Politik
Neue Fakten von EU-Ausschuß zu
BSE-Seuche
Der vom Europäischen
Parlament eingesetzte Untersuchungsausschuß zum
Skandal um BSE-verseuchtes Rindfleisch sorgt mit
seiner Arbeit für neuen politischen Zündstoff.
Als Zeuge berichtete zunächst Professor Dr.
Arpad Somogyi, Direktor des Berliner
Bundesinstituts für gesundheitlichen
Verbraucherschutz und Veterlnärmedlzin, über
Interventionsversuche der EG-Kommission gegen
seine warnenden Auftritte in der Öffentlichkeit.
Die dort zuständigen Beamten hätten in
unerträglicher Weise Einfluß auf die
wissenschaftliche Wahrheit" nehmen
wollen. In diesem Zusammenhang wurde ein Brief
von Kommissions-Generaldirektor Guy Legras an das
Bonner Gesundheitsressort bekannt. Der
französische Europabeamte hatte sich darin über
einen Auftritt Somogys vor einem Ausschuß der
Weltgesundheitsorganisation im Herbst 1994
beklagt. Die Verbraucher dürften nicht länger
verunsichert werden, hieß es in dem Brief. Der
Professor untergrabe mit seinen Warnungen vor den
Konsequenzen des Rinderwahns geltendes
EU-Gemeinschaftsrecht.
Ausdrücklich in Schutz nahm der Behördenchef
vor dem Untersuchungsausschuß das
Bundesgesundheitsministerium. Es habe den
mahnenden Brief aus Brüssel nicht zum Anlaß
genommen, ihm einen »Maulkorb« zu verpassen.
Die bisherigen Zeugenaussagen veranlaßten den
deutschen Europaabgeordneten Rainer Böge
inzwischen zu dem Vorwurf, die Brüsseler
Kommission habe die verbraucherpolitische
Dimension der Rinderseuche BSE und die
gesundheitlichen Gefahren zu lange unterschätzt.
Darin sei sie, so der Chef des
Untersuchungsausschusses, von den
landwirtschaftlichen Interessenverbänden
bestärkt worden.
Kritik übte Böge auch an zahlreichen
wissenschaftlichen Institutionen. Sie hätten in
den letzten Jahren Forschungsergebnisse zum
Rinderwahn nur scheibchenweise" der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Manche
Vertuschungsversuche hätten mittlerweile bei den
Rindfleischkonsumenten für ein Klima der Angst
gesorgt.
Unterdessen wehrte sich der britische Botschafter
in der Bundesrepublik gegen Vorwürfe der
SPD-Opposition, seine Regierung bekämpfe BSE nur
halbherzig. Vor dem Gesundheitsausschuß des
Bundestages wies Sir Nigel Broomfiel in der
vergangenen Woche Vermutungen zurück, London
spiele die Gefahren der Rinderseuche ganz bewußt
herunter. Die Regierung Major habe seit dem
ersten Auftreten der Seuche auf der Basis
seriöser wissenschaftlicher Erkenntnisse"
stets zügig Maßnahmen gegen die Krankheit
ergriffen. Großbritannien habe dafür seit 1986
über 60 Millionen Pfund, umgerechnet etwa 150
Millionen DM, ausgegeben. Der Diplomat: Das
ist mehr Geld als die Europäische Union und ihre
übrigen Mitglieder insgesamt dafür
bereitgestellt haben." Sein Land, so ließ
Broomfiel die deutschen Abgeordneten wissen,
strebe an, die Rinderseuche vollständig
auszurotten. Seit Mai dieses Jahres seien über
500 000 Rinder vernichtet worden.
PZ-Artikel von Jürgen Becker, Bonn
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