Sozialministerium geht gegen BKK Landesverband vor |
01.04.2002 00:00 Uhr |
Versandhandel
Die massiven Proteste der Bayerischen Apotheker und der ABDA haben ihre Wirkung gezeigt. Im Streit um die Versandapotheke DocMorris geht das bayerische Sozialministerium jetzt in einem rechtsaufsichtlichen Verfahren gegen den Landesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) vor.
Der Vertrag der BKK mit DocMorris verstoße gegen das Arzneimittelgesetz, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums von Montag. Damit sei auch eine Kostenübernahme der von Versicherten über DocMorris bezogenen Arzneimittel durch die Krankenkasse ausgeschlossen, sagte Sozialministerin Christa Stewens (CSU). Der BKK Landesverband Bayern hatte mit der niederländischen Versandapotheke einen Arzneiliefervertrag geschlossen. BKK-Versicherte können demnach über das Internet bei DocMorris Arzneimittel bestellen. Die Krankenkassen zahlen zwischen 2 und 9 Prozent weniger für die Arzneimittel als sie an deutsche Apotheken bezahlen würden.
"Nach unserer Auffassung ist der Vertrag zwischen der BKK und DocMorris nichtig. Damit ist eine Abrechnung von Arzneimitteln, die über den Versandhandel bezogen wurden, ausgeschlossen", sagte die Ministerin. Eine Aufhebung des Versandhandelsverbotes würde eine Gefährdung der Arzneimittelsicherheit bedeuten.
Das bayerische Sozialministerium teilt damit die Auffassung vom Vorsitzenden des Landesapothekerverbands, Gerhard Reichert, und dem Präsidenten der Landesapothekerkammer Johannes M. Metzger. Beide hatten massiv gegen den Vertrag interveniert. Eine Resolution der Bayerischen Apotheker und eine Unterschriftenaktion ergänzten die politische Arbeit.
Die Krankenkassen scheint die Intervention des bayerischen Sozialministeriums nicht sonderlich zu beeindrucken. Auf der Homepage des BKK-Landesverbandes wird weiterhin für den bezug von Arzneimitteln über DocMorris geworben. Eine Reaktion auf die Position der Landesregierung sucht man vergebens.
Nach Recherchen des WDR-Magazins "Markt" ignorieren mittlerweile die meisten Krankenkassen das Versandhandelsverbot. Allerdings geben nur wenige Kassen die rechtswidrige Zusammenarbeit offen zu, darunter die Techniker Krankenkasse (TK), die Gmünder Ersatzkasse (GEK) und eben der Landesverband Bayern der BKK. Nach Angaben des Wirtschaftsmagazins hat jetzt auch die DAK einen Rückzieher gemacht. Vor kurzem noch wollte man sich an die Auflagen des Bundesversicherungsamtes halten und keine Medikamente zahlen, die DAK-Versicherte bei DocMorris ordern. Auf Anfrage von "Markt" erklärte die DAK jetzt, dass auch die DAK die Medikamente bezahle und sich nicht mehr an das Verbot der Bonner Behörde gebunden fühle. Weniger offensiv gehen die Ortskrankenkassen und die Innungskrankenkassen vor. Nach den Informationen von "Markt" sollen aber auch sie die Kosten übernehmen.
Der Präsident der Apothekerkammer Nordrhein, Karl-Rudolf Mattenklotz ist entsetzt über das Vorgehen der Krankenkassen. "Dies ist ein gravierender Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Versandhandel mit Arzneimitteln ist in Deutschland aus guten Gründen weiterhin verboten", stellte Mattenklotz klar. Der Kammerpräsident wirft dem Bundesversicherungsamt und Politikern vor, tatenlos zuzuschauen, wie Krankenkassen das recht beugen.
Die Zahl der Kassen, die keine DocMorris-Rezepte erstatten scheint in der Tat immer kleiner zu werden. Nach einer DocMorris-Liste, die Markt vorliegt, weigern sich gerade mal 24 Kassen, die Rezepte des Arzneiversenders zu erstatten, darunter allerdings so große Kassen wie die AOK-Landesverbände Hessen und Westfalen-Lippe oder die Betriebskrankenkassen Bayer und DaimlerChrysler. Ebenfalls gegen den Versandhandel spricht sich die AOK Bayern aus (siehe Interview). Zudem dürfte die Liste nicht ganz korrekt sein. Auch die BKK für Heilberufe müsste demnach DocMorris Rezepte erstatten. Dies tut sie aber nach eigenem Bekunden nicht.
Keine Vereinbarung geplantIm Gegensatz zum BKK-Landesverband, geht die AOK-Bayern auf Distanz zu DocMorris. Die PZ sprach mit Dr. Helmut Platzer, Vorstandsvorsitzender der AOK Bayern.
PZ: Halten Sie Apotheker für überflüssig?
Platzer: Keineswegs, Apotheken werden in Bayern auch künftig die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung wahrnehmen. Dabei kann auf den pharmazeutischen Sachverstand nicht verzichtet werden.
PZ: Was ist ihrer Meinung nach die zentrale Funktion der Apotheker?
