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Versiegelte Lippen

14.07.2003  00:00 Uhr
Gesundheitsreform

Versiegelte Lippen

von Thomas Bellartz, Berlin

Seit Dienstag tagen sie wieder, die Unterhändler von Regierung und Opposition. Konkrete Ergebnisse lagen noch nicht vor. Voraussichtlich wird dies nicht vor dem 22. Juli 2003 der Fall sein.

Die Verhandlungen über die Gesundheitsreform gingen in die zweite und möglicherweise vorentscheidende Runde. Am Samstag hatten die Verhandlungsführer Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Horst Seehofer (CSU) kurz und knapp die gute Stimmung und die weitere Vorgehensweise betont. Zu Inhalten oder gar Ergebnissen äußerten sich beide nicht. In den vergangenen Tagen hatte sich die Verhandlungsgruppe zunächst mit allen Themen beschäftigt und ausgelotet, wo mögliche Probleme auftauchen könnten.

Die Unterhändler von Regierung und Opposition bekamen am Montag jedenfalls von den Partei- und Fraktionsgremien grünes Licht für weitere Gespräche. Teilnehmer der kurzen Erörterungen, die teilweise via Video- oder Telefonkonferenz geführt wurden, erwarten am Dienstag, dass die Debatte trotz anhaltender Kompromisssignale an Schärfe zunimmt. Konkrete Beschlüsse zum weiteren Vorgehen in der zunächst bis zum 17. Juli angesetzten Runde wurden von den Parteien nicht gefasst.

Die Grünen nannten drei Punkte als „besonders wichtig“ für eine Einigung. SPD, Union und Liberale vermieden dagegen eine öffentliche Festlegung. Wie von Teilnehmern verlautete, gilt es als wahrscheinlich, dass die Beiträge für Zahnersatz und Krankengeld künftig allein von den Versicherten getragen werden. Anders seien das Einsparvolumen von mindestens 20 Milliarden Euro und die angestrebte Beitragssenkung von durchschnittlich 14,4 auf rund 13 Prozent nicht zu schaffen, hieß es.

Die Grünen sprachen sich indirekt dagegen aus, den Zahnersatz - wie von der Union gewünscht - bei Privatkassen anzusiedeln. Parteichef Reinhard Bütikofer sagte in Berlin, es dürften „nicht ganz große Leistungsblöcke“ aus der gesetzlichen Versicherung zu Privatkassen verlegt werden.

Auf Seiten der SPD wurden angebliche Streitereien innerhalb der eigenen Verhandlungskommission über die Herauslösung von Zahnersatz dementiert. „Es gibt keinen Konflikt zwischen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sowie den Unterhändlern Helga Kühn-Mengel und Klaus Kirschner“, sagte ein Teilnehmer der Gespräche der SPD-Gremien. Das SPD-Präsidium sieht die Beratungen „auf gutem Wege“.

Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer (SPD) hatte sich vor Beginn der zweiten Runde der Berliner Konsensgespräche über die Gesundheitsreform optimistisch geäußert. „Die Atmosphäre in der Kommission ist äußerst positiv. Jeder ist motiviert, die Reform gemeinsam hinzubekommen“, sagte Dreyer in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am Montag in Mainz. Sie nimmt als Vertreterin von Rheinland-Pfalz an den Verhandlungen teil.

Bei den ersten Gesprächen seien alle in Frage kommenden Themen diskutiert worden. „Es ist deutlich geworden, wo Differenzen sind, und wo Konsens besteht.“ Aber: „Alles liegt noch auf der Diskussionsebene. Jede Äußerung, dass bestimmte Dinge beschlossen wurden, ist falsch“, sagte Dreyer. Sie wies damit wie schon andere Teilnehmer der Konsensrunde Berichte zurück, wonach der Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen herausgenommen werden soll.

In den vergangenen Tagen war wiedergeholt kolportiert worden, dass sich die Verhandlungskommission bereits auf eine Zulassung des Versandhandels verständigt habe. Die Union werde hier zustimmen. Dafür soll die Regierung das geplante Qualitätsinstitut fallen lassen.

Dreyer stellte klar, dass man sich bei den Verhandlungen Zeit lassen könne. Es gebe Reservertermine bis Ende Juli. Seehofer hatte am Sonntagabend per Telefonkonferenz den Geschäftsführenden Fraktionsvorstand über den Stand der Verhandlungen informiert und sich Rückhalt für weitere Gespräche eingeholt.

Nach den Worten von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) muss die Gesundheitsreform ein großer Wurf werden und das System auf lange Sicht stabilisieren. Böhmer sagte der Berliner Zeitung, das Ergebnis müsse mindestens drei bis vier Legislaturperioden halten.

FDP-Chef Guido Westerwelle gab nach einem Bericht der Unterhändler der Liberalen ebenfalls grünes Licht für eine Fortsetzung der Verhandlungen. Es gebe die Chance, ein „gutes Ergebnis“ zu erzielen, sagte Westerwelle.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete, Ministerin Schmidt wolle in den Verhandlungen einen Medikamenten-Sparplan für Ärzte vorschlagen. Sie erwäge ein Modell, durch das die Mediziner Arzneien sinnvoller verordnen sollten. Der Ministeriumssprecher Klaus Vater nannte den Bericht „reine Spekulation“. Das ist indes längst nichts Neues. Denn alle Teilnehmer an den Verhandlungsrunden sind dazu verdonnert, Stillschweigen zu behalten. Ansonsten droht der Rauswurf aus der exklusiven Runde.

Unmittelbar vor der Beratungsrunde am Dienstag haben Spitzenverbände der Krankenkassen vor einer einseitigen Belastung der Krankenversicherten gewarnt. „Die Einnahmeschwäche der Kassen darf nicht durch Leistungsausgrenzungen einseitig den Versicherten aufgebürdet werden“, sagte AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens.

Ersatzkassen-Chef Herbert Rebscher betonte, bei einseitiger Belastung der Versicherten werde „die Akzeptanz der Reform massiv geschwächt“. Die ursprünglich angekündigten strukturellen Reformen dürften nicht auf der Strecke bleiben. Durch Zuzahlungen, Eigenbeteiligungen und Ausgrenzung von Leistungen werde im Gesundheitswesen kein Cent gespart. Rebscher warnte zugleich vor überzogenen Hoffnungen auf drastische Beitragssenkungen. Das Ziel der Regierung, den durchschnittlichen Satz kurzfristig von 14,4 auf 13 Prozent zu senken sei nur durch „massive Leistungskürzungen erreichbar“. Top

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