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An Seehofer kommt keiner vorbei

23.06.2003  00:00 Uhr

An Seehofer kommt keiner vorbei

von Thomas Bellartz, Berlin

Wie Phoenix aus der Asche tauchte Seehofer wieder auf. Und hielt der Unionsfraktion im Bundestag den gesundheits- und sozialpolitischen Spiegel vor: Und dabei kam keiner seiner Fraktionskollegen tatsächlich gut weg.

Der ehemalige Gesundheitsminister war in der vergangenen Woche auf Tauchstation gegangen. In zahllosen Interviews und einer rekordverdächtig besuchten Pressekonferenz erläuterte er seine Stoßrichtung. Er will den Zahnersatz nicht aus der GKV herausnehmen und privat versichern. Anders als im Unionskonzept vorgesehen.

Der Fall Seehofer trieb manchem Fraktionsmitglied von CDU und CSU die Tränen in die Augen. Der einzige wirklich prominente Gesundheits- und Sozialpolitiker drohte der Union abhanden zu kommen. Wie Stoßgebete klangen da die Aufforderungen, Seehofer solle doch Kontakt mit der Fraktionsspitze aufnehmen. Das tat der Bayer, der in Partei und Heimatland der beliebteste CSU-Mann ist, dann auch irgendwann.

Obwohl sich Seehofer weiterhin uneinsichtig zeigte, auf seiner Position behaarte, konnten CSU-Chef Edmund Stoiber und infolge dessen auch Angela Merkel nicht von Seehofer lassen. „Ich werde mich nicht unterordnen“, diktierte der Fraktionsvize immer wieder in die Blöcke der Journalisten. Ein Politiker mit Rückgrat? Und dazu noch in der Opposition und als Verhandlungsführer. Die Meinungen innerhalb der Fraktion schwankten zwischen „Rausschmiss“ und „konsequent“.

Mit der tagelangen medialen Präsenz Seehofers wuchs der Druck auf Union wie Regierung. Die Verhandlungen zur Gesundheitspolitik waren schon vor deren Start ein öffentliches Thema. Und damit bekommt die Reform eine neue Dimension.

Wer Seehofer Harakiri unterstellte oder folgerte, er habe die Union in ein Tohuwabohu gestürzt, dürfte die Lage verkennen. Seehofer hatte gute sachliche Gründe, sich gegen den Zahnersatz und insbesondere gegen die versicherungsmathematischen Kalkulationen der Privaten Krankenversicherung (PKV) auszusprechen. Mit seinem Abtauchen wollte der Bayer nach eigenem Bekunden seiner Fraktion lediglich eine harte Debatte über das Thema Zahnersatz und eine weit reichende öffentliche Kontroverse über die Widersprüche innerhalb der Union ersparen.

Damit nicht genug: Annette Widmann-Mauz hatte bei der ersten Lesung zum GMG im Bundestag nicht ihren besten Tag. Es fehlte der Charme und die fachlich fundierte Schärfe Seehofers. Und Andreas Storm, den sozialpolitischen Sprecher der CDU, brüskierte Seehofer in einer Pressekonferenz. Storm habe die von der PKV schön gerechneten Zahlen zum Zahnersatz in die Fraktion gebracht, ließ der Fraktionsvize die Medien wissen.

Unterstützt von Stoiber, weiten Teilen der CSU und von vielen in der CDU, war schon vor der Klausurtagung in Bad Saarow klar, dass es keinen Weg an Seehofer als Verhandlungsführer vorbei gebe. Sogar die Koalitionsparteien signalisierten Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem Mann, der 2002 nach einer lebensgefährlichen Erkrankung auf die politische Bühne in Stoibers Kompetenzteam zurückgekehrt war. Ministerin Ulla Schmidt verhandelte fast freundschaftlich mit Seehofer im Fernsehen; da hatte sich Seehofer mit den meisten seiner Mitstreiter noch nicht ausgesprochen. Merkel hatte keine personelle Alternative, obwohl Seehofer sich nicht von einer persönlichen Position abbringen ließ.

Die ganze Angelegenheit hat Seehofer drei Monate vor den bayerischen Landtagswahlen einen ungeheuren Popularitätsschub verschafft. Damit hat das gesundheitspolitische Schwergewicht noch einmal zugelegt und ist als Verhandlungspartner deutlich stärker als noch vor zwei Wochen. Top

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