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Kassen bereiten sich vor

19.11.2001  00:00 Uhr

DISEASE MANAGEMENT

Kassen bereiten sich vor

von Christian Lahm, Berlin

Zeitgleich mit dem vom Bundestag verabschiedeten Reformgesetz zum Risikostrukturausgleich (RSA) haben die Ersatzkassen schon eine Verhandlungslinie erhalten, um Partnerverträge über die neuen Disease-Management-Programmme (DMP) im RSA auszuhandeln.

Nach Vorgabe des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen sind neben Kassenärztlichen Vereinigungen und Einzelärzten oder Ärztegruppen ebenso "externe Leistungsanbieter, die helfen, DMP zu organisieren" gefragt. Damit dürften sich auch Apotheker angesprochen fühlen.

Pharmakologischer Sachverstand wird bei den ersten Rahmenvertragskonzepten für DMP großgeschrieben. Kurz vor Verabschiedung des neugefassten RSA-Gesetzes hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) drei entsprechende Programme zu Asthma, Diabetes und Bluthochdruck in Berlin vorgelegt; ein vierter zum Krankheitsbild Brustkrebs ist in Arbeit.

In ihrem Konzept zu Asthma bronchiale widmet die KBV der Pharmakotherapie einen Extra-Kapitel. Auch beim DMP-Vorschlag zur Hypertonie setzen die Kassenärzte auf Arzneimitteltherapieberater. Nur so seien neue medikamentöse Behandlungen zeitnah nutzbar. Disease Management konzentriert sich zunächst auf chronisch Kranke. Über die Zulassung der Programme entscheidet das Bundesversicherungsamt. Die Teilnahme an DMP ist freiwillig.

Disease-Management-Programme sollen die Kooperation aller Beteiligten verbessern, um ein Optimum an medizinischer Leistung zu erreichen, und zwar auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse. Überflüssige Doppeluntersuchungen wollen DMP Patienten ersparen. Versorgungsabläufe sollen wirksamer auf individuelle Krankheitsbilder abgestimmt werden. Die Patienten werden motiviert, aktiv am Therapieerfolg mitzuwirken. Ziel ist es, Krankheiten und deren potenziellen Folgeschäden frühzeitig entgegenzuwirken, um Kosten zu sparen.

Mit der Vorlage eigener DMP-Entwürfe macht die KBV ihren Anspruch geltend, die Anforderungsprofile für Disease-Management-Programme gleichberechtigt mit Kassen und Krankenhäusern zu formulieren. Dem trägt auch eine hart erkämpfte Änderung im neuen RSA-Gesetz Rechnung. Danach können nun Ärzte im Koordinierungsausschuss die DMP-Profile mitbestimmen.

Neben der Ärzteschaft wollen auch Patientenvertreter den Kassen nicht allein das Feld bei den DMP überlassen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte erwartet "eine qualifizierte Beratungsbeteiligung". Anfangs sollten die Kassen weitgehend autonom über die DMP entscheiden dürfen.

Von einer Kampfansage an die Kassen will KBV-Chef Dr. Manfred Richter-Reichhelm nach Vorlage der DMP-Entwürfe dennoch nicht sprechen. Er sehe sie als "hilfreiche Arbeitsgrundlage". Weil der Bundestagswahlkampfes bevorstehe dränge die Zeit. Daher sollten die vier bis maximal sieben geforderten DMP-Akkreditierungs-Vorschläge bis spätestens März 2002 vorliegen.

Neues Geld will der Gesetzgeber für DMP nicht ins System geben. Bis die Programme jedoch ihre maximale Effizienz erreichen, gelten Mehrausgaben auch für die Arzneimittelversorgung als so gut wie sicher. Hinzu kommen die Finanzrisiken aus der Verknüpfung von DMP und Risikostrukturausgleich.

Dabei geht es im Kern darum, via Ausgleichszahlungen aus dem RSA diejenigen Krankenkassen zu belohnen, deren Versicherte sich in DMP einschreiben. So soll aus einem bisher "schlechten" Wettbewerb um gesunde Versicherte künftig ein "guter" Wettbewerb um kranke Versicherte werden.

Doch Experten warnen davor: Wenn DMP den Kassen de facto zur Vorgabe gemacht werden, öffne dies Mitnahmeeffekten die Tür, so die in Bayreuth lehrenden Gesundheitsökonomen, Professor Dr. Peter Oberender und Jochen Fleischmann. Viele Programme als Disease-Management auszuweisen und möglichst viele Versicherte in diese Programme zu integrieren, verführe zu einem neuen Abkassieren über den RSA.

Widerstand hat die KBV gegen Kassenpläne angekündigt, jeden DMP-Behandlungsschritt zu kontrollierten. Eine totale Datentransparenz für Kassenmitarbeiter zum Zwecke der Einflussnahme auf ärztliche Therapieentscheidungen werde sie nicht dulden. Die im Gesetz angelegte Stärkung von Telefondiensten als Disease-Management-Beauftragte von Krankenkassen sehe die KBV daher "äußerst kritisch".

Laut Richter-Reichhelm darf Disease-Management "kein bloßes Sahnehäubchen" bleiben, "sondern muss, um Erfolg zu haben, in weiten Teilen an Stelle der Regelversorgung treten." Deshalb müsse es "einheitliche DMP" der verschiedenen Kassen geben. Als "Experimentierfeld konkurrierender Kassen" tauge Disease-Management nicht. Top

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