Reformen weisen falschen Weg |
20.05.2002 00:00 Uhr |
DAV-Wirtschaftsforum
Versandhandel und Aut idem, die Apothekengesetznovelle und Versichertenkarte. Wahljahre haben ihre einstige gesundheitspolitische Ruhe verloren. Auch kurz vor der Wahl müsse noch damit gerechnet werden, dass Reformvorschläge in die Tat umgesetzt werden. In seiner Eröffnungsrede erläuterte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Hermann S. Keller, die Positionen der Apotheker zu den wichtigsten Entwicklungen.
Kein gutes Haar lies Keller an dem Plan des Gesundheitsministeriums, den Versandhandel mit Arzneimitteln zu erlauben. Das Ministerium stütze sich dabei auf Gutachten, die zu grundsätzlich falschen Schlüssen gekommen seien und "in ihrer methodischen Qualität teilweise nicht einmal den Ansprüchen genügen, die an Seminararbeiten gestellt werden", so der DAV-Chef. Versandhandel sei weder national zu begrenzen noch sicher zu gestalten. Man könne ihn nur aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes generell verbieten. Eine nationale Begrenzung sei EU-rechtlich nicht möglich.
Keller beklagte, dass Politik und Krankenkassen dies nur zögernd zur Kenntnis nehmen wollen. Ansonsten müssten sie eingestehen, dass mit dem Versandhandel auch in Deutschland nicht verkehrfähige Arzneimittel vertrieben würden. Immerhin stoße der Einwand der Apotheker mittlerweile auf offener Ohren, mit dem Erfolg, dass "die eine oder andere Begeisterung für den Versandhandel allmählich doch durch etwas Nachdenklichkeit getrübt wird".
Harte Kritik übte Keller auch an der Inkonsequenz der Gutachter. Auf der einen Seite sprächen sie sich für den Erhalt des Fremd- und Mehrbesitzverbotes aus. Auf der anderen Seite errechneten sie aber eine für eine Einzelapotheke vollkommen unrealistische Umsatzgröße von 200 Millionen Euro als Untergrenze für eine wirtschaftlich rentable Versandapotheke.
Ebenfalls unberücksichtigt bei der Bewertung des ökonomischen Nutzens bliebe in solchen Gutachten, dass Versandhändler immer Rosinenpickerei betrieben. Sie konzentrierten sich allein auf den lukrativen hochpreisigen Markt. Der DAV-Vorsitzende versuchte, dem anwesenden Staatssekretär Klaus Theo Schröder die Illusion zu nehmen, dies verhindern zu können. "Sie werden es mit keinen Gesetz schaffen, die Versandhändler auf Einhaltung des Kontrahierungszwangs zu verpflichten. Wer Versandhandel erlaubt, gestattet unweigerlich die Rosinenpickerei und zerstört damit die Mischkalkulation der Arzneimittelpreisverordnung."
Versand niemals preiswerter
Über das gesamte System sei Arzneiversand niemals preiswerter als die Distribution über öffentliche Apotheken. Testkäufe des Apothekerverbandes Hessen belegten, dass Versandhändler unter fadenscheinigen Gründen die Auslieferung preiswerter Arzneimittel ablehnten. Nur zwei von 92 Bestellungen der Hessen wurden tatsächlich geliefert.
Es sei auch eine Fehlannahme, dass der Versandhandel zu niedrigeren Kosten Arzneimittel distribuieren könne. Er profitiere allein von niedrigeren Mehrwertsteuersätzen auf Arzneimittel im Ausland. In den Niederlanden liegt der Satz mit 6 Prozent um 10 Prozentpunkten unter dem deutschen. Der Versandhandel aus dem Ausland werde somit vom deutschen Fiskus finanziert.
Keller wies erneut nachdrücklich darauf hin, dass der Versandhandel das bestehende Apothekensystem zerstören würde. Arzneimittelpreisverordnung, Fremd- und Mehrbesitzverbot seien dann ebenso obsolet, wie die flächendeckende Versorgung rund um die Uhr.
Angesichts der erheblichen Bedrohung sei die Initiative Pro Apotheke die einzige mögliche Antwort, so Keller. Mit der Unterschriftensammlung will die Apothekerschaft ihren Kunden die Möglichkeit geben, ihre ablehnende Haltung gegen den Versandhandel auszudrücken. Der Erfolg gibt der ABDA recht. Keller: "Dies wird eine der größten Unterschriftenaktionen, die es in Deutschland je gab."
Angesichts dieses Zuspruchs sollte "jede Partei gerade vor der Bundestagswahl sehr genau prüfen, ob sie sich für eine Idee einsetzen will, gegen die sich Millionen von Menschen aktiv ausgesprochen haben".
Mit ihrem Umzug nach Berlin kurz vor der Bundestagswahl treffe die ABDA genau den richtigen Zeitpunkt nach Berlin. Mit im Umzugsgepäck seien einige Millionen Unterschriften gegen den Versandhandel. Keller: "Wir kommen nach Berlin - und zwar mit Volldampf."
