"In Deutschland herrscht Vollkasko-Mentalität" |
01.11.1999 00:00 Uhr |
Das deutsche Gesundheitssystem ist ziellos, und um die Verbesserung von Therapien ist es ebenfalls schlecht bestellt. Obwohl bessere Therapien beträchtliche Kosten einsparen und viele Tumorpatienten vor dem Tod bewahren könnten. Diese Themen diskutierten Experten auf der Euroforum-Konferenz "Onkologie" am 25. und 26. Oktober in Düsseldorf.
In Deutschland gibt es keine klaren gesundheitspolitischen Ziele, kritisierte Franz Knieps, Geschäftsführer Politik des AOK Bundesverbands in Bonn. Eine Systemsteuerung sei ohne solche Ziele, die in fast allen anderen europäischen Ländern sowie den USA und Kanada längst definiert wurden, fast unmöglich. Kurzatmige Interventionen, wie sie von der Politik immer wieder angestoßen werden, bewirkten eher eine Konservierung von Strukturen als die Optimierung der Prozesse.
Knieps forderte, integrierte Systeme zu unterstützen. Auch wenn dies eine bewusste Benachteiligung der bisherigen Versorgung bedeute. "Das Einzelkämpfertum hat keine Zukunft", sagte Knieps. Zudem müssten Managementsysteme ins Gesundheitssystem integriert werden.
"Es ist sehr schwer, im Gesundheitssystem überhaupt etwas zu bewegen", räumte Professor Dr. Lothar Weißbach, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) ein. "In Deutschland herrscht eine Vollkasko-Mentalität, egal welchem Risiko sich der Einzelne aussetzt." Außerdem würden ohne ökonomische Evaluation Innovationen eingeführt. Das sei einer der Hauptgründe für Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen, sagte Weißbach.
Um die Qualität der klinischen onkologischen Forschung zu verbessern, hat die DKG das Studienhaus ins Leben gerufen. Es vergibt Gütesiegel für Studiendesign, Studiendurchführung und Auswertung und publiziert Studienergebnisse. Weißbach beklagte, dass sich die Bedingungen für die Finanzierung von klinischen Studien zur Verbesserung von Therapien in den letzten Jahren verschlechtert haben.
Dass Therapien dringend optimiert werden sollten, bestätigte der Vortrag von Professor
Dr. Werner Hohenberger, Direktor der chirurgischen Klinik, Universität
Erlangen-Nürnberg. In einer von ihm betreuten Studie hatte sich herausgestellt, dass es
um die Heilungschancen von Darmkrebs-Patienten nach chirurgischer Entfernung des
Primärtumors in bestimmten Kliniken wesentlich besser bestellt ist als in anderen. In
einigen Kliniken hatten sich Lokalrezidive gehäuft, selbst wenn erfahrene Chirurgen den
Primärtumor entfernt hatten. Erneut wuchernde Tumore bedeuteten für das Gesundheitswesen
ein Vielfaches an Kosten. Sie verringern zudem drastisch die Heilungschancen der
Patienten.
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