Politik
Der Kurs
heißt Kontinuität und Qualität
PZ-Interview
Hans-Günter Friese
hat nach der Wahl zum ABDA-Präsidenten in einem
Gespräch mit der PZ seinen politischen Kurs abgesteckt.
Als Nachfolger von Klaus Stürzbecher muß er sich auf
politische Herausforderungen einstellen, die von seiten
der Politik und von den Marktbeteiligten auf den
Berufsstand der Apotheker zukommen.
PZ: Herr Friese, herzlichen Glückwunsch zur
Wahl zum Präsidenten der ABDA - Bundesvereinigung
Deutscher Apothekerverbände. Zunächst eine allgemeine
Frage. Wo werden Sie 1997 die Prioritäten Ihrer
berufspolitischen Arbeit setzen?
Friese: Zunächst einmal ist Kontinuität
angesagt. Meine Vorstellung zur ABDA-Politik ist
deckungsgleich mit der meines Vorgängers Stürzbecher,
dem ich für sein jahrelanges Engagement außerordentlich
zu Dank verpflichtet bin. Und Teamarbeit zwischen
Vorstand und Geschäftsführung ist ausdrücklich
angesagt. Prioritäten setzen heißt für mich, nach
innen Projekte zu entwickeln, um mit ihnen in die Zukunft
investieren zu können. Nach außen setze ich mit den am
Gesundheitsmarkt Beteiligten auf Gespräche, Gespräche
und noch einmal Gespräche, um so für unsere Positionen,
die in den ABDA-Thesen festgeschrieben sind, zu werben.
PZ: Das politische Klima wird im kommenden Jahr
frostiger werden als 1993 nach Inkrafttreten des
Gesundheitsstrukturgesetzes. Was können Sie den
Apothekerinnen und Apothekern in dieser Zeit der
Verunsicherungen raten?
Friese: Wir bewegen uns immer mehr in Richtung
einer Nutzen- und Interessengesellschaft. Von daher sind
wir verpflichtet, auch die Interessen der Apothekerschaft
gebührend auf den Markt zu bringen. Für uns zählt die
pharmazeutische Kompetenz, die wir ständig weiter
stärken müssen. Sie macht uns glaubwürdig. Ich bin
davon überzeugt, daß die einzelnen Kunden und Patienten
die Apotheke als eine Dienstleistungsinstitution am Markt
erleben und daß ihnen bewußt ist, daß die Apotheke zu
ihrem eigenen Wohl unverzichtbar ist.
Pharmazeutische Kompetenz stärken heißt,
pharmazeutische Betreuung, Pharmaceutical Care
einführen, was mehr ist als bloße Beratung; es bedeutet
Führen einer Medikationsliste und Dokumentation der
Medikamenteneinnahme eines Patienten. Heute wissen wir
zwar, was der Patient kauft beziehungsweise verordnet
bekommt, aber wir wissen nicht, was und wieviel er
anwendet. Dies ist eine Lücke, die es zu schließen
gilt.
PZ: Gerade in der Gesundheitspolitik hat sich
erwiesen, daß Koalitionen notwendig sind, um Ziele zu
erreichen. Das gilt für die Politik genauso wie für die
Leistungserbringer. Wo sehen Sie Koalitionen für die
Apothekerschaft?
Friese: Zunächst soll jeder wissen, daß ich
für alles und für alle offen bin. Wie immer im Leben
wird es sicherlich auch in der Gesundheits- und
Berufspolitik wechselnde Verbündete geben. Ich hoffe
aber darauf, daß die anderen Leistungserbringer
gleichermaßen offen sind wie wir, die wir gemeinsam im
ABDA-Vorstand die Interessen der Apotheker vertreten. Nur
so können wir unter Einbeziehung des Patienten, der im
Mittelpunkt unserer Betrachtung steht, das Optimale für
ihn herausholen.
PZ: Wir haben den Eindruck, daß die
augenblickliche Budgetdiskussion die Kooperation Arzt -
Apotheker negativ beeinflußt. Was sollte nach Ihrer
Meinung unternommen werden, damit die langsam in Gang
gekommene Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern
lokal, regional und bundesweit weiter gestärkt wird?
Friese: Diese negative Beeinflussung in Richtung
der beiden Berufsgruppen möchte ich ausdrücklich in
Frage stellen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß die
Ärzteschaft vor Ort zunehmend bereit ist, mit dem
Apotheker über das Arzneimittel - das ja die
Schnittstelle zwischen dem ärztlichen und
apothekerlichen Handeln darstellt - zu sprechen. Ich bin
sicher, daß die Ärzte verstanden haben, daß es unter
dem Diktat des Budgets notwendig ist, das Optimum an
Therapie und Therapieanwendung für den Patienten zu
sichern. Aufgrund dieser Einsicht werden die Vorbehalte
gegenüber dem anderen Heilberuf Apotheker, die es ja
durchaus gegeben hat, geringer.
