Superministerin Schmidt bekommt eine völlig neue Mannschaft |
21.10.2002 00:00 Uhr |
von Thomas Bellartz, Berlin
Es war ein kurzer kräftiger Händedruck des Kanzlers für seine Superministerin Ulla Schmidt (SPD). Aber die neue Sozialministerin wird kaum Zeit haben, die vielen Telegramme und Gratulationsschreiben zu lesen.
Die neue Bundesregierung ist seit Dienstag vereidigt. Doch Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Kabinett können sich nicht entspannt zurücklehnen. Die miserable Wirtschaftslage beeinflusst alle Politikfelder, auch die Gesundheitspolitik. So war bereits Ende letzter Woche in Berlin zu hören, das von Schmidt vor Beginn der Koalitionsverhandlungen ins Spiel gebrachte Vorschaltgesetz mit einem Volumen von rund 1,4 Millairden Euro stehe nun doch nicht mehr ganz oben auf der Agenda.
Grund hierfür sind die enormen Verwerfungen infolge der Planungen der Regierungskoalition für die Arbeitslosenversicherung. Durch die dort avisierten Einsparungen droht Schmidt gleich doppeltes Ungemach. Denn in der ohnehin alles andere als üppig ausgestatteten Rentenversicherungen muss sie gewaltige Löcher stopfen. Und in der Gesetzlichen Krankenversicherung beziffern Experten, bestätigt von Meldungen aus dem Bundesgesundheitsministerium, zusätzliche Kosten für 2003 in Höhe von rund einer Milliarde Euro.
Mit dieser Erkenntnis wächst die Einsicht, dass es mit einem Vorschaltgesetz nicht getan ist. Zudem sind die Signale aus CDU und CSU sowie von den Liberalen eindeutig. Das Gesetz würde die Unionsmehrheit im Bundesrat nicht passieren.
„Wir haben’s geschafft“ hatte der Kanzler zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrages in der Neuen Staatsgalerie in die Mikrofone diktiert. Doch davon scheint die Regierung weit entfernt. Das Koalitionspapier verrät keine Details, wie sich Rot-Grün eine Reform des Gesundheitssektors vorstellt. Die angedeutete „Liberalisierung des Vertriebsweges bei Arzneimitteln“ ist nicht minder vage.
An die große Reform scheint sich der Kanzler nicht heranzutrauen. Und ob Schmidt angesichts der Doppelbelastung durch ihr eigentliches Spezialgebiet Rente überhaupt noch Zeit und Kraft für eine breite Gesundheitsreform findet, wird in Berlin bezweifelt.
Apotheker weiter im Zentrum
Das Vorschaltgesetz ist aber noch nicht vom Tisch, es könnte in eine breite Gesetzesinitiative der Regierung einfließen. In jedem Fall müssen Apothekerinnen und Apotheker, ebenso wie die Pharmaindustrie und der Großhandel, damit rechnen, weiterhin im Zentrum von Schmidts Sparmodellen zu stehen.
Dass die Regierung den kräftigen Gegenwind von außen verhindern will, zeigen erste Zugeständnisse in Richtung Kassenärztliche Vereinigungen. Deren Entmachtung scheint nun vom Tisch. Stattdessen setzen beide Seiten wieder auf Gespräche. Im BMG, das nun im Sozialministerium aufgeht, nimmt man an, dass sich der Kanzler selbst in Zukunft häufiger in die gesundheitspolitische Diskussion einmischen wird. Nachdem auch die Kassen wegen ihrer stark steigenden Verwaltungskosten in die Kritik geraten sind, sind sich alle Leistungserbringer einig, dass nur eine große Gesundheitsreform das System auf lange Sicht retten und sanieren kann.
