit
zählen AIDS, Hepatitis B und C, Herpes simplex und
resistente Bakterien (Tuberkulose, Diphtherie und
Salmonellenerkrankungen) zu den wichtigsten Bedrohungen.
Seit Beginn der Epidemie sind in Deutschland an AIDS
14.000 Menschen gestorben, an Hepatitis B trotz wirksamen
Impfschutzes jährlich 1.000. Dazu kommen eine Reihe
seltener, aber spektakulärer Infektionen, etwa die
Legionärskrankheit, FSME, EHEC oder Borreliose.
Die Gründe für die Rückkehr der Krankheitserreger sind
weitgehend vom Menschen gemacht. So seien die
gesellschaftlichen und ökologischen Veränderungen der
letzten Jahrzehnte die wichtigsten Ursachen für die
Ausbreitung von Infektionskrankheiten, sagte Professor
Dr. Hans D. Pohle, Präsident der Deutschen Gesellschaft
für Infektiologie, auf einer Pressekonferenz zum
Weltgesundheitstag: Die Erwärmung der Erde vergrößert
den Lebensraum für Erreger, die vormals nur in den
Tropen heimisch waren, in den Megastädten der ersten und
dritten Welt können aus Infektionen in kürzester Zeit
Epidemien entstehen und der übermäßige Einsatz von
Antibiotika in der industriellen Nahrungsmittelproduktion
schaffe resistente Erreger.
Dem Ansturm der Erreger stehen Menschen gegenüber, die
nicht ausreichend geimpft sind, und Ärzte, die von
Infektionsmedizin nur wenig verstehen. Bis vor kurzem gab
es in Deutschland keinen einzigen Lehrstuhl für
Infektionsmedizin. In den USA sind es nach Pohles Angaben
mehr als 200. "Deutsche Ärzte sind in der
Infektionsmedizin Autodidakten. Deutschland war das
Geburtsland der Infektionsbiologie, jetzt sind wir ein
Entwicklungsland." Bei der Modernisierung des
Medizinstudiums müsse deshalb unbedingt die
Infektionsmedizinische Ausbildung verbessert werden,
forderte Pohle. In jedem Krankenhaus müsse ein
Infektiologe arbeiten. Die Forschung müsse ebenfalls
intensiviert werden.
Besonders häufig sind Infektionen dort, wo sie
eigentlich bekämpft werden sollen. Jedes Jahr infizieren
sich eine Million Deutsche während eines
Klinikaufenthalts mit einem Bakterium oder Virus.
Mindestens 20.000 sterben daran. Pohle: "Die Zahl
der Infektionen liegt international im Rahmen, die Zahl
der Todesfälle ist aber zu hoch." Dies sei auch ein
Resultat der mangelnden medizinischen Betreuung auf
diesem Gebiet.
Die Bundesregierung will mit einem Infektionsschutzgesetz
die Möglichkeiten im Kampf gegen ansteckende Krankheiten
verbessern. Kernpunkt soll eine Neustrukturierung der
Meldewege und -inhalte sein. In dem Gesetz sollen alle
bisher bestehenden Einzelregelungen zu
Infektionskrankheiten gebündelt werden, erläuterte
Baldur Wagner, Staatssekretär im Bundesministerium für
Gesundheit, während einer Veranstaltung zum
Weltgesundheitstag in Bonn. Die Meldepflicht der Ärzte
werde sich auf die wesentlichen Krankheiten
konzentrieren. Eine wichtige Neuerung: In Zukunft sollen
nicht nur Krankheiten, sondern auch Krankheitserreger
gemeldet werden, sofern sie identifiziert sind. Eine
Reihe zusätzlicher Angaben werden in Zukunft in eine
Meldung aufgenommen werden müssen, etwa Informationen
über mögliche Infektionswege.
Alle für die Verbreitung von Infektionskrankheiten
relevanten Daten würden im Berliner Robert-Koch-Institut
(RKI) zusammengeführt und ausgewertet, so Wagner weiter.
Das RKI soll ein epidemiologisches Informationsnetz
aufbauen und den Bundesländern bei der Bekämpfung von
länderübergreifenden aktuellen Infektionen zur Seite
stehen.
Neben der Akutbekämpfung soll auch die Prävention von
Infektionskrankheiten effizienter werden, kündigte
Wagner an. In der Bevölkerung müsse das Bewußtsein
für die mit Infektionskrankheiten verbundenen Gefahren
geschärft werden. Dazu gehöre auch der sparsame und
gezielte Umgang mit Antibiotika. Der leichtfertige
Einsatz dieser Medikamente habe zu einer großen Zahl
resistenter Erreger geführt, die heute die Therapie
stark beeinträchtigten.
Pohle kritisierte, daß viele Ärzte zu unüberlegt mit
Antibiotika umgingen. Daran sei ebenfalls ihre
mangelhafte infektionsmedizinische Ausbildung schuld.
"Die Ärzte müssen lernen, Antibiotika nicht mehr
so dilettantisch einzusetzen." Bei leichteren
Infekten müsse der Arzt seinen Patienten die Arznei auch
einmal verweigern. Pohle warnte eindringlich davor,
Antibiotika aus der Verschreibungspflicht herauszunehmen.
In den USA gebe es bereits rezeptfreie Antibiotika. Der
Medizinprofessor befürchtet, daß diese Entwicklung
zwangsläufig zu weiteren Resistenzen führe.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Bonn
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