"Wir sind nicht allein" |
20.05.2002 00:00 Uhr |
DAV-Wirtschaftsforum
von Christina Homann und Daniel Rücker, Berlin
Im Juli sollen die ersten Disease-Management-Programme (DMP) anlaufen. Der Gesetzgeber hat sich wenig Gedanken über die Rolle der Apotheker in diesen Programmen gemacht - im Gegensatz zu ABDA-Vizepräsident Heinz-Günter Wolf und Dr. Martin Schulz, Leiter des Zentrums für Arzneimittelinformation und pharmazeutische Praxis (ZAPP).
PZ: Warum sollten die Apotheker bei den Disease-Management-Programmen mitmachen?
Wolf: Im Rahmen der DMP soll auch die Arzneimittelversorgung optimiert werden. Wenn jemand für die Arzneimittelversorgung zuständig ist, dann sind es die Apotheker.
PZ: Wie könnten denn die Aufgaben der Apotheker aussehen?
Wolf: Die erste Aufgabe wird sein, die chronisch Kranken zu rekrutieren und zur Teilnahme in einem Programm zu bewegen. Die zweite wird dann sein, eingeschriebene Patienten durch Förderung und Motivation für längere Zeit in den Programmen zu halten - zumindest für ein Jahr, am besten aber länger.
PZ: Wer entwickelt die Konzepte für die Teilnahme von Apothekern an DMP?
Schulz: Die ABDA hat verschiedene Module für DMP konzipiert. Damit sind wir in den Verhandlungen mit Krankenkassen flexibel. Wir können Programme mit sehr unterschiedlichem Umfang anbieten. Der Vertrag mit einer Krankenkasse muss nicht alle Module umfassen. Wir können unser Angebot genau auf die jeweiligen Anforderungen abstimmen.
PZ: Wie sehen diese Module aus?
Schulz: Es gibt zwei Basis- und neun Aufbaumodule. Die Basismodule sind indikationsunabhängig. Sie sind die Grundlage für die Aufbaumodule und gehören zwingend zu jedem Vertrag mit einer Kasse.
Der Erfolg von DMP wird maßgeblich von der Motivation der Versicherten abhängen, sich an den Programmen zu beteiligen. Das erste Basismodul beinhaltet deshalb die Rekrutierung von Patienten in der Apotheke, die positive Verstärkung bereits von Kassen oder Ärzten angesprochener Patienten und die Complianceförderung für das DMP.
Beim zweiten Basismodul geht es um die Einschreibung in die Hausapotheke. Beim DMP wird es notwendig sein, dass sich ein Patient auf eine Apotheke festlegt. Sie wird für mindestens ein Jahr zu seiner Hausapotheke, vergleichbar mit dem Hausarzt.
PZ: Wie muss man sich dies vorstellen?
Schulz: Die Apotheke nimmt die Stamm- und Medikationsdaten des Patienten auf, sie erstellt ein Arzneimitteldossier und macht einen ersten Check arzneimittelbezogener Probleme. Das Arzneimitteldossier wird selbstverständlich über das gesamte Programm permanent aktualisiert und mit Arzt und Patient diskutiert.
PZ: Wie sehen die Aufbaumodule aus?
Schulz: Inhalt des ersten Moduls ist das Monitoring der leitliniengestützten Pharmakotherapie. Im zweiten geht es um arzneimittelbezogene Probleme. Allerdings steigen wir hier tiefer ein als im Basismodul. Bei Asthmatikern soll zum Beispiel die Inhalationstechnik überprüft werden, bei Diabetikern die Insulin-Injektion. Das dritte Modul regelt dann die Förderung der Compliance und die Motivation der Patienten. Weitere Module haben Reminderaufgaben, die Förderung des Selbstmanagements der Patienten oder eine individuelle situationsorientierte Beratung zum Inhalt.
PZ: Müssen, wollen und werden alle Apotheker mitmachen?
Schulz: Die Rahmenverträge, die zurzeit mit den Krankenkassen ausgehandelt werden, werden allen Apothekern die Gelegenheit geben, sich an DMP zu beteiligen und sich für die Programme aufzurüsten zu können. Ob jeder Apotheker mitmachen wird, das weiß ich nicht. Das muss jeder selbst entscheiden.
Ich kann mir vorstellen, dass eine Apotheke in Innenstadtlage ihre Aufgabe mehr im Handverkauf, in der Akutversorgung mit Arzneimitteln sieht, nicht so sehr in der Betreuung von Stammkundschaft. Dafür werden Apotheken mit vielen Arztpraxen in der Nähe stark in DMP eingebunden sein. Das sind so die beiden Extreme.
PZ: Sind denn bestimmte Voraussetzungen für Disease Management nötig?
Schulz: Der Gesetzgeber sieht vor, dass alle Leistungserbringer, Ärzte sowie Apotheker, sich zertifizieren lassen und bestimmte Anforderungen erfüllen müssen, um an den Programmen teilnehmen zu dürfen. Das werden wir mit den Krankenkasse genau absprechen.
Die Berufsorganisationen haben hier bereits einige Vorarbeiten erledigt. Wir haben Manuale zu Asthma und Diabetes ebenso entwickelt wie zertifizierte Fortbildungen zur Pharmazeutischen Betreuung
PZ: Könnten Krankenkassen eventuell die Zertifizierungen mitbestimmen und sich darüber die Apotheken aussuchen, mit denen sie zusammenarbeiten wollen?
