Politik
Die
Gesundheitspolitik in Deutschland ist so launisch wie das
Aprilwetter. Mit dieser Feststellung eröffnete der
Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes, Hermann S.
Keller, seinen diesjährigen politischen Lagebericht in
Baden-Baden. Schwerpunkt seiner kritischen Analyse waren
die Neuordnungsgesetze (1. NOG und 2. NOG).
Sie hätten, so Keller, bei den Apothekern keinen Jubel
ausgelöst, auch wenn in ihnen das Arzneimittel nicht im
Mittelpunkt steht. Die im 1. NOG verankerten
Zuzahlungserhöhungen als Folge von Beitragserhöhungen
benötigen noch eine Regelung über die
Informationsweitergabe und Fristen. Die
DAV-Mitgliederversammlung am Vortag habe deshalb die
gemeinsame Empfehlung der Spitzenverbände der
Krankenkassen und des DAV zustimmend zur Kenntnis
genommen, daß Veränderungen der Zuzahlungen spätestens
vier Wochen vor deren Wirksamwerden im Bundesanzeiger
veröffentlicht werden sollen. Nach Meinung des
DAV-Vorsitzenden sollte aber eine entsprechende Regelung
auch in Verträgen verankert werden.
Keller wertete es als einen Erfolg des DAV und der ABDA,
daß die vorgesehenen, nach Indikationen und Wirkstoffen
differenzierten Zuzahlungen, die auch noch von Kasse zu
Kasse unterschiedlich hätten sein können, aus dem
Gesetzesentwurf wieder gestrichen wurden. Die zum 1. Juli
geplante drastische Zuzahlungserhöhung um 5 DM pro
Packung und die ab 1. September erstmals wirksam
werdenden beitragssatzbedingten Erhöhungen, die dazu
führen würden, daß rund 20 Prozent aller
Arzneimittelverordnungen vom Patienten vollständig
selbst bezahlt werden müssen, bezeichnete Keller als den
»Einstieg in den Ausstieg aus der Arzneikostenerstattung
durch die gesetzlichen Krankenkassen« .
Keller rechnet damit, daß viele Verordnungen von den
Patienten nicht mehr eingelöst werden, was für die
Krankenkassen sehr teuer werden könne. Er kündigte an,
daß die Apotheker die Patienten zum 1. Juli über die
Zuzahlungserhöhungen aufklären werden, aber auch über
Härtefallregelung und Überforderungsklausel Wir
werden uns zum Anwalt des Patienten machen und ihm unsere
Hilfe anbieten!" In diesem Zusammenhang forderte
Keller die Politik auf, den Kassenabschlag auf die
Patientenzuzahlungen endlich zu streichen: Rabatt
auf Zahlungen anderer ist ordnungspolitisch
unvertretbar."
In den durch den neuen § 73a SGB V legitimierten
Strukturverträgen zwischen Ärzten und Krankenkassen
sieht Keller die Einführungen von HM0s nach
amerikanischem Vorbild. Solche Verträge zu Lasten
Dritter würden auch in Deutschland zu Patientenselektion
und Aussteuerungen schlechter Risiken führen, mit der
Folge einer schlechteren Versorgungsqualität. Kellers
Fazit zu den Neuordnungsgesetzen: Wieder einmal
steht letztendlich doch das Arzneimittel und damit die
Apotheke im Zentrum dieser Gesundheitsreform."
Auf § 300 SGB V eingehend, bedauerte Keller, daß der
Poker um die Datenlieferungen weitergehe. Noch immer
gefielen sich manche Kassenvertreter darin,
Datenlieferungen der Apothekenrechenzentren pauschal als
unzureichend oder in hohem Maße fehlerhaft zu
bezeichnen. Wir haben in Teilbereichen - technisch
bedingt - die ursprüngliche Zeitschiene des Vertrages
verspätet erfüllt. Das ist zugegeben. Aber die
Krankenkassen sollten nun .wenigstens so ehrlich wie wir
sein und eingestehen, daß sie derzeit technisch nicht in
der Lage sind, die Datenanlieferungen so aufzubereiten,
wie sie sie nach dem Gesetz verarbeiten müßten."
Partnerschaftliche Zusammenarbeit sei jetzt angesagt, um
Probleme zu analysieren und pragmatisch zu lösen.
Kritisch sieht Keller auch die Streichung der
Importabgabeverpflichtung im § 129 SGB V, da die
Krankenkassen zu Änderungen der Rahmenverträge nicht
bereit seien. Wenn sich im Ergebnis an der
Importabgabeverpflichtung der Apotheker nichts ändere,
dann sei das Gesetzespaket zur Standortsicherung
Deutschland" eine Luftbuchung gewesen. Als Beispiel
guter partnerschaftlicher Zusammenarbeit wertete Keller
das neue DAV-Industrie-PhagroModell, das für die
Neufestsetzung und Anpassung bestehender Festbeträge
gleichermaßen gilt und den Apothekerinteressen
näherkommt als das alte Modell.
Auch zu den Vorschlägen der Krankenkassen zur
Arzneimittelpreisbildung, den Apothekenaufschlag auf
maximal 20 Prozent zu begrenzen und auf 30 DM ab einem
Einkaufspreis von 150 DM, nahm Keller klar Stellung: Das
wäre die endgültige Systemvernichtung. Der DAV wolle
dagegen eine systemkonforme Weiterentwicklung, die die
verstärkte Inanspruchnahme apothekerlicher Kompetenz
auch unter wirtschaftlichen Aspekten ermögliche.
Zur Senkung der Kosten im Gesundheitswesen forderte
Keller die Politik auf, sich endlich dazu durchzuringen,
den Mehrwertsteuersatz bei Arzneimitteln zu senken.
Außer Deutschland leiste sich in der EU nur noch
Dänemark die volle Belastung der Solidargemeinschaft
aller Versicherten zugunsten der öffentlichen Hand.
PZ-Artikel von Hartmut Morck, Baden-Baden
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