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Kassenärzte verspielen weiter Kredit

07.10.2002  00:00 Uhr

Kassenärzte verspielen weiter Kredit

von Thomas Bellartz, Berlin

Verzweifelt bemüht sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), aus der öffentlichen Schusslinie zu kommen. Auf Kosten der Patienten und anderer Leistungserbringer, wie der Apotheken, will die KBV Pluspunkte sammeln. Doch das Echo ist deftig.

Mit einem „solidarischen Festzuschuss“ wollen die Kassenärztlichen Vereinigungen zur Gesundung der defizitären GKV beitragen. Auf insgesamt drei Milliarden Euro rechnet die KBV den Mehrbedarf in der Arzneimittelversorgung hoch. Doch, woher nehmen, wenn nicht stehlen. Also präsentierte der zweite KBV-Vorsitzende Dr. Leonhard Hansen in der Hauptstadt ein neues Konzept der Kassenärzte. Damit ließen sich, versichert Hansen, Einsparungen erzielen, ohne eine Minderung der Versorgungsqualität hinnehmen zu müssen. Überdies fördere das Modell den Wettbewerb, insbesondere zwischen den Krankenkassen. Die Zahlung des Festzuschusses solle nach KBV-Meinung von den Krankenkassen als Satzungsleistung aufnehmen. Die Kassen könnten mit ihrer Leistung in einen Wettbewerb treten, Patienten sich bei Bedarf durch Zuzahlung auch ein teureres Medikament gönnen. Die Zuzahlung zu Medikamenten chronisch Kranker könne entfallen.

Die KBV führt damit einen sehr nüchternen Angriff auf die ohnehin ungeliebte Aut-idem-Regelung. Das Argument, der Festzuschuss lasse sich besser durchsetzen als die Festbeträge, läuft ins Leere. Am Ende müssen die Patienten die Zeche der Rechnung zahlen, die die Kassenärzte aufmachen.

Tricks und Dummies

Doch damit nicht genug. Hansen nutzte die Gelegenheit, um jegliche Verordnungsverantwortung der Ärzte abzuweisen. Neben der Demografie und dem Marketing der Pharmaindustrie ist besonders deren Preisgestaltung schuld an der Misere im Arzneimittelsektor. Der KBV-Funktionär erhob schwere Vorwürfe gegen die Pharmaindustrie. Diese unterlaufe Sparansätze mit Tricks und „Preisdummies“. Dokumentiert wurde dies indes mit Zahlenmaterial, das längst überholt ist.

Zudem warb Hansen offensiv für die Einführung des Versandhandels mit Arzneimitteln. Damit könnten umgehend 400 Millionen Euro bereits im ersten Jahr eingespart werden. Auch Internet-Apotheken sollten zugelassen werden. Und – auch wenn dies in diesem Zusammenhang dann gar keinen Sinn mehr ergibt: Den Vorschlag von ABDA-Präsident Hans-Günter Friese zur Änderung der Arzneimittelpreisverordnung unterstützt Hansen auch.

Hansen griff die Apothekerschaft scharf an. Er bemängelte, dass in der Apothekenlandschaft die „Regalmiete“ gängig sei. Da müsse genauer hingeschaut werden. Auch die Kollegenschaft in den Krankenhäusern blieb nicht ungeschoren. Die Mauscheleien zwischen Kassenärzten und der Pharmaindustrie seien nicht nennenswert wiegelte man bei der KBV statt. Viel größere Probleme gebe es im stationären Bereich.

Kleinlaut musste der Hansen zugeben, dass er und seine Kollegen das mit dem Bundesgesundheitsministerium ausgehandelte Sparziel verfehle. Um 5 Prozent hatte man die Arzneiausgaben senken wollen. „Das werden wir nicht mehr einhalten können“, gestand der KBV-Vize ein. Im Gegenteil: Insgesamt brauche man rund 3 Milliarden Euro zusätzlich, um unterversorgten Patientinnen und Patienten helfen zu können. Das sei der Auslöser für das Zuschussmodell gewesen.

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Die Betriebskrankenkassen (BKK) lehnten das KBV-Modell rigoros ab. Das wäre der „Beginn des Ausstiegs aus der sicheren Arzneimittelversorgung“ für Kassenpatienten, warnte der BKK-Bundesverband. Faktisch würden sich die Kassenärzte damit aus der Verantwortung für die Arzneiausgaben verabschieden. So müsste der Patient die Mehrkosten aufbringen, wenn der Arzt ein teures Mittel statt der preiswerten Alternative verordnet.

 

Kommentar: Das eigene Fell Immer tiefer stürzt die Kassenärztliche Bundesvereinigung ins selbst geschaufelte Grab. Kaum mehr zu glauben, dass die KBV im Bundesgesundheitsministerium, egal wer dort das Zepter führt, als seriöser Partner ernst genommen werden können.

In einem Rundumschlag versucht sich die KBV, aus dem vor der Bundestagswahl verursachten Schlammassel zu befreien. Das Konzept: Aut idem wird konsequent schlecht geredet, um es dann schließlich als Festzuschuss eher peinlich kopieren zu wollen. Und das Ganze soll auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. Merke: Da, wo solidarisch drauf steht, ist längst nicht solidarisch drin.

Die Kassenärzte sehen sich fehlerlos, der Kittel ist frei von Flecken. Die Zielvorgaben seien beinahe erreicht, heißt es sogar. Fehler machen alle anderen. Ganz böse ist die Pharmaindustrie. Natürlich. Ziemlich gemein die Apothekerinnen und Apotheker. Keine Frage. Sogar auf die eigenen vermeintlich allzu korrupte Kollegenschar im Krankenhaus knüppelt die KBV-Spitze deftig ein.

Dass die auf den Sicherstellungsauftrag schielenden Krankenkassen, bei Rot-Grün zurzeit sehr hoch im Kurs, kräftig applaudieren, war nicht wirklich zu erwarten. Die KBV leistet sich damit eine erneute und wiederum unnötige strategische Schlappe.

Anstatt konstruktiv mit anderen Im Gesundheitswesen zusammenzuarbeiten, versuchen KBV-Vordere, das eigene Fell zu retten. Doch jetzt nützt auch die schönste millionenschwere Imagekampagne nichts mehr. Das rosarote Pflaster wird die Wunde nicht überdecken können, die sich Hansen und Kollegen am Montag selbst zugefügt haben. Krankenkassen und Politik werden das ausnutzen.

Grund zur Schadenfreude besteht allerdings nicht. Denn die von der Bundesregierung geplante Entmachtung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), wird durch das wenig geschickte Agieren der KBV erleichtert. Dabei geht es der Regierung nicht nur um den Sicherstellungsauftrag, sondern auch um die Vertragsgestaltung. Würden die KVen geschwächt oder gar abgeschafft, wäre der Einstieg in Einzelverträge mit Leistungserbringern programmiert. Das hätte wohl auch Konsequenzen für die Apotheker.

Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion

 

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