Politik
In England droht ein gnadenloser OTC-Preiskampf
Kleine, unabhängige Apotheker in
Großbritannien befürchten die Schließung von bis zu
3000 Apotheken als Folge einer umstrittenen Entscheidung
der britischen Wettbewerbsbehörde (Office of Fair
Trading, OFT). Das OFT hat kürzlich die seit 26 Jahren
bestehende Preisbindung für verschreibungsfreie und Over
the counter Medikamente (OTC) für gesetzwidrig erklärt.
Betroffen sind rund 2200 verschreibungsfreie Arzneimittel
und Produkte. Damit droht den unabhängigen Apotheken
jetzt nach Meinung von Experten ein gnadenloser
Preiskampf mit den großen Supermarkt- und
Apothekenketten.
In Großbritannien ist weder der Fremd- noch der
Mehrfachbesitz von Apotheken verboten. Das hat den Markt
geprägt. Das OFT war von der großen nationalen
Supermarktkette ASDA eingeschaltet worden. ASDA hatte im
Frühjahr 1996 versucht, dutzende Marken-OTC-Präparate
zu Discountpreisen zu verkaufen. Daraufhin hatten diverse
Hersteller ASDA mit einem Lieferboykott bestraft. Die
Supermarktkette vertritt die Ansicht, die
OTC-Preisbindung (Resale Price Maintenance, RPM)
verstoße gegen das öffentliche Interesse und gehöre
abgeschafft. Hersteller von Marken-OTC-Präparaten
fürchten im Falle eines Falles der Preisbindung sinkende
Gewinnspannen und Umsätze.
Sowohl die Hersteller von Markenpräparaten als auch die
Apothekerverbände hatten vehement für eine Beibehaltung
des 26 Jahre alten RPM gekämpft. Der Fall der
Preisbindung wird nach Einschätzung der
Apothekerverbände über kurz oder lang
"katastrophale Auswirkungen" auf die
Wirtschaftlichkeit kleiner, unabhängiger Apotheken
haben.
Große Supermarkt- und Apothekenketten würden
Pharmahersteller unter Druck setzen, um Sonderkonditionen
auszuhandeln. Diese Sonderkonditionen, würden es den
Ketten erlauben, tausende Marken-OTC-Präparate zu extrem
niedrigen Preisen anzubieten. Kleine, unabhängige
Apotheker, die nicht die Einkaufsmacht der Großen haben,
könnten da nicht mithalten. Folge: "In den
kommenden Jahren werden bis zu 3000 kleine Apotheken
schließen müssen", so David Sharpe, Sprecher der
Community Pharmacy Action Group (CPAG). "Der Wegfall
der OTC-Preisbindung ist nichts anderes als eine
Katastrophe für den unabhängigen Apothekensektor!"
Kleine Apotheken sind nach .Angaben der
Apothekerverbände besonders stark auf die OTC-Umsätze
angewiesen, da die Gewinnspannen im OTC-Sortiment
deutlich höher lägen als zum Beispiel bei Rezepten des
staatlichen Gesundheitsdienstes (National Health Service,
NHS).
Große Apotheken- und Supermarktketten bezeichneten die
OFT-Entscheidung ab einen "Sieg der Vernunft und der
Verbraucher und Patienten". Künstlich hoch
gehaltene OTC-Preise hätten Patienten "jährlich
180 Millionen Pfund" (437 Millionen DM) an
unnötigen Mehrausgaben gekostet. Sowohl der Marktführer
im Apothekensektor, Boots, als auch die drei größten
Supermarktketten, Tesco, Sainsbury und Safeway, haben
nach eigenen Angaben vorerst keine Pläne, die Preise
für Marken-OTC-Präparate dramatisch zu senken.
"Wir werden abwarten, wie der Markt reagiert",
sagte ein Boots-Sprecher in London. Freilich:
Marktbeobachter in London rechnen damit, daß es
lediglich eine Frage der Zeit sein werde, bis die Preise
auf breiter Front fallen werden. Allgemein wird damit
gerechnet, daß das OTC-Preisniveau in Großbritannien
mittelfristig um 10 bis 15 Prozent sinken werde. Die
Londoner Aktienkurse der großen Apothekenketten wie
Boots und Lloyds Chemists fielen unmittelbar nach
Bekanntgabe der OFT-Entscheidung deutlich.
PZ-Artikel von Arndt Striegler, London
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de