Es muß uns daran gelegen sein, dem Arzt vermehrt den
Nutzen aus diesen Arzt/Apotheker-Gesprächskreisen
darzustellen. Der Nutzen liegt zum einen in der
besprochenen Thematik, zum anderen darin - und das halte
ich für wesentlicher -, daß eine Vertrauensbasis für
die tägliche Arbeit gelegt wird. Der Arzt nimmt
erfahrungsgemäß viel häufiger mit dem Apotheker
Kontakt auf, um sich mit ihm über Therapieprobleme,
über einzelne Patienten oder über lokale
Arzneimittelprobleme zu beraten. Das ist der tiefere
Sinn, der sich nicht nur auf die Bewertung von
Arzneimitteln im Einzelfall an einem solchen Abend
bezieht.
PZ: Die Beziehungen zwischen Krankenkassen und
Apothekern wie auch Industrie und Apotheker sind zur Zeit
mehr als gestört. Welche Strategie werden Sie verfolgen,
um diese Beziehungen zu dauerhafteren Partnerschaften
auszubauen?
Friese: Auch hier möchte ich vorbehaltlos in
Gespräche mit den Krankenkassen- und Industrieverbänden
eintreten. Ich hoffe, daß es uns gemeinsam gelingt, auf
der Basis von nüchternen, sachlichen Analysen,
unterfüttert mit Daten und Fakten, eine gemeinsame
Diskussions- und Argumentationsbasis zu schaffen. Wir
müssen als Fachkundige gemeinsam erörtern, was das
beste für den Patienten ist. Diesem Gedanken müssen
nicht nur die Apotheker, sondern auch die Krankenkassen,
die Ärzte oder die Industrie dienen. Im Mittelpunkt
unseres Denkens und Handelns hat ohne Zweifel der Patient
zu stehen. Wer nur an sich selbst denkt, wird angesichts
der krassen, finanziell knappen Ressourcen im
Gesundheitswesen scheitern.
PZ: Wie schätzen Sie die Chancen ein, die
Apotheke in Deutschland als unabhängige, von dem
Heilberufler Apotheker selbständig geführte Institution
auch für das nächste Jahrhundert zu erhalten?
Friese: Da bin ich politischer Realist mit
optimistischem Einschlag. Wir müssen bezogen auf den
Patienten eine Kosten-Nutzen-Relation aufstellen, also
definieren, was das Gesundheitswesen und hier speziell
die Arzneimitteldistribution kostet. Ich bedauere
außerordentlich, daß die Dinge leider zunehmend rein
ökonomisch betrachtet werden, so daß der Nutzen für
den Patienten in der Diskussion oft hinter die
wirtschaftliche Betrachtung tritt.
Deshalb sollte man genau prüfen, ob Elemente des
amerikanischen Systems bei uns implantiert werden sollen.
Ich bin der Auffassung, daß die US-Gesundheitsexperten
erst einmal ihre Hausaufgaben machen sollten. Denn man
sieht, daß die Kosten-Nutzen-Relation erheblich
schlechter ist als in unserem System.
Wir Apotheker sollten uns aber nicht auf den
vermeintlichen Lorbeeren unseres Systems ausruhen,
sondern das Leistungspaket umfänglich schnüren. Unser
Nutzen für die Gesellschaft kann gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden, was Umfang und Intensität der
Beratungsleistungen angeht oder was die zahlreichen
psychosozialen Kontakte mit häufig vereinsamten Menschen
angeht. Wenn wir das glaubwürdig tun, ist es mir um den
Berufsstand der Apotheker nicht bange, dann ist die
Existenz des Apothekenwesens auch im 21. Jahrhundert
gesichert.
PZ: Was geben Sie ihren Kolleginnen und Kollegen
mit auf den Weg?
Friese: Ich wünsche mir, daß die Vielfalt der
Tätigkeiten, die wir in der öffentlichen Apotheke oder
in der Krankenhausapotheke und so weiter ausüben -
vornehmlich Beratung, Abgabe, Herstellung und Prüfung -
nicht zur Monotonie ausartet, sondern als Vielfalt auch
erkannt und vermittelt wird. Ich will unsere Probleme
nicht verniedlichen, aber man muß auch über den
Tellerrand schauen und sehen, welche Probleme es in
anderen Branchen mit hoher Arbeitslosigkeit gibt.
Insofern gibt es keinen Grund zur Resignation.
Ich wünsche meiner Kollegenschaft ausdrücklich, daß
sie Selbstbewußtsein zeigt und daß sie zur Kenntnis
nimmt, wie im Meinungsspektrum der Bevölkerung die
Dienstleistungsinstitution Apotheke gesehen wird -
nämlich an erster Stelle. Ich denke, das ist neben den
positiven Wortbeiträgen aus der Politik Stimulation und
Motivation, diesen Dienst zu tun. Ich bin davon
überzeugt, daß es nichts Besseres und Befriedigenderes
gibt als dem Menschen zu dienen - egal ob es der kranke
oder der gesunde Mensch ist.
PZ-Interview von Hartmut Morck und Gisela Stieve,
Eschborn
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