Stange verurteilt |
23.10.2000 00:00 Uhr |
Zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und 180.000 DM Geldbuße wurde der Mindener Apotheker Günter Stange verurteilt. Das Landgericht Bielefeld sah in zwölf Fällen eine Verletzung des §23 Apothekengesetz (Mehrbesitz) als erwiesen an. Fünf Kollegen habe Stange zu falschen eidesstattlichen Versicherungen angestiftet (§156 Strafgesetzbuch).
Nach 36 Verhandlungstagen und fast acht Monaten ausführlicher Beweisaufnahme kam es im Bielefelder Landgericht zu dem erwarteten Urteil. Das Gericht folgte in seiner Begründung weitgehend den Argumenten der Staatsanwaltschaft, die allerdings zwei Jahre Freiheitsentzug und 360.000 DM Geldstrafe gefordert hatte. Die Verteidiger hatten auf Freispruch plädiert.
Nach Ansicht des Gerichts seien die Apotheker in Stanges Kette wirtschaftlich, nicht jedoch pharmazeutisch abhängig gewesen. Als Belege dafür dienten dem Gericht die "gehaltsähnlichen Entnahmeansprüche", das Abschöpfen darüber hinaus gehender Einnahmen durch den Mindener Unternehmer, sein Eigentum an der Einrichtung, die Mietvertragskonstruktion und die Einbehaltung von Großhandelsrabatten. "Stange konnte den Geschäftswert der Kettenbetriebe realisieren", meinte Richter Schild. Zu den eidesstattlichen Versicherungen habe er die Kollegen aus seinem persönlichen wirtschaftlichen Interesse heraus gedrängt, obwohl er wusste, dass dies strafbar war.
Bei der Bemessung der Strafhöhe könne man Stange zugute halten, dass er nicht vorbestraft sei, seine illegale Tätigkeit 1996 eingestellt und das Verfahren sehr viel Zeit in Anspruch genommen habe. Gegen ihn spreche eine gewisse kriminelle Energie, da er ohne Rücksicht auf Verluste Behörden getäuscht und durch sein persönliches Gewinnstreben Kollegen in strafbare Handlungen verwickelt habe. Nach Ansicht des Gerichts habe Stange "manchmal gelogen, manchmal dreist gelogen". Richter Schild vermutet beim verurteilten Mindener Apotheker einen "Realitätsverlust".
Man müsse ihm zudem vorhalten, dass er in genauer Kenntnis der Gesetzeslage die Kollegen wie "wirtschaftlich abhängige Statthalter" behandelt habe. "Die Apotheker waren faktisch Leiter auf Abruf."
Aus den Einkommensteuerunterlagen und dem Immobilienbesitz sei erkennbar, dass eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen à 500 DM als angemessen gelten könne, meinte das Gericht. Allein aus der Beteiligung an den Großhandelsrabatten seiner Kollegen habe Stange 2,9 Millionen DM erzielt.
Verärgert zeigte sich Richter Schild auch über die Länge des Prozesses. Er zitierte dabei Stanges Verteidiger Strate, der während der Verhandlung einmal davon sprach, dass man "diejenigen bestrafen müsse, die einem die Zeit stehlen". Stange habe selbst zur Abkürzung der Beweisaufnahme beitragen und damit auch die Prozesskosten eingrenzen können, meinte das Gericht.
Auch zur Frage des gültigen Fremd- und Mehrbesitzverbots äußerte sich das Gericht: "Nur der umfassend selbstständige Apothekenleiter kann die Verantwortung für die Arzneimittelversorgung übernehmen." Deshalb habe man sich der Meinung führender Rechtsexperten angeschlossen, dass § 23 des Apothekengesetzes (Fremd- und Mehrbesitzverbot) verfassungsgemäß sei und auch nicht gegen europäisches Recht verstoße. Ob diese These tragfähig sei, müsse eine höhere Instanz, zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht, prüfen. Ein "unbedeutendes Provinzgericht" habe nun erstmals ein Urteil gesprochen, aber im Kern sei der Gesetzgeber gefordert, wenn es um die Berufsordnung der Apotheken gehe.
Stange jedenfalls sei kein wohltätiger Gründungshelfer für junge Apothekenleiter gewesen, sondern ein an persönlichem Gewinnstreben orientierter Unternehmer, der durch Gesetzesübertretungen seine Kollegen in ein Abhängigkeitsverhältnis getrieben habe.
von Klaus Hölzel
Im Februar fragte die PZ, ob Günter Stange ein selbstloser Gründungshelfer oder ein Kettenboss ist, der massiv gegen das Apothekengesetz verstoßen hat. Am 23. Oktober verkündete nun der Vorsitzende Richter Schild im Landgericht Bielefeld das Urteil: Stange ist schuldig, weil er mindestens zwölf Apotheken wirtschaftlich mitbetrieb und fünf Kollegen zu falschen eidesstattlichen Versicherungen anstiftete.
Die Entscheidung sollte allen Kettenträumern eine eindringliche Warnung sein. Die gelegentlich zu vernehmende Behauptung, Stange sei nur nicht clever genug gewesen, ist eine unzutreffende Verharmlosung. Der Prozess hat gezeigt, wie schnell unlautere wirtschaftliche Abhängigkeiten zu Konflikten führen, die kein noch so cleverer - Kettenboss im Griff hat.
Dass Stange nun auf über 130.000 DM Prozess- und Anwaltskosten sitzen bleibe und damit in finanzielle Existenznöte komme, ist mit Vorsicht zu genießen. Mit seinen Unternehmen Duo-Med und Medi-Center sowie den Rabattabschöpfungen von rund 2,9 Millionen DM hat er jahrelang glänzend verdient. Und gegen Apotheker-Kollegen, die sich in seinem Kettengeflecht gefangen haben, geht er juristisch gnadenlos vor. Sie sind wenn überhaupt im Gegensatz zu Stange eher Opfer als Täter.
Nun bleibt zu hoffen, dass umgehend rechtliche Konsequenzen bezüglich der Zuverlässigkeit Stanges als Apothekeninhaber gezogen werden. Schließlich wurde dem Mindener Unternehmer vom Gericht eine gewisse kriminelle Energie bescheinigt.
Die zu erwartende Revision gegen das Urteil wird frühestens 2001 die Frage beantworten, ob das Fremd- und Mehrbesitzverbot in Deutschland weiter gelten kann. Oder ob Stanges Ziel, das System zu sprengen und damit viele selbstständige deutsche Apothekenexistenzen zu vernichten, eine Chance hat.
Günter Stange:"Unfassbar. Ich bin schockiert, denn ich hatte mit einem Freispruch gerechnet."
Gerhard Strate (Verteidiger Stanges): "Das Urteil ist zunächst ein Erfolg für die Standesvertretung. Sie hat damit vordergründig eine Verfestigung erreicht. Ich bin aber absolut sicher, dass eine Entfesselung stattfindet. Das Zunftrecht wird wegen des Falles Stange fallen."
Dr. Matthias Rose (Verteidiger Stanges): "Stange ist für seine Unternehmertätigkeiten verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof wird das Urteil aufheben."
Oberstaatsanwalt Dannewald: "Das Gericht muss das Gesetz anwenden. Es hat unsere Auffassung in allen wesentlichen Punkten bestätigt."
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