Menschlichkeit statt Staatsmedizin |
14.07.2003 00:00 Uhr |
Regierung und Opposition beraten in Berlin die Reform des Gesundheitssystems. Auf einer Großkundgebung in Saarbrücken kam der rot-grüne Gesetzentwurf zum Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG) in Saarbrücken schlecht weg.
Das Bündnis Gesundheit Saar hatte 400 Teilnehmer erwartet, mehr als 600 waren gekommen. Der große Andrang war angesichts der Diskussionen um die Gesundheitsreform nicht überraschend. Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, und ABDA-Präsident Hans-Günter Friese warnten vor einem Gesundheitswesen, das nicht mehr von Menschlichkeit und Zuwendung, sondern von staatlicher Bürokratie geprägt sei. Um dies zu verhindern müssten alle Heilberufe eng zusammenarbeiten.
Hoppe sah aber auch erste Erfolge. So sei in den letzten Monaten ein Durchbruch geglückt: Das Bündnis Gesundheit habe den Blickwinkel im Gesundheitswesen verändert. Am Mythos der Unter-, Über- und Fehlversorgung halte man in informierten Kreisen nicht mehr fest, endlich rücke auch die Finanzierungsgrundlage des Gesundheitssystems in den Mittelpunkt des Interesses. Wer habe vor einem halben Jahr schließlich gedacht, dass auch Raucher zur Kasse gebeten werden sollen? „Der wäre gelyncht worden“, sagte Hoppe. Die Finanzierungskrise selbst sei zum großen Teil auf politische Fehler und Versäumnisse zurückzuführen. Hoppe forderte, die Politik müsse den Heilberuflern die Möglichkeit geben, ihren rechtlichen Pflichten nach zu kommen: „Was das Haftungsrecht von uns fordert, muss uns das Sozialrecht ermöglichen.“
Die Einrichtung eines staatsnahen Zentrums für Qualität in der Medizin lehnt er kategorisch ab. Ein solches „Bundesamt für Kassenmedizin“ bräuchte die Gesellschaft nicht. Auch von den angedachten Zwangsfortbildungen für Ärzte hält Hoppe nichts. Er glaubt, dass sie die Motivation untergraben. Doch leider sei das Schlagwort „Ärzte-TÜV“ weit populärer als kontinuierliche freiwillige Weiterbildung. Auf Skepsis stößt bei dem Ärzte-Präsident die Idee eines Korruptionsbeauftragten. „Diese Pflege der Misstrauenskultur muss aufhören“, forderte er.
Die derzeitige Gesundheitspolitik zeige schon jetzt erschreckende Folgen: Mehr als die Hälfte der Medizinstudenten gebe an, nach dem Studium nicht am Patienten arbeiten zu wollen. Allein in Ostdeutschland könnten 1000 Arztstellen mangels Nachwuchs nicht besetzt werden.
Auch ABDA-Präsident Hans-Günter Friese übte scharfe Kritik am geplanten GMG. Kurzfristiger Feuerwerksreformismus bestimme die Politik. Gerade in der Gesundheitspolitik der letzten Jahre ginge es nicht um langfristige Strategien, sondern um das Flicken von Finanzlöchern. Hierbei bediene man sich der Bereiche, von denen man sich die geringste öffentliche Gegenwehr erhoffe. Die Apotheken treffe es besonders hart, so Friese. Er ruft zum Widerstand auf. 7,7 Millionen Kunden hätten mit ihren Unterschriften erklärt, dass sie die unabhängige Apotheke erhalten wollen. Die Bundesregierung hingegen wolle den kompletten Systemwechsel, und damit ganze Teile des Gesundheitswesens ausradieren. Die Freiberuflichkeit stehe auf dem Spiel. Dabei sei die Apotheke mit ihren Leistungszahlen ein Erfolgsmodell.
Trotzdem versuche die Regierung vehement, dieses vorbildliche System zu zerstören. Die Belastung der Apotheken in diesem Jahr überschreite die Grenze des Erträglichen. Friese stellte fest, dass der Großhandelsrabatt, wie es die Berechnungen der ABDA vorausgesagt hatten, fast in Gänze auf die Apotheken abgewälzt werde. Wären dem Ganzen nicht bereits 10.000 Arbeitsplätze in Apotheken zum Opfer gefallen, man könne es für eine Realsatire halten, sagte Friese.
Doch das sei noch nicht alles. Die Bundesregierung wolle außerdem den Versandhandel mit Arzneimitteln, Einzelverträge für besondere Vertriebs- und Versorgungsformen und die Etablierung von Apothekenketten. Dies bedeute den definitiven Tod der unabhängigen Apotheke im Besitz, vor allem aber in der Verantwortung eines nicht an Weisungen gebundenen Freiberuflers. Das wahre Ziel sei es, durch Betriebsräte auch die Arzneimittelversorgung in den Mitbestimmungsbereich der Gewerkschaften zu bringen.
Es gelte heute als Kavaliersdelikt, wenn Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts ihre Versicherten öffentlich dazu aufrufen, widerrechtlich Arzneimittel über den Versandhandel zu beziehen. Und die Verleihung des deutschen Gründerpreises an DocMorris bringt Deutschland laut Friese an die Grenze zur Bananenrepublik.
Die Apotheken hätten ihre Hausaufgaben gemacht und der Regierung eigene Vorschläge unterbreitet, so der ABDA-Präsident. Zu den Vorschlägen gehörten eine Änderung der Arzneimittelpreisverordnung, das Hausapothekenmodell und das Home-Service-Konzept. Das mit einigen Krankenkassen bereits vereinbarte Hausapothekenmodell werde die Arzneimittelversorgung noch sicherer machen und den Dialog zwischen Patient, Arzt und Apotheker fördern. Und das Home-Service-Konzept, bei dem Arzneimittel durch pharmazeutisches Personal der Apotheke bis ans Krankenbett geliefert werden, sei dem Versandhandel in punkto Schnelligkeit und Sicherheit weit überlegen.
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