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Die Zukunft der Gesundheit

01.01.2001  00:00 Uhr
SYMPOSIUM

Die Zukunft der Gesundheit

von Siegfried Löffler, Kassel

Die Gesundheit ist unser teuerstes Gut. Sie zu erhalten und auszubauen kostet nicht nur sehr viel Geld; die demografische Entwicklung erfordert auch dringend Innovationen in der Medizintechnik, die Vertiefung der Kenntnisse derer, die Verantwortung für das Wohl der von ihnen Betreuten tragen. Das sind insgesamt 4,2 Millionen Beschäftigte in mehr als 800 verschiedenen Berufen, immerhin 12 Prozent aller Berufstätigen in Deutschland.

Aus der Sicht von Professor Dr. med. Dietrich H. W. Grönemeyer, Inhaber des Lehrstuhls für Radiologie und Mikrotherapie der Ruhruniversität Bochum, beschäftigen wir uns zu wenig mit den Inhalten künftiger Gesundheitspolitik und zu einseitig mit ökonomischen und funktionellen Fragen. Er begrüßt es, dass sich die 6. Millenium-Tage in Kassel mit dem Thema "Die Zukunft der Gesundheit" befassen. Für Grönemeyer waren die Millenium-Tage Anlass zur handfesten Kritik an der aktuellen Gesundheitspolitik: "Zu den sinnvollen Kostensparpotenzialen gehört definitiv nicht, Krankenhäuser zu schließen und hochmotiviertes Personal zu entlassen.". Das sei ebenso katastrophal, wie die von der letzten Bundesregierung mit Kostenargumenten begründete Schließung von etwa 200 Rehabilitationskliniken. Es sei im Gegenteil sehr wichtig, "die vorhandene Kompetenz zu erhalten, die Menschen auf die neue Aufgabe vorzubereiten, weiterzubilden und eventuell umzuschulen". Das gelte sowohl für die Kranken-, Kinder- und Altenpflege, als auch für den "explosionsartig anwachsenden Fitness- und Wellnesbereich". Er forderte deshalb einen sofortigen Stopp der Arbeitsplatzvernichtung in den Krankenhäusern und deren Umwandlung in moderne Gesundheitszentren.

Mit dem Begriff "Ökologie" verbinden die meisten Bürger die Stichworte "Umwelt, Wasser. Luft und Energie". Dabei wird, so Grönemeyer, meist vergessen, "dass der menschliche Körper selbst ein ökologisches System ist", das nicht vom Gesamtsystem Erde/Welt losgelöst werden könne. Aus der Zunahme der allergischen Krankheitsbilder und der komplexen Körperreaktionen ergebe sich ein dringender Handlungsbedarf. Die vorhandenen Chancen für intensive Forschung und Entwicklung, für die Schaffung "eines Netzwerkes von umweltmedizinischen Ambulanzen" sollten nicht verschlafen werden. Der Wissenschaftler sieht erhebliche Defizite bei den Entscheidungsträgern in der Politik und bei den Krankenkassen. Fort- und Weiterbildung habe auch Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer nötig, "wenn sie weiterhin über Änderungen im Gesundheitswesen entscheiden will".

Nach Ansicht des Informationstechnikers Leo A. Nefiodow vom GMD-Forschungszentrum Informationstechnik in Sankt Augustin ist unser gegenwärtiges Gesundheitswesen eher ein "Krankheitswesen". Nefiodow sieht einen Grund für die bisher unbefriedigende Bilanz, dass viele Akteure wenig Interesse an einer gesünderen Bevölkerung haben, da sie davon leben , dass es Kranke und Krankheiten gibt. Nach Hippokrates sei der Arzt nicht in erster Linie dafür da , Kranke zu heilen, sondern die Menschen in einer gesunden Lebensweise zu beraten und zu führen. Das herkömmliche Gesundheitswesen habe die ganzheitliche Sicht von Gesundheit aus den Augen verloren. Dieser Mangel kreierte einen neuen "Gesundheitssektor", zu dem insbesondere "viele Akteure gehören, die sich um das Innenleben des Menschen und um sein Verhalten bemühen". Nefiodow geht davon aus, dass auf die gegenwärtige Entwicklungsphase Informationstechnik die der "Psychosozialen Gesundheit" folgt. Das wird den Gesundheitsmarkt zum "Motor der wirtschaftlichen Entwicklung" machen. Diese Entwicklung wird nach seiner Überzeugung befruchtet "durch neue Erkenntnisse in der Psychosomatik, Psychiatrie, Psychologie und den über 600 derzeit existierendenPsychotherapien". Er warnte aber in Kassel auch vor nicht wenigen "Scharlatanen, selbsternannten Weisheitslehrern und Gurus, die ihre Patienten mit unhaltbaren Versprechungen einfangen, abhängig machen und nicht selten in schwere seelische Krisen stürzen".

Die Ausgewogenheit, das verantwortungsbewusste Abwägen von Vor- und Nachteilen bei der Gestaltung der Zukunft der Gesundheit zog sich wie ein roter Faden durch Referate und Diskussionen der zweitägigen Bestandsaufnahme. Es passte, dass der Geschäftsführer der metaGen Gesellschaft für Genomforschung in Berlin, Professor Dr. André Rosenthal, Inhaber des Lehrstuhls für Molekularbiologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena , während der Podiumsdiskussion die "soziale Verantwortung" der Handelnden einforderte. Für ihn ist es wichtig, dass alle Verantwortlichen nachdenken über die ethischen Konsequenzen mit Blick auf die Optimierung des Erbguts, wie sie die moderne Gentechnik ermöglicht. Rosenthal warnte vor "schleichender Euthanasie angesichts einer Medizin, die gentechnisch optimale Nachkommen längst aus dem Bereich der Science Fiction in den des Machbaren geholt hat". Top

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