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Wer darf entscheiden?

16.04.2001  00:00 Uhr

STERBEHILFE

Wer darf entscheiden?

von Thomas Bellartz, Frankfurt am Main

Mitten in der Karwoche sorgte eine Entscheidung des niederländischen Parlaments für internationales Aufsehen. Nach der Verabschiedung des weltweit ersten Gesetzes über Sterbehilfe für Kranke reagierten deutsche Politiker und Kirchenvertreter, aber auch Verbände und Ärzteorganisationen einhellig ablehnend - im Gegensatz zur Mehrheit der Bundesbürger.

Wenige Tage nach der Verabschiedung des Gesetzes wird in den Niederlanden nun über eine so genannte Selbstmordpille für lebensmüde alte Menschen diskutiert. Angestoßen wurde die Debatte am Osterwochenende von Gesundheitsministerin Els Borst. In einem Interview mit der Zeitung "NRC Handelsblad" erklärte sie, "nichts dagegen" zu haben, dass alten Menschen so das Recht auf selbstständige Beendigung ihres Lebens gewährt werde. Der Vorstoß der Ministerin stieß bei Vertretern von Regierungs- und Oppositionsparteien allerdings auf Kritik.

Nach Ansicht von Borst sollte die Selbstmordpille für Alte - unabhängig von dem am vorigen Dienstag verabschiedeten Gesetz zur aktiven Sterbehilfe durch Ärzte - ermöglicht werden. Voraussetzung für die Gewährung der Todespille müsse die Zustimmung durch eine unabhängige Kommission sein, meinte die Politikerin von der linksliberalen Partei D66. Die Kommission müsse jeden Fall vorab prüfen, meinte die Ministerin, die das Euthanasie-Gesetz im Parlament vertreten hatte. Schon 1991 hatte ein Mitglied des Hohen Rats, des höchsten juristischen Gremiums der Niederlande, für die Gewährung von Todespillen für lebensmüde alte Menschen plädiert.

Nach dem Euthanasie-Gesetz, das voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte in Kraft treten wird, kann die Sterbehilfe straffrei nur im Fall unerträglichen und ausweglosen Leidens durch Ärzte gewährt werden. Die Mediziner müssen zuvor die Meinung eines besonders geschulten Kollegen einholen. Die Kranken müssen deutlich gemacht haben, dass sie die Sterbehilfe wünschen. Jeder Fall muss einem Ausschuss gemeldet werden, in dem mindestens ein Arzt, ein Jurist und ein Experte für ethische Fragen sitzen. Damit sorgt die Legislative in Den Haag für klare Verhältnisse. Schließlich wird die aktive Sterbehilfe schon seit Jahren in den Niederlanden praktiziert - und dies mit starken jährlichen Steigerungsraten. Alleine im vergangenen Jahr sollen 8000 Patienten die aktive Sterbehilfe gewählt haben. Die unterstützenden Ärzte mussten - trotz der stillschweigenden Duldung durch die Behörden - immer mit einer Anzeige rechnen.

Kirchen verurteilen Euthanasiegesetz

In Deutschland stieß die aktive Sterbehilfe in der öffentlichen Diskussion bislang auf breite Ablehnung. Führende Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen verurteilten besonders am Osterwochenende einhellig das niederländische Euthanasiegesetz. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, schrieb in seiner Osterbotschaft, beide Kirchen könnten gemeinsam bekennen, "dass Gott Leben und Sterben in seiner Hand hält". Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, nannte Sterbehilfe "nicht mit dem hippokratischen Eid vereinbar".

Die deutschen Ärzte lehnen nach Einschätzung wichtiger Interessenvertreter den niederländischen Weg entschieden ab. Der Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Frank Ulrich Montgomery, sagte: "Unter den ernst zu nehmenden Repräsentanten der Ärzteschaft gibt es niemanden, der die holländische Regelung befürwortet." Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, erklärte, die Entscheidung rühre an die Grundfeste einer humanen Gesellschaft.

Als unerlaubten Eingriff des Menschen in das Leben hat der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland das in den Niederlanden verabschiedete Sterbehilfe-Gesetz bezeichnet. Zum Leben gehörten unbedingt auch Schmerzen und Leiden. "Schmerzen können kein Grund zur Beendigung menschlichen Lebens sein. Wir dürfen den leidenden, kranken Menschen nicht das Gefühl geben, ab einer bestimmten Grenze und Länge ihres Leidens müssten sie der Todesspritze zustimmen."

Dagegen begrüßte der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, Kurt Schober, die Entscheidung der Niederländer. Dies sei eine "Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Sterbenden", erklärte er im Rundfunksender NDR 4.

Mehrheit der Deutschen ist dafür

Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach spricht sich die Mehrheit der Deutschen allerdings im Gegensatz zu den großen Parteien für aktive Sterbehilfe aus. 64 Prozent der Westdeutschen und 80 Prozent der Ostdeutschen seien dafür, teilte das Institut am Mittwoch mit. Von 2094 Befragten über 16 Jahre lehnten nur 19 Prozent im Westen und 6 Prozent in den neuen Ländern aktive Sterbehilfe ab.

Wie in Deutschland ergab auch eine Meinungsumfrage in Frankreich, dass ein Großteil der Bevölkerung für aktive Sterbehilfe ist. Bei der Umfrage des Instituts Ifop für die Pariser Zeitung "Le Journal du Dimanche" sprachen sich 38 Prozent uneingeschränkt dafür aus, nach dem Vorbild der Niederlande bei unerträglichen Leiden eine aktive Sterbehilfe zuzulassen. 50 Prozent befürworten ein Gesetz für Sterbehilfe "in bestimmten Fällen". Top

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