Mehr Geld ins System lautet die aktuelle Devise, ablesbar im Koalitionsvertrag von Rot-Grün. So wird für neue Mitglieder der GKV ein Wechsel zu den privaten Krankenversicherungen erheblich erschwert. Erst ab einem Monatseinkommen von 5100 Euro (bislang 3375 Euro) dürfen Versicherte die GKV verlassen. Der Kreis der GKV-Zwangsmitglieder wird also langsam erhöht. Neben der Anhebung der Bemessungsgrenze in der Rentenversicherung auf mindestens 5100 Euro (plus 600 Euro) steigt die Beitragsbemessungsgrenze der Kranken- und Pflegekassen von 3375 auf 3825 Euro. Gut verdienende Versicherte dürften ab dem kommenden Jahr rund 250 Euro im Monat mehr bezahlen, die Arbeitgeber die Hälfte davon.
Die Reaktionen aus der Wirtschaft und den Verbänden sind verheerend. Die Kritik richtet sich gegen die mitunter kurzfristigen Lösungen und fordert langfristige Reformen und mehr kreative Entscheidungen.
Personalentscheidungen
Geklärt wurde unterdessen, dass Gudrun Schaich-Walch (SPD) nicht mehr als parlamentarische Staatssekretärin mit Schmidt zusammenarbeiten wird. Das Verhältnis zwischen beiden galt zuletzt als vergiftet, nicht zuletzt wegen Schaich-Walchs eigenen Ambitionen auf den Ministersessel. Ihren Job wird nun Marion Caspers-Merk, bislang Drogenbeauftragte der Bundesregierung übernehmen. Caspers-Merk gilt zwar als aufmerksame Zuhörerin. Doch Parteifreunde attestieren ihr eine zuweilen deftige Durchsetzungsfreude. Schaich-Walch und Schmidt werden dennoch oft genug aufeinandertreffen. Denn die Frankfurterin soll Stellvertreterin des SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering werden.
Am Dienstag war noch nicht 100-prozentig klar, wer zusätzlich als parlamentarischer Staatssekretär an Schmidts Seite kommen würde. Hoch gehandelt wurde der bisherige SPD-Fraktions-Vize Franz Thönnes. Klaus Vater wird Pressesprecher im Sozialministerium. Zuvor hatte er in dieser Funktion bereits unter Arbeitsminister Walter Riester gearbeitet. Damit muss Schmidt in Zukunft ohne ihren allgegenwärtigen „Schatten“ Annelies-Ilona Klug auskommen. Klug hatte schon unter Horst Seehofer die Pressearbeit im Gesundheitsministerium geleitet. Zur Disposition standen ebenfalls noch der beamtete Staatssekretär Dr. Klaus-Theo Schröder und der Hauptabteilungsleiter Krankenversicherung Edwin Smigielski. Immer deutlicher wird, dass das Kanzleramt auch personell stärkeren Einfluss auf das neu geschaffene Superministerium nehmen wird.
Und auch die Arbeitsstätte Schmidts ist eine andere. Das BMG wird seinen Sitz in der Mohrenstraße aufgeben und in die Wilhelmstraße, also in das frühere Arbeitsministerium umziehen.
Klar ist, dass die Union in der Gesundheits- und Sozialpolitik weiterhin auf Horst Seehofer (CSU) setzt. Der Ex-Minister wurde erneut zum Fraktionsvize benannt und soll Schmidt bei Rente und Gesundheit das Leben schwer machen. Schon im Wahlkampf standen sich beide als Kontrahenten gegenüber. Seehofer war auch von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber als Superminister vorgesehen.
Erst in der kommenden Woche soll in der SPD-Fraktion entschieden werden, wer den Vorsitz im nun bedeutenden Ausschuss für Gesundheit und Soziales führen wird. Aus der Fraktion war zu hören, dass Klaus Kirschner auf Grund der Fülle an Kandidaten nur geringe Chancen zugesprochen werden. Der Koalitionspartner Bündnis 90/Grüne schickt als Sprecherin im neu geschaffenen Ausschuss für Gesundheit und Soziales Birgitt Bender ins Rennen.
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