Wolf: Weg vom Kollektiv- hin zum Einzelvertrag - Das war zuerst die politische Absicht der Bundesregierung und auch die Absicht einiger Krankenkassen. Diese haben aber nach intensiven Gesprächen mit uns sehr schnell gelernt, dass dies ein ungeheurer Verwaltungsaufwand wäre, einzelne Apotheker oder Ärzte an sich zu binden, und dass es unmöglich ist, mit einem System von Einzelverträgen eine flächendeckende Versorgung zu erreichen. Flächendeckung ist nur mit einem Kollektivvertrag zu leisten, daher haben wir das Prinzip eines Rahmenvertrags gewählt, der es jedem Apotheker ermöglicht, sich zu beteiligen.
PZ: Wie stark ist denn das Interesse der Kassen, die Apotheker mit einzubinden? Man könnte sich ja auch Modelle vorstellen, in denen Apotheker mitlaufen, aber nicht vertraglich gebunden sind.
Wolf: Das kann man sich durchaus vorstellen und wir müssen uns klar darüber sein, dass die Apotheker Konkurrenz haben. Im Internet kann man verschiedene Disease-Management-Anbieter finden wie Careon, Innovacare und Medvantis. Die bieten den Krankenkassen Disease Management auch für den pharmazeutischen Bereich an. Das ist keine apothekenpflichtige Tätigkeit - das kann im Grunde jeder anbieten.
PZ: Aber offenbar sind die Krankenkassen doch daran interessiert, mit den Apothekern Verträge abzuschließen. Woran liegt das?
Wolf: Ich zitiere den Vorstandsvorsitzenden des Landesverbandes der BKKs in Niedersachsen, Ingo Werner: "Wir kennen uns als Vertragspartner. Wir können die Qualität der Apotheken beurteilen. Wir wollen das flächendeckende Versorgungssystem der Apotheken nutzen und deshalb sind die Apotheker Vertragspartner der ersten Wahl."
PZ: Könnte es sein, dass die Krankenkassen auch deshalb an den Apothekern interessiert sind, um ein Druckmittel den Ärzten gegenüber zu haben? Um die beiden Heilberufe ein bisschen gegeneinander auszuspielen?
Wolf: Die Kassen haben schon Angst davor, dass - wenn sie sich ausschließlich mit den Ärzten unterhalten - hier ein Ärztemonopol entsteht. Das ist nicht gut für die Qualität und auch nicht gut für die Preise. Dies ist, wie die Kassen offen zugeben, ein zusätzlicher Grund, mit den Apothekern ins Vertragsgeschäft zu kommen.
PZ: Aus Sicht der Apotheker wird es wohl zwingend nötig sein, die zusätzlichen Leistungen nicht über die Arzneimittelpreisverordnung abzurechnen. Können Sie das in den Verträgen erreichen?
Wolf: Diese Tätigkeiten sind sowohl für die Apothekerkammern und -verbände als auch für die Krankenkassen absolutes Neuland. Deswegen tasten wir uns von beiden Seiten an neue Vergütungsregelungen sowohl in Qualität als auch in Höhe heran. Für die ABDA arbeitet Professor Dr. Günter Neubauer zurzeit aus, wie diese neuen apothekerlichen Tätigkeiten auf Mark und Pfennig zu beurteilen sind. Insgesamt stellen die Krankenkassen überhaupt nicht in Abrede, dass eine zusätzliche Tätigkeit, die qualitative Verbesserung bringt, auch vergütet werden muss. Aber die Höhe zu beurteilen ist im Anfangsstadium wahnsinnig schwierig.
PZ: Kehren wir uns damit von der Arzneimittelpreisverordnung ab?
Wolf: Wir werden ja in Zukunft wie auch bisher eine bedarfsgerechte pharmazeutische Versorgung vornehmen, die aus zwei Komponenten besteht - der Arzneiversorgung und der Pharmazeutischen Betreuung. Diese beiden Komponenten sollten sich auch in Alimentierungsmodellen wiederfinden. Die Arzneimittelversorgung in der entsprechenden Preisverordnung und die Pharmazeutische Betreuung gegebenenfalls in einem Honorar.
PZ: Wie weit sind die Verhandlungen in den einzelnen Bundesländern bisher gediehen?
Wolf: In Schleswig-Holstein ist man sehr aktiv, ebenso in Nordrhein. In Sachsen-Anhalt steht man mit der AOK in Verhandlungen und in Niedersachsen mit dem Landesverband der Betriebskrankenkassen.
PZ: Am 1. Juli sollen die DMP an den Start gehen. Glauben Sie, dass die Einschreibung in die Programme rechtzeitig beginnen kann und dass die Verträge zwischen Krankenkassen und Apothekerschaft bis dahin abgeschlossen sind?
Wolf: Kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht kann Disease Management in einigen Bereichen beginnen, aber der Zeitplan ist sehr eng. Die Ärzte müssen informiert, zertifiziert, motiviert sein. Die Krankenkassen müssen die Verträge beisammen haben. Die Leitlinien müssen vom Bundesversicherungsamt genehmigt werden. Der Kommunikationsweg braucht auf allen Ebenen Zeit. Ich halte dies nicht vor dem 1. Juli für leistbar.
PZ: Sollen Apotheker bei DMP mitmachen, weil sie keine andere Wahl haben oder weil es eine gute Sache ist?
Wolf: Aus beiden Gründen. Wenn sie darauf verzichten, überlassen sie möglicherweise Nichtapotheken den Einstieg in pharmazeutische Versorgungsgebiete. Außerdem ist es eine Möglichkeit, die Versorgung der Patienten qualitativ zu verbessern. Und hier eine aktiv Rolle zu spielen, steht den Apothekern sehr gut an.
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