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Umstritten heißt nicht wirkungslos

14.04.1997  00:00 Uhr

-Politik

  Govi-Verlag

Umstritten heißt nicht wirkungslos

  Umstrittene Arzneimittel sind genauso umstritten wie die These, daß die Nichtverordnung solcher Arzneimittel immense Einsparungen im Gesundheitswesen bewirken könne. Zumal Unsicherheit in der Definition von "umstritten" besteht. Was also sind umstrittene Arzneimittel? Die Antwort wurde auf einem gesundheitspolitischen Forum ausgearbeitet, zu dem die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg und die Pharmazeutische Zeitung nach Heidelberg eingeladen hatten.

Die umstrittenen Arzneimittel sind seit Ende letzten Jahres durch das Notprogramm der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in aller Munde: Um möglicherweise drohende Regreßforderungen der Krankenkassen quasi im letzten Moment noch zu reduzieren, verbreitete die KBV ein Notprogramm. Gestützt auf den Arzneiverordnungsreport, sollten beispielsweise umstrittene Arzneimittel wie Expektorantien, Venentherapeutika, Rheumasalben oder durchblutungsfördernde Mittel nicht mehr verschrieben werden.

Ursprünglich zur Transparenzschaffung statt Kostensenkung

Unabhängig vom KBV-Notprogramm glauben Krankenkassenvertreter, daß die Ärzte durch Nichtverordnung dieser Mittel beträchtliche Summen einsparen könnten. Nur dann könnte man den medizinischen Fortschritt bezahlen. Dabei ist das Wort "umstritten" ursprünglich gar nicht eingeführt worden, um die Budgetprobleme der 90er Jahre in den Griff zu bekommen, sondern um die Arzneimittel-Landschaft besser zu strukturieren, verfolgte Wolfgang Hartmann-Besche vom Bundesgesundheitsministerium die Entstehungsgeschichte zurück.

Nach den Worten Hartmann-Besches ist der Begriff ein Formelkompromiß und macht deutlich, daß ein wissenschaftlicher Streit über die Wirksamkeit dieser Präparate bestehe. Professor Dr. Ulrich Schwabe, klinischer Pharmakologe und Mitherausgeber des Arzneiverordnungsreportes: Umstritten seien solche Arzneimittel, deren Wirksamkeit schwer zu objektivieren sei. Mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Prüfmethoden sei kein eindeutiger Nachweis möglich. Man müsse bei diesen Mitteln nämlich immer einen Placeboeffekt berücksichtigen. Deshalb: "Umstritten ist nicht gleich wirkungslos", machte Schwabe klar. Sondern: "Umstritten drückt aus, daß bei diesen Medikamenten die Wirksamkeit und der klinische Nutzen bisher nicht ausreichend belegt ist." Da diese Präparate keinen klinisch-sichtbaren Effekt brächten, sind sie für Schwabe überflüssig.

Die Expertenrunde war sich einig, daß Arzneimittel, zu denen bisher keine Daten vorliegen, nicht unbedingt als schlecht charakterisiert werden können. Der Begriff "umstritten" dürfe deshalb nicht diskriminierend gebraucht werden. Rechtfertigt das Datendefizit eine Nichtverordnung dieser Präparate? Für den Arzt müsse es eine Legitimation geben, die Arznei anzuwenden, war von Krankenkassenseite zu hören. Und das seien wissenschaftlich durchgeführte Studien.

Patientenwünsche bleiben auf der Strecke

Ärzte, Apotheker und Verbraucherverbände machten deutlich, daß bei der Diskussion um diese umstrittenen Pharmaka vor allem die Interessen der Verbraucher und der Patienten zu wenig oder überhaupt nicht berücksichtigt werden. Professor Dr. Benno König vom Bundesverband Deutscher Allgemeinärzte griff die Pauschalität an, mit der Präparate als "umstritten" abgestempelt werden. Es könne nicht angehen, daß die Subjektivität einzelner Wissenschaftler darüber entscheidet, ob ganze Medikamentengruppen aus der Verordnung herauskatapultiert werden. Unterstützung erhielt König von seinem Heilberufskollegen Michael Hofheinz, Fachapotheker für Offizin-Pharmazie aus Karlsruhe. Hofheinz beklagte, daß der "unsägliche Begriff" umstrittenes Arzneimittel das Vertrauen der Patienten in den Therapieerfolg nachhaltig gestört habe. Und ohne Vertrauen auch keine Compliance.

Erstattung durch die GKV?

"Ich befürworte, daß alle Menschen die bestmögliche Medizin innerhalb der Solidargemeinschaft erhalten", bezog Dr. Hermann Schulte-Sasse, Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen, Position. Dazu brauche man Präparate, die entweder in randomisierten klinischen oder in epidemiologischen Studien ihre Wirksamkeit bewiesen hätten. Ein subjektiver Gewinn an Lebensqualität sei kein zusätzlicher therapeutischer Effekt, der die Erstattung des Medikaments durch die Solidargemeinschaft rechtfertige.

Der Behauptung von Schulte-Sasse, daß die Nichtverordnung von umstrittenen Arzneimitteln Kosten für die GKV reduziere, wurde widersprochen. Es müßten andere Wege gesucht werden, um die Kosten wirksam zu senken. Steht also eine Reaktivierung der Positivliste an? Die Diskussion machte deutlich, daß Kostenreduktion und Positivliste nicht synonym zu gebrauchen sind. Die Positivliste ist damals als qualitätssicherndes Instrument eingeführt worden, um die Flut von registrierten Arzneimitteln auszudünnen. Zu dieser Zeit gab es rund 120 000 registrierte Arzneimittel. Mittlerweile hat sich der Markt selbst bereinigt, etwa 50 000 Präparate sind übrig geblieben.

PZ-Artikel von Elke Wolf, Heidelberg    

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