Besorgt zeigte sich Keller über die Novelle des Apothekengesetzes. In diese sei in letzter Minute die Entlassung der Impfstoffe aus der Apothekenpflicht hineingekommen. Der Bundestag hat bereits zugestimmt, jetzt setzt der DAV-Vorsitzende auf ein Scheitern im Bundesrat.
Keller sieht in dem Vorhaben einen gefährlichen Schritt: "Wer bei so hochsensiblen Produkten meint, auf die Apothekenpflicht bei Impfstoffen verzichten zu können, der kann es mit der Arzneimittelsicherheit nicht wirklich ernst meinen." Die Apotheker garantierten den Weg der Impfstoffe durch Chargenkonformität und hätten im Fall von Ticovac unter Beweis gestellt, dass das Kontrollsystem funktioniere. Wenn die Regierung im Impfschutz tatsächlich etwas bewegen wolle, dann solle sie mit den Apothekern eine große Kampagne gegen die Impfmüdigkeit starten.
Sinnvolle Entwicklungen willkommen
Die Kritik der Apotheker an Versandhandel und Apothekengesetznovelle darf nicht mit dem Beharren an veralteten Strukturen verwechselt werden. Sinnvollen Entwicklungen stehen ABDA und DAV aufgeschlossen gegenüber. Dies dokumentiere auch das ABDA-Konzept zur zukünftigen Gestaltung der Arzneimittelversorgung, so Keller. In dem Konzept für die Fachöffentlichkeit führen die Apotheker ihre Vorstellungen für eine wohnortnahe und sichere Arzneimittelversorgung.
Keller rief den Gesetzgeber dazu auf, die Apothekenbetriebsordnung zu ändern. Wenn die Patienten es wünschen, seien auch die Apotheker dazu bereit, Arzneimittel bis an die Haustür liefern. Allerdings nicht per Postboten, sondern mit pharmazeutisch qualifiziertem Personal.
Ein weiteres Instrument zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung sei der Gesundheitspass, auf dessen Einführung sich die am Gesundheitswesen beteiligten Verbände jetzt geeinigt haben. Der Pass steigere die Arzneimittelsicherheit über die Dokumentation der Medikation. Da so arzneimittelbezogene Probleme reduziert werden, sinken die Gesundheitskosten. Nach Studien könne so bis zu eine halbe Milliarde Euro pro Jahr eingespart werden. Keller: "Mit unserem Konzept können Arzneimittelprobleme erkannt und weitgehend vermieden werden. Das ist für jeden Einzelnen individuell bedeutsam, es spart aber auch für die Gemeinschaft vermeidbare Krankheitskosten."
Im Gegensatz zu den Befürwortern des Versandhandels können Apotheker auch mit einem Konzept aufwarten, mit dem sich auch ohne Ausnutzung von Mehrwertsteuerdifferenzen Geld Kosten reduzieren lassen. Über eine von ABDA und pharmazeutischem Großhandel vorgeschlagene Änderung der Arzneimittelpreisverordnung könne die Krankenversicherung um bis zu 400 Millionen Euro entlastet werden.
Auch zu der Beteiligung von Apothekern an Disease-Management-Programmen haben die Apotheker ein detailliertes Konzept erarbeitet. Es sieht vor, dass Apotheker als Medikationsmanager die Compliance und Motivation der in DMP eingeschriebene Patienten erhöhen. Zudem kann über eine software-gestützte Arzneimitteldokumentation die Zahl der arzneimittelbezogenen Probleme reduziert werden.
Kommentar: Wer hat das Gesetz gemacht? Die Eintracht, die auf dem Podium beim diesjährigen Infotainment zum Thema Aut idem herrschte, war geradezu beängstigend. Da fragte sich so mancher Zuhörer, von wem die vermurkste Aut-idem-Regelung eigentlich auf den Weg gebracht wurde. Nur SPD-Mann Horst Schmidbauer wollte anscheinend seiner Gesundheitsministerin nicht unverblümt vors Schienbein treten, und bezeichnete den erzielten Kompromiss halbherzig als guten Reformansatz. Seine weiteren Ausführungen ließen jedoch keinen Zweifel daran, dass an der Regelung noch einiges korrigiert werden muss.
Die Strategie der Apothekerschaft scheint aufzugehen. Nach jahrelangem Ringen ist Aut idem zumindest erst einmal gesetzlich fixiert. Dass die holprige und halbherzige Lösungen Pharmazeuten nicht wirklich glücklich macht, ist ohne Frage. Aber steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein.
Irgendwann werden hoffentlich auch die Ärzte akzeptieren, dass sich der Apotheker nicht in die Therapiehoheit einmischen, sondern lediglich seinem Patienten das Wiederkommen ersparen will.
Ulrich Brunner
Redakteur
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