Politik

Brennpunkt "Qualität auf Rügen"
Der Vorsitzende der Scheele-Gesellschaft, Dr. Thomas Jira, und der Präsident der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern, Wilhelm Soltau, haben vom 8. bis 10. November 1996 in Binz auf Rügen zur Scheele-Tagung und zum Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam eingeladen. Der berufspolitische Teil der Tagung stand unter dem Thema »Brennpunkt Qualität«.
Soltau beklagte, daß angesichts des prognostizierten GKV-Minus von 10 Milliarden DM in 1996 und einer Überschreitung des Arznei-, Heil- und Hilfsmittelbudgets von circa 4 bis 6 Milliarden DM »schwachsinniger Aktionismus« herrscht. Sei das Budget mit 11,6 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern besonders stark überschritten, so drohe man den Ärzten mit Sippenhaft und massiven Regreßforderungen bis zu 40 000 DM. Manche Praxisexistenz sei zum Scheitern verurteilt. Die Apotheker hätten den Ärzten Unterstützung zugesichert, so der Kammerpräsident, der sich für die Vereinbarung einer sachgerechten Ausgangsbasis für die Budgetfestsetzung und die jährliche Dynamisierung des Budgets aussprach. Die Apotheker seien bereit zur ökonomischen Mitverantwortung. Anhand arztbezogener Verordnungsdaten, die einmal im Monat über die Rechenzentren abgerufen werden, könne über ein Einsparpotentiale diskutiert werden. Soltau plädierte nicht nur für »aut idem« und Veränderung der Arzneimittelpreisverordnung mit Drehung und FF, sondern auch für den Einsatz der Qualitäts-, sprich: Transparenzdatenbank. Der Kammerpräsident prognostizierte »Chaos hoch drei», wenn Zuzahlungsregelungen nach NOG 2 Wirklichkeit werden sollten.
Dr. Klaus Fischer, Leiter Referat Arzneimittel- und Apothekenwesen, Sozialministerium Schwerin, hat die Befürchtung, daß der Arzt die Beratung des Patienten übernimmt und externen Betrieben die Qualitätssicherung übertragen wird, wenn die Apotheke vordergründig umsatzorientiert arbeitet. »Anstelle eines durch die akademische Ausbildung gedeckten quality management tritt dann ein mehr oder weniger aggressives merchant management«. Unter diesen Umständen werde der Staat nicht mehr bereit sein, ein akademisches Hochschulstudium zu finanzieren. Der Apotheker hätte dann seine in Jahrhunderten erworbene Legitimation verloren. Er forderte Gegensteuerung durch Besinnung auf eigentliche Aufgaben des Apothekers als Instrument der Sicherung der Versorgung und des darin integrierten Verbraucherschutzes. Er erinnerte an Innovationspotentiale zu Zeiten der ehemaligen DDR, die unter dem Druck des Mangels zustande kamen. Er nannte Therapiekommissionen, Aut-idem- und Aut-simile-Verantwortung in Absprache mit dem Arzt, die Selbstverständlichkeit der Fachweiterbildung oder die Bereitschaft in Fachgesellschaften mitzuarbeiten.
Warnung vor Marktmacht der Kassen »Die Apotheker haben nur eine Zukunft, wenn sie der Gesellschaft beweisen, daß sie als Heilberuf unverzichtbar sind", so der Päsident der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Klaus Stürzbecher. Wir müssen mehr leisten als bisher«, und betonte, daß der Apotheker nur über die Distribution austauschbar sei. »Das können andere mit technischem Know-how besser als wir.« Der ABDA-Präsident warnte vor den Folgen eines vertragsrechtlich ausgeweiteten Gestaltungsspielraumes für die Kassen und deren Marktmacht sowie dem ruinösen Wettbewerb unter Leistungserbringern. Er forderte die Teilnahme von Apothekern bei Modellversuchen. Auch Stürzbecher sprach sich gegen kassenspezifische Zuzahlungen gemäß NOG 2 aus und erinnerte an das »Chaos 93, wo keiner mehr wußte wie es geht".
Medikationsdatei Dr. Marion Schäfer, Berlin, schilderte Qualitätssicherung als einen Stufenprozeß, der Forschung, Entwicklung, Herstellung, Distribution und Anwendung von Arzneimitteln umfaßt. Die A-Card sei als Vermittlerin zwischen der Patientenkartei in der Arztpraxis und der patientenbezogenen Medikationskartei in der Apotheke zu sehen. »Den Schatz an Daten, den wir in der Apotheke haben, sollten wir für den Patienten und uns selbst einsetzen. Wer die Daten hat, hat die Zukunft«, so Schäfer, die die Führung von Medikationskarteien in der Apotheke für unumgänglich hält. »Wenn wir Pharmaceutical Care haben wollen, dann kommen wir um eine solche Kartei nicht herum."
In Deutschland ist die Größe des Arzneimittelsortiments an sich ein Risikofaktor, hieß es während der sich anschließenden Podiumsdiskussion unter der Moderation von Dr. Hartmut Morck, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung in Eschborn. Drohe der Generikamarkt noch unübersichtlicher zu werden als er schon ist, so könne man das Problem nur dadurch in den Griff bekommen, daß die Apotheke zur Auswahl von Arzneimitteln berechtigt ist. Regionale Empfehlungslisten seien zu erarbeiten.
PZ-Artikel von Christiane Berg, Binz
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de