Platzer: Der Apotheker ist das letzte Glied in der langen Kette der Arzneimittelversorgung. Bei Wahrnehmung seiner Beratungsfunktion übernimmt er eine wichtige pharmazeutisch-medizinische und soziale Rolle. Davon profitieren insbesondere ältere Menschen. Hinzu kommen Verteilungsaufgaben, die nicht ohne weiteres von einem weit entfernten Versandhändler übernommen werden können. Jeder, der einmal nachts dringend ein Medikament benötigt hat, weiß die Apotheke am Ort zu schätzen.
PZ: Der BKK LV Bayern hat einen Vertrag mit Doc Morris geschlossen, obwohl der Versandhandel verboten ist. Plant die AOK Bayern eine ähnliche Vereinbarung?
Platzer: Nein, eine Vereinbarung mit einer Versandapotheke ist nicht geplant.
PZ: Ist die Arzneimittelpreisverordnung das richtige Honorierungssystem für Apotheker?
Platzer: Man kann durchaus über eine neue Gestaltung des Honorars für Apotheker diskutieren. Denkbar wäre ein abgesenkter umsatzbezogener Anteil, der durch eine Rezeptpauschale für Beratung ergänzt werden könnte.
Wir können und wollen nicht auf Apotheker verzichtenFür Wirbel in der Apothekerschaft sorgte in der vergangenen Woche ein Artikel auf der Website PharmaconLine. Dort wurde der Vorsitzende des BKK-Landesverbandes Gerhard Schulte mit der Aussage zitiert "Apotheker sind weitgehend überflüssig." Grund für die PZ, nachzufragen.
PZ: Auf der Internet-Seite von PharmaconLine bezeichnen Sie Apotheker als überflüssig?" Warum können die Deutschen auf Apotheker verzichten?
Schulte: Das Zitat ist falsch. Wer mich so zitiert, hat meine Aussagen entweder völlig aus dem Zusammenhang gerissen oder mich falsch verstanden. Wir können und wollen natürlich nicht auf Apotheker verzichten, die für jede Art der Distribution gebraucht werden. Im übrigen ist der Internet-Beitrag, der mir erst jetzt bekannt wurde, laut Auskunft der Redaktion von PharmaconLine zwei bis drei Jahre alt.
PZ: Was ist ihrer Meinung nach die zentrale Funktion der Apotheker?
Schulte: Beratung, Sicherung der Prozessqualität der Arzneiversorgung, insbesondere Verbesserung der Compliance der Patienten.
PZ: Warum haben Sie einen Vertrag mit einer Versand-Apotheke geschlossen?
Schulte: Ich habe zusätzlich zu den rund 22 000 in Deutschland niedergelassenen Apotheken nun mit einer niederländischen Apotheke einen Arzneimittelliefervertrag geschlossen, weil ich den Versicherten der Betriebskrankenkassen in Bayern das qualitativ und preislich interessante Angebot nicht vorenthalten möchte.
PZ: Wo sollen ihre Versicherten demnächst ihre Rezepte einlösen? In der Apotheke oder bei DocMorris?
Schulte: Die Versicherten sind und bleiben in ihrer Entscheidung völlig frei, wo sie ihr Rezept einlösen wollen.
PZ: Welchen Vorteil hat der Patient davon, wenn er einige Tage auf seine Arzneimittel warten muss?
Schulte: Die Motivation der Versicherten, per Versandapotheke die Arzneien zu beziehen, ist sicher unterschiedlich. Für immobile Versicherte und chronisch Kranke, die regelmäßig ihre Arzneien benötigen, kann der Bezug über den Versandhandel eine gute Alternative zu einer Offizinapotheke sein.
PZ: Sie werden im Internet weiter zitiert mit der Aussage "Apotheker beraten zu selten". Sind Sie mit der Leistung der Apotheker nicht zufrieden?
Schulte: Es gibt einige Untersuchungen und Verbrauchertests, die deutliche Hinweise auf Defizite der Beratungen in Apotheken geben. Die Qualität in der Beratung ist natürlich von Apotheke zu Apotheke unterschiedlich. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die Mehrzahl der Apotheker in Deutschland gute Beratungsgespräche führen.
PZ: Ist die Arzneimittelpreisverordnung das richtige Honorierungssystem für Apotheker?
Schulte: Die Arzneimittelpreisverordnung ist nach meiner Auffassung das falsche Honorierungssystem. Die Notwendigkeit und Intensität von Beratung hat mit dem Preis eines Arzneimittels nichts zu tun. Gleichzeitig bewirkt die Arzneimittelpreisverordnung durch ihre prozentualen Aufschläge ein auch für Apotheken unheilvolles Bündnis mit der pharmazeutischen Industrie im Interesse an hohen Preisen. Hieraus entsteht eine regelmäßige Frontstellung der Apotheker gegen gesundheitspolitische Regelungen, die auf kostengünstiger Versorgung durch Preiswettbewerb im Arzneimittelmarkt zielen. Ich bin deshalb der Auffassung, dass langfristig ein Honorarsystem eingeführt werden muss, das sich an den eigentlichen Tätigkeiten der Apotheken in den Bereichen Abgabe, Beratung, pharmazeutische Betreuung etc. orientiert und vom Herstellerabgabepreis abgekoppelt